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gear
Toneguide
Klangphilosophie:
Fit für die harte Praxis
Gibt es den ultimativen Sound, der für alle jederzeit der beste ist? Natürlich
nicht. Jeder Musiker ist anders, und daraus ergeben sich ganz unterschiedliche
Anforderungen an die technische Ausrüstung. Aber ein wenig angewandte
Sound-Philosophie mit praktischem Hintergrund hilft bei der Orientierung
im Chaos des Musikeralltags.
Arne Frank
Es ist wie im wahren Leben: Zunächst sollten wir
uns fragen, wohin wir eigentlich wollen. Dann stellt
sich die Frage, welchen Weg wir dafür am besten
einschlagen. Das mag sich philosophisch anhören,
ist aber schlichtweg wahr. Immer wieder haben wir
im Rahmen des Toneguide versucht, möglichst alle
wichtigen Faktoren zu benennen und verständlich
zu machen, die aus dem zarten, empfindlichen
Elektronenrinnsal an der Ausgangsbuchse unseres
Instrumentes einen ausgewachsenen Gitarrensound
machen. Dabei konnten wir mehr als einmal
feststellen, dass a) viele Wege nach Rom führen
(und noch viel mehr daran vorbei) und b) es die
eine allein selig machende Lösung für alle Sound-
Probleme nicht gibt.
Deshalb versuchen wir in dieser Folge,
uns einen Überblick über das große Ganze
zu verschaffen und aus den einzelnen „losen
Blättern“ eine Straßenkarte basteln. Denn ge-
legentlich muss man die gewonnenen An- und
Einsichten und die eigene Erwartungshaltung
überprüfen. Das gilt auch für so etwas Profanes
wie unsere Bühnen-Backline. Dazu sehen wir uns
ein paar Setup-Skizzen an, klären, was sie können
und was sie nicht können, und zeigen dann,
wo sich ihre typischen
Problemzonen befinden.
Ein Sound ist genug ...
... der Rest steckt in den
Fingern! Tja, wohl der
Person, die zu dieser ra-
ren Spezies gehört. Man
denke etwa an Angus und
Bruder Malcolm Young
– (jeweils) ein Sound,
eine unverrückbare Po-
sition in einer Band, die
wie ein Fels allen äu-
ßeren Einflüssen trotzt.
Ähnliches gilt auch
für so unterschiedliche
musikalische Fixpunkte
wie Chuck Berry, Brian
Setzer, Slash, Zakk Wylde
oder Keith Richards. Eine
Gitarre, ein Kabel und
minimales Equipment =
Ein Mann, ein Sound!
So sehen Puristen aus
Dynamik pur! Na,
das ist ja simpel,
das kann doch
nun wirklich jeder,
oder? Im Prinzip
schon, aber nur,
wenn eure Band-,
Proberaum- und
Gig-Situation das
auch zulässt. Na-
türlich klingt ein
satt angesteuertes
Röhren-Halfstack
super. Nur geht das
eben nicht ohne
entsprechenden
Pegel.
Zum Glück gibt
es mittlerweile ei-
nige Tricks, um
Brüllende Dinosaurier ...
des „Lärms“ Herr
zu werden. Wer
solch einen röhrenden Dinosaurier besitzt,
kann ihn etwa mit speziellen Röhren-Adaptern
(Tonebones von TAD) zügeln, die einfach anstelle
der Endstufenröhren eingesetzt werden und eine
gewisse, leider nur feste Pegelabsenkung bringen.
Das Tonebones-Tuning ist aber klanglich meist
wesentlich überzeugender als irgendwelche
Trioden-, Halfdrive-, Class-A-Schalter, oder was
da bei manchen Verstärkern sonst noch so an
„Onboard“-Maßnahmen zu finden ist.
Soll das Ganze regelbar sein oder noch
deutlich leiser werden, muss ein entsprechender
Lastwiderstand her, der zwischen Amp und Box
geschaltet wird. Spezialwerkzeuge wie der SPL
Cabulator oder der schon länger erhältliche
Silencer von TAD (die wir auch schon in der
letzten Folge gestreift hatten) sind für diesen
Job optimiert und arbeiten in dieser Anwendung
praktisch klangneutral. Allerdings muss man sich
im Klaren darüber sein, dass das menschliche
Ohr zwei unterschiedlich laute Klänge, die
messtechnisch dieselbe Frequenzverteilung
haben, trotzdem anders wahrnimmt. Je leiser
man dreht, desto mittiger erscheint uns der
Sound. Erschwerend komm hinzu, dass die
Lautsprecher selbst ebenfalls anders ansprechen,
wenn sie weniger gefordert werden. Bei leiseren
Einstellungen wirkt das Klangbild deshalb matter
und indirekter. Will man diese Effekte ebenfalls
kompensieren, muss also gegebenenfalls auch
noch eine andere Box oder (als Dauerlösung
für Combo-User) ein Austauschlautsprecher
her. Dieser Purismus geht dann natürlich schon
ordentlich ins Geld.
Weniger ist mehr
In diesem Fall ist also ein kleinerer Amp mit deutlich
weniger Leistung vielleicht doch die bessere, vor
allem aber einfachere Lösung. Außerdem ist er
leichter zu transportieren und braucht auf der
Bühne weniger Platz. Kleine Röhrenracker wie
etwa Fenders „Pro Junior“, Vox’ „Night Train“,
der „Tiny Terror“ von Orange oder der brandneue
„Class5“ aus dem Hause Marshall bringen, tüchtig
aufgedreht, einen großen Crunch-Sound, der
selbst Vintage-Sound-Gourmets beeindrucken
dürfte. Ihr Lautstärkepotential ist perfekt für die
typische Proberaumsituation und kleine Club-Gigs
– eben für das wahre Leben.
Soll es doch mal lauter werden, stellt
man einfach ein Mikrofon vor die Box. Und
... nur für echte Helden?
100
guitar 11/09
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wer bei den Winzlingen Image-Probleme fürchtet, kann sie leicht hinter
einem Dummy-Stack verstecken ... Aber Spaß beiseite: Einen Haken gibt
es natürlich auch hier. Die Leistungsreserven reichen nicht für richtige
Cleansounds, und selbst vorgeschaltete Overdrive- oder Distortion-Pedale
bringen einen derartigen Verstärker schnell an seine Grenzen. Statt mehr
Gain und Power freizumachen, wird der Sound dann nur komprimierter und
Tonebone-Adapter für die
Endstufe
Heavy-Duty-Speaker brauchen
Power
matschiger. Wer also darauf angewiesen ist, wird mit den Mini-Teilen nicht
glücklich. Da muss ein anderes Setup her.
Mehr Kanäle, mehr Pedale oder mehr Amps?
Braucht man mindestens zwei alternativ abrufbare Klangcharaktere, tun sich
wiederum mehrere unterschiedliche Möglichkeiten auf. Die naheliegendste ist
sicherlich ein zwei- oder mehrkanaliger Verstärker: Eine Kiste, ein Fußschalter,
zwei (oder mehr) Sounds. Einfacher Transport und minimale Aufbauzeit sprechen
ebenfalls dafür. Nachteil: Es ist gar nicht so einfach, einen Verstärker zu bauen,
bei dem cleane und übersteuerte Sounds
gleichermaßen gut klingen. Nur selten
kommt man dabei um zwei separate
EQ-Sektionen herum. Auch sonst ist
der Schaltungsaufwand im Inneren
nicht zu unterschätzen. Trotzdem
scheinen die praktischen Überlegungen
zu überwiegen, so dass dieses Konzept
in den letzten Jahrzehnten zum Quasi-
Standard geworden ist.
Alternativ lässt sich auch ein
„cleaner“, sprich entsprechend kräfti-
Fenders heißer Brüllwürfel
ger einkanaliger Amp mit einem oder
mehreren Pedalen (Booster, Overdrive
oder ähnlichem) kombinieren. Der
Verstärker macht den „Basis-Sound“,
die Pedale dienen als „Expander“.
Diese Methode ist ideal, wenn man das
Signal zusätzlich gerne mit weiteren
Raum- und Modulationseffekten
anreichern will. Man braucht sich
nämlich keine großartigen Gedanken
Klein, aber gemein
darüber zu machen, welche Effekte
man wohin platzieren soll. Das
ergibt sich aus der Anwendung
von selbst und ist jederzeit
leicht zu ändern.
Die dritte Methode ist dann
das Multiamping, bei dem also
beispielsweise ein Verstärker für
den übersteuerten und ein anderer
für den cleanen Sound zuständig
ist. Das ist klanglich optimal, da der
jeweilige Amp genau dafür
eingesetzt wird, was er am
Marshalls neuester Streich
besten kann. Außerdem hat
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man die Möglichkeit, mit entsprechendem Zubehör
(Splitbox) unterschiedliche Verstärkercharaktere
zu mischen. Allerdings erhöhen sich dadurch der
Transportaufwand und die Aufbauzeit deutlich.
19“ im Planquadrat
Ziemlich kompakt und, sobald man es erst einmal
verkabelt hat, auch schnell auf- und abgebaut
ist ein Rack-System. Hier gibt es viele Sounds
Oder doch lieber vorschalten?
wohl auf 99 Prozent aller Gitarristen zutreffen
dürfte, wird dafür vermutlich vollstes Verständnis
aufbringen.
Da kommen die immer zahlreicher werden-
den digitalen Modeling-Geräte wie gerufen.
Statt teuer erkaufter, schwer zu transportierender
„Analogmasse“ lässt man die diversen klang-
prägenden Bestandteile des Equipments einfach
per Simulation im Rechner erstehen. Hoch-
wertige Wandler und entsprechende Rechen-
Power vorausgesetzt, sind die Modeler zu
verblüffenden Leistungen fähig. Aber auch die
diesbezüglich deutlich abgespeckten, kleineren
Stand-alone-Geräte leisten Beachtliches.
Vor allem für Top-40- und Partyband-Musiker
oder Alleinunterhalter wurde damit ein Traum
wahr – eine Gitarrenanlage mit allen erdenklichen
Sounds, die problemlos mit in den Gigbag passt
und auf der Bühne keinen Platz braucht. Am
Spielort angekommen, stöpselt man den Output
des Gerätes einfach in die Stagebox, hängt die
Gitarre dran und ist spielbereit.
Diezel Einstein: So sieht’s in einem
modernen Zweikanaler aus
nach Bedarf, die mit den passend ausgewählten
Komponenten qualitativ dem Multiamping kaum
nachstehen. Die Sound-Auswahl ist nicht an die
Leistung gekoppelt, durch den modularen Aufbau
leicht austauschbar, und Effektprozessoren lassen
sich ebenfalls sehr gut integrieren.
Aber so eine praktische 19“-Kiste muss eben
auch erst geplant, bestückt und justiert werden.
Plug & Play ist da doch eher die Ausnahme. Und
sind wir mal ganz ehrlich: So ein Rack sieht auch
nicht annähernd so cool aus wie ein wuchtiges,
chromblitzendes Metal-Topteil. Von kultigem
Vintage-Flair oder dem speziellen Sexappeal
eines abgegriffenen, leicht speckigen Tweed-
Bezugs gar nicht erst zu reden. Einigen wäre das
zwar egal, aber sie scheuen die Schlepperei.
Wer häufig auftritt und seine Anlage selbst
transportieren, auf- und abbauen muss, was
bestehen: wegen des Klangcharakters – und wegen
des Spielgefühls.
Wer es gewohnt ist, eine direkt fühlbare
Reaktion auf seine Spielweise, sozusagen ein
direkt erlebtes „Feedback“, von seinem Verstärker
zu bekommen, für den muss sich ein Modeler so
ähnlich anfühlen wie eine Keyboard-Tastatur aus
Plastik für einen am Flügel geschulten Pianisten
– irgendwie unorganisch und synthetisch. Und
da Musikmachen nun mal nach wie vor ein
kreativer Prozess ist, der viel mit Emotion, Vision
und Vorstellungskraft zu tun hat, wird sich daran
vermutlich auch so bald wenig ändern. Allerdings
wächst derzeit gerade eine neue Generation
heran, für die ein digitales Amp-Model so real
und selbstverständlich ist wie ein mp3-File.
Es wird sich zeigen, ob die Jungs und Mädels,
die damit aufwachsen, später in der virtuellen
Welt bleiben werden oder nicht. Na, vielleicht
fragen wir in 15 Jahren noch mal nach ...
Manchmal sieht man den Wald vor lauter
Bäumen nicht mehr. Nach all den Details, die wir
in den letzten Monaten auf der Suche nach dem
bestmöglichen Sound betrachtet haben, war es
Gefühl oder Vernunft?
Warum sind also nicht alle Live-Musiker längst
auf die digitale Lösung umgeschwenkt? Und das,
obwohl Medien wie CDs und DVDs oder digitale
Effektgeräte doch längst etabliert sind? Vermutlich
aus dem gleichen Grund, warum zahllose Gitarristen
immer noch auf die technisch längst veraltete
Röhrentechnik oder auf analoge Effektschaltungen
Modeling – der Weisheit letzter Schluss?
höchste Zeit, ein paar Schritte zurückzutreten. Nur
so kann man sich einen Überblick verschaffen. Die
Möglichkeiten sind aufgezeigt. Jetzt liegt es an
euch, zu entscheiden, was am besten zu euch und
eurer musikalischen „Gesamtsituation“ passt.
Arne Frank