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Sweet little 19“ – Pre- und
Poweramps fürs Rack
Weiter geht es mit unserem Thema modulares Sound-Building für die Bühne.
Will man mehrere Anlagenkomponenten möglichst transportfreundlich unter-
bringen, ist ein 19-Zoll-Rack immer noch die praktischste Lösung. Was man
da so alles reinpacken kann, erfahrt ihr hier.
Arne Frank
Nur zur Erinnerung: Es geht um maximale
klangliche Flexibilität im Live-Einsatz bei best-
möglicher Sound-Qualität. Mit dieser Zielset-
zung sind wir in der letzten Folge bei den 19“-
Vorstufen angelangt. Mal ehrlich, so chic ein
schwarzes Metal-Fullstack oder ein abgewetzter
Tweed-Combo auch aussehen mögen: Wenn wir
die Image-Aspekte mal hinten anstellen, ist das
standardisierte Rack-Format ein wahrer Segen.
Hier kann man mit den einzelnen „Sound-
Modulen“ frei hantieren, aussuchen, was einem
gefällt und dem eigenen Sound-Ideal dient, das
Ganze mit einer passenden Endstufe kombinieren,
und fertig. Einmal verkabelt und verschraubt,
hält die Anlage, solange wir wollen. Und sollte
uns das Ergebnis irgendwann einmal nicht mehr
gefallen, tauschen wir einfach die nicht mehr
passenden Komponenten gegen neue aus.
Ein Rack-Setup lässt sich problemlos re-
duzieren, aus- oder umbauen, wie es eben gerade
erforderlich ist – ohne dass man dazu verlustreich
die ganze Anlage verticken und mit der Sound-
Findung ganz von vorne anfangen müsste. Okay,
so weit verstanden, aber wo fängt man bei der
Planung an? Sehr gute Frage.
Ähnlich wie bei Autos, wo üppige Ausstattung
und technische Finessen ebenfalls der obersten
Leistungsklasse vorbehalten sind.
Bei einer Rack-Anlage besteht diese aus Her-
stellersicht verständliche, für den praktischen
Einsatz jedoch eher unglückliche Zwangs-
verbindung nicht. Damit können wir frei
wählen, was und wie laut wir es brauchen! Es
hindert uns niemand daran, Komponenten
verschiedener Hersteller zu kombinieren. Wie
viel Power tatsächlich benötigt wird, hängt von
verschiedenen Faktoren ab: Was oder welcher
Stil wird gespielt? Wie laut sind die Band-
Kollegen und insbesondere der Drummer? Wo
wird überwiegend gespielt – im Probekeller, in
kleinen Clubs, großen Hallen, Bierzelten oder
sogar auf Open-Air-Bühnen? Und dann: Wird die
Gitarrenanlage zusätzlich über PA verstärkt oder
muss sie das Publikum mitbeschallen?
selbst erlebt hat, weiß: 2 x 20 Watt sind lauter,
als man denkt! Man sollte die kleinen Kraftwerke
also keinesfalls unterschätzen.
Wer es lieber verschleißfrei und möglichst
leicht mag, kann selbstverständlich auch zu
einer preisgünstigeren Transistorendstufe greifen.
Rocktrons Velocity 100 zum Beispiel verstärkt das
zugeführte Vorstufensignal deutlich neutraler,
mit weniger Eigenfärbung. Sie bietet pro Seite
„cleane“ 50 Watt, erscheint jedoch, wie bei
Transistor-Amps üblich, kaum lauter als die zuvor
genannten Geräte. Letztere klingen ja aufgrund
der Röhrenschaltung selbst weit aufgerissen
und nahe der wahrnehmbaren Verzerrung noch
angenehm und harmonisch. Bei Amps in Solid-
State-Technik sollte man eine Übersteuerung
hingegen dringend vermeiden. Sonst vermiesen
einem die dabei entstehenden „schrägen“ Ober-
töne gründlich den Sound.
Powerplay
Einige Fragen lassen sich sinnvoll zusammen-
fassen: Sind der eigene Proberaum, kleine
Kneipen-Gigs oder das (Home-)Studio unser
natürlicher musikalischer Lebensraum? Oder
wird die Anlage grundsätzlich abgenommen und
über PA verstärkt? Dann kommen wir mit 30 bis
50 Watt locker aus. Da wäre etwa die brandneue
„EL34 Power Station“ von Reußenzehn mit ihren
30 Watt Mono durchaus passend. Leider gibt es
diese aber (noch?) nicht im Rack-Format. Dafür
bieten sich zwei schnittige Endstufen in 19“-
Bauweise von Marshall und Mesa an. Beide
benötigen im Rack nur eine Höheneinheit (1 HE)
und drücken je zwei mal 20 Watt aus den EL84-
Glaskolben. Die Leistungsangabe sieht auf dem
Papier nicht sehr beeindruckend aus. Doch wer
die Power eines Röhrenverstärkers schon mal
Let’s get loud!
Okay, die Leistungsreserven der beschriebenen
Modelle reichen tatsächlich nicht in jedem Fall.
Wer einen besonders lautstarken Schlagzeuger
oder eine entsprechend heftig aufspielende Band
hinter sich weiß, wird seine Anlage lieber eine
Nummer größer planen. Akzentuiertes Spiel
sollte schließlich auch noch im Band-Getöse zu
hören sein, ob man nun cleanem High-Energy-
Funk oder deftigem Hard-Rock frönt.
Da erscheint ein kräftiger Tube-Poweramp
wie Marshalls „EL 50/50“, Engls „E 840/50“ oder
der „RT2/50“ von Randall schon eher angebracht.
Ein echter Klassiker in dieser Kategorie ist auch
Reußenzehns „Guitar Slave“, der seit 1985
praktisch unverändert gebaut wird. Aus gutem
Grund, denn die kernige Röhrenkiste zeichnet
sich durch eine offensive Wiedergabe mit
Engl E 530: „Dreikanalige Rack-Schnitte à la Engl ...
Engl E 840: ... und die passende Endstufe dazu
Freie Auswahl
Es mag eigenartig erscheinen, aber die ersten
Überlegungen sollten sich gar nicht primär um
die klanglichen Möglichkeiten drehen, sondern
um die Leistung. Das Modulprinzip bietet nämlich
die einzigartige Gelegenheit, die gewünschte
Klangpalette von der Leistungsangabe abzu-
koppeln! Das ist ungewohnt. Sonst werden ja nur
die größten, stärksten und damit auch teuersten
„Vollverstärker“ von den Herstellern mit ent-
sprechenden Sound-Optionen ausgestattet.
Mesa 20/20 Poweramp & Marshall EL84 20/20: 2 x 20 Röhrenwatt sind lauter, als man denkt!
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guitar 3/09
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Randall Rt2/50: röhrender Nachwuchs von Randall
Rock-Klassiker: Marshalls 50/50 Mono Block
beachtlicher Durchschlagskraft aus. Das dürfte
selbst beinharten Metalheads genügen.
Mit den genannten Geräten lassen sich,
falls der Gitarrensound ohne PA-Unterstützung
auskommen muss, daher auch etwas größere
Locations von der Bühne aus beschallen. Für
den „normalen“ Club-Einsatz sind die Teile dann
schon wieder eine Nummer zu groß und zu laut.
Andererseits reichen die Reserven noch nicht
ganz für die Schwergewichtsklasse aus.
Heavy Weight Champions
Kommen wir also zu den Großkalibern. Zugegeben,
realistisch betrachtet haben nicht allzu viele
Gitarristen ernsthaft Verwendung dafür. Doch
wer extreme Drop-Tunings bevorzugt, in einer
brachialen Schwermetallkapelle bestehen muss
oder „cleane“ Sounds auch bei allerhöchsten
Lautstärken braucht, darf sich noch etwas mehr
Headroom gönnen. Das gilt selbstverständlich
auch für Profis, die permanent in großen Hallen
und auf Open-Air-Bühnen unterwegs sind. Gut,
das sind die Wenigsten. Und es gäbe noch einen
weiteren triftigen Grund, sich für eine „große
Lösung“ zu entscheiden. So lässt sich etwa
die Wiedergabe von Mesas 2:90 weitreichend
formen. Die einzelnen Einstellungen sind
sogar fernschaltbar. Damit lässt sie sich perfekt
an verschiedene Vorstufen, aber auch an
unterschiedlichste stilistische und räumliche
Gegebenheiten anpassen – Luxus pur!
Wer auf solche Extras verzichten kann und
nur die schiere Power braucht, hat die Qual der
Wahl: Hinter klangvollen Namen wie Mesa „2:One
Hundred“, Marshall „EL34 100/100 Mono Block“,
Engl „E 850“ oder Reußenzehn „Slave 200“
verbergen sich ein paar furchteinflößende Heavy-
Weight-Champions, die mit Leichtigkeit alles
andere aus dem Ring, äh, von der Bühne wuchten.
Solche ausgewachsenen „Abrissbirnen“ gehen
natürlich ganz schön ins Geld und kosten auch
noch mal tüchtig extra, wenn ein Röhrenwechsel
fällig wird. Wer dafür im wahrsten Sinne des
Wortes wenig übrig hat, wird bei Tech 21 fündig.
Der New Yorker Solid-State-Spezialist tritt
in dieser Leistungsklasse mit zwei ebenbürtigen
Varianten an, der Power Engine 300 in Mono und
der Power Engine 400, die mit zwei mal 200 Watt
aufwartet. Das sollte reichen, um selbst größte
Bühnen zu beschallen oder um auch mal als
Bassanlage zu dienen.
Das Sound-Buffet ist eröffnet
Nachdem die Frage nach der passenden Leistung
geklärt ist, wenden wir uns den Sound-Optionen
zu, die uns die 19“-Vorstufen bieten. Allen
aktuellen Vertretern dieser Gattung gemeinsam
ist zunächst der mehrkanalige Aufbau. Obwohl
Flexibilität gefragt ist, weisen die Preamps in aller
Regel einen recht markanten Eigencharakter auf.
Genau das macht das Probieren und Kombinieren
ja so spannend.
Zu den einfachsten, preisgünstigsten und
dienstältesten Geräten gehört zum Beispiel Engls
„E 530“. Dieser kompakte und schnörkellose
Röhren-Preamp bietet drei kernige Basis-Sounds,
mit denen sich zwischen Pop, Rock und Metal
bereits eine Menge anstellen lässt. Ebenfalls
mit drei Kanälen wartet der klanglich eher
traditionell abgestimmte „Trio“-Preamp vom
Röhrenspezialisten Groove Tubes auf, der die
Fans von speckigem Tweed wie von aufgemotzten
Plexi-Amps gleichermaßen gut bedient.
Noch flexibler ist der luxuriöse Custom Audio
Amplifier „3+ SE“ Preamp. Dieses High-Gain-
Tech 21 Power Engine 300:
300 blitzsaubere Watt – ein Regler
Mesas 2:90 bietet Power und Sound nach Maß
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ausgestattet. Ganze vier Kanäle und diverse
Zusatzfunktionen zur gezielten Gain- und EQ-
Anpassung, die sich auch noch speichern und
per Midi abrufen lassen, präsentiert der stattliche
Engl „E 570“. Noch einen Schritt weiter geht
dann sein Stallkollege, der voll programmierbare
„E 580“. Diesen Luxus gibt es auch beim noblen
Mesa/Boogie Triaxis, der zum Beispiel nach
wie vor eine tragende Rolle bei Metallica in
James Hetfields Live-Rig einnimmt, oder dem
vergleichsweise günstigen Sansamp PSA-1.1
von Tech 21, der außerdem mit seiner „Analog-
Modeling“-Schaltung
Mesa Rectifier Recording Preamp: Recto-Sound im 19“-Modul
Sahneteil versieht seine drei Kanäle mit einem
bei Bedarf zuschaltbaren Dreiband-EQ, wodurch
sich bis zu sechs verschiedene Sound-Optionen
ergeben. Weitere interessante Geräte wie Mar-
shalls Midi-fähiger JMP-1 oder seit kurzem
auch der mehrkanalige Valvulator-Preamp von
VHT werden leider wegen Problemen mit der
aktuellen CE-Norm nicht mehr angeboten und
sind nur noch gebraucht im Web oder bei Rach-
Recyclern zu ergattern. Aber es gibt dennoch
einige Alternativen.
Heute so, morgen so
Einen etwas anderen Ansatz verfolgt etwa
der Mesa „Rectifier Recording Preamp“. Wie
der Name schon verrät, bietet er den rabiaten
High-Gain-Sound
der
beliebten Topteile im
Rack-Format an und
ist zudem mit einer
aufwendigen analogen
Speaker-Simulation
Tech 21 Sansamp PSA-1pt1:
analoger Amp-Modeler – Version 1.1
auf Transistorbasis in Sachen Soundauswahl und
Preis-Leistungs-Verhältnis kaum zu schlagen ist.
Ein wenig exotisch nimmt sich in dieser Runde
noch immer Randalls RM4-Preamp aus, der das
modulare Prinzip auf die Spitze treibt. Das von
Bruce Egnater entwickelte Gerät kommt zunächst
als Leerchassis. Dazu kann man sich dann selbst
aus einer Palette von mittlerweile gut 20 sehr
unterschiedlich klingenden Channel-Modulen
vier Exemplare aussuchen und per Stecksystem
(wie am heimischen PC-Tower) einfach ins Chassis
einklinken. Nach dem Motto „pimp it yourself“
lassen sich aus sämtlichen Gitarrensounds der
letzten 50 Jahre die jeweils für den persönlichen
Geschmack passenden auswählen.
Hat man die entsprechenden Module zur
Hand, kann man die Soundauswahl innerhalb von
Minuten auch komplett ändern. Man wählt also
beispielsweise eine möglichst allround-taugliche
Auswahl für die Studio-Sessions am Nachmittag,
ein eher klassisches Setup für die abendliche
Probe mit der Soul-Jazz-Truppe und am nächsten
Tag vielleicht ein paar der Signature-Module von
Dan Donnegan (Disturbed) oder Metallicas Kirk
Hammett für den Gig mit der Metal-Band. Und
die Anlage bleibt immer dieselbe!
Randall RM4: Meister der Module
Für alle Fälle
Mit Verstärkerelementen in 19“-Format be-
stimmen wir Soundpalette und Power unserer
Anlage selbst. Das Setup kann so einfach,
komplex oder flexibel sein, wie wir es gerade
möchten, und lässt sich jederzeit an veränderte
Bedürfnisse anpassen. Noch praktischer wird das
Ganze, wenn wir einen entsprechenden Multi-
effektprozessor dazupacken. Und genau damit
geht's im nächsten Toneguide weiter.
Arne Frank