Technik Workshop guitar recording Preamp Endstufe Box un
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guitar-recording
Preamp, Endstufe, Box und Mikro
Nachdem wir uns in den letzten Folgen der Workshop-Reihe zunächst mit den digitalen
Produktionsplattformen beschäftigt haben, geht es nun wieder in Richtung echter
Verstärker. Bei aller Modelingtechnik darf nämlich ein wichtiger Aspekt nicht aus den
Augen gelassen werden: euer Lieblingsamp! Hierauf ist euer Sound im Bandgefüge
optimiert, und genau deshalb ist es nur zu legitim, wenn ihr einem digitalen Ersatz aus
Nullen und Einsen mit gesunder Skepsis gegenübersteht.
für unsere beiden Ohren, zweitens habt ihr
Mitmusiker, die eventuell sogar zeitgleich mit
euch musizieren, und drittens habt ihr ziemlich
sicher eine obere Lautstärkebegrenzung.
Boxenersatz
Tontechnische Lösungen greifen deshalb das
Gitarrensignal an bestimmten Positionen im
Signalweg ab und ersetzen die folgenden Ele-
mente. Je nach Abgriff konserviert man mit
diesen Methoden also immerhin noch einen Teil
der signifikanten Klangelemente, während sich
die skizzierten Probleme wie Lautstärke und
Übersprechen mitunter völlig vermeiden lassen.
Inzwischen gibt es für quasi jeden Abgriff im
Signalweg ein passendes Gerät. Wo man bei der
Gitarrenaufnahme ansetzt, ist eine reine Frage
des Geschmacks, der Stilistik, der Technik, aber
auch der Erfahrung. Klar jedenfalls ist, dass eine
Eliminierung klangbeeinflussender Komponenten
im Signalweg die Handhabung bei der Aufnahme
erleichtert. Andererseits ist das Entfernen von
Komponenten aus dem Signalweg ziemlich sicher
mit einer Klangveränderung verbunden, die durch
euch oder den Hersteller ersetzt werden muss.
Bevor wir uns dem Einfangen eures Ver-
stärkersounds widmen, bedarf es grundlegenden
Verständnisses gegenüber dem Klanggebilde Gi-
tarrensound. Hierzu demontieren wir den Signal-
weg, beginnend am Verstärkereingang:
Vorstufe:
Der Preamp ist eure Klangmaschine.
Neben einem Grundklang, den der Hersteller fest-
legt, steuert ihr hier den Anteil der Verzerrung
und legt die Klangfarbe über einen Equalizer
fest.
Endstufe:
Die Endstufe kann je nach Konstruk-
tionstyp und Lautstärke ebenfalls Einfluss auf
die Klangfarbe nehmen. Stichwort: Endstufen-
sättigung bei Röhrenverstärkern. Hier gilt: Je
lauter, desto charakteristischer.
Lautsprecher:
Reproduziert wird euer Sound
durch einen oder mehrere Lautsprecher, die ih-
rerseits nochmals massiv den Klang formen.
Ob ihr eine offene Box mit einem 12“-Electro-
Voice-Speaker oder die beliebte 4x12“-Box mit
V30 Celestions einsetzt, ist ein gravierender
Unterschied, den man nicht unterschätzen sollte.
Denkt einfach an eure HiFi-Anlage, die ihr
sicherlich auch nicht mit den erstbesten Boxen
versehen habt.
Raum:
Eure Anlage steht in einem Raum, der
seinerseits den Klang durch Reflexionen und
Bedämpfungen formt. Entsprechende Ausfüh-
rungen findet ihr in Teil 6 dieser Workshopreihe
(guitar 6/08).
Kompromisse an der Tagesordnung
Wenn man ehrlich ist, möchte natürlich die
gesamte Signalkette komplett auf das Aufnah-
megerät bannen. Klingt der Marshall hier und
jetzt ultrafett, so soll das natürlich auch auf der
Aufnahme genauso der Fall sein.
So einfach ist es aber nicht: Bei fast jeder
Aufnahme müsst ihr Kompromisse eingehen
oder technische Limitierungen in Kauf nehmen.
Erstens ist ein Mikrofon nun einmal kein Ersatz
Weg ohne Risiko
Der einfachste Weg sollte gleichzeitig euer per-
manentes Sicherheitsnetz im Falle einer Fehl-
funktion und klanglichen Neuplanung sein:
Die gute alte D.I.-Box transportiert den Sound
eurer Gitarre mit Mikrofon- oder Linepegel auf
das Aufnahmemedium. Der Weg zum Amp wird
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dabei in keiner Weise beeinträchtigt und kann
unverändert über die Thru-Buchse erfolgen.
Selbst im Hotelzimmer erstellt ihr so eine Basis,
mit der ein Tonstudio durch Reamping, etwa mit
Geräten von Radial Engineering (radialeng.com)
oder Little Labs, mit eurem Amp weiter arbeiten
kann.
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und Tonehunter entstand. Übrigens muss der
Speakersimulator keinesfalls immer die Funktion
eines Lastwiderstands übernehmen. Dies gilt
insbesondere für einige kleine Varianten, etwa
von Hughes & Kettner oder Radial, die sich im
Livebetrieb als einfache Ergänzung zum Mikrofon
empfehlen. Auch der Mic-Eliminator, der sich an
mancher Randall-Lautsprecherbox wiederfindet,
wurde für diese Aufgabe konstruiert.
Gerade bei älteren Verstärkerkonstruktionen ist
die integrierte Simulation aber oft keine gute
Alternative zu Spezialisten aus der Studio-
technik.
Problemfall Endstufe
Möchte man wirklich eben genau Endstufe und
Box simulieren, gibt der Markt heute leider nicht
mehr viel her. Wie die Faust aufs Auge passte
der ADA Ampulator, der sogar in Röhrentechnik
arbeitete, aber längst nicht mehr verfügbar ist.
Erstaunlicherweise bietet auch die Software-
Modelingabteilung nicht exakt das passende
Werkzeug.
Obgleich eine Reihe von Modelern modular
arbeitet, lässt sich die Vorstufe selbst nie getrennt
von der Endstufe deaktivieren. Da hilft nur ein
möglichst neutraler Preamp. Immerhin lässt
sich bei Native Instruments Guitar Rig immer
noch an einer virtuellen Röhrenendstufe etwas
herumschrauben und somit der klangprägende
Einfluss verändern.
Lautsprechersimulation deluxe: SPL Transducer
Theoretisch könnte man hier tatsächlich auf ei-
nen modularen Software-Amp-Modeler zurück-
greifen, der auch ohne aktiven Verstärker eine
Boxensimulation in den Signalweg schalten kann.
(Dies können die Produkte von IK Multimedia,
Native Instruments oder Waves.) Hierfür müsste
allerdings der Lautsprecherausgang in ein
neutrales Linesignal gewandelt werden.
An dieser Stelle bietet sich etwa der PDI03
von Palmer (palmer-germany.com) an, der Last-
widerstand, Speakersimulator und mehrere Line-
Ausgänge bietet.
Sicherheitsnetz D.I.-Box und passender Reamper
Die D.I.-Box-Aufnahme ist schön und gut, hat
mit eurem Gitarrensound aber noch nichts zu tun.
Steigen wir also in die oben erklärte Signalkette
ein und beginnen mit der Vorstufe. Der typische
Vorstufenausgang liefert ein Line-Signal, das in
die Endstufe eingespeist werden soll.
Eine klangliche Kompensierung für eine
Aufnahme findet hier also nicht statt. Ent-
sprechend höhenbetont und direkt tönt es euch
um die Ohren. Was für funkige Strat-Sounds noch
brauchbar sein könnte, darf man bei verzerrten
Sounds ziemlich sicher als unbrauchbar be-
zeichnen.
Palmer PDI03
Weiter geht es mit dem Abgriff eures Sounds
hinter dem Lautsprecher. Hier kommt bereits
das Mikrofon zum Einsatz. Das probate Mittel
zur Minimierung von Raumeinflüssen ist
dabei die klassische Nahmikrofonierung. Bei
entsprechender Nierenrichtcharakteristik wird
so ein direktes Nutzsignal eingefangen, das nur
wenige Umgebungsgeräusche enthält – wichtig
insbesondere, wenn ihr mit anderen Musikern in
einem Raum steht.
Eine noch konsequentere Lösung ist das
Isolation-Cabinet. Hier sind Lautsprecher
und Mikrofon in einer verschließbaren Box
verbaut – erhältlich beispielsweise von Randall
(randallamplifiers.com). Abgesehen davon, dass
ihr nicht eure eigene Lautsprecherbox benutzt,
erhaltet ihr ein Aufnahmesignal ohne Über-
sprechen von anderen Klangquellen und kommt
dabei sogar mit nachbarschaftstauglichen Laut-
stärken über die Runden.
Sounddesign in Guitar Rig
Der nächste Abgriffspunkt in der Signalkette
liegt hinter der Endstufe. Erst hier fängt man
eine mögliche Sättigung oder die typische
Endstufenverzerrung eines voll aufgerissenen
Stacks ein. Um diesen Ausgang überhaupt auf ein
Aufnahmegerät bannen zu können, kommt man
um eine technische Anpassung des Ausgangs
nicht herum. Ein Lautsprecherausgang ist kein
Line-Ausgang. Er liefert ungleich höheren Strom.
Dieser soll eben die Lautsprecher kontrolliert
antreiben. Einschränkend kommt hinzu, dass
man Röhrenverstärker nicht ohne Lautsprecher
betreiben darf. Für diesen Fall muss man also
entweder eine Box im Spiel belassen oder einen
kompensierenden Lastwiderstand („Power-Soak“)
in den Signalweg einfügen.
Ein Lineausgang am Vollverstärker dient nicht der Auf-
nahme, sondern eher dem Anschluss weiterer Endstufen
Ein Beispiel: Wollt ihr beispielsweise einen Mesa-
Recitifier-Klang authentisch reproduzieren, so
kommt ihr am Vorstufenabgriff des Topteils
(Send) nicht wirklich weiter. Nutzt ihr hingegen
den eigens für diese Aufgabe konzipierten Rec-
tifier Recording Preamp, kommt ihr der Sache
schon sehr viel näher.
Echte Speaker klingen echter
Das Ohr ist das wichtigste Werkzeug bei der Ton-
produktion. Das gilt nicht nur im Regieraum,
sondern auch im Aufnahmeraum. Testet die
Situation vor Ort. Versucht den idealen Standort
für eure Box und die bestmögliche Lautstärke
für euren Amp im Aufnahmeraum zu finden.
Gleiches gilt für den besten Lautsprecher in eurer
Box. Hier muss nicht jeder Speaker identisch
klingen. So findet ihr schließlich eine Referenz,
die es einzufangen gilt.
Stellt eure Box also ruhig an verschiedenen
Positionen auf, denn hierdurch kann sich jeweils
Speaker nachgebaut
Rectifier Recording Preamp
Inzwischen versehen mehrere Hersteller ihre
Verstärker mit einem frequenzkorrigierten Aus-
gang, der eine Mikrofonaufnahme der Box
nachempfinden soll. Hier hilft nur probieren.
Die geeigneten Geräte zur Aufnahme nennen
sich treffenderweise Speakersimulator und
sind beispielsweise von Palmer oder Groove
Tubes erhältlich. Die derzeit aufwendigste
Variante dieses Themas bietet der Transducer,
der als Entwicklungskoperation von SPL
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ein unterschiedlicher Klang ergeben. Ein kleiner
Tipp: Verschließt mit einem Finger ein Ohr und
simuliert so den Höreindruck, den ein Mikrofon
von der Situation vor Ort be-kommt. Falls ihr mit
einem Finger im Ohr nicht mehr Gitarre spielen
könnt, ruft einen Kollegen zu Hilfe, der gern für
euch in die Saiten greift [oder eine Kollegin, die
euch den Finger ins Ohr steckt – Red.].
variablen Mischung mehrerer Signale tritt
hier der Kammfiltereffekt durch eine minimal
unterschiedliche Phaselage deutlich hervor,
denn das gleiche Signal trifft eben nicht exakt
gleichzeitig bei den Mikrofonen ein.
Raumgreifend
Übrigens lassen sich Phasenmanipulationen in
Grenzen auch nach einer Aufnahme erledigen.
Radial und Little Labs (littlelabs.com) bieten
professionelle Geräte an, mit denen sich die Pha-
se eines Linesignals kontinuierlich verschieben
lässt. So könnt ihr zwei Mikrofonspuren elegant
gegeneinander versetzen und die resultierenden
Kammfiltereffekte nutzen.
Grundsätzlich funktioniert dies natürlich
auch mit einem hochauflösenden (Sample-)
Delay im Rechner. Allerdings kann man mit der
erwähnten Hardware auch im Livebetrieb aktiv
arbeiten, wenn ihr mehrere Mikrofon- und Di-
rektaufnahmen einer Klangquelle miteinander
kombinieren möchtet.
Faltungshall gratis für Windows: SIR 1
So stellt ihr jede Direktaufnahme nachträglich
in einen virtuellen, aber durchaus natürlichen
Raum. Ein führender Hersteller in diesem Bereich
ist Audio Ease (audioease.com). Mit ihrem
Produkt Altiverb sind sie weltweit in Studios
im Einsatz. Neu ist das Produkt Speakerphone,
das die gleiche Technik nutzt, mit dem ihr eure
Gitarrensounds aber auf den Abenteuerspielplatz
schicken könnt.
Mini-Marshall im Klo
Randall Isolation Cabinet
Die Auswahl des Mikrofons und seine Aus-
richtung vor der Box ist ein diffiziler Vorgang.
Es ist sinnvoll, dieser Aufgabe besondere Auf-
merksamkeit und Zeit zu widmen. Bereits wenige
Millimeter können den Klang entscheidend
beeinflussen. Tendenziell gibt es eine extrem
direkte Variante, bei der das Mikrofon direkt auf
den Lautsprecherkonus zielt, und unendlich viele
Varianten, bei denen es einen Versatz zum Konus
durch Winkeln oder seitliches Verschieben gibt.
Speakerphone liefert unzählige Impulsantworten
von Gitarrenamps und -boxen, aber auch von
alten Radios, Fernsehern, Mobiltelefonen und
hat dazu einen Faltungshall eingebaut. Neben
einer Boxensimulation liefert Speakerphone ein
massives Kreativpotenzial, das Gitarrenklänge mit
neuen Mitteln bearbeitbar macht und etwa euren
Gitarrensound so klingen lässt, als würde er aus
Nachbars Bude kommen.
Little Labs ibp
Bleibt abschließend noch der Raum selbst. Der
Raumeindruck ist für die Natürlichkeit eines
Klangs elementar, selbst wenn man ihn nicht
unbedingt als Hallfahne wahrnimmt. Wir hören
nun einmal mit beiden Ohren und sind bei der
Musikwiedergabe inzwischen auch längst auf
eine stereofone Klangwiedergabe geeicht.
Mit zusätzlichen Raummikrofonen verstärkt
ihr den natürlichen Klangeindruck eures Sounds.
Sinnvoll ist dies insbesondere dann, wenn keine
Gefahr des Übersprechens droht. Der Nutzen ist
verständlich, denn die zusätzlichen Mikrofone
fangen genau den Raumeindruck vor Ort ein
und sind dazu noch als separate Spuren in der
Intensität regelbar.
Die üblichen Verdächtigen
Gleiches gilt auch für die Auswahl des Mikrofons.
Hier gibt es unzählige Typen: dynamische,
Kondensator-, Bändchen-, Grenzflächen-, Klein-
und Großmembranmikrofone. Jedes Mikrofon
klingt anders, und die Kombinationsmöglichkei-
ten von Mikrofon, Ausrichtung und des häufig
unterschätzten Mikrofonvorverstärkers, der mit
dem Mikrofon ein mehr oder weniger passendes
Pärchen bildet, sind immens. An dieser Stelle legt
ihr die Grundlage eures Sounds.
Eine solche Aufnahme könnt ihr später nur
noch mit einem Equalizer verbiegen. Gerade die
Frequenzen, die ihr nicht eingefangen habt, sind
für immer verloren. Hier hilft nur Probieren.
Die typischen Verdächtigen sind stets ein guter
Startpunkt: Shure SM-57 und Sennheiser MD-
421, verstärkt über den Vorverstärker eines
akzeptablen Mischpults. Auch gegen ein gutes
Großmembranmikrofon ist nichts einzuwenden,
da es den Klang oft ungefärbter überträgt.
Echter Hall im Rechner
Dennoch kommt kein Studio um einen guten
Halleffekt herum. So bietet sich immer die
Möglichkeit, ein Signal in eine gut klingende,
künstliche Raumumgebung zu versetzen, die ja
auch nicht zwangsläufig dem Aufnahmeraum
entsprechen soll.
Hervorragende natürliche Ergebnisse müssen
dabei heute nicht mehr sündhaft teuer sein.
Exzellente Ergebnisse erreicht man etwa mit
einem sogenannten Faltungshall, der Samples
echter Räume mit dem Nutzsignal verschmilzt.
In Softwareform werdet ihr unter Windows
mit SIR 1 sogar kostenlos fündig (www.knufinke.
de). Ihr benötigt nicht mehr als einen aktuellen
Rechner mit Internetzugang.
Den Vorverstärkersound durch den Mini-Marshall, der im
Badezimmer steht: Das geht nur mit Speakerphone
Beim Einsatz echter Verstärker und Boxen zeigt
sich die Berechtigung eines Tonstudios mit
Aufnahmeraum und erfahrendem Tontechniker
klar und deutlich. In dieser Workshop-Folge habt
ihr die verschiedenen Stufen im Signalfluss der
Gitarrenverstärkung ebenso kennengelernt wie
die Methoden, diese Stufen im Bedarfsfall zu
kompensieren. Nun geht es für euch in die Praxis.
Probiert im Rahmen eurer Mittel die verschiedenen
Möglichkeiten aus. Als Grundausstattung solltet ihr
euch zumindest ein klassisches Mikrofon wie das
Shure SM-57 gönnen, mit dem ihr im Proberaum
schon eine Menge Erfahrungen sammeln könnt.
g
Ulf Kaiser
Viele Mikros, fetter Sound
Zusätzliche Mikrofone,
platziert, erhöhen die
ihr Erkenntnisse der
an echter Hardware
nah oder weiter entfernt
Flexibilität. Hier könnt
letzten Workshopfolge
probieren. Neben der
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