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GET YOUR TONE
Soundberatung
© PPVMEDIEN 2010
Ein Besuch beim Sound-Doktor
Vilim Stößer ist seit über einem Jahrzehnt als Autor für unser Schwestermagazin
Soundcheck tätig. Seit gut sechs Jahren entwickelt er mit seinem Einmannbetrieb
getyourtone Instrumente und Gitarrenanlagen für Sound-Suchende aus allen Landen.
Die Kundschaft reicht vom jungen Hobby-Metaller über semi-professionelle Top-40-
Musiker bis hin zu professionellen Bands aller Stilistiken. Wir durchleuchten, wie
man das alles unter einen Hut bekommt und was man von dieser speziellen
Klangberatung oder einem Ortstermin in der Gitarren-Ton-Praxis erwarten darf.
Während seiner redaktionellen Tätigkeit
bei Soundcheck bekam es Vilim immer wieder
mit technischen Fragen der Leser zu tun, die
eine umfassende Beratung zu Gitarren, Amps,
Effektschaltungen und Ähnlichem wünschten.
Aufgrund der hohen Nachfrage und der im-
mer komplexer werdenden Fragestellungen, die
weit über den Leserbrief-Service hinausgingen,
bot er daher ab Ende 2003 seine Beratung für
Interessierte erstmals über Internet und Telefon
an. Nachdem immer mehr Kunden einen Haus-
besuch anfragten, wagte er schließlich den
nächsten Schritt und konnte im Jahr 2006 den
anstehenden Hausbau mit der Einrichtung einer
Service-Stelle im neuen Eigenheim verbinden.
Seitdem läuft es bei getyourtone wie beim On-
kel Doktor. Es wird angeru-
fen oder gemailt, ein Termin
wird vereinbart, und der
Patient schildert ausführlich
seine Problematik. Wenn
der Kunde dem nicht ab-
geneigt ist, wird zudem eine
detaillierte Akte angelegt, in der alle Schritte und
Gedanken der Beratung festgehalten werden.
So weiß Stößer immer, welchen Verlauf die
Was leistet das
legendäre Original?
„Behandlung“ genommen hat und wie man
auf frühere Diagnosen zurückgreifen kann. Die
Akte umfasst auch eine komplette Auflistung
des Patienten-Equipments.
Es ist nicht selten der Fall
gewesen, dass genau der
Tubescreamer, der vor zwei
Jahren noch den ganzen
Sound versuppt hat, bei
einer neuen Aufstellung das
entscheidende letzte Puzzle-Teil ist.
Stößer ist seit 1984 als aktiver Musiker in
verschiedensten Stilrichtungen unterwegs und
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wichtigen Marken. Und manchmal steht eben nicht Fender oder Marshall
drauf. „Ich möchte den Leuten auch zeigen, dass es wahnsinnig viele
Möglichkeiten gibt, an einen bestimmten Sound zu kommen. Sehr gut
gelegen kam mir jüngst das MTS-Modul-System von Randall. Eine gute
Möglichkeit, um auf die Schnelle mal ein paar verschiedene Amp-Ge-
schmäcker abzuklopfen. Ich habe aber auch exotische Raritäten wie einen
8-Watt-Vox-Klon im Rack-Format.“
Das Hauptarbeitsgebiet von getyourtone ist der Service, der vom Pickup-
Umbau zur Komplettmontage und bei Bedarf auch bis zur Verkabelung
und Programmierung einer maßgeschneiderten Gitarrenanlage reicht.
Eine Beratung kann einen Nachmittag, aber auch ein ganzes Wochenende
dauern. Letzteres ist vor allem bei ausländischen Kunden häufig der Fall. Bei
einer Anreise aus der Schweiz, Österreich oder sogar Spanien lohnt es sich,
ein paar Tage intensiv alle Amps, Pedale und Boxen auszuprobieren. „Hin
und wieder, und wenn es der Zeitplan zulässt, bin ich auch als Guitar-Tech
für eine mehrtägige Tour-Begleitung mit Bands unterwegs.“
Ähnlich geschehen bei einem Kunden in Berlin, dessen Anlage Stößer
zwei Wochen lang vor Ort betreute, um letztlich auch noch den gesamten
Band-Sound so anzupassen, dass alle Instrumente optimal ineinander
greifen. „Das sind eigentlich Dinge, die weit über das hinausgehen, was ich
mit getyourtone ursprünglich anbieten wollte.“
Kabel über zwei Stockwerke
Es kommt auch durchaus vor, dass ein Musiker oder Produzent den get-
yourtone-Service in Anspruch nimmt, um ein komplettes Gitarrenstudio
einzurichten. Da gibt es schon mal Signalrouting quer durch das Haus, weil
der Regieraum zwei Stockwerke über dem Aufnahmeraum liegt. Angefangen
wird aber immer ganz simpel mit der bereits vorhandenen Gitarren- und
Equipment-Sammlung. Von der Verschaltung der Amps über die Mikrofon-
Abnahme und gegebenenfalls der Schalldämmung des Raumes wird dann
alles bis hin zur Soundkarte des Computers aufeinander abgestimmt.
kann auf einen großen Erfahrungsschatz zurückblicken. Er selbst hatte
mit einem grottenschlechten Oakland-Nachbau einer Ibanez Musician an-
gefangen. „Das Teil hatte unglaublich viele Schalter – und eins kannst du
glauben, keiner von ihnen hat den Sound besser gemacht.“ Zur Verstärkung
diente ein kaputter Carlsbro-Amp. „Ich komme noch aus einer Zeit, in der
man alles über sein Equipment schmerzhaft am eigenen Leib hat erfahren
müssen. Alles, was ich den Leuten mit auf die Bühne gebe, ist von mir
erprobt und auf die Praxis ausgerichtet.“
Schwere Brocken im Keller
Die Beratung beginnt im Empfangsraum seines Hauses in Gräfelfing bei
München. Die Wände hängen voller Gitarren, in die größtenteils kleine
Modifikationen und Tricks eingebaut wurden oder die einfach waschechte
Originale sind. Es ist Stößer wichtig, den Hilfesuchenden einen ersten
Eindruck geben zu können, was es auf dem Markt alles gibt oder was man
durch Modifikationen aus Instrumenten noch alles rausholen kann.
„Meine Kundschaft wünscht sich eine große Auswahl, und deshalb
habe ich auch immer einen Haufen Amps, Pickups, Gitarren, Bodentreter
und sogar Saiten am Start“, meint der Münchner Sound-Guru. Das meiste
Equipment habe er wegen eines bestimmten Tons hier. Eine richtig gute Les
Paul, einen richtig guten Vox AC30 oder einen richtigen Ampeg SVT. „Ich
lege dabei Wert auf Referenzstücke, die gut klingen und gut spielbar sind.
Vor allem aber sollen die Instrumente zeigen, was die legendären Originale
angeblich leisten können – und was nicht.“
Im Kellergeschoss befinden sich dann die wirklich schweren Brocken.
Amps und Effektpedale aus allen Epochen, in allen Größen und von allen
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„Obwohl bei solchen Aufträgen ein entsprechend
großzügiges Budget vorhanden ist, achte ich stets
darauf, das vorhandene Equipment sinnvoll mit
in die Anlage zu integrieren.“
Eine weitere Spezialität des rastlosen Tüft-
lers sind die unmöglichen Fälle. Zum Beispiel
eine ’71er Fender Strat aus jener berüchtigten
bleischweren Esche und mit einer unglaublich
fetten Schicht Lack versehen. „Das Teil nach
glockigem Strat-Ton klingen zu lassen, war in
den letzten Monaten mein härtester Fall. Aber
wenn der Kunde hinterher mit seiner alten Liebe
wieder glücklich ist, weiß ich, dass sich der
Aufwand gelohnt hat.“
Wenn es um die Instandsetzung von stark
beschädigtem Equipment oder um besonders
aufwendige Umbauten geht, wird ebenfalls wei-
ter vermittelt. Bei allen außer Haus gehenden
Aufträgen arbeitet Stößer stets eng mit den
jeweiligen Service-Partnern zusammen und
überwacht das Konzept, das er mit seinem
Kunden ausgearbeitet hat.
Die Kundschaft von get-
yourtone setzt sich aus ver-
schiedenen Altersschichten,
Musik-Szenen und Budget-
klassen zusammen. Da gibt
es die jungen Hüpfer, die
wollen, dass ihre Gitarre
fetter klingt, und die Stößer dann erst mal fragen
muss: „Was genau meinst du mit ,fett‘? Meinst du
damit mehr Gain oder mehr Bass oder doch etwas
ganz anderes? Setzen wir bei den Pickups, den
Speakern, oder dem Amp an – oder reicht
vielleicht ein Booster?“
Den weitaus größten Teil seiner Kundschaft
machen Semi- oder Voll-Profis aus, die in meh-
reren Bands und Projekten unterschiedlicher
Stilistiken oder im Studio tätig sind. Die Anfragen
von Sound-bewussten Amateurmusikern nehmen
allerdings kontinuierlich zu.
Seit zwei Jahren sei außerdem ein konstant
fortlaufender Trend bei den Kunden zu erkennen:
Viele Anwender sind vor einigen Jahren mit
vollem Elan auf die Modeling-Schiene aufge-
sprungen und waren begeistert, dass die Technik
funktioniert und man nichts mehr schleppen
muss. „Nach ein paar Jahren ist das Ganze dann
aber für viele langweilig geworden, und sie
sehnen sich nach dem Spirit und den Umgang
mit echten Amps“, beobachtete Stößer einen
Sinneswandel bei seinen Klienten.
Sound führte. „Nicht, dass ich es dem Musikladen
nicht gegönnt hätte, wenn der junge Mann sich
dort wie geplant einen neuen Amp gekauft hätte,
aber in so einem Fall suche ich dann lieber nach
der möglichst günstigen Lösung. Viele wissen ja
auch gar nicht, was ihr Equipment alles kann.“
Kampf gegen sich selbst
Das Wichtigste ist es Stößer, seiner Kundschaft
verständlich zu machen, worum es geht und
woher die persönlichen Sound-Probleme kom-
men. Jeder Mensch hat andere Finger, andere
Ohren und vor allem andere Erfahrungen. „Ich
führe die Leute gerne über ein paar Stationen zu
dem Equipment, das zu ihnen passt. Wenn ich
zum Beispiel einen Marshall-Fan habe, der aber
eigentlich etwas ganz anderes benötigt, macht es
zunächst keinen Sinn, ihn direkt von A nach Z zu
führen. Da sind dann ein paar Zwischenstationen
– in diesem Fall Amps – besser, um ihn selbst
begreifen zu lassen, was zu ihm passt.“
Der Punkt mit dem Budget ist fast schon die
Lieblingsdisziplin des Equipment-Guides aus
Gräfelfing. „Ich muss wirklich ganz genau
abwägen, was derjenige wirklich braucht, und
aus jedem Amp und jeder weiteren Komponente
das Maximale rausholen.“ Umso größer ist die
Freude, wenn man es dann wirklich hinbekommt,
auch mit ganz knappem Geldbeutel richtig viel
Wind im Proberaum zu machen.
Zur Stammkundschaft zählen viele erfahrene
Gear-Heads, die schon sehr viel ausprobiert ha-
ben und bereits eng an ihren Traum-Sound
herangekommen sind. Hier ist es Stößer besonders
wichtig, diese Leute rechtzeitig abzuholen, bevor
sie unnötig viel Gerät um ihr Almost-Perfect-
Setup herum kaufen. „Manchmal lassen sich die
Leute auch nur einen falschen Amp aufschwatzen
und bekämpfen sich dann ewig selbst, da das
Gerät einfach nicht ihrer Spielweise entspricht.“
Per Kabel zum guten Sound
Gleichzeitig haben sich die Modeling-User aber
auch an den Komfort, die Haptik und die Viel-
seitigkeit eines solchen Setups gewöhnt. Nun hat
Stößer den vermeintlich schwierigen Fall vor
sich, diese Kriterien mit dem Charakter und dem
Sound einer Analog-Anlage unter einen Hut zu
bekommen. Die Problematik scheint dem
„Problem-Löser“ jedoch eher Motivation zu sein.
„Dieser Fall macht mir sehr
viel Spaß, da die Leute meist
mit einem ziemlich guten
Background in Sachen
Sounds und klaren Vor-
stellungen zu mir kommen,
wodurch wir zielgerichtet
ein maßgeschneidertes Setup im Rahmen ihres
Budgets basteln können.“
Die Details eines gut funktionierenden Setups
sind ebenso wichtig wie komplex, und deshalb
führt Stößer genau Buch, was die Leute zu Hause
alles rumliegen haben – sofern der Kunde das
auch möchte. Das krasseste Beispiel für einen
solchen Kartei-Fall war, als ein 20-jähriger
Gitarrist mit nichts als einem zusätzlichen Kabel
in der Hand überglücklich die Beratungsstelle
verließ, da ihm Stößer lediglich die Anlage neu
verschalten musste, was bereits zum gewünschten
Was genau meinst du
eigentlich mit fett?
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Darüber hinaus führt Stößer das Beispiel an, wie verloren man sich fühlen
kann, wenn man über ein fremdes Setup spielt. Er selbst hat das drastisch
in Erinnerung: Was beim Kollegen total singend und harmonisch rüber-
kam, klang mit seiner Spielweise „nach Kreissäge, Mord und Totschlag“.
Und das, obwohl beide je einen klassischen Röhrencombo mit ein paar
Pedalen spielten.
Mit dem Stichwort „Voodoo“ geht der Klang-Architekt besonnen und
reflektiert um. „Es gibt diesen Faktor einfach, und es macht keinen Sinn,
dagegen ankämpfen zu wollen oder die Leute zu bekehren. Fakt ist, wenn
jemand überzeugt davon ist, dass ihn nur dieser eine Amp oder diese eine
Gitarre geil klingen lässt, dann spielt er anders.“ Letztlich sei Musikmachen
doch auch Lifestyle und Flaggezeigen, meint Stößer. Und das gönne er den
Leuten auch.
Wenn er jedoch den Eindruck habe, jemand gehe mit völlig falschen
Vorstellungen an die Equipment-Frage heran und mache sich damit das
Leben unnötig schwer, wird eingegriffen. „Dann lass ich die Leute einfach
mal die ganze Bandbreite ausprobieren, um den Blick zu öffnen und
denjenigen selbst erfahren zu lassen, wie es einfach leichter geht.“ Es sei
aber auch schon vorgekommen, dass im Verlauf des Equipment-Checks
beide Seiten feststellen mussten,
dass es sinnvoller ist, die nächs-
ten Euros nicht in einen neuen
Amp oder die nächste Gitarre,
sondern in guten Gitarrenunter-
richt zu investieren. Die Vermitt-
lung dieser Einsicht erfordert
natürlich eine besonders diplomatische Vorgehensweise.
„Viele brauchen den Kick, wieder ein neues Spielzeug zu haben. Ein
Kick, der sich durchaus inspirierend auf das Gitarrespiel auswirkt“, ist Stößer
überzeugt. „Wenn sich jedoch die Relationen verschieben und nur noch
deshalb gekauft wird, weise ich die Leute auch darauf hin.“
Eine andere Situation ergibt sich wiederum dadurch, dass sich die
Bedürfnisse der Musiker häufig ändern. Ob es nun eine erfahrungsbedingt
veränderte Spielweise, ein Bandwechsel oder auch „nur“ ein anderes
Bandmitglied sei, alles habe seinen Einfluss auf den Sound und stelle somit
neue Anforderungen an das Equipment. „Deshalb versuche ich stets, jegliche
Setups flexibel zu halten. Der schlimmste Fall ist nämlich, etwas über Jahre
aufgebaut zu haben um es dann verwerfen zu müssen und wieder bei Null
anzufangen. Ich versuche deshalb immer, den Leuten ein, zwei Schritte
voraus zu sein, um solche Entwicklungen so problemlos und einfach wie
möglich realisieren zu können. Grundsätzlich kriegt mein Kunde auch mehr
Sound-Optionen mit, als er zunächst verlangt hat.“
„Ich sag es mal so: Wenn das Ding nicht geil aussieht, kannst du
alles andere vergessen. Hier geht’s
schließlich um Rock’n’Roll.“ Für
manche müsse es einfach ein
Plexi-Fullstack, die „Paula“ oder
Gretsch sein. Und dann muss eben
in diesem Rahmen gearbeitet
werden, um alle Sounds aus dem
Teil herauszukitzeln, die sich der
Kunde wünscht. Denn mit ein
paar Kniffen, und seien es auch
nicht immer die naheliegendsten,
ist alles möglich.
Philipp Opitz
Hier geht’s schließlich
um Rock’n’Roll
Der „Tone-Doktor“ (l.) im Gespräch
mit guitar-Redakteur Philipp Opitz