Technik Workshop guitar recording Das gute alte Tonband
© PPVMEDIEN 2008
guitar-recording
Das gute alte Tonband
Nahezu alle gängigen digitalen
Aufnahmesysteme arbeiten
nach dem bewährten Prinzip der
Mehrspurbandmaschine. Wie beim
Tonband gibt es einen Beginn und ein
Ende, dem alle Spuren auf linearem
Weg und fest verkoppelt folgen.
Cycle (Loops) in Pro Tools
Aber während ein Tonband keine visuelle Kon-
trolle über den Inhalt der Spuren bietet, ist
dies in der digitalen Version am Rechner völlig
anders. Der Songverlauf und die Position der
einzelnen Aufnahmen in den Spuren werden
entlang einer Zeitleiste (Timeline) übersichtlich
am Computerbildschirm visualisiert. Man blickt
gewissermaßen in das Band hinein.
Die Tatsache, dass man sieht, wo man sich
innerhalb des Songs befindet, erleichtert nicht
nur die Navigation, sondern auch anstehende
Aufnahmen und natürlich die Umsetzung eines
Arrangements. Ganz im Unterschied zu einem
Tonband lassen sich in einer Digital Audio
Workstation (DAW) nämlich die einzelnen Auf-
nahmeschnipsel frei bewegen und kopieren.
Alles tutti, mag man meinen. Immerhin
hat jeder Song Anfang und Ende. Und der
Bereich dazwischen läuft eben genau so ab,
wie man es in penibler Feinarbeit im Studio
festgelegt hat. So wird aus dem Arrangement
zunächst der Mixdown, der schließlich auf dem
Ausgabemedium CD, mp3 oder auch der Schall-
platte landet.
aus diesen Prozessen neue Ideen. Die können zu
neuen Songs oder auch zu einer Veränderung der
Arrangementstruktur führen, wenn es überhaupt
eine durchlaufende Struktur geben muss.
Vielleicht habt ihr mal einen klassischen
Drumcomputer besessen. Dann kennt ihr auch
den Begriff Pattern. Hierbei handelt es sich um
ein Schlagzeugmuster definierter Länge, meist
zwischen einem und vier Takten – etwa dem
Rhythmus der Strophe. Um sich an so einem
Gerät einen Song zu basteln, erstellt man unter-
schiedliche Patterns und verkoppelt diese zu ei-
nem linearen Ablauf: Intro-Pattern, Strophen-
Pattern mal Acht, Refrain-Pattern mal vier,
Strophen-Pattern mal vier und so weiter. Aber
natürlich, und das ist wichtig, kann man auch
einfach nur ein einzelnes Pattern laufen lassen,
um sich ein neues Riff einfallen zu lassen.
In einer Zeit, in der digitale Audioaufnahmen
für den Rechner kaum geboren waren, war
Glücksfall Fehler
Tritt man jedoch einen Schritt zurück, merkt
man, dass das vorgestellte System nur einen
Teilaspekt des musikalischen Schaffensprozesses
abbildet. Wie kommt überhaupt die Erkenntnis
zustande, welches Riff am Anfang gespielt
werden soll, wann der Bass einsetzt und ob das
Solo wirklich über zwei Takte griffiger als die
Acht-Takt-Variante wirkt? Und ist es wirklich
notwendig, dass sich der überaus talentierte
neue Leadgitarrist bei der Bühnenumsetzung des
Titels sklavisch an die Länge hält?
Eine typische Band reproduziert nicht nur. Sie
probiert, interagiert, macht Fehler und fängt sich
dabei hoffentlich wieder. Nicht selten entstehen
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sich, je nach Genre, eine Abfolge zu einem Song
fortentwickelt.
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frei Haus
Anders als andere: Loops in Live
Der Berliner Softwarehersteller Ableton hat mit
seinem Produkt Live vor einigen Jahren einen
Sequenzer vorgestellt, der den linearen und
patternbasierten Ansatz geschickt fusioniert. Das
Ergebnis ist ein Produktionswerkzeug, das sich in
der Arbeitsweise vollständig von der Konkurrenz
unterscheiden kann (nicht muss) und mit dem
Anwendungen möglich sind, die sich mit dem
einen oder anderen Konzept nicht umsetzen
lassen. Mehr als die Summe der Teile also.
Zunächst einmal kann man auch in Live
mit der so genannten Arrangementdarstellung
arbeiten, die exakt dem oben genannten li-
nearen Prinzip mit Timeline entspricht. Einzige
Ergänzung: Locatorpunkte können in Live bei
Bedarf so angesprungen werden, dass der Loca-
torsprung im Taktraster erfolgt.
Das zweite Live-Fenster, die Session, bedarf
erklärender Worte. In verschiedenen Misch-
pultkanälen befinden sich so genannte Clip-
Mit einem Drumcomputer werden Patterns zu einem Song
zusammengebaut
das Patternkonzept auch im Bereich der Midi-
Sequenzer völlig etabliert. Statt ein Pattern im
Drumcomputer abzurufen, spielte der Sequenzer
sein Pattern, das die entsprechenden Klänge
aus der Drum-Maschine oder einem anderen
Midi-Instrument triggerte. Der maßgebliche
Unterschied war, dass solch ein Sequenzer-
Pattern aus mehreren Spuren bestehen konnte,
die jeweils eigene Geräte adressieren konnten:
Drumcomputer, Bass-Synthesizer, Sampler und so
weiter. Würde man ein derartiges Pattern auf einen
heutigen Sequenzer übertragen,
würde es einer vertikalen Auswahl
in der Timeline über alle Spuren
entsprechen, die fortwährend wie-
derholt wird. So etwas wäre dann
ein Loop, in der letzten Work-
shopfolge als Cycle betitelt. Er ist in
der ersten Abbildung, dem Screen-
shot aus Pro Tools, als dunkler
Auswahlbereich zu sehen.
mehrere
tausend
Instrumente
Versandbereit
Der Music Store....ca. 13.000m2 Lager,
Service-, Demofläche
Wann kommt was?
Live Session Full
Slots, die Audio- oder Midi-Patterns aufnehmen
können. Pro Spur kann jeweils nur ein Clip
aktiv sein. Wie an einer HiFi-Anlage hört man
entweder: Radio-Clip oder CD-Player-Clip.
Denkt nun einmal an einen DJ.
Beim Plattenauflegen arbeitet er zwar nicht mit
Patterns, sondern mit fertigen Titeln. Dennoch
kann dieser Vergleich eine Tatsache sinnvoll er-
läutern: Ein guter DJ startet den nächsten Titel
nicht, wenn der vorherige sein Ende erreicht,
sondern wenn sich ein passender Übergang
zum nächsten Titel anbietet. Übertragen auf
das Patternkonzept bedeutet dies: Er lässt das
Pattern so lange spielen, bis er den Zeitpunkt
für das nächste Pattern spontan für erreicht hält.
Rückübertragen auf die Session im Proberaum
bedeutet dies, dass man auf Zuruf, Zublinzeln
oder durch erneutes Beginnen mit der Band von
einem Riff-Pattern zum nächsten wechselt, bis
Unabhängig und taktgenau
Was hingegen auf unterschiedlichen Spuren
läuft, ist gleichzeitig zu hören, ganz wie es
sich für ein Mischpult gehört. Dabei haben
die einzelnen Clips grundsätzlich keinerlei
Zusammenhang: Jeder Clip kann eine eigene
Länge haben, geloopt werden oder eben auch
nur einmal ablaufen. Dazu kann jeder Clip über
Live Arranger
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Mit nur einem Clip habt ihr bereits ein Playback
in variablem Tempo. Nach Lust und Laune fügt
ihr nun noch weitere Clips als Alternativen in der
gleichen Spur hinzu oder erweitert das Playback
durch weitere Clips in neuen Spuren, die ihr
natürlich auch über den Menüeintrag „Insert/
Insert Audio Track“ anlegen könnt.
Ein elementarer Unterschied zum Cycle im line-
aren Konzept ist die mögliche unterschiedliche
Länge der einzelnen Clips. Sofern sie geloopt
sind, braucht man sich nicht darum zu sorgen,
ob hier etwas nicht passt oder Lücken entstehen.
Ein Eintakt-Clip läuft eben in einem kürzeren
Rotationszyklus als sein Viertaktkollege oder gar
sein extravaganter 5/4-Jazzbruder.
Schritt 5
Auf in die Praxis
Schritt 1
Ladet und installiert euch die Ableton-Live-
Demoversion, mit der ihr uneingeschränkt arbeiten,
nicht aber speichern könnt (www.ableton.com).
An dieser Stelle bietet sich auch die Installation
der beiden IK-Multimedia-Modeling-Plug-ins
Amplitube 2 Duo und SVX Duo an. Details zu den
IK-Multimedia-Plug-ins findet ihr im Kasten am
Ende des Workshops.
Nun startet ihr Live. Das leere geöffnete
Programm sollte eine leere Session zeigen. Falls ihr
den linearen Arranger-Teil vor euch habt, drückt
bitte die Tabulator-Taste. Über den Menüeintrag
„View“ könnt ihr übrigens verschiedene Bereiche
in Live ausblenden, unter anderem auch die
nützlichen Tutorial-Lessons. Die solltet ihr
übrigens ruhig später einmal lesen.
Clips kombinieren
eigene Starttaster separat gestartet werden, als
hätte man beliebig viele Tapedecks. Auch hierbei
lässt sich die Fähigkeit von Live nutzen, taktrichtig
einstarten zu können. Darüber hinaus ist Live in
der Lage, jedes Audiomaterial in Echtzeit per „time
stretching“ auf das Songtempo zu zwingen. Hier
laufen also alle Clips fein synchron und dazu in
beliebigem Tempo.
Wichtig ist, die Clip-Matrix von Live zu
verstehen. Clips können hier platziert oder auf-
genommen werden. Innerhalb eines Mischpult-
kanals verstehen sich mehrere Clips stets als
Alternativen. Hingegen lassen sich beliebige
Clips in unterschiedlichen Spuren ohne jeglichen
Zusammenhang und jederzeit starten. Auf diese
Weise können bei laufendem Playback immer neue
Kombinationen getestet werden – völlig unmöglich
für ein Timeline-Konzept.
Klar, ihr wollt endlich Gitarre spielen. Hierfür
legt ihr eine neue Audiospur an. Auf der linken
Seite von Live findet sich der so genannte Brow-
ser. Die dritte Browserabteilung bietet Zugriff
auf die installierten VST- oder AU-Plug-ins.
Damit Live überhaupt weiß, wo eure Plug-ins
stecken, müsst ihr das Preferences-Menü von
Live aufrufen.
Hier könnt ihr unter der Abteilung „File-
Folder“ zunächst die Option „Use VST Plug-in
Customer Folder“ aktivieren und dann im Feld
darunter über „Browse“ einen entsprechenden
Pfad vorgeben, wo Live zu suchen hat.
Gegebenenfalls müsst ihr vorher am Rech-
ner nachprüfen, wo eure Plug-ins liegen (etwa
C:\Programme\Steinberg\VSTPlug-ins). Mac-An-
wender machen es sich etwas einfacher und ak-
tivieren einfach die Option „Use Audio Units“.
Übrigens könnt ihr in der Abteilung „Look-Feel“
auch die Menüsprache und die Hilfetexte auf
Deutsch umstellen.
Schritt 2
Zieht einen beliebigen Drum-Loop von eurer
Festplatte per drag and drop in einen leeren
Bereich der Clip-Matrix. Dabei wird automatisch
eine neue Audiospur angelegt und die Datei als
Clip darin platziert.
Punk meets Collins
Stellt euch vor, ihr hättet drei Takes. Schlagzeug,
Bass und Gitarre spielen nacheinander AC/DC,
Genesis und Green Day. Ihr hättet neun Clips, drei
pro Mischpultkanal, die ihr nun frei kombinieren
könnt: Phil Collins am Schlagzeug mit Angus Young
an der Gitarre, AC/DC-Drums mit Punkgitarre und
so weiter. Das ist ideal für die Ideenfindung!
Erscheint euch eine Clip-Kombination beson-
ders passend, sortiert ihr die Clips einfach in einer
Zeile, die man in Live als Szene bezeichnet. Szenen
verfügen über einen zusätzlichen Starttaster im
Summen-Kanalzug.
Auf Knopfdruck startet dieser alle Clips und
stellt damit exakt ein Mehrspur-Pattern dar. Im
Unterschied zum oben beschriebenen Pattern
früherer Computer-Sequenzer gibt es dennoch
relevante Unterschiede:
A: In Live sind neben Midi-Daten auch Audio-
Daten einsetzbar, die dennoch tempovariabel
sind.
B: Eine Szene lässt sich jederzeit aufbrechen,
indem man in einzelnen Spuren andere Clips
aufruft.
Schritt 3
Um den Clip zu starten, betätigt ihr den
Startknopf im Clip. Dieser wird nun direkt im
Songtempo (oben im Screen markiert) und
nicht in seinem Originaltempo wiedergegeben.
Live hat nämlich erkannt, dass es sich um ei-
ne loopfähige Phrase handelt, und daher das
Time-Stretching (Warp) und die Loopfunktion
für diesen Clip aktiviert. Um diese Parameter zu
kontrollieren, reicht ein einfacher Klick auf den
Clip (unten im Screen markiert).
Plug-in-Pfad
Schritt 4
Schritt 6
Aus dem Plug-in-Browser zieht ihr nun das
IK-Multimedia-Plug-in Amplitube 2 Duo in die
neue Spur. Das Plug-in wird nun in den Misch-
pultkanal eingefügt. Es öffnet sich einerseits
in der Hersteller-Originaldarstellung in einem
eigenen Fenster, anderseits aber auch im un-
ten gelegenen Track-Insert-Bereich für die an-
gewählte Spur. Habt ihr den Sound erst einmal
eingestellt (Schritt 7), könnt ihr jederzeit das
große Originalfenster schließen, um eine bessere
Übersicht zu erhalten. Mit einem Klick auf das
Clip-Parameter
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guitar
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Werkzeugsymbol (unten im Screen markiert) könnt
ihr diese Darstellung jederzeit wieder öffnen.
guitar-recording
alte Aufnahme taktgenau ab. Das Playback
läuft unverändert weiter, und ihr habt einen
weiteren Versuch.
D: Indem ihr nochmals auf das Aufnahmesym-
bol im Clip klickt, wird die Aufnahme takt-
genau beendet und wechselt direkt ins
Playback. Ihr hört also euren Aufnahme-
versuch unmittelbar nach dem Beenden der
Aufnahme.
Aufnahme
Ihr habt den ersten Einstieg in Ableton Live
geschafft. Mit etwas Übung könnt ihr ab sofort
auch völlig unabhängig von einer Timeline
arbeiten. Live ist das ideale musikalische No-
tizbuch. Zudem ist bereits die Demoversion ein
fantastisches Werkzeug zum Üben. Immerhin
könnt ihr jederzeit das Tempo ändern. Wie
aus Clips und Szenen dann schließlich ein
Arrangement entsteht, zeigen wir euch beim
nächsten Mal.
g
Ulf Kaiser
Plug-in im Track
Schritt 7
Bevor ihr nun zum laufenden Loop spielen könnt,
müsst ihr zunächst die Aufnahmebereitschaft für
den Amplitube-Kanal einschalten.
Klar ist übrigens, dass ihr ein Audio-Interface
an eurem Rechner installiert und die Gitarre
dort eingestöpselt habt. Den richtigen ASIO-
(Windows) oder Core-Audio-Treiber (Mac) legt
ihr ebenfalls in den Live-Voreinstellungen unter
der Rubrik „Audio“ fest. Ist dies erledigt, setzt ihr
bitte im Menü „View“ einen Haken bei „In/Out“.
Unten links neben dem Kanal-Fader seht ihr
das Symbol für die Aufnahmebereitschaft (unten
im Screen markiert), die ihr einschaltet. Nun
muss noch im Bereich unter den Clip-Slots der
Audioeingang angewählt werden (mittig im Screen
markiert). Das obere Menü „Audio From“ sollte
„Ext. In“ zeigen, das Feld darunter den Eingang,
in den eure Gitarre eingeklinkt ist. Nun habt ihr
Sound und könnt euch ein wenig austoben.
Amplitube für lau
IK Multimedia (www.ikmultimedia.com) stel-
len euch mit Amplitube 2 Duo und Ampeg
SVX Duo zwei voll funktionsfähige kleinere
Versionen der Modelling-Software Amplitube
2 und Ampeg SVX kostenlos zur Verfügung.
Die Plug-ins laufen sowohl unter Mac OS X
als auch unter Windows XP/Vista 32 und sind
dabei jeweils als Plug-in oder stand-alone
einsetzbar.
Die Versionen ladet ihr euch direkt von der
guitar-Website herunter:
www.recordingworkshop.guitar.de.
Hier findet ihr auch die Installationsanleitung
aus dem letzten Heft in PDF-Form.
Schritt 8
Sicherlich habt ihr längst bemerkt, dass sich alle
Clip-Slots im Amplitube-Kanal in der Symbolik
verändert haben. Jeder Clip hat nun ein Aufnah-
mesymbol, das nur darauf wartet, gedrückt zu
werden. Einmal angeklickt, wird die Aufnahme
zum nächsten Takt eingestartet und läuft exakt
so lange, bis ihr die Aufnahme beendet. Hierfür
gibt es gleich mehrere Möglichkeiten:
A: Den Stopptaster in der Live-Transportleiste
oben drücken. Die Aufnahme wird unmittelbar
beendet, und das Playback steht.
B: Den Kanalstopptaster unterhalb der Clip-
Slots drücken. Die Aufnahme wird taktgenau
beendet, das Playback nicht gestoppt.
C: Indem ihr einen neuen leeren Aufnahme-
Clip anklickt, löst die neue Aufnahme die
Amplitube 2 Duo LE