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Workshop: Songwriting
Songwriting – Teil 6
Britpop & Pilzkopf
Diesen Monat wollen wir uns zwei britische Bands etwas genauer Anschauen, die den Sound
ihrer Zeit jeweils entscheidend mitgeprägt haben. Die eine gilt dabei als die erste Pop-Band
überhaupt und wird bis heute als eine der größten Bands aller Zeiten genannt. Die Rede ist
von den Beatles. 30 Jahre später schuf die Band Oasis quasi im Alleingang den Britpop.
Fotos: Apple Corps Ltd., Laurence Watson
S
icherlich werdet ihr euch jetzt fragen was
der Britpop der 90er-Jahre mit dem
sound der Beatles aus den 60er-Jahren
zu tun hat. Eine ganze Menge, wie wir in die-
sem Workshop erfahren werden. Die Beatles
werden von den Oasis-Masterminds Liam und
Noel Gallagher immer wieder als wichtigster
musikalischer Einfluss genannt.
Klar ist: Kurz die Beatles zu analysieren und
ihren Stil zu erklären ist nicht einmal im An-
satz möglich.
Zu groß und vielschichtig ist ihr
Werk dafür. Picken wir uns also ein Stück exemp-
larisch raus und versuchen etwas von der Magie
und Einzigartigkeit ihrer Musik zu verstehen. Die
Wahl fiel hierbei auf „Hey Jude“. Dafür gibt es
mehrere Gründe. Der Song stammt aus der spä-
teren Phase der Band (1968) und zeigt sie somit
auf der Höhe ihres musikalischen Schaffens. Au-
ßerdem ist der Song relativ schlicht produziert
und wirkt einzig und allein über das Songwriting
und nicht über irgendwelche technischen Tricks
und psychedelischen Effekte derer sich die Vier
an anderer Stelle teilweise kräftig bedienten.
The Beatles – Hey Jude
Der Song stammt aus dem legendären „White
Album“ von 1968.
Nach dem Konzeptalbum
„Sergeant Pepper“, das mit verrückten Klängen
und Eexperimenten spielte, ging es hier „nur“ um
gute Songs. Derer hatte man aber soviel auf La-
ger, dass gleich ein Doppelalbum entstand. Mit
einer Länge von über sieben Minuten ist „Hey Ju-
de“ wohl eine der längsten je ausgekoppelten
Singles. Was heute, in Zeiten von Formatradios,
unvorstellbar erscheint konnte sich eine Gruppe
wie die Beatles damals locker leisten. Trotz der
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länge lief der song im radio und wurde ein
großer Hit. obwohl der song beim ersten Hören
sehr eingängig wirkt und wie ein leichter pop-
song daherkommt birgt er dennoch einige inter-
essante details was Harmonie-Abfolge und Ar-
rangement angeht.
Schauen wir uns zuerst einmal die Harmonien
des Songs an.
es gibt insgesamt vier teile: Stro-
phe, Refrain, Interlude und Outro.
Strophe:
| F | C | C7 Csus4 C7 | F |
| B | F | C | F |
Refrain:
| F | B B/A | Gm Gm7 | C/E C | F |
Interlude:
| F6 F7 | C | Csus4 CaddG | C F C7 |
Outro:
| F | Eb | B | F |
ne die hier in den Akkorden notiert sind, stellen
lediglich das Notenmaterial für diese kurze Me-
lodie. Wenden wir uns noch kurz dem Outro zu.
Euch wird auffallen, dass das Eb-Dur eigentlich
gar nicht in unsere Tonart passt. Von F-dur
wechselt der Song hier ganz unauffällig und ge-
schickt in B-Dur. B-Dur liegt eine Quarte ober-
halb von F-Dur. durch diese Verschiebung nach
oben hin, erfährt der Song automatisch noch-
mals eine Steigerung, ohne dass sich am Arran-
gement zunächst viel ändert.
Ablauf und Arrangement
Die erste Strophe beginnt nur mit Gesang und
Klavier (beides gespielt bzw. gesungen von
Paul McCartney).
Die Klavierbegleitung ist da-
bei relativ simpel aber gleichzeitig typisch für
viele Beatles-Songs. In der zweiten Strophe
kommen dann Gitarren von John lennon und
es wieder ins Interlude. Anschließend gibt es so-
gar noch eine vierte Strophe. Und jetzt wird es
wieder interessant. Denn statt von dieser vierten
Strophe nochmals in den Refrain zu wechseln,
geht es direkt ins Outro (das ist der Teil indem
dann alle „naa na na nana na na“ singen). Dieses
Outro wiederum ist der Grund warum der Song
auf sieben Minuten kommt, allein die Hälfte da-
von geht nämlich auf sein Konto. Interessant ist
auch, dass es hier, wie oben schon angedeutet,
zu einem Tonart-Wechsel kommt. Außerdem
wird hier nochmal die volle Breitseite aufge-
fahren. Nach und nach wird das Outro nämlich
um eine große Streicher-Sektion und einen Chor
erweitert und klingt so immer größer.
Ab in die Moderne
Als die Band Oasis Anfang der 90er-Jahre auf
der Bildfläche der Musikszene erschien, be-
zeichneten sie sich als zweitgrößte Band der
Welt.
Noch größer seien lediglich die Beatles.
Live gehört es schließlich zum guten Ton immer
mal wieder ein Beatles-Cover ins Set einzubau-
en. Und schließlich engagierten sie in den Jahren
2004–2008 sogar Zak Starkey, Sohn von Beat-
les-Drummer Ringo Starr, als Schlagzeuger.
»
„Hey Jude“ ist schlicht produziert und wirkt
einzig und allein über das Songwriting.«
George Harrison hinzu. Außerdem spielt Ringo
Starr ab hier mit einem Tambourin mit. Im ersten
Refrain setzt dann die Rhythmusgruppe (Schlag-
zeug und Bass) ein, außerdem kommt ein mehr-
stimmiger Chor hinzu. Nun ist also die ganze
Band versammelt und spielt sich gemeinsam
durch den Rest des Songs. Nach der dritten
Strophe wird der Refrain gedoppelt, danach geht
Der Song steht, wie man leicht an der Strophe
erkennen kann, in F-dur. Statt sich nun aber auf
die Standardakkorde in dieser Tonart zu be-
schränken, werden fast alle verfügbaren Akkorde
verwendet und diese zudem noch reichlich mit
Zusatztönen angereichert. Gleich im dritten Takt
wird der C-Dur-Dreiklang (C, E, G) um die Septi-
me H und danach um den vierten Ton der Tonlei-
ter (also das F) erweitert. Der Zusatz „Sus4“
meint nichts anderes, als dass der vierte Ton der
zugrunde liegenden Tonleiter dem jeweiligen Ak-
kord hinzugefügt wird. Um Reibungen zu ver-
meiden verzichtet man zudem auf die dritte Stu-
fe, die Terz (in dem Fall das E). Mit diesen beiden
kleinen Eingriffen wird das schnöde Akkordsche-
ma plötzlich interessant.
Oasis – Dont´t Look
Back In Anger
„Don´t Look Back In Anger“ erschien auf Oasis
zweitem Album „(What's The Story) Morning
Glory?“
aus dem Jahre 1995. das Album gilt bei
Im Refrain greifen die Herren Lennon/Mc-
Cartney zu einem weiteren Kunstgriff.
Ab dem B-Dur im 2. Takt gibt es eine abfallende
Basslinie bis hin zum E im Akkord C/E im vorletz-
ten Takt. Nach dem B geht es nämlich zu einem
B mit A im Bass, also einen Halbton tiefer, dann
weiter zum Gm. Die Septime aus Gm7 im nächs-
ten Halbtakt wiederum ist F und liegt nur einen
Ganzton unter dem G. Schließlich landet man
beim E welches bei C-Dur ebenfalls im Bass liegt.
Wie haben also im Bass folgende linie: B, A, G, F
und E und damit eine schön absteigende Linie
die den Refrain zusammenhält.
Lasst euch nicht verwirren von den vielen Ak-
korden im Interlude.
Eigentlich ist das nur eine
kurze zweitaktige Melodiephrase. Die Zusatztö-
Die erste Pop-Band:
Die aus Liverpool stammenden Fab Four „The Beatles“.
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Workshop: Songwriting
vielen als das Britpop-Album schlechthin. Gleich-
zeitig markiert es auch einen Höhepunkt in der
Geschichte der Band. Weder was die Qualität ih-
rer Alben noch die Verkaufszahlen angeht. Das
Besondere an dem Song: Nicht Sänger Liam son-
dern sein Bruder Noel, eigentlich Gitarrist und
Songwriter der Band, singt den Song. Der Song ist
einerseits extrem typisch für den Britpop der
90er-Jahre, zum anderen enthält er ganz deut-
liche Hinweise auf die Fab Four aus Liverpool. Zu-
nächst schauen wir uns jedoch die Harmonien
und den Ablauf des Stückes an. In dem eigentlich
simplen Stück stecken nämlich ein paar pfiffige
Details wie wir gleich sehen werden.
Der Song besteht harmonisch gesehen nur aus
zwei Teilen: Strophe beziehungsweise Refrain
und einer Bridge.
Strophe und Refrain setzen
sich nämlich aus dem gleichen Akkord-Schema
letzten Zeile der Bridge, wo ein E-Dur-Akkord mit
einem G#, also der Terz, im Bass vorkommt. Aber
genau dieser schräge Akkord stimmt uns so richtig
auf den nun folgenden Refrain ein.
Wissen
Wichtige Klassiker
Auch diesmal gibts natürlich einige Vor-
schläge die ihr euch anhören könnt um
euch weiter mit dem Thema Britpop zu
beschäftigen:
Von den Beatles kann man sich mehr oder
weniger alles mal anhören. Highlights sind
aber die späten Alben wie „Revolver“ und
natürlich „Sergeant Pepper“.
Wer sich für die Aufnahmen der Beatles
interessiert dem sei das Buch „Recording
the Beatles“ empfohlen in dem die Autoren
detailliert nachzeichnen wie und mit
welchem Equipment die legendären Alben
entstanden. (http://www.recordingthe-
beatles.com/)
Von Oasis empfehlenswert sind vor allem
die ersten beiden Alben „Definitely Maybe“
und „What´s the story, Morning Glory?“
Größter Konkurrent von Oasis um die Krone
des Britpop waren natürlich Blur.
„Urban Hymns“ von The Verve ist ebenfalls
ein gutes Beispiel von stadiontauglichem,
leicht größenwahnsinnigem Britpop.
Weitere Britpop-Bands waren oder sind:
Radiohead, Coldplay, Pulp, Supergrass oder
auch Suede.
Ablauf
Intro:
2 x | C | Am |
(Akkorde der Strophe)
Strophe (2 x das Schema)
Bridge
Refrain
Interlude
(ebenfalls Schema von Strophe und
Refrain)
2. Strophe
Bridge
2. Refrain
Gitarrensolo
(Bridge Schema)
3. Refrain
Interlude 2:
C G Am F Fm
Outro:
(1 x das Refrain-/Strophe-Schema)
»
„Don´t Look Back In Anger“ enthält ganz deut-
liche Hinweise auf die Fab Four aus Liverpool.«
Kommen wir also zum Arrangement des Stü-
ckes und zu den Einflüssen der Pilzköpfe.
Gleich das Intro des Stückes mit dem Klavierpart
ist eine nicht zu überhörende Referenz an John
Lennon. Selbst ein musikalischer Laie kann hö-
ren, dass es sich hier um das exakt gleiche Intro
wie auf Lennons „Imagine“ handelt. Weiter geht
es ein paar Takte später mit dem Drumauftakt.
Dieses Fill kann man so oder so ähnlich unzähli-
ge Male auch bei Ringo Starr bewundern – zum
Beispiel ebenfalls bei „Hey Jude“.
Es folgt die erste Strophe die weiterhin haupt-
sächlich durch das Klavier zusammengehalten
wird.
Die Gitarre spielt, wie im ganzen Song im-
mer wieder kleine Linien in die Pausen. Außer-
dem schrammelt eine zweite Gitarre die Akkorde
leicht verzerrt mit. In der Bridge kommt ein Cello
mit einer langen getragenen Linie hinzu und im
Refrain setzt dann noch ein Tambourin ein, wel-
ches dem Song etwas zusätzlichen Drive ver-
leiht. Außerdem wird hier das Cello plötzlich zu
zusammen. Zwischen diesen beiden Teilen gibt es,
gewissermassen als Überleitung, noch eine Bridge.
Beide Teile werden mehr oder weniger stur ab-
wechselnd gespielt. Interessant sind aber die klei-
nen Abweichungen die dafür sorgen, dass trotz-
dem keine Langeweile aufkommt.
Strophe beziehungsweise Refrain:
| C G | Am E | F G | C Am G |
Bridge:
| F Fm | C |
| F Fm | C |
| F Fm | C |
| G | E/G# | Am G | F G | G | G |
Der Song steht grob gesagt in C-Dur, weißt aber
einige kleine harmonische Abweichungen davon
auf. So kommt im Strophe/Refrain-Teil ein E-
Dur-Akkord vor, der da eigentlich nicht hinpasst,
da seine Terz (G#) nicht in C-Dur vorkommt. Statt-
dessen erwartet man eigentlich einen E-Moll-Ak-
kord. Folglich reibt sich dieser Akkord im Arrange-
ment auch etwas und wirkt ein wenig fremd. In
der Bridge kommen wir zu den nächsten Abwei-
chungen vom reinen C-Dur. Der
zweite Akkord ist hier F-Moll wel-
ches natürlich im Gegensatz zum
vorher stehenden F-Dur ebenfalls
nicht in C-Dur vorkommt. Aber diese
Verschiebung von einem Dur zu einem
Moll-Akkord gleichen namens klingt
unglaublich effektvoll. Versucht ruhig
auch selber mal diesen Kniff in eure
Kompositionen einfließen zu lassen.
Ganz schräg wirds dann noch in der
einer ganzen Streicher-Sektion aufgeblasen. Nach
der zweiten Strophe folgt die nächste Bridge mit
einer kleinen Variation. Statt dem Tambourin
kommen hier Handclaps zum Einsatz. Nach dem
zweiten Refrain kommt dann ein melodiös ge-
haltenes Gitarren-Solo. Noch ein Wort zur Rhyth-
musgruppe: das Schlagzeug spielt einen leichten
Groove mit vielen Variationen und den schon an-
gedeuteten „Ringo Starr“-Fills. Der Bass könnte
unauffälliger nicht sein. Meist werden nur die
Grundtöne gespielt um den Songs ein harmo-
nisches Fundament zu verleihen.
Kommen wir zum Sound von Oasis: Groß muss
es klingen!
Dabei ist es nicht schlimm wenn es
nach Retro und den 60ern klingt. Auf keinen Fall
will man einen HiFi-sound wie in den 80ern! Al-
so die Amps aufgerissen und das Schlagzeug in
den großen Aufnahmeraum verfrachtet, damit
es schön hallt. Vintage-Gitarren sind genauso
angesagt wie alte E-Pianos und dumpf klingende
Klaviere. Natürlich darf auf der Stimme ein biss-
chen Bandecho und ein schöner, warmer Plat-
tenhall nicht fehlen.
Moritz Maier
Das Britpop-Album schlechthin:
Oasis – (What´s the story) Morning Glory
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