Tune it yourself Getriebetausch
© PPVMEDIEN 2009
gear
tune it yourself
Getriebetausch
Hallo und herzlich willkommen zum ersten Kapitel von Vibr-o-lution,
einer Serie mit dem Schwerpunkt Vibratosysteme. Wo hakt es? Warum
hakt es? Lösungsansätze, Montagesituationen und Exoten sind Themen,
die in den nächsten Ausgaben des TIY durchleuchtet werden. Ziel ist es,
Vibratosysteme besser kennenzulernen, um ihre Funktion zu optimieren
und den persönlichen Bedürfnissen anzupassen.
Doc Schneider
Im Sinne dieser Vorgabe geht es auch sofort
knackig los mit dem ersten Getriebetausch.
Abb. 1
zeigt die Ist-Situation: Fender Stratocaster mit
Vintage-Vibrato. In diesem Fall wünscht sich der
Kunde eine direktere Ansprache des Vibratohebels,
um ganz leicht und ohne „toten Weg“ um den Ton
herumzumodulieren.
Vintage-Systeme haben in diesem Punkt eine
Schwachstelle. Durch häufigen Gebrauch leiert das
Gewinde aus, in dem der Arm sitzt. Der Arm hat
somit Spiel und wackelt im Gewinde. Dadurch hat
der Spieler keine direkte Modulationsmöglichkeit.
In älteren TIY-Folgen habe ich schon darauf
hingewiesen, dass es in solchen Fällen hilft, Teflon-
Band (wird normalerweise in die Gewinde von
Druckluftverbindungen eingedreht – gibt es im
Baumarkt) um den Vibrato-Arm zu wickeln. Der so
etwas verdickte Arm „schlockert“ nun nicht mehr
im Gewinde herum – die Modulation ist direkter.
Kunststoffröhre für den Vibratohebel ausgestattet,
um mechanisches Spiel zu eliminieren.
Die Webseite zeigt transparent einen Quer-
schnitt durch einen 2006er Block – anklicken
lohnt sich. Somit bietet der Markt unterschiedliche
Lösungsmöglichkeiten für alle, die ein „direktes“
Vibratosystem benötigen.
Neben dem indirekten Verhalten einiger Vin-
tage-Systemen ist es aber auch die Gängigkeit, die
Abb. 2: Schiefe Schrauben erhöhen die Reibung.
häufig Anlass zur Kritik bietet. Hier sind Fehlersuche
und Lösungsansatz nicht ganz so eindeutig wie
beim lockeren Hebel.
Abb. 2
zeigt eine von mir
häufig beobachtete Situation: Die Schrauben, die
das Vibratosystem halten, laufen nicht im rechten
Winkel aus dem Korpus.
Dieses „Verlaufen“ ist in der Rechts/links-Ebene
(rechtwinklig zur Mittelachse des Instruments) viel
häufiger anzutreffen als in der Ebene parallel dazu.
Daher mache ich den Faserverlauf des Holzes dafür
verantwortlich. Zum Problem wird dieser Versatz,
wenn dadurch die Schrauben zu eng durch die
Löcher des Vibratosystems geführt werden. So
misst zum Beispiel beim Callaham-System die
Schraube ca. 3,4 mm im Durchmesser, das Loch ca.
3,6 mm (Abb.
3).
Sechsmal ein kleiner Versatz, und
die Schrauben laufen so stramm durch die Löcher,
dass das Vibrato klemmt und hakelt.
Ein cleverer Lösungsansatz dafür kommt von
Wilkinson. Hier sind fünf Löcher als Langlöcher
Das Beste zweier Welten
Etwas professioneller ist der Ansatz verschiedener
Hersteller von Vibratosystemen. Bekannte Beispiele
sind die Modelle von Wilkinson, bei denen der Arm
in einer Kunststoffröhre geführt wird. Ohne Spiel,
ohne Schlockern. Etwas unbekannter dürften die
Systeme des amerikanischen Herstellers Callaham
sein. Callaham, eine kleine Hardware-Schmiede,
ist über das Internet unter www.callahamguitars.
com zu erreichen. Ursprünglich lediglich darauf
bedacht, exakte Kopien des originalen Fender-
Vibratoblocks herzustellen, gibt es ab ca. 2006 das
Beste aus beiden Welten: einen Vibratoblock nach
originalen Vintage-Fender-Vorgaben, aber mit einer
Abb. 3: Kritisch: das Verhältnis von Schraube
zu Loch
Abb. 5: Mehr Gewinde für mehr Halt
Abb.1: Ein Klassiker – ab und an mit kleinen
Macken: das Fender Vintage Vibrato
Abb. 4: Moderne Technik: das Wilkinson VSV
Abb. 6: Kleines Detail: das Fenster im Saitenreiter
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guitar 3/08
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Abb. 7: Scharfes Detail: der Saitenverlauf am Reiter von weitem ...
Abb. 8: ... und ganz aus der Nähe
Abb. 9: Potentieller Saitenkiller: der
Grat am Reiter
Abb. 10: Grundplatte ist nicht gleich
Grundplatte
ausgearbeitet, so dass die Schrauben
genug Platz haben. Lediglich die
Schraube unter der E-Saite wird durch
ein konventionelles Loch geführt, um
die Führung sicherzustellen.
Gut fixiert
Zudem hat die Schraube mit ihren ca.
3,5 mm in dem ca. 4,5 mm großen
Loch viel mehr Bewegungsfreiheit,
wodurch bessere Voraussetzungen für
einen reibungsarmen Betrieb gegeben
sind. Trotzdem ist das Wilkinson
VSV durch die Schraube unter der
E-Saite, die sich unter Saitenzug
fest gegen die Kante der Bohrung
drückt, gut fixiert.
Abb. 4
zeigt ein
montiertes VSV-System, das trotz
seiner überlegenen mechanischen
Qualitäten von vielen „Vintage
only“-Skeptikern als (vermeintlich)
„nicht klingend“ abgelehnt wird. Hier
mein unbedingter Rat: Bitte selbst
testen und selbst hören!
Zum Glück hat die Firma Callaham
jedoch Ersatzteile im Angebot, die
(nach Vintage-Vorlagen) vorhandene
Systeme optimieren können. So
haben zum Beispiel die erhältlichen
Einzelreiter ein längeres Gewinde
(Abb.
5),
so dass die Schrauben zur
Höheneinstellung besser geführt
werden und auch bei einer hohen
Einstellung nicht seitlich wegkippen.
Zudem haben die Reiter ein längeres
„Fenster“ (Abb.
6).
Die Vorteile dieses kleinen Details
zeigen sich in
Abb. 7
und
Abb. 8.
Durch das längere Fenster werden
die Saiten nicht am vorderen Ende
über die Metallkante gezogen. Diese
Kante ist häufig der Übeltäter, wenn
die Saiten reißen, da diese hier
förmlich abgeknickt werden. Ein sehr
nützliches Detail, das gerade den
höheren Saiten (e, h, g, D) zu einem
längeren Saitenleben verhelfen wird,
da die Reiter bei diesen Saiten in der
Regel weiter vorne stehen. Bei A/E
kann es zu einem Knick kommen,
jedoch sind die Kanten des Fensters
beim Callaham so gut verrundet, dass
es hier keine Probleme geben dürfte.
Dass nicht nur kleine Hersteller
mitdenken, sondern auch große eta-
blierte Firmen ihre Produkte überar-
beiten, zeigt
Abb. 9.
Oben ist ein
älterer Reiter zu sehen, der einen klar
erkennbaren Grat am Fenster hat.
Mit dünnen Saiten und etwas Hand-
schweiß ein wahrer Saitenkiller. Der
neue Reiter desselben Herstellers
(unten) weist keine scharfen Kanten
auf. Wer also Probleme mit reißen-
den Saiten bei Vintage-Systemen hat,
könnte hier durch einen Austausch
von „scharf“ hin zu „smooth“ für
mehr Ruhe im Alltag sorgen.
Abb. 11: Gut so: flache Rampe
– Schrauben verlaufen vor der Kante
zeigt
Abb. 10:
die Anordnung der
Befestigungslöcher. Die Grundplatte
oben stammt von einem „Low
Budget“-Ersatzteil, das, mit einem
Stahlblock ausgestattet, als „perfect
Abb. 12: Schlecht so: steile Rampe
– Schrauben verlaufen in der Kante
replacement“ beworben wird. Hier
ist zu beobachten, dass die Schraub-
löcher über die Kante der Abschrä-
gung im vorderen Bereich des
Systems in Richtung Block hinaus-
Kurz & steil
Ein versteckteres, jedoch wesentlich
wichtigeres Merkmal für die Alltags-
tauglichkeit eines Vibratosystems
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laufen. Die Kante bildet quasi die
Mittellinie für die Anordnung der
Befestigungslöcher. Etwas anders
ist die Situation bei der unteren
Grundplatte. Hier laufen die Löcher
nur bis kurz vor die Kante, befinden
sich also auf der Rampe. Neben der
unterschiedlichen Anordnung der
Löcher weisen die Grundplatten
zudem auch unterschiedlich geformte
„Rampen“ auf.
Abb. 12
zeigt die „Low
Budget“-Rampe – kurz und steil.
Wesentlich seichter ausgeformt ist die
Rampe auf
Abb. 11,
wie man sie von
den Klassikern her kennt. Mal ganz ab-
gesehen davon, dass experimentelles
Kippeln bei der steileren Rampe schon
etwas schwergängiger ausfällt, ist die
Anordnung der Befestigungslöcher
ein Konstruktionsfehler.
Abb. 15: Richtiger Sitz = richtige Funktion: Schraube vor der Rampe
Abb. 13: Entweder verhindert der
Schraubenkopf die Funktion ...
Abb. 14: ... oder das System hat
keine definierte Ruheposition
Dazu der Versuch auf
Abb. 13:
Fixiert man die Grundplatte mit
der vorgesehenen Schraube so,
dass die Grundplatte bündig auf
dem Korpus sitzt (oben), verhindert
der Schraubenkopf ein Kippeln
nach vorne. Deutlicher wird der
Fehler, wenn die Befestigung – rein
virtuell – noch weiter nach hinten
verlegt wird. Man fixiert quasi die
Platte unbeweglich auf dem Korpus.
Möchte man diese Grundplatte den-
noch kippeln (bei einem Vibrato-
system ein naheliegender Wunsch),
muss die Schraube ein wenig
herausgedreht werden (Mitte, Pfeil),
so dass der entstehende Spalt ein
Kippeln der Grundplatte zulässt
(unten).
So weit, so gut. Das Problem ist
jedoch, dass nun die Grundplatte an
den Befestigungsschrauben herauf-
und herabwandern kann (Abb.
14)
und keine definierte Ruhelage des
Systems gegeben ist. Man hat im
Handumdrehen eine Gitarre mit vari-
abler Saitenlage in orientalischer
Stimmung. Eine kontraproduktive
„Verschlimmbesserung“
trotz
vielversprechender
Werbung. Hier also auf-
passen. Liegen die Befesti-
gungslöcher eines Vintage-
Vibratos hinter der Kante
(in Richtung Block), ist ein
schlecht funktionierendes
Vibrato quasi vorprogrammiert.
Die „So soll es sein“-Situation
demonstriert
Abb. 15.
Hier liegen
die Befestigungslöcher im Bereich
der Rampe. Die Schraube kann so
weit angezogen werden, dass sie
das Vibrato bündig mit dem Korpus
fixiert. Wird die Platte gekippt,
taucht die Rampe nach unten weg.
Wird die Platte wieder losgelassen,
kehrt das System zwangsläufig in die
vorgesehene Ruheposition (Kante auf
dem Korpus) zurück.
Abb. 16: Gut poliert ist halb gewonnen:
die Unterseite von Vibratosystemen
Systems über die Funktionalität.
Abb.
16
zeigt die Unterseite eines Callaham-
(links) und eines Wilkinson-Systems
(rechts). Beide weisen keine scharfen
Kanten oder störenden Grate auf,
die sich beim Kippeln in den Lack
beißen können und somit Reibung
verursachen.
Sollte dies einmal der Fall sein,
kann der Grat durch einen feinen
Schliff entfernt werden. Ein abschlie-
ßender Poliervorgang verleiht der
Oberfläche die ultimative Güte für
besten Vibratokomfort.
An dieser Stelle möchte ich erst
einmal Einhalt gebieten, da der erste
Getriebetausch erfolgreich von der
(Arbeits-)bühne gegangen ist. Mit
dem VSV funktioniert die Gitarre
Mit etwas Handschweiß
sind alte Saitenreiter ein
echter Saitenkiller.
ohne Spiel am Arm und reagiert sehr
leichtgängig. Zum Thema Sound kann
ich hier nichts sagen, da ich nicht die
Zeit hatte, die Kundengitarre tagelang
zu testen.
Bis jetzt jedoch liegt keine negative
Rückmeldung des Kunden vor –
Soundängste scheinen unbegründet.
(Weiterführende Tipps zum Thema
Vibrato gibt es in TIY 12/05).
Zudem wird hier gerade schon
der nächste Patient hereingerollt:
eine Tyler mit Wilkinson-2-Punkt-
Vibrato. Hier soll ein Hipshot
montiert werden. Also kurz
aufräumen – und im nächsten Heft
geht es dann weiter mit der Vibr-o-
lution.
Doc Schneider
Ultimative Güte
Neben diesen gravierenden Konstruk-
tionsmerkmalen entscheidet aber
auch die Verarbeitungsqualität des