Tune it yourself Exotic Vibrations Teil 1
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tune it yourself
Exotic Vibrations, Teil I
Die Vibr-o-lution wird in dieser und der nächsten Ausgabe recht exotisch. Es
geht um ausgefallene Vibratomodelle, ihren Aufbau und ihre Funktion. Dies
kann nützlich sein, wenn zum Beispiel eine Gebrauchtgitarre gewartet wer-
den soll oder das Internetschnäppchen ein wenig kränkelt. Die Funktionswei-
se eines Vibratosystems ist schon mehrfach im TIY erklärt worden und soll
hier nicht noch einmal aufgewärmt werden. Vielmehr gibt es frische Fakten.
Doc Schneider
erweitern.
Abb. 1/2
zeigt eine Art Stempel, mit
dem eine Feder zusammengedrückt wird. Mit der
fetten Rändelschraube (rechts zu erkennen) wird
die Feder so weit gestaucht, bis die Grundplatte
in der gewünschten Position ruht. Diese Ruhe-
position ist aber nicht frei wählbar, sondern
durch den kleinen Hebel (Abb.
1/3)
vorgegeben.
Vibratosysteme arbeiten im Allgemeinen stets
nach dem Prinzip Zug contra Gegenzug: Die
Saiten ziehen auf der einen Seite eine bewegliche
Grundplatte, während auf der anderen Seite
Federn das Gleichgewicht halten.
Einen interessanten Ansatz dieses Grund-
prinzips bietet das Steinberger-System auf
Abb. 1.
Man findet es auf vielen Hohner- oder
Steinberger-Gitarren. Es verbindet viele Möglich-
keiten in einem System. Die Bolzen zur Vibrato-
aufnahme (Abb.
1/1)
sitzen auf einer Basis, die
mit den zu erkennenden Kreuzschlitzschrauben
in einer passenden Korpusfräsung sitzt. Obwohl
ganz aus Metall, machen diese Bolzen leider öf-
ters Probleme. Sie biegen sich nach vorne, und
die bewegliche Grundplatte (Abb.
2)
schabt an der
Vorderkante der Fräsung. Diese „Problemzonen“
sollten bei gebrauchten Instrumenten mit diesem
Vibratotyp näher ins Auge gefasst werden.
Ein Geradebiegen der Bolzen ist sehr riskant
(Bruchgefahr), daher kann es gewinnbringender
sein, die Fräsung geringfügig nach vorne zu
Spannungslage
Zunächst werfen wir einen Blick unter die
Grundplatte auf
Abb. 2.
Hier sitzen die
Messerkanten (Abb.
2/1)
und die dicke Feder,
die das System beweglich hält. Unspektakulär
ist jedoch die Funktion der Saitenreiter auf der
Oberseite der Grundplatte (Abb.
3).
Sie können mit
zwei diagonal angeordneten Madenschrauben in
Höhe und Kippwinkel eingestellt werden, müssen
dann aber mit der außen liegenden Inbusschraube
fixiert werden (Abb.
3/rechts).
Diese Steinberger-Systeme werden häufig
auf Headless-Gitarren eingesetzt. Die Gitarre
benötigt dann Saiten mit zwei Ballends, bei
denen das eine Ballend in die Aufhängung am
Halsende (Abb.
4/links)
eingeführt wird, während
Abb. 6:
Ein Klassiker: das Fender Dynamic Vibrato
Abb. 7:
Lager und Höheneinstellung zugleich: die
Füße des Stegs
Abb. 3:
Die Einzelreiter und ihre Befestigung
Abb. 1:
Die Korpusfräsung für das Steinberger-
System
Abb. 4:
Saitenbefestigung mal anders
Abb. 2:
Die Unterseite des Systems mit der
Druckfeder
Abb. 5:
Der Feststeller in Funktion
man das andere in einen beweglichen Schlitten
am Vibrato einhängt (Abb.
4/rechts).
Der besondere Pfiff des Systems ist jedoch der
kleine Hebel auf der Rückseite des Systems (kleiner
Hebel mal ganz groß –
Abb. 5).
Damit kann das
System festgestellt werden. Ist der Hebel nach
unten geneigt (Abb.
5/links),
hat das System freien
Lauf. Wird der Hebel nach oben gelegt (Abb.
5/
rechts)
greift er in einen kleinen Teller (auf
Abb. 2
gut über der Feder sitzend zu erkennen)
und fixiert das System.
Die Idee besteht nun darin, an der Rändel-
schraube den Federdruck so einzustellen, dass
sich die Stimmung der Gitarre nicht verändert,
wenn man durch den Hebel das System fixiert
oder löst. So hat man eine Non-Vib-Gitarre für
Double-Bendings oder andere Stimmungen und
ruckzuck durch simples Umlegen des Hebels eine
Gitarre mit Vibratofunktion. Eine tolle Hightech-
Idee aus den späten 80ern/frühen 90ern. In der
Praxis etwas fummelig, aber funktionstüchtig.
Wesentlich weniger Einstellmöglichkeiten bie-
tet der zweite Exot (ist ja auch schon etwas älter):
das Fender Dynamic Vibrato (Abb.
6),
wie man
es zum Beispiel auf der Fender Mustang findet.
Simpel bis ins kleinste Detail. Es kann nur durch
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guitar 7/09
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Abb. 10:
Das Lager und die Funktion des Dynamic
Vibratos
Abb. 8:
Unterschiedlich hohe Einzelreiter, um
dem Griffbrettradius zu folgen
Abb. 12:
Sorgt für den Gegendruck: die Feder im
Bigsby-Style
Abb. 9:
Federn und Federkammer
Abb. 11:
Ein Klassiker in spe: das Les Trem Vibrato
die zwei zu erkennenden Madenschrauben in
seiner Höhe eingestellt werden. Eine individuelle
Höheneinstellung der einzelnen Saitenreiter ist
nicht vorgesehen (Abb.
8).
Diese haben einen
unterschiedlichen Durchmesser und passen so
den Saitenverlauf dem Griffbrettradius an.
Auch das Innenleben des Dynamic Vibratos
(Abb.
9)
lässt das technikbegeisterte Herz kaum
höher schlagen. In zwei schlitzförmigen Frä-
sungen sitzen die Füße des Vibratos, gehalten
jeweils durch eine Feder. Einstellmöglichkeiten =
Fehlanzeige. Hier müsste bei Bedarf durch Kürzen
der Federn oder das Verlagern des Fixpunktes auf
dem Fuß improvisiert werden. Subtile Ansätze,
weit entfernt von einer Feinabstimmung.
Zur eigentlichen Bewegung kippelt das System
in der Grundplatte (Abb.
10/links)
und nimmt den
beweglichen Steg in seiner Bewegung mit. Daher
ist es ratsam, bei solch einem System (Jazzmaster
und Jaguar sind ähnlich) die Stegfüße mittig in
der Hülse zu positionieren.
Geringe Einstellmöglichkeiten
Ein ähnlich minimalistisches, jedoch vom
Prinzip her völlig anderes System demonstriert
Abb. 11:
das Göldo-Les-Trem-System. Hier wird
ein starres Stoptailpiece durch einen Saiten-
halter ersetzt, auf dem die Saiten in einer
beweglichen Aufhängung fixiert werden. Eine
Feder (Abb.
12)
stellt ähnlich wie bei einem
Bigsby-System den Gegendruck zum Saitenzug
dar. Die Einstellmöglichkeiten sind sehr gering.
Lediglich eine härtere oder weichere Feder sowie
die zusätzliche Stauchung über Unterlegschei-
ben in der Federführung sind Maßnahmen, den
Federdruck und damit die Gängigkeit oder die
Position des Systems zu variieren.
Ein bisschen Vorsicht ist geboten bei der
unteren Federführung, die direkt auf dem Korpus
steht. Trotz der weichen Kunststoffunterlage
könnte ich mir vorstellen, dass es bei einigen
Lacken und weichen Oberflächen (zum Beispiel
Pappel oder Linde) zu leichten Druckstellen
kommen könnte. Ultraviolettes Licht tut ein
Übriges, und diese eigentlich unsichtbar rück-
führbare Modifikation bleibt unrückführbar
sichtbar. Jeder, der schon mal das Schlagbrett
einer älteren Gibson-Gitarre entfernt hat, weiß,
was ich meine. Dies trifft sicher nur auf einige
wenige Instrumente zu, aber Vorsicht ist besser
als Nachsicht.
Abb. 13
zeigt, dass beim Les Trem ein leicht
(hier im Sinne von wenig – nicht einfach)
beweglicher Steg zum System gehört. Beim
Betätigen des Vibratos kippelt der Steg ganz
leicht mit den Saiten mit. Ein Rollensteg ist
somit nicht zwingend erforderlich. Bei normalem
Gebrauch rutscht die Saite gar nicht in der Kerbe
des Steges hin und her, sondern nimmt diesen
einfach auf ihrer Bewegung mit. Das funktioniert
bei leichten Vibratos sehr gut, stößt aber bei
härterer Gangart an die Grenze des Machbaren.
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Aufhängung, können sie mittels einer kleinen
Madenschraube in ihrer Vorspannung eingestellt
werden (Abb.
18).
Zugang zur Madenschraube
erhält man auf der Mittelachse des Systems (Abb.
18/rechts, Pfeil).
Die mittig liegende Schraube ist
für die Einstellung der Federspannung zuständig.
Nicht zu verwechseln mit der kleinen Schraube
weiter außen (auf dem Bild links neben der
Madenschraube für die Federspannung). Diese
quetscht eine kleine Kunststoffdichtung und
regelt so die Gängigkeit des Vibratohebels.
Das Les Trem empfiehlt sich daher mehr fürs
relaxte Spiel mit der Tonhöhe.
Verklemmte Saite
Bevor die Technikinteressierten nun wegzappen
oder einnicken, bringt die
Abb. 14
einen ganz
seltenen Vogel, der Hightech und Vintage-Appeal
verbindet: Eine ältere Gibson L-5 Custom mit
einem Kahler-Vibratosystem – ein Leckerbissen
für die Freunde der kleinen Inbusschlüssel. Das
fängt schon am Saitenklemmer (Abb.
15)
an.
Anders als bei einem Floyd-Rose-Klemmsattel,
der Sattel und Klemmer in einem ist (daher
messerscharf hergeleitet: Klemmsattel), hat die
L-5 einen konventionellen Sattel plus Saiten-
klemmer, an dem jede Saite einzeln per Inbus-
schraube fixiert werden kann. Etwas umständ-
licher als die Klemmsattelversion und auch
nicht ganz so verstimmungsfrei, da es bei ex-
zessivem Gebrauch des Vibratos hier und da zum
Verkanten der Saite kommen kann, die sich beim
Heruntermodulieren lockert und ihre Position
in der Nut des Sattels verändert. Nach dem
Auftauchen kommt es dann möglicherweise zu
leichten Verstimmungen. Eine Optimierung der
Sattelnut könnte hier notwendig werden.
Das auf diese Gibson montierte Kahler-System
ist eine Spezialausführung für Gitarren mit
gewölbter Decke. Es liegt vorne auf zwei Bolzen
an der Stelle der beiden Stegbolzen. Die beiden
hinteren Bolzen (ca. auf Position des Saitenhalters)
halten das System. Zur Aufnahme der Federn ist
lediglich eine kleine Fräsung auf der Oberseite
des Instrumentes notwendig – keine großflächige
Federkammer auf der Rückseite (Abb.
16).
Abb. 17
zeigt das komplette System von
unten. Lediglich zwei kurze Federn bieten dem
Saitenzug Paroli. Befestigt an einer T-förmigen
Gut geschmiert rollt besser
Fast schon traditionell hingegen ist der Aufbau
der Saitenreiter gestaltet (Abb.
19):
die kleinen
Madenschrauben zur Höheneinstellung, die
Schlitzschrauben zum Einstellen der Intonation.
Ungewöhnlich sind lediglich die Rollen, über die
die Saiten laufen. Von der Idee her klasse (beim
Benutzen des Vibratos wandern sie reibungslos
mit den Saiten mit). Allerdings lässt das Foto die
häufig nicht ganz so ideale Realität erkennen.
Schweiß und Korrosion setzen die Rollen fest; sie
drehen beim Modulieren nicht mit. Hier sollte ab
und an etwas Öl die Rollen in Gang halten.
Zudem ist es wichtig, dass die Saiten mit genug
Druck über die Rollen geführt werden (Abb.
20).
Ist der Winkel, mit der die Saite vom Saitenhalter
zum Steg geführt wird, zu flach, liegen die Saiten
nicht fest genug in der Rolle, und durch den
recht seichten Verlauf der Rillenwände fliegt
die Saite bei hartem Anschlag schnell aus der
Führung (Rille). Um dies zu verhindern, kann
(wie auf
Abb. 20
zu erkennen) die Vorderseite
des Vibratos so weit wie möglich nach unten
gebracht werden, um dann die Einzelreiter recht
hoch einstellen zu können. Nun sollte es auch bei
härterem Anschlag klappen.
Nach so viel Technik ist es Zeit für eine Ver-
schnaufpause (eventuell bei exotischen Geträn-
ken), bevor die Exotic Vibrations in der nächsten
Ausgabe wieder loslegen.
Michael „Doc“ Schneider
Abb. 16:
Das Vibrato und seine Fräsung
Abb. 17:
Das System von unten
Abb. 18:
Die Madenschraube zum Einstellen der
Federkraft
Abb. 13:
Alles bewegt sich im selben Takt: Der
Steg wippt mit
Abb. 19:
Die Einzelreiter mit Rollen
Abb. 14:
Seltener Vogel: Gibson L-5 Custom mit
Kahler-System
Abb. 15:
Warum einfach, wenn es auch kompliziert
geht: Saitenklemmer plus Sattel
Abb. 20:
Kritisch: der Saitenwinkel
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