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kaufberater modeling
Gerade im Heavy-Bereich arbeiten viele Gitarristen mit Modeling – so auch Jeff Waters (Annihilator)
Der Amp steht Modell
Modeling in allen Lebenslagen
An der digitalen Simulation des Gitarrenverstärkers führt heu-
te kaum ein Weg vorbei. Dabei gibt es verschiedene Ansätze,
wie der Sound per Modeling erzeugt wird: vom praktischen
Combo bis hin zur Software fürs Gitarrenrecording.
Siegeszug des Computers
Der Rechner hat in das Gitarristenlager eine
klaffende Furche geschlagen und dabei den
Altmeister Röhrenamp empfindlich verletzt.
Der Angreifer ist leicht, flexibel und aufgrund
kompakter Abmessungen außerordentlich
wendig. Sein Gedächtnis kennt hunderte
Klangstrategien statt der üblichen Handvoll.
Dazu entspringt sein Motor einer neuen Pro-
duktionsgeneration, die nicht länger in der teu-
ren Werkstatt gewartet zu werden braucht und
überdies auch keiner Tagesform unterliegt.
Die digitale Revolution ist dabei kaum mehr
als zehn Jahre alt. Mit dem Synthesizer VL-1 stell-
te die Firma Yamaha 1994 erstmals ein sünd-
haft teueres Musikinstrument vor, das mittels
eines technischen Verfahrens namens „Physical
Modeling“ Blasinstrumente künstlich imitier-
te. Bereits ein Jahr darauf bereitete dann die
Firma Roland alle Gitarristen mit dem V-Guitar-
System darauf vor, dass dieses neue Verfahren
auch vor Gitarren- und Verstärkersimulationen
keinen Halt machen würde.
Der große Durchbruch ließ nicht lange
auf sich warten: Der Line 6 Pod von 1998
vereinte für wenig Geld eine Vielzahl von
Verstärkersimulationen und integrierten
Effekten in einem kompakten Gehäuse. Damit
erteilte der Pod manchem Übungsverstärker
die rote Karte und etablierte sich in Windeseile
in Heim- und Projektstudios und auch im
Livebetrieb.
Gegenüber dem Rolandsystem be-
schränkte sich der Pod auf die Simulation
der Verstärkerkette, bot aber neben dem
Preisvorteil eine unmittelbare Einsetzbarkeit
an jeder elektrischen Gitarre, während die
V-Guitar-Geräte bis heute nach dem Einsatz
hexaphonischer Tonabnehmer verlangen.
So avancierte der Pod zu einem Bestseller,
in dessen Fahrwasser sich schnell weitere
Konkurrenzprodukte wiederfanden.
Mehr als Ersatz
Ergänzt um aufgemotzte Rackvarianten, wurde
so ein breiter Anwenderbereich mit der neu-
en Technologie „infiltriert". Durch den Preis,
die klangliche Vielseitigkeit und die einfache
Anwendung war bereits diese erste Modeling-
Generation für viele Anwender keinesfalls nur
Ersatz für echte Verstärker, sondern auch über-
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Kein Modeling, aber eine analoge Simulation für Aufnahme-
zwecke: der Rectifier Recording Preamp
Modeling bezeichnet ein digitales Verfahren
der Nachbildung existierender Vorgänge. In
unserem Fall geht es dabei typischerweise
um die Simulation eines Verstärkers mit vor-
geschalteten Effekten, einer Lautsprecherbox
und dem zugehörigen Aufnahmemikrofon.
Festgelegter Klang
Tatsächlich ist Modeling nicht an eine be-
stimmte Gerätegattung gebunden. Modelliert
werden heute auch Instrumente und Studio-
peripherie jeglicher Art. Dabei können, je nach
Aufwand, selbst einzelne Bauteile und dynami-
sche Prozesse erfasst werden. Wie das getan
wird, steht in einer Rechenvorschrift, die den
Klang im Unterschied zu den Bauteilen fest-
legt. Genau hier grenzt sich der Modeler von
anderen Simulationen ab.
Denn natürlich lässt sich auch mit
Transistoren oder Röhren ein Klangergebnis
imitieren, denken wir nur an den Sansamp
oder den Boogie Rectifier Recording Preamp.
Nachgebildet wird ein fortlaufender Echtzeit-
prozess. Ein Eingangssignal wird in das
System eingespeist, berechnet und mit dem
Klangverhalten einer simulierten Schaltung
in Abhängigkeit von Pegel, Frequenz und Zeit
wieder ausgegeben. Keine triviale Aufgabe.
Regelelemente
So haben wir es in der Raumakustik beispiels-
weise mit einem teilweise linearen System zu
tun. Trifft Schall auf eine Wand, wird dieser fre-
quenzabhängig, nicht aber pegelabhängig re-
flektiert. Ein solches System lässt sich mit einem
einzigen umfassenden Messsignal gut erfassen.
Die resultierende sogenannte Impulsantwort
enthält alle Informationen, um mit beliebigen
anderen Eingangssignalen verrechnet zu wer-
den – so anzutreffen im vielfach eingesetzten
Faltungshall, der einem Eingangssignal eine
Raumakustik aufprägt.
So einfach ist es bei Verstärkern allerdings
nicht. Diese verfügen über Regelelemente, die
in jeder Einstellung und Kombination gemes-
sen werden müssten – ein enorm zeitintensi-
Mit dem VG-8 fing alles an, mit dem Pod kam der Durchbruch
aus attraktives Zweitgerät für die heimische
Probe und jede Aufnahme. Bevor wir uns der
eigentlichen Gretchenfrage widmen, möch-
ten wir euch zunächst mit dem technischen
Verfahren vertraut machen.
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aber nach oben begrenzte Sättigung geraten.
Eine universelle Impulsantwort, selbst pro
Reglereinstellung, ist deshalb keine Lösung.
Viel sinnvoller ist es, ein Modell zu erschaf-
fen, das das Schaltungsverhalten formalisiert
und bei gegebenem Eingang einen Ausgang
vorhersagt. Hier spricht man von „Physical
Modeling“.
Wenn dieses mathematische Modell das
Verhalten einer Schaltung exakt abbildet, dann
würde das Eingangssignal auch entsprechend
dem Original „verbogen“ werden und auch so
klingen.
Abgleich mit tatsächlichen Eigenschaften
Um dieses Ziel umzusetzen, wird eine Schal-
tung meist in Teilbereiche zerlegt, die, für
sich betrachtet, eine einfachere Formalisierung
gestatten. Erst im zweiten Schritt wird ermit-
telt, wie diese Teilsysteme miteinander inter-
agieren.
Schließlich wird das theoretische Modell
mit den tatsächlichen Eigenschaften der
Schaltung abgeglichen, die aufgrund von
Bauteiltoleranzen und anderen unvorherseh-
baren Nebeneffekten von der Theorie abwei-
chen kann.
Natürlich wägt man auch ab, welche
Eigenheiten überhaupt imitierenswert sind.
Ob Temperaturdrift, Röhrenalterung oder be-
stimmte Nebengeräusche in eine Nachbildung
gehören, ist Ansichtssache. Die Integration von
Bedienelementen bringt eine solche Formel
übrigens nicht durcheinander, sie wird ledig-
lich aufgrund der Abhängigkeiten komplexer
und rechenintensiver.
Steht die Modellspezifikation, folgt die
Umsetzung in das echtzeitfähige System.
Dieses errechnet in Abhängigkeit vom einge-
henden Pegel und Frequenz sowie der jeweili-
gen Reglerstellung unmittelbar ein adäquates,
artefaktfreies Ausgangssignal.
Modeling bis ins Letzte: Im Peavey Revalver mkIII
kann man sogar selbst die Röhren tauschen
Modeling per Bodenpedal
Entsprechende Geräte sind heute als Hardware
für den Heim- und Projektbereich, für das pro-
fessionelle Tonstudio, aber auch in unterschied-
lichen Varianten für den Bühneneinsatz anzu-
treffen. Darüber hinaus findet man sie auch
vollkommen entmaterialisiert als Software.
Hardware oder Software
Grundsätzlich ist es für den Klang unerheblich,
ob das Modeling in Softwareform im Rechner
oder in einem autarken Gerät mit eingebautem
Signalprozessor stattfindet.
In beiden Fällen handelt es sich um Pro-
grammcode. Die Softwarelösung nutzt dabei
die bestehende Audio-Hardware, was zu einer
weiteren Ersparnis führt. Dafür sind Systeme
wie Guitar Rig oder Amplitube nicht ohne
Rechner nutzbar. Wichtige Unterschiede gibt
es dennoch: Die Reaktionsgeschwindigkeit
des Modelers ist in „geschlossenen Systemen“
vordefiniert, in Rechnersystemen dagegen
ver Vorgang. Bei kontinuierlich arbeitenden
Reglern ist dies ohne Interpolation gar nicht
zu leisten. Zwar gibt es das Verfahren der dy-
namischen Faltung, dieses ist allerdings extrem
rechenintensiv und entbindet nicht von dem
immensen Aufwand in der Umsetzung.
Begrenzte Sättigung
Hinzu kommt, dass sich ein typischer
Gitarrenverstärker auch im Pegel nicht linear
verhält. In vielen Fällen wird dieser bei stär-
kerem Eingangspegel in eine wachsende,
Um die erklärende höhere Mathematik schum-
meln wir uns hier herum und verweisen auf eine
detaillierte Einführung unter: www.uaudio.com/
webzine/2008/september/analog.html
Gesamter Signalpfad
Modelingverfahren finden sich heute in fast
allen Bereichen der Gitarrentechnik. Nahezu
der gesamte Signalpfad ist als Simulation ver-
fügbar, angefangen bei der Gitarre (Fender
Stratocaster VG, Line 6 Variax), über diverse
Einzel- und Multieffekte bis hin zu den gän-
gigen Verstärkersimulationen einschließlich
Lautsprecher und Mikrofon.
Modeling für die Bühne: Vollverstärker und Pedalboards
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Erlaubt noch während der Mischung Soundwechsel: Mode-
ling-Software wie Native Instruments Guitar Rig
Native Plug-ins wie Amplitube von IK Multimedia werden
durch die CPU berechnet
Amp-Modeling in Pro Tools und Logic Pro
Kann fast alles – Modeling, Effekts, Gitarren,
Synthesizersounds: Roland VG-99
Steht auf Modeling: Dave Mustaine (Megadeth)
variabel, oder besser gesagt, abhängig von der
Audio-Hardware.
Diese Signalverzögerung oder Latenz ist
ein allgemeiner Fluch der Digitaltechnik
und leider unvermeidbar. Überall, wo di-
gitalen Komponenten im Spiel sind, wird
das Signal gegenüber einer rein analogen
Verbindung verzögert. Generell gilt: Je kür-
zer die Systemverzögerung, desto besser das
Spielgefühl. In der Studiomischung hingegen
spielt dieser Aspekt allerdings so gut wie keine
Rolle. Im Vorteil ist die Software, wenn es dar-
um geht, einen Modeler mehrfach zu nutzen
– kein Problem für ein Plug-in. Hinzu kommt
der zweite Bonus, dass man den Sound noch
in der Mischung unmittelbar anpassen oder
komplett tauschen kann.
Unterstützung des Formats
Im Software-Bereich gibt es
weitere
Unterscheidungskri-
terien. Arbeitet ihr mit einem
Sequenzer, so sollte der Modeler
das zugehörige Plug-in-Format
(VST, AU oder RTAS) unterstützen.
Des Weiteren unterscheidet
man zwischen nativen und DSP-
Formaten.
Native
Plug-ins
werden durch die CPU eures
Rechners berechnet, belas-
ten diese allerdings auch
entsprechend. Beispiele für
diesen Typ sind Guitar Rig,
Amplitube oder Revalver.
DSP-Plug-ins setzen hingegen eine speziali-
sierte Hardware in eurem Rechner voraus, die
selbst Rechenleistung zur Verfügung stellt.
Das bekannteste Beispiel ist Digidesigns Pro
Tools. Weitere Anbieter sind Universal Audio
und t.c. electronic. Etablierte Hersteller wie
Waves bieten dabei ihre Produkte durchaus für
mehrere Plattformen an.
Hierdurch ergibt sich beim
Wechsel von einem Studio in das
nächste eine höhere Kompatibilität
(Waves GTR).
Nahtloser Klangtransfer
Eine einzigartige Kompatibilität
der Anwendungen ermöglicht Line 6.
Von diesem Hersteller stehen neben
der bekannten Pod-Reihe die Vetta-
Vollverstärkerserie und die klangkompa-
tible Software Gearbox zur Verfügung.
Ein Klangtransfer kann hier also vom
Rechner nahtlos bis auf die Bühne ver-
laufen.
DSP-Plug-ins laufen auf Systemen wie Pro Tools,
UAD-1/2 und Powercore
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DSP-PlugIns laufen auf Systemen wie Pro Tools, UAD-1/2 und Powercore
Klare Problemstellung
An der Frage, wie gut ein digitales Modell
denn wirklich klingt, scheiden sich die Geister.
Und auch wir werden euch keine pauschale
Antwort geben.
Das Problem ist eigentlich klar: Bezieht sich
ein Modeling-Hersteller auf ein Original, so stellt
er sich einem Klangvergleich, den er eigent-
lich nur verlieren kann. Quasi jede Simulation
ist mit limitiertem finanziellen und zeitlichen
Aufwand betrieben und deshalb zwangs-
weise ein Kompromiss. Ob dieser hörbar ist,
hängt von mehreren Faktoren ab. Technisch
betrachtet, spielen vor allem die Qualität der
Umsetzung und die verfügbare Rechenleistung
eine Rolle. Während die Qualität mit Talent, Zeit
und Geld zu tun hat, braucht sich ein Hersteller
von Musikelektronik um die Rechenleistung
heute kaum noch Gedanken zu machen – sie
wächst quasi automatisch. Genau hier liegt
ein elementarer Unterschied zur traditionellen
Hardware. Zumindest theoretisch verfügt jede
neue Modeling-Generation über zusätzliche
Kapazitäten, die sich in Detailtreue und weite-
rer Flexibilität äußern können.
Eventuell ist es für den Hersteller auch klü-
ger, den Imitationsaspekt in den Hintergrund
zu drängen. Schließlich braucht man die
Simulationsvorgabe nicht zu nennen oder
kann diese während der Entwicklung kreativ
nach seinen eigenen Vorstellungen formen, so
wie es beispielsweise Rocktron vormacht.
Konservative Rocker
Zu geringe Spieldynamik, zu hohe Latenz
und ein kalt-klinischer Sound: Das wird dem
Modeling-Amp gern pauschal vor den Bug
geknallt. Seien wir ehrlich: Im Gitarristenlager
herrscht ein gewisser Konservatismus, der
eigentlich so gar nicht zur revolutionären
Einstellung der Rockmusik passt. An jeder Ecke
trifft man auf Insider, die wissen, wie viel dyna-
mischer und wärmer die Röhre im Vergleich zur
sterilen Digitalbüchse klingt.
Wer sagt denn eigentlich, dass eine Röhre
grundsätzlich warm klingt, ein Transistor- oder
gar digitales Produkt nicht? Ein Tubescreamer
arbeitet auch ohne Röhren, ein Krank-Vollröh-
renamp klingt ebenfalls härter als ein Twin ...
Kaum jemand hinterfragt, wie aktuell solche
Statements eigentlich sind. Die Digitaltechnik
schreitet in rasanten Schritten voran, während
man sich im Röhrenlager um „New Old Stock“
die Köpfe einschlägt und auf hohem Niveau
stagniert. Neutral betrachtet, darf man feststel-
len, dass schon der erste Pod zumindest eine
Klangqualität aufwies, die ihn zu einem erfolg-
reichen Produkt machte, in das es sich lohn-
te, weitere Mühen zu investieren. Und dieser
erste Pod ist zehn Jahre alt. Computertechnik
dieses Alters findet man oft genug auf dem
Sperrmüll!
Dass sich die angebotenen Produkte ver-
kaufen, lässt sich anhand der wachsenden
Produktvielfalt ablesen. Dazu trifft man immer
wieder auf Aussagen namhafter Künstler, die
auf ihren Studioproduktionen und der Bühne
regelmäßig das digitale Biest von der Leine
lassen. Heute sieht man selbst in der dunkels-
ten Abteilung die schwedische Dampfwalze
Meshuggah ohne Boxen mit Line-6-Verstärkern
auf der Bühne.
Vergleichbarkeit
Wichtig ist auch, keine Äpfel und Birnen mit-
einander zu vergleichen. Es liegt auf der Hand,
das ein aufgedrehter Rectifier anders als ein
modellierter Sound klingt, der die Einflüsse der
Box und Mikrofons mit imitiert. Entsprechend
sollte man nicht Kopfhörersound mit dem
Proberaum-Stack vergleichen, sondern eher
mit dem Klang in der Studioregie.
Wer konstanten Bedarf an unterschied-
lichen Sounds hat, der sollte einen Modeler
auch durchaus als möglichen Helfer betrach-
ten. Geräte wie der Boss GT-10, Line 6 Pod X3
Live oder der Digitech GSP1101 können über
programmierbare Loops mit existierenden
Amps kombiniert werden. So kombinert man
beide Welten und ergänzt seinen Amp um zu-
sätzliche Kanäle oder einfach nur leistungsfä-
hige Effekte.
Röhrensound in allen Ehren. Ich habe selbst
Amps, die ich um keinen Preis missen wollte.
Andererseits sollten wir Gitarristen langsam
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Digitaler Amp-Simulator ohne offensichtliche Vorbilder:
Rocktron Prophesy II
Nahtlose Kompatibilität bei Line 6
Die passende Kanalerweiterung für einen Röhrenamp: ein
Modeling-Amp mit Loop
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in der modernen Welt ankommen. Schon die
Proberaumsituation einer Rockband ist oft
auf dem Stand von 1970 eingefroren. Zwei bis
drei Stacks brüllen sich an, während sich eine
Gesangsanlage und der Schlagzeuger darüber-
schieben. Hallo?
Seit den Sechzigern hören wir Musik
in Stereo. Wir dagegen erzeugen Krach in
Mono und rechtfertigen dies als notwendi-
gen Wumms im Rücken. Dabei wünschen wir
uns alle auch einen tadellosen Live- und CD-
Sound.
Stimmiges Gesamtbild
Wie wäre es, alle Vorurteile über Bord zu wer-
fen? Ist die Gesangsanlage ausreichend dimen-
sioniert, könnten Bass und Gitarren „gemein-
sam“ mit dem Gesang über diese erklingen.
Ehe ihr nun die Nase rümpft – anders läuft es
bei Livekonzerten doch auch nicht.
Gibt es da keinen Wumms? Doch. Aber
hat euch jemals jemand geraten, euren Amp
auf der Bühne lauter zu drehen, damit man
euch im Saal auch hört? Live wie im Studio
geht es um ein stimmiges Gesamtbild. Einer
entsprechenden Beurteilungsreferenz eines
solchen Gesamtbild hat man sich im typischen
Proberaum leider beraubt – da klingt nichts
gemeinsam.
Etliche Vorteile
Grundsätzlich hat das zwar nichts mit
Modeling zu tun. Aber genau diese Technik
bietet euch neben einer variablen Lautstärke
auch etliche weitere praktische Vorteile für
wenig Geld: Programmierbarkeit, höhere
Klang- und Effektvielfalt, Transportvorteile,
Stereo- oder separate Effektkanäle, geringere
Reparaturanfälligkeit sowie die Möglichkeit für
Direktaufnahmen. Ich bin der Letzte, der nicht
einräumt, dass ein toller Röhrenverstärker viel-
leicht doch besser als ein digitales Pendant
klingt. Aber wenn sich mit dessen Hilfe ein ver-
bessertes Gesamtergebnis schaffen lässt, wäre
das nicht einen Versuch wert?
Ulf Kaiser
Auch The Edge (U2) motzt seinen Sound via Modeling auf
Statement Roland
Sven Harnisch (Produktmanager Gitarre bei Roland/Boss):
Mit dem VG-8 brachte Roland als erste Firma ein digi-
tales Modeling-Gerät für Gitarristen auf den Markt.
Bei allem Erstaunen hat die Musikerwelt 1995 dessen
Vorteile noch nicht unmittelbar begriffen. Inzwischen
weiß jeder Gitarrist mit Modeling etwas anzufangen
und die Vorteile für sich zu nutzen, indem er stets
sämtliche wichtigen Amps und Gitarren in handlichen
und günstigen Geräten im Zugriff hat. Roland/Boss hat
diese Technologie ständig weiterentwickelt. War das
Modeling in den Neunzigern hauptsächlich durch die
Prozessorleistung limitiert, hat sich die Chip-Technologie
rasend schnell weiterentwickelt. Heute steht für ein ein-
ziges Amp-Modeling die Rechenpower eines gesamten
früheren GT-6-Multieffekts (GT-6) zur Verfügung, sodass
die Dynamik und Nuancen weiter verfeinert werden
konnten. Den Ritterschlag bekam das Roland-Modeling
durch die Kooperation mit der Firma Fender: So findet
sich Roland Gitarren-Modeling für E- und Akustikgitarren
in der Fender VG Stratocaster wieder. Auch sind die
Roland-Verstärkersimulationen des 59 Fender Bassman
und 65 Deluxe Reberb weltweit die einzigen autorisier-
ten Modellierungen dieser Amps.
Statement Native Instruments
André Estermann (Product Manager Guitar Division
bei Native Instruments):
Jeder Amp stellt für Native Instruments eine neue
Herausforderung dar. Zunächst suchen wir ein beson-
ders gut klingendes Exemplar, das wir vertrauensvoll
in die Hände unserer DSP-Spezialisten geben. Der
Amp wird analysiert und die Schaltung in Teilstufen
unterteilt. Jede Schaltungsstufe wird aufwendig ver-
messen und individuell modelliert.
Schon in dieser frühen Phase werden aufwendige
Hörvergleiche durchgeführt, in denen wir die Qualität
der modellierten Teilstufen verifizieren. Hierzu wer-
den die Schaltungen des Amps aufgetrennt, sodass
wir die mathematischen Teilmodelle im Hörtest der
Hardware gegenüberstellen können. Die Qualität
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der Teilstufen wird solange optimiert, bis praktisch
kein hörbarer Unterschied mehr existiert. Nach der
Modellierung der Teilstufen werden diese zu einem
Gesamtmodell zusammengeführt.
Bei der Modellierung spielen die komplexen
elektrischen Wechselwirkungen der einzelnen
Funktionsstufen eine wichtige Rolle. Mit viel Liebe
zum Detail versuchen wir, die Eigenschaften des
Systems detailgetreu abzubilden.
Das Ergebnis wird wieder am Vorbild gemessen
und solange verfeinert, bis sowohl Klang als auch die
Performance unseren Qualitätsansprüchen gerecht
werden. Erst wenn wir beim Spielen nicht mehr
hören und fühlen, ob es sich um das Modell oder die
Hardware handelt, wird der neue Amp in Guitar Rig
integriert.
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