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gear
toneguide
Mehr als die Summe der Teile:
Multi-Amping
Was klingt besser als ein guter Verstärker? Zwei davon! Nach unserem
ausgedehnten Streifzug durch den Effektkosmos schlagen wir heute ein
neues Kapitel auf, besinnen uns auf die Basis unseres Gitarrensounds
– den Amp – und gehen den Tricks der Profis auf die Spur.
Arne Frank
Es ist fast schon gemein – hört man sich pro-
fessionelle Aufnahmen an, klingen die Gitarren
darauf ungemein frisch und quicklebendig
oder unglaublich satt und mächtig und haben
eine geradezu dreidimensionale Tiefenwirkung.
Versuchen wir so etwas zu Hause oder im Pro-
beraum nachzustellen, stellen wir häufig fest,
dass uns dafür offensichtlich irgendetwas fehlt.
Selbst wenn wir ein ganz ähnliches Instrument,
die richtigen Effekte und sogar einen Verstärker
verwenden, den unser Sound-Idol „endorsed“,
es will einfach nicht so klingen wie bei unserem
Lieblings-Song. Natürlich spielt der Musiker
selbst eine wichtige Rolle. Dessen Einfluss auf
das Klangergebnis wollen wir hier keinesfalls
kleinreden. Aber es gibt noch eine profanere,
technische Erklärung für diesen geradezu
magischen „Faktor X“ ...
etwas Planung auch im Live-Einsatz sehr gut
funktioniert, ist das sogenannte Multi-Amping.
Aber ein Amp ist doch laut genug, wozu soll
dann dieser Aufwand gut sein? Sehen wir uns
also die Hintergründe genauer an und stellen ein
paar typische Anlagen-Setups vor.
die Klampfe um und stöpselt sie in den Clean-
Kanal eines Marshall-AVT-Combos und dann in
einen Fender Blues Deluxe oder Peavey Classic
30. Oha, das sind doch Klangwelten, die sich da
auftun, nicht wahr?
Normalerweise ärgert man sich ja immer ein
wenig darüber, weil man selbst bei mehrkana-
lig umschaltbaren Geräten immer Kompromisse
eingehen muss. Denn bei dem einen Amp gefällt
einem vielleicht der Cleansound besonders gut,
der andere klingt wiederum bei High-Gain-Riffs
genial, aber der dritte hat womöglich den besten
Leadsound. Hätte man Kohle und Platz, man
würde sich alle drei Amps auf die Bühne stellen,
um sie gemäß ihrer Stärken und ihres typischen
Klangcharakters einzusetzen.
Der Super-Hero-Sound
Was wir als einen Sound wahrnehmen, sind in
Wirklichkeit häufig mehrere Gitarrenspuren oder
mehrere Klangquellen. Wie man das beliebte
Doppeln, also das mehrfache Aufnehmen
mehrerer identischer Spuren im Studio, mit
Effekten technisch nachstellt, haben wir schon
kennengelernt. Mittels dezent und feinfühlig
eingestellter Chorus- oder Detune-Effekte
(Pitch-Shift) lässt sich der Sound größer und
breiter machen. Das klingt im Idealfall etwa
so, als ob mehrere Gitarristen parallel dasselbe
spielen. Aber seien wir ehrlich, so richtig fett
und druckvoll klingt das nicht. Uns geht es um
etwas anderes. Es soll gar nicht sphärisch und
majestätisch nach Gitarrenchor klingen, sondern
nach dem „ultimativen“, präsenten, dynamischen
und einfach schweinegeilen Mega-Sound. Geht
nicht? Geht doch, aber nicht immer.
Hat man Gelegenheit, die hochverehrten
Promigitarristen mal live zu erleben, stellt
man nicht selten fest, dass die nun selbst auch
gar nicht unbedingt mehr so übernatürlich gut
klingen wie auf CD. Was fehlt also? Nun, im
Studio kann man selbstverständlich leicht trick-
sen und Klänge übereinanderschichten, indem
man den Verstärker zum Beispiel mit mehreren
Mikrofonen abnimmt und den Raumklang mit
einfängt. Das lässt sich auf der Bühne so nicht
reproduzieren. Eine Möglichkeit jedoch, die mit
Metallicas Riff-Master steht auf Jazz, nein: Jazz- ...
Carlos geht fremd mit einem ...
... Chorus-Combos von Roland
Jeder, der sich schon mal bewusst durch das
Gitarren- und Verstärkerarsenal seines bevor-
zugten Musikalienhändlers gespielt hat, weiß,
dass a) das Personal im Musikladen eiserne
Nerven braucht und b) jede Art von Instrumen-
tarium ihre speziellen Vorzüge und Nachteile
hat. Wem das nicht klar sein sollte, der gehe
hin, schnappe sich eine moderne Floyd-Rose-
Vibrato-bewährte Schraubhalsplanke und spiele
dasselbe Riff anschließend mal mit einer dicken
Jazzgitarre. Noch nicht überzeugt? Okay, behaltet
... Fender Twin Reverb „Cleansound-Klassiker“
Aus diesem Grund verwenden betuchtere Star-
Gitarreros gerne alternativ mehrere unterschied-
liche Verstärker, um eben für jeden Soundtypen
den bestmöglichen Klanggenerator am Start zu
haben. (Vom umfangreichen Fuhrpark eines gut
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guitar 12/08
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gebuchten Studio-Gitarristen, der jeden erdenklichen Sound auf Knopfdruck
anbieten können muss, jetzt mal gar nicht zu sprechen.) Metallica-Chief Hetfield
zum Beispiel liebt seine Mesa-Rectifier-Stacks, die ja nicht umsonst zum
Industriestandard im Metal-Bereich zählen. Seine Cleansounds überlässt er aber
lieber einem Roland-„Jazz Chorus“-Combo, einem total „uncoolen“ Transistor-
Gerät also, das nicht gerade im Tarifvertrag für Metaller steht. Häufiger stehen
hierfür allerdings diverse „Blackface“-Combos in der Backline bei lärmenden
Post-Grunge-Alternative-Arena-Rockern wie Nickelback, den Foo Fighters oder
Everclear, aber auch bei Traditionalisten wie Lenny Kravitz, Jimmy Page oder
Carlos Santana. Letzterer spielt bekanntermaßen ansonsten eher Mesa/Boogie,
wie auch ein gewisser John Petrucci, der zwar dem Hersteller die Treue hält, aber
eben ein ganzes Sortiment völlig unterschiedlicher Mesa-Modelle auffährt.
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also, dass das „SRV“-Preset des neuesten Modeling-Alleskönners im Vergleich
dazu allenfalls eine blasse zweidimensionale Pappfigur abgibt.
Der fahrende Gitarrenladen
Ein Extremfall ist der begnadete Equipment-Maniac und Detailfanatiker Eric
Johnson, der für jede einzelne Soundvariante immer gleich ein ganzes Setup
benötigt: vom Effektpedal mit den richtigen Batterien über den Verstärker mit
den richtigen Röhren bis hin zur passenden Box mit den richtigen Lautsprechern
... Ungeschlagene Heavy-Weight-Champions in der Disziplin „Zu jedem Song
die passende Gitarre – zu jeder Gitarre der passende Amp“ sind aber sicherlich
die beiden Aerosmith-Gitarristen Joe Perry und Brad Whitford. Die beiden
Luftschmiede zogen jahrzehntelang jeweils mit dem kompletten Inventar eines
gut ausgestatteten Gitarrenladens über die Konzertbühnen der Welt.
Da konnten noch nicht mal Keith Richards und Ron Wood von den Rolling
Stones mithalten. Dabei sind es nicht nur die platinveredelten Rock-Megastars,
nein, selbst vermeintlich puristische Blues- und Roots-Rocker stellen sich gerne
einen kleinen, tüchtig aufgerissenen Röhrencombo für Leads (wegen der viel
gepriesenen Endstufenübersteuerung) und einen größeren, lauteren Amp mit
deutlich mehr Headroom für die Rhythmusarbeit dazu.
Kraut und Rüben, aber Sounds satt
Besonders gut lassen sich solche Multi-Amping-Tricks gerade bei ganz
spezifischen oder extremen Sound-Anforderungen gebrauchen. Tom
Delonge zum Beispiel bastelte sich (damals noch bei Blink 182) aus drei
parallel gefahrenen Verstärkeranlagen einen einzelnen, allerdings höchst
beeindruckenden Punk-Rock-Sound. Und jeder frisch infizierte Blink-Fan, der
in den nächsten Gitarrenladen stürmte, um es seinem Idol nachzutun, verlangte
natürlich nach dem „Delonge-Verstärker“.
Interessant ist auch das Setup von Amplifier-Gitarrist Sel Balamir: Fürs
Stereo-Panorama verwendet er – einem ART Multiverb Alpha nachgeschaltet
– einen Peavey Blues Classic für Bässe und einen Tech 21 Trademark für
Mitten, über die auch alle sonstigen Effekte laufen. Hinzu kommt ein
mittels Big Muff geboosteter Marshall Bluesbreaker, der fürs Grundknurren
sorgt, und ein AC30, über den lediglich ein paar Samples laufen. Auch
Petruccis Mega-Mesa-Setup
Einigen Gitarristen genügt es aber nicht, wahlweise unterschiedliche Amp-
Sounds abzurufen. Sie wollen vielmehr ihren eigenen, ganz persönlichen
universellen Ton kreieren. Und dafür brauchen sie einen Verstärker, der ihre
Spielweise unterstützt und alle Nuancen und Finessen übertragen kann. Wohl
dem, der auf diese Weise zu seinem Sound kommt. Es lohnt sich jedenfalls,
danach zu suchen, was so unterschiedliche Beispiele wie Keith Richards, Walter
Trout, Brian Setzer, Slash oder Angus Young beweisen. Andere hingegen finden
ihren Sound einfach nicht in einem Gerät und müssen deshalb zeitlebens
weitersuchen und experimentieren.
Ein typischer Vertreter dieser Spezies war Texas-Bluesman Stevie Ray
Vaughan. Im Studio hatte er zeitweilig ein Dutzend unterschiedlicher Verstärker
von Fender, Marshall und Dumble gleichzeitig in Betrieb; auf der Bühne waren
es meist immer noch drei oder vier. Er kam seinem Klangideal also nur nahe,
wenn er verschiedene Amp-Charaktere kombinierte, um die Schwächen des
einen durch die Stärken des anderen auszugleichen. Obwohl Vaughan selbst
damit anscheinend nie hundertprozentig zufrieden war, hat sein Gitarrensound,
der deutlich mehr war als nur die Summe der einzelnen Bestandteile, definitiv
Maßstäbe gesetzt. Immerhin eifern ihm bis heute zahllose Bluesgitarristen
nach, und er findet nach wie vor immer neue Fans; auch in völlig anderen
musikalischen Spielarten.
Dabei ist vielen überhaupt nicht bewusst, dass der viel gepriesene „Texas-
Sound“ – mal ganz abgesehen von den außerordentlichen spielerischen
Fähigkeiten des Meisters selbst – tatsächlich eine höchst komplexe, bis ins
Detail ausgetüftelte und immer wieder verfeinerte Mixtur war. Kein Wunder
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experimentierfreudige Nu-Metal-Maurer wie
Wes Borland (damals Limp Bizkit) oder Marcos
Curiel (ex-P.O.D.) stellten fest, dass die betonharten
Riffwände noch wesentlich straffer, präziser und
vor allem viel griffiger erscheinen, wenn man nicht
bloß die Rectifier-Stacks sägen lässt. Man mische
einfach einen nur leicht angerauten Vox-AC30-
Combo dazu, und schon bekommt der Sound
viel mehr Struktur, Substanz und eine fast schon
greifbare Präsenz. Der Trick ist übrigens nicht
gerade neu. So hatten etwa schon Jimmy Page bei
Led Zeppelin oder Ritchie Blackmore (mit Deep
Purple und später bei Rainbow) einen zusätzlichen
AC30 in ihrer Live-Backline. Allerdings wurden die
karierten Combos meist hinter den obligatorischen
schwarzen Marshall-Türmen (bei Blackmore sogar
in den Boxen) versteckt, weshalb dies natürlich
kaum dokumentiert ist.
Besteck hinter Rauschebart Reverend Willie F.
Gibbons. Das spricht wohl für sich. Und das Beste
daran: Im Gegensatz zu den bekannten, deutlich
wahrnehmbaren „Breitmacher“-Effekten klingt ein
Multi-Amp-Setup viel unauffälliger und subtiler.
Es beeinflusst ja nicht so sehr die wahrgenommene
„Größe“ des Klangbilds, sondern die Sound-Qualität
im Detail. Aber Vorsicht: Multi-Amping macht
rasant süchtig! Denn nach dem intensiven Sound-
Erlebnis fällt es extrem schwer, sich wieder mit
einem einzelnen Verstärker zu begnügen.
ZZ-Top-Sound mit der Kraft der zwei Herzen
Nun könnte fälschlicherweise der Eindruck ent-
standen sein, Multi-Amping wäre grundsätzlich nur
mit einem immensen technischen und finanziellen
Aufwand realisierbar – und deshalb nur für
solvente Star-Gitarristen interessant. Aber genau
das Gegenteil ist der Fall! Denn die Verstärker
müssen gar nicht die besten und teuersten sein. Es
geht nur darum, Komponenten zu finden, die sich
gegenseitig sinnvoll ergänzen. Was man damit dann
in der Praxis anstellen kann, sehen wir uns in der
nächsten Folge an.
Arne Frank
Einer der Pioniere im Multi-Amping: Jimmy Page
Ohnehin hat man dabei ja das Gefühl, nur einen
einzelnen, superfetten Gitarrensound zu hören.
So zum Beispiel auch bei Ex-Skunk-Anansie-
Gitarrist „Ace“. Der ist zwar vor allem für seinen
hemmungslosen Effektpedaleinsatz berühmt, ver-
dankte den deftigen Live-Sound aber in erster Linie
zwei gut aufeinander abgestimmten Stacks von
Marshall und Orange. Interessanterweise stand bei
ZZ Tops „Rhythmeen“-Tour ein ganz ähnliches
Was ist eigentlich Multi-Amping?
Das bedeutet zunächst mal nichts anderes, als dass
man mehrere Verstärker verwendet. Nur meint man
damit normalerweise nicht die Aufreihung identischer
Modelle, was in der Pre-P.A.-Ära ursprünglich mal
zur Beschallung großer Bühnen benötigt wurde. Zum
Beispiel die im harten Sektor noch immer beliebte
Marshall-Wand bei Yngwie Malmsteen, Brian Mays
aufeinandergetürmte Vox-Combos oder Ted Nugents
zwölf über die Bühne verteilte Fender-Twins. Es geht
also weniger um die Lautstärke, sondern vielmehr um
die klanglichen Eigenheiten der jeweils verwendeten
Amps.
Im Studio verwendet man das Multi-Amping-Verfahren,
um verschiedene Klangfarben zu mischen oder einen
einmal eingespielten Take mit unterschiedlichen
Sounds abrufen zu können. Den endgültigen Amp-
Sound bestimmt man dann erst im Mix, was natürlich
sehr praktisch sein kann. Spielt man mehrere Spuren
mit unterschiedlichen Geräten oder Gitarren ein,
was im kontrollierten Recording-Umfeld ja recht
problemlos möglich ist, spricht man hingegen eher von
„Doppeln“ (engl.: „double tracking“). Dessen klanglich
andickende Wirkung lässt sich live mit geeigneten
Effektgeräten – Chorus, minimales Pitch-Shifting
oder einem kurzen Delay – simulieren. Für einen
spezifischen Multi-Amp-Mix muss man auf der Bühne
hingegen schon unterschiedliche Verstärkersounds
parallel fahren, um die charakteristische
Soundstruktur und klangliche Tiefenwirkung zu
erhalten.
Lauter, als (die Queen) erlaubt: Brian May