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Toneguide
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Immer schön die Balance halten
Rasant und schnittig geht es weiter, denn wir sind ja immer noch dabei,
unseren Sound auf breite Reifen zu stellen, tieferzulegen und den Motor
zu frisieren – oder kurz und neudeutsch: zu pimpen. Sehen wir also nach,
ob der neue Spoiler auch an der richtigen Stelle sitzt.
Arne Frank
Auf der Suche nach dem „fetten“ Sound
haben wir die einleuchtende traditionelle Me-
thode in der letzten Folge abgehakt: „Mächtige
Gitarre = mächtiger Sound“, okay. Nur gibt es
eben eine ganze Reihe von Gitarristen, die sich
trotzdem keine dicke Mahagoniplanke umhängen
möchten. Viele kommen mit dem Handling und
dem traditionelleren Spielgefühl nicht klar
oder können einfach nicht auf ein unterfrästes
Double-Locking-Vibrato verzichten. Außerdem
kann so ein „Gerät“ schon nach der ersten halben
Stunde auf der Bühne ganz schön an Schulter-
und Nackenmuskeln zerren.
Die deutlich leichteren, aber dafür meist umso
aufwändiger gebauten Nobelteile mit gewölbter
Riegelahorndecke und eingeleimtem Hals (à la
PRS) kommen andererseits auch nicht für jeden
in Frage. Da ist zum einen das Budget. Zum
anderen traut sich mancher nicht, mit solch
einem potenziellen Erbstück „on stage“ zu gehen,
weil die womöglich exzessive Performance dort
unweigerlich ihre Spuren hinterlassen wird. Na-
türlich gibt es auch günstigere Kopien solcher
Modelle, aber die bringen wiederum ihre eigenen
Image-Probleme mit. Kurzum, es muss noch einen
anderen Weg geben. Tut es, wir hatten es schon
angesprochen – überlassen wir die „schmutzige“
Arbeit doch den Tonabnehmern!
Heiße Axt zum heißen Amp
Folglich heißt unsere neue Gleichung: „Leichte
Schraubhalsgitarre + Heavy-Pickup = immer
noch fetter Sound“. Eines liegt auf der Hand:
gerade bei einer bühnenfreundlichen, also rü-
ckenschonenden „Lite-Gitarre“ hat die Elektronik
unweigerlich ein besonders gewichtiges Wört-
chen mitzureden. Und das gilt nicht nur für
Extremformen wie Parkers Fly oder Yamahas
RGX A2 Air-Guitar.
Parker nimmt’s leicht
Heiße „Hotrod-Maschine“ im 80s-Styling
Futuristische Lite-Designs sind im Trend
Die meisten Vertreter der Gattung „moderne
Power-Gitarre“ sind jedoch, trotz gepimpter
Hardware und Elektronik, keine extremen Mager-
Models, sondern mehr oder weniger traditionel-
le Schraubhalskonstruktionen. Das funktioniert
sehr gut. Viele Hersteller konnten und können
sich für diese Konstruktion begeistern. Eine Zeit
lang sah es sogar beinahe so aus, als würden die
heißgemachten, grellbunten „Super-Strats“ alles
andere vom Markt verdrängen. Man denke etwa
an die zahlreichen schnittigen Modelle aus dem
Hause Ibanez, Jackson/Charvel oder ESP, die
während den Achtziger und frühen Neunziger
die Schaufenster der Musikläden unangefochten
dominierten.
Erst nach der Trendwende durch Grunge
und Vintage-Manie setzte ganz allmählich ein
Umdenkprozess ein. Mittlerweile kann man von
einer weitgehend friedfertigen Koexistenz der
unterschiedlichen Designs sprechen. (Gut so
– denkt an das Kapitel übers Teamplaying aus
der vorletzten Toneguide-Folge!)
Das Pimping-Prinzip funktioniert also,
aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Sonst würden wir wahrscheinlich alle nur noch
solche leichten, relativ günstig herzustellenden
Instrumente spielen. In der Realität sieht es
nämlich so aus, dass der moderne, tiefergelegte
E-Gitarrentyp fast immer mit ebenso modernen
Verstärkern kombiniert wird. Eine entsprechend
aufgebrezelte, kaskadierte (sprich: eine Gain-
Stufe „füttert“ die nächste) Vorstufenschaltung
sorgt dabei für das zusätzliche Gain, das benötigt
wird, um den Sound der drahtigen Leichtgitar-
ren anzufetten und das fehlende Sustain fürs
Solospiel technisch zu verlängern. Erst damit
wird das Ganze angenehm fürs Ohr.
Ein geradlinig aufgebauter Verstärker alter
Schule ist allerdings nicht unbedingt der ideale
Partner für extraheiße Tonabnehmer. Da wirkt
der Gitarrensound zwar ebenfalls lauter und über-
steuerter, klingt aber meist ziemlich hart, spröde
und wenig dynamisch. Die leicht komprimie-
rende und obertonfreudige Wiedergabe eines
High-Gain-fähigen Amps gleicht die Ecken und
Kanten im Klangbild der „Heißsporne“ hingegen
wirkungsvoll aus. Dazu muss und sollte man den
Gain-Regler gar nicht so weit aufreißen, denn
zu viel Verzerrung macht den Sound kaputter,
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nicht besser – siehe letzte Folge. Es geht in
erster Linie um die klanglich verdichtende
Wirkung einer solchen Schaltung. Also, Problem
gelöst? Na, fast.
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Hier kommt der saftige Ton aus der
Konstruktion, …
Klingen heiße Pickups am Old-school-Amp
häufig noch etwas „fuzzy“, …
… da aus dem aktiven Pickup
… tönt das Ganze mit einem High-Gain-Amp
gleich viel geschmeidiger
Wie man langsam erahnen kann, ist es tatsächlich
gar nicht mal so leicht, einen High-Output-
Pickup zu bauen, der zwar genügend Pegel und
Punch liefert, dabei aber nicht dumpf oder gif-
tig, bretthart oder gar synthetisch rüberkommt.
Das kann jeder, der solche Tonabnehmer in
seine Gitarre einbaut, rasch feststellen, auch
ohne in die Tiefen der Materie einzusteigen
(Magnetfeld, Spulenkonstruktion, Induktion,
Gleichstromwiderstand, Faradaysches Gesetz,
Elektronenfluss).
Ein beliebtes Motto vieler Do-it-Yourselfer for-
derte schon so manches Opfer. Und ich meine
jetzt nicht die Typen, die ihr Radio ausein-
anderschrauben, ohne vorher den Stecker zu
ziehen, nein. Wie viele brave und alt gediente
Strats, Teles und sogar Paulas (die man heute der
Vintage-Sektion zurechnen würde) traktierte man
in den metal-manischen achtziger und neunziger
Jahren mit Stechbeitel und Bohrmaschine, um
gnadenlos Platz für Power-Humbucker und ein
Floyd-Rose-System zu schaffen?
Hier versagt die „elektronische“ Simulation
es verdammt schwierig, sich derlei klassischen
Klangbildern anzunähern. Da funktioniert die
Quasi-Geschlechtsumwandlung via Pickup nur
höchst unzureichend. Es ist zwar nicht voll-
kommen unmöglich, eine gewisse Annäherung
zu erzielen, aber der technische Rahmen ist in
diesem Fall schon sehr eng gesteckt.
Noch gemeiner: Ein Pickup, der in Gitarre
A prima funktioniert, muss im Zusammenspiel
mit Gitarre B noch lange nicht gut klingen,
selbst wenn es sich um praktisch baugleiche
Instrumente handelt. Es ist zum Haareraufen!
Doch erst wenn die vom Instrument ange-
botenen akustischen Frequenzanteile mit der
Filterwirkung des Tonabnehmers und der cha-
rakteristischen Klangfärbung des Verstärkers
Hand in Hand gehen, entsteht daraus ein
angenehmer Sound. Das ist ein bisschen wie
bei einem dreidimensionalen Puzzlespiel für
Fortgeschrittene: Wenn die Teile nicht haarklein
zusammenpassen, wird am Ende leider kein
richtiges Bild daraus, und das Produkt der Mühen
fällt womöglich sogar in sich zusammen.
Wo gehobelt wird, da fallen Späne
Besser wurde der Sound dadurch aber tat-
sächlich eher selten, mal ganz abgesehen vom
Wertverlust. Selbst ein zugegebenermaßen be-
gabter Hobbybastler namens Eddie Van Halen
produzierte reichlich Schrott und Sägespäne,
bevor er mit seinen gestreiften Frankenstein-
Kreationen, weit mehr jedoch mit seiner inno-
vativen Spielweise für Furore sorgte. Nur, die
Kisten mit den übrig gebliebenen Parts seiner
Fehlversuche bekam natürlich keiner zu Gesicht.
Wer sich mal die Mühe macht, die Spezi-
fikationen der heute erhältlichen High-Tech-Gi-
tarren genauer zu checken, wird feststellen, dass
sich offenbar bestimmte Konstruktionsweisen und
Materialkombinationen immer wieder bewährt
haben. Sollen ein modernes Feinstimmervibrato
oder High-Output-Tonabnehmer zum Einsatz
kommen, wird die übrige Gitarre sozusagen
Sound-Puzzle in 3D
Dass die wenigsten „heißen“ Pickups sich für
cleanere Sounds anbieten, ist ebenfalls keine
große Überraschung. Lediglich einige aktive
Tonabnehmer mit eingebautem Vorverstärker
erfüllen diese Funktion noch zufriedenstellend.
Die aktive Elektronik sorgt für ausreichend
Frische und glättet gleichzeitig die etwas
rumpelige Dynamik (siehe oben zu modernen
Verstärkervorstufen). Das klingt nicht schlecht,
wenn auch eher „technisch“ als „organisch“.
Nur mit dem Pegel am Input des Amps
muss man natürlich trotzdem aufpassen. Somit
haben Fans traditioneller Jazz- und Blues- oder
überhaupt semiakustischer Sounds hier leider
das Nachsehen. Ohne die passende Gitarre wird
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These ableiten: Nämlich „Fett + noch mehr Fett =
super-fett“! Das muss ja dann wohl auch super-
geil klingen, oder? Bedauerlicherweise nicht.
Nun bekommen ja einige einfach nie genug
oder schlichtweg den Hals nicht voll. Das gilt
nicht nur für Investment-Banker, sondern leider
auch für so manchen Musiker. So wird dann
also ein eh schon üppiges Gitarrenmodell, etwa
eine Les Paul oder ähnliches, zusätzlich mit
kräftig drückenden Pickups „verbessert“. Eine
vermeintlich logische Maßnahme, die allerdings
nicht selten zu der schmerzhaften Erkenntnis
führt, dass eine bereits akustisch fett klingende
Gitarre in Kombination mit den beliebten Power-
Pickups nur noch sinnlos herummatscht.
Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die
nunmehr unkontrolliert ausufernden „Druck-
frequenzen“ drücken tatsächlich, und zwar dem
Verstärker regelrecht die Gurgel zu. Von wegen
Dynamik, konkrete Power, kontrollierte Sound-
Wucht: Der Sound wird zwar laut und drängt sich
penetrant in alle unbesetzten Luftlöcher, klingt
aber weder schön noch druckvoll, sondern eher
undifferenziert und breiig.
Selbst der stabilste Amp lässt sich eben nicht
unbegrenzt auf die Input-Buchse „hauen“,
zumindest nicht ungestraft. Es ist wie mit der
Badewanne: Ist sie voll, sollte man den Was-
serhahn besser zudrehen, sonst läuft sie über.
Noch voller wird sie jedenfalls nicht, egal wie
viel man dann noch hinterherkippt. Oder wischt
ihr vielleicht gerne den Boden auf?
um diese Komponenten herum konstruiert. Wir
können von Glück sagen, dass uns die Hersteller,
die entsprechend konzipierte Gitarren anbieten,
die harte Forschungsarbeit abnehmen.
Aber auch dann gilt: Das Objekt der Kauf-
begierde unbedingt mit dem eigenen oder
zumindest einem möglichst vergleichbaren Ver-
stärker-Setup antesten, denn sonst kann es herbe
Enttäuschungen geben (siehe oben).
Dynamische Signalkette
Ähnlich überflüssig ist – von bewusst synthe-
tischen Fuzz-Geschichten abgesehen – ein Dis-
tortion-Pedal vor dem aufgerissenen High-
Gain-Kanal des Verstärkers. Wenigstens kann
man dieses recht problemlos wieder aus dem
Signalweg entfernen, was bei Tonabnehmern
nicht ganz so schnell geht.
Wenn ihr auf euren Lieblingsverzerrer nicht
verzichten könnt, dann aktiviert diesen besser
bei cleanem oder maximal crunchy eingestelltem
Verstärker. So macht es unter anderem auch Joe
Satriani, und zwar um alternative Klangtexturen
zu erzielen – und nicht etwa, um seinen Sound
im Gain-Sumpf zu ertränken.
Ein dezent justiertes Overdrive-Pedal als
Solo-Boost für extradicke Leadlines vor einem
schon saftig zerrenden Amp ist ebenfall okay,
siehe Slash oder Zakk Wylde. Aber darüber
hinaus wird es eher unsinnig, zumindest sofern
euer Sound noch nach Gitarre klingen soll – und
nicht nach Rasenmäher oder Tuba.
Ihr kennt vermutlich alle den alten Musiker-
witz: „Was heißt hier dynamischer spielen? Ich
spiel doch schon, so laut ich kann!“ Um das zu
vermeiden, müssen wir unserem Sound unbedingt
genügend „Luft“ lassen.
Probiert das lieber nicht an eurer
Vintage-Strat aus, …
Was hier noch Sinn ergibt, …
Extra-Gain bitte in Maßen – nicht in Massen
Metal-Gewitter und Wattebäuschchen
… sonst sieht sie nachher vielleicht so aus
Die Signalkette muss einfach in sich stimmen
und in der Lage sein, dynamisch auf unser Spiel
zu reagieren. Daraus ergeben sich ein paar recht
einleuchtende, abschließende Überlegungen:
Klingt die Gitarre bereits akustisch rund und
wuchtig, sollten dezente Pickups und ein einfach
aufgebauter Verstärker genügen (siehe AC/DC).
Handelt es sich dagegen um ein leichtes
Schraubhalsexemplar mit akustisch eher dünner
Stimme, dürfen Tonabnehmer oder Amp schon
deftiger aufspielen (siehe Van Halen). In jedem
Fall sollten Instrument und Verstärker möglichst
XXL-Portion in der Badewanne
Der aktuelle Punkte-, besser gesagt Erkenntnis-
stand zeigt uns: Eine saftig tönende Gitarre
und eher dezente Pickups ergeben einen aus-
gewogenen, druckvollen Sound (siehe oben).
Die Rechnung „Knackige Gitarre + deftige
Tonabnehmer = fetter Sound“ geht in aller
Regel ebenfalls auf. Daraus ließe sich nun ohne
übermäßige Anstrengung noch eine weitere
… ist da vielleicht schon des Guten zu viel
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Zu viel Zerre ist einfach, äh, nicht gesund, …
Genügend Gain für Angus & Co.
Unterbrechung durchgebrettert. Erst die dyna-
mische Variation macht das Metal-Gewitter so
beeindruckend. Das gilt im Übrigen nicht nur für
hart rockende High-Gain-Headbanger.
Auch die feingeistiger veranlagten Pop-,
Jazz- und Fusion-Gitarristen, die es cleaner
lieben, übertreiben es gerne mal mit dem Sahne-
becher: Hier noch ein Compressor-Pedal, da
noch ein Schuss Chorus, und am Ende bleibt die
geronnene „Gitarren-Sauce“ wie Spachtelmasse
im Ohr kleben. Da wirken dann die mühsam ein-
studierten Arpeggien, Akkord-Cluster und pfeil-
schnellen In/Out-Licks so spannend, als ob man
mit Wattebäuschchen beworfen wird. Bedenkt,
dass aus einem super-fetten Sound eben schnell
auch ein nichtssagendes Summen werden kann.
… zu viel Sahne auch nicht
optimal zusammenarbeiten, sich klanglich und
charakterlich ergänzen. Eine fett klingende
Gitarre mit extra-lauten Pickups über einen
mächtig drückenden High-Gain-Amp zu spielen,
ist schließlich zu viel des Guten.
Selbst Giganten wie Metallica haben lange
gebraucht und verwenden noch heute viel Zeit
darauf, ihre Anlagen frequenzmäßig so abzu-
stimmen, dass es wirklich „rockt“, statt nur
zu dröhnen. Es wird auch nicht mehr ohne
Kontrollierte Sound-Ekstase
Ein guter, kraftvoller Gitarrensound ist eine
ziemlich komplexe Angelegenheit. Er lebt von
der gelungenen Balance zwischen Punch und
Präzision, Druck und Dynamik, Artikulation
und Power. Man muss die Sound-Ekstase noch
kontrollieren können. Sonst lässt sich nicht ver-
nünftig damit arbeiten oder das Klangbild nicht
formen. Das reduziert unsere spieltechnischen
Ausdrucksmöglichkeiten und macht unseren
Sound letztlich flach und langweilig. Und das
will schließlich keiner von uns.
Arne Frank
Selbst „Captain Kirk H.“ spielt nicht
immer volle Lotte