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tune it yourself
Vibr-o-lution, Teil 2:
Geht modern auch vintage?
In dieser Ausgabe des TIY gibt’s mal wieder einen „Getriebetausch“. Dies-
mal jedoch weniger unter der Vorgabe, die Funktion zu optimieren.
In diesem konkreten Fall möchte der Kunde vorhandene Hardware ersetzen,
um neue Soundmöglichkeiten seiner Gitarre auszuloten.
Doc Schneider
Dieses System hatte in der Vergangenheit mein
Interesse geweckt, da es mit einer sehr interessanten
Variante der Aufhängung aufwartet. Zwei sich
verjüngende Metallstifte bilden das Lager auf der
Treble-Seite. Sie schmiegen sich exakt in die Nut des
Bolzens und bieten dem System sicheren Halt, so
dass auf der Bass-Seite eine „normale“ Messerkante
ausreicht. Aufkommende Euphorie wird jedoch
durch den Hinweis des Kunden in die Grenzen
gewiesen, dass an der Gitarre keine irreversiblen
Modifikationen durchgeführt werden sollen.
Dieser Umstand zwingt mich dazu, die Modi-
fikation etwas vorsichtiger anzugehen. Leider
passen die speziellen Hipshot-Bolzen nicht in die
montierten Gotoh-Gewindehülsen. Zur weiteren
Untersuchung wird das System provisorisch in die
Gotoh-Bolzen eingehängt (Abb.
3)
und der Reiter
der hohen e-Saite in die richtige Position gebracht.
Beim Betrachten kommen nun erste Zweifel
auf, da die Reiter der übrigen Saiten noch
weiter nach hinten positioniert sein müssen, die
Grundplatte des Vibratos aber nicht endlos ist.
Selbst wenn durch die originalen Bolzen noch
ein paar Zehntelmillimeter herausgekitzelt wer-
den, besteht hier die Gefahr, dass die Oktavreinheit
nicht exakt eingestellt werden kann.
Bei der Gitarre handelt es sich um eine Tyler
Classic, die mit einem Gotoh/Wilkinson-VG300-
Vibratosystem ausgerüstet ist (Abb.
1).
Diese nicht
so häufig zu erspähende Spezies aus dem Modell-
angebot der Vibratosysteme mit Zwei-Punkt-
Auf-hängung ist quasi eine Mischung aus dem
VS100 (mit Zwei-Punkt-Befestigung und Block-
Reitern) und dem VSV (mit sechs Schrauben und
gebogenen Stahlreitern). Trotz der guten Funktion
dieses Systems soll nun das VG300 gegen ein
anderes Vibratosystem ausgetauscht werden.
Vom Kunden selbst vorgeschlagen wurde das US-
Contour-Modell (Abb.
2)
des US amerikanischen
Herstellers Hipshot (www.hipshotproducts.com).
Aus für das Hipshot
Aber es kommt noch viel eindeutiger: Versucht
man, das Hipshot-Vibratosystem zu kippeln
(Abb.
4),
hinderte eine Kante der Korpusfräsung
den Vibratoblock daran, sich reibungslos zu
bewegen (Abb.
5).
Ab diesem Punkt wird klar:
Ohne größere Modifikationen (neue Position des
Systems mit allen erforderlichen Nebenarbeiten)
ist eine Modifikation dieser Tyler-Gitarre mit
dem gewünschten Hipshot-System nicht möglich.
Klare Fakten, klare Ansage: Das Hipshot scheidet
in diesem Falle aus.
Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend, und
zudem weiß ich aus vorangegangenen Umbauten,
dass Fender-American-Strat-Systeme (Abb.
6)
– hießen früher: American-Standard-Systeme – in
der Regel gut mit Gotoh/Wilkinson-Maßen har-
monieren. Leider haben diese Systeme Blockreiter
aus Guss und die nicht immer kraftschlüssige Be-
festigung des Vibratohebels. Jetzt kommt wieder
der Hersteller Callaham ins Spiel, der schon in der
letzten TIY-Ausgabe (03/09) kräftig mitgemischt
hat. Callaham hat ein American-Standard-
Upgrade-Kit im Programm (Abb.
7),
mit dem
ältere American-Standard-Systeme tonal näher an
Fender-Vintage-Systeme herangebracht werden
Abb. 1:
Wird hinterfragt: das bewährte VG300 von
Gotoh/Wilkinson
Abb. 3:
Das Hipshot probehalber eingehängt am
Wilkinson-Bolzen
Abb. 2:
Quasi nadelgelagert: das US Contour
Model von Hipshot
Abb. 4:
Erstes Probekippeln ...
Abb. 5:
... erzeugt ein Schaben in der Fräsung
– Kandidat ausgeschieden
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Angaben aus kalt gewalztem Stahl her. Dies ist nach
Callahams Recherchen das gleiche Material, das für
die Blöcke der Original-Vibratos der Fünfziger und
Sechziger verwendet wurde.
Da hier schon mal der eine oder andere Hebel
abgebrochen ist, produziert Callaham seit nunmehr
über 15 Jahren Austauschblocks aus diesem kalt
gewalzten Stahl nach exakten Vintage-Vorgaben.
Wird dem Stahl anderes Material (etwa Blei) beige-
Callaham-Philosophie erkennen (Abb.
10).
Links
ein Standard-Block, der auch auf der Oberkante mit
einer Art Farbe beschichtet ist – somit liegt zwischen
Block und Grundplatte eine dünne Trennschicht
aus Kunststoff. Rechts die blanke Oberkante des
Callaham-Blocks für eine direkte und passförmige
Verbindung von Block mit Grundplatte.
sollen. Bestandteil des Upgrade-Kits sind unter
anderem die Einzelreiter aus gebogenem Stahlblech.
Die Besonderheit liegt hier in der nicht mittig
angebrachten Befestigungsschraube (off-center).
Abb. 8
versucht hier Klarheit zu schaffen. In
der Mitte der Blockreiter eines älteren American-
Standard-Systems (heute Fender-American-Strat-
Tremolo/American-Deluxe-Modelle). Rechts daneben
ein Standard-Vintage-Reiter mit mittiger Schraube.
Abb. 6:
Vielversprechende Alternative: das
Fender American Strat System (ehemals
American Standard System)
Abb. 9:
Die Fixierung des Blocks mit drei
Kreuzschlitzschrauben
Abb. 13:
Volle Funktion ohne Hakeln und Verkanten
Abb. 10:
Links der mit Farbe überzogene Block des
American Strat Systems, rechts der blanke Callaham-
Block für verlustfreie Energieübertragung
fügt, so verändert sich, so Callaham, dessen Qualität
in Bezug auf Schwingungsverhalten. Da kann
man sich schon vorstellen, dass Stahl weniger
nach Schwingungsverhalten, sondern eher nach
zeitsparender Verarbeitung gemischt wird. So ist ein
durch Zusatzstoffe besser zu verarbeitender Stahl
zwar immer noch ein Stahl, aber er ist in einigen
seiner Eigenschaften verändert, möglicherweise so-
gar geschwächt. Ist der Callaham-Block tatsächlich
aus dem ominösen „UNS 1018cold-rolled steel“
Abb. 7:
Tuning in Richtung Vintage: das Callaham
American Standard Upgrade Kit
Abb. 14:
Umbau abgeschlossen: Vintage-style-Stahl-
reiter und ein „cold-rolled steel block“ auf einer
Zwei-Punkt-American-Strat-Grundplatte: modern
meets vintage
Nachdem der Block montiert ist, können die Reiter
auf die Grundplatte geschraubt werden (Abb.
11).
Kurz vor dem Ziel kommt doch noch etwas
Nervosität auf.
Abb. 12
zeigt den Grund. Während
der American-Standard-Block (rechts) nach unten
hin dünner wird, ist der Austauschblock an seinen
Flanken gerade.
Dies könnte in der Federkammer dazu führen,
dass der Block zu früh an die Wandung schlägt,
und das bei nur sehr geringem Aktionsradius.
Erleichterung auf der gesamten Front nach dem
ersten Testen (Abb.
13).
Das Vibrato wird leicht
schwebend eingestellt und ist noch recht gut nach
unten zu modulieren. Mit dem Aktionsradius
ähnlich dem eines Vintagesystems, jedoch ange-
nehm leichtgängig. Die originalen Gotoh-Bolzen,
die weiterverwendet werden, arbeiten sehr gut
mit der Fender-Grundplatte – kein Hakeln, kein
Klemmen. Smoothes Vibrato.
Abb. 14
zeigt das
funktionstüchtige Endresultat.
Für die nächste Ausgabe des TIY besorgen
wir uns mal alle enge Röhrenjeans, stecken uns
Schulterpolster ins Hemd, und wer kann, der lässt
sein Haar offen hängen. „Back to the eighties“ heißt
es nämlich, wenn in der nächsten Ausgabe eine gut
gebrauchte Heavy-Axt aus der Shredder-Ära ein
neues Getriebe bekommt.
Michael „Doc“ Schneider
Abb. 11:
Die auf Vintage umgebaute Grundplatte
Abb. 8:
Verschiedene Reiter mit verschiedenen
Aufhängungen
Dieser lässt sich nicht auf die American-Strat-
Grundplatte montieren, ohne die Saiten aus der
Richtung zu werfen. Ganz links die Lösung von
Callaham: Gebogene Stahlreiter mit „Off-center“-
Befestigungsschraube – perfekt, um die American-
Strat-Grundplatte mit Stahlreitern nachzurüsten,
ohne den Saitenverlauf zu verändern. Haupt-
bestandteil des Upgrade-Kits ist jedoch der Vibrato-
block. An und für sich nur ein rechteckiges Stück
Metall, ist es ein Material, das immer wieder
Anlass zu angeregten und nicht enden wollenden
„Diskussionen“ in Internetforen bietet.
Ich merke gerade, dass es am Vintage-
Stammtisch ganz schnell ganz ruhig wird. Das
Problem für alle Beteiligten: Keiner weiß genau, was
drin ist in so einem Block. Stahl – okay. Aber was
für einer? Callaham stellt die Blocks nach eigenen
Abb. 12:
Bewegungshemmend? Links der rechteckige
Callaham-Vintage-Block, rechts der abgeschrägte
Block des American Strat Systems
gefertigt – und es gibt da keine Gegenanzeichen –,
dann ist er das optimale Bauteil, um die American-
Standard-Grundplatte weiter zu tunen. Der Aus-
tausch ist recht simpel: Sind die Einzelreiter entfernt,
kommen drei große Kreuzschlitzschrauben zum
Vorschein (Abb.
9).
Diese fixieren den Block an der
Grundplatte. Schrauben lösen – Block entfernen.
Nun lässt sich ein weiteres kleines Detail der
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