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Toneguide
© PPVMEDIEN 2010
Monitoring für Gitarristen
Zu den Härten des Gitarristenlebens gehört es, dass wir unseren Sound
nur selten frei und unbeschwert genießen können. Band-Kollegen,
Techniker, Veranstalter und ähnliche Spielverderber haben häufig kein
Verständnis für unsere klanglichen Nöte und Bedürfnisse. Deshalb hier
ein paar Strategien fürs Überleben an der Sound-Front.
Arne Frank
Tage, Wochen und Monate, manchmal sogar
Jahre hast du an deiner Anlage geschraubt,
verkabelt und Gitarren ausprobiert – bis du
endlich deinen Sound gefunden hast. Und
dann das: „He, du, Gitarrist! Mach den
Verstärker leiser, sonst könnt ihr gleich wieder
abbauen!“ Rüde unterbricht der Veranstalter
euren Soundcheck und fuchtelt mit drohender
Gebärde vor deiner Backline herum. Sein
hochroter Kopf und die verschränkten Arme vor
der Brust machen deutlich, dass er es wirklich
ernst meint.
Okay, du könntest jetzt heldenhaft für
Kunst und Ehre einstehen und die Warnung
ignorieren. Nur, der ungehobelte Banause
hat leider Zugang zur Hauptsicherung! Er
versteht zwar nicht, dass dein Amp erst ab
einem bestimmten Arbeitspegel so geil klingt;
auch nicht, dass der Gitarrensound essentiell
für die Band ist. Im schlimmsten Fall versteht
er überhaupt nichts von Musik, und es ist
ihm auch vollkommen egal. Aber … er bezahlt
den Gig und hat deshalb, so oder so, das letzte
Wort. Was nun?
Eine Frage der Ein- und Aufstellung
Solche unschönen Situationen lassen sich
leider nicht völlig vermeiden, aber mit
etwas Überlegung zumindest entschärfen.
So ist es immer eine gute Idee, einen
Verstärker zu wählen, dessen Leis-
tung zur Größenordnung des Veran-
staltungsortes passt. Auch die
Existenz spezieller „Saftschlucker“
ist kein Geheimnis (siehe auch
Toneguide in Ausgabe 11/09).
Es gibt mittlerweile einige
Verstärker (etwa von Mesa,
Genz-Benz oder Egnater), die
eine Leistungsreduktion, sei
es in Form eines nachgeschalte-
ten Power-Attenuators oder einer
direkt auf die Endstufe wirkenden „Low-
Watt-Schaltung“, gleich mit an Bord haben.
Solch ein Gerät ist eine Überlegung wert,
wenn man häufig in ganz unterschiedlichen
Locations, die man vorher auch nicht kennt,
ans Werk geht.
Irgendwie schräg – und trotzdem clever
Aber das Ganze ist nicht nur eine Frage der
Hardware, sondern auch eine der Einstellung
oder, anders betrachet, Aufstellung. Und beides
betrifft sowohl eure Anlage als auch euch
selbst. Gibt es also Stress wegen der Lautstärke,
überprüft zuerst, ob sich euer Combo oder eure
Box nicht auch seitlich neben euch postieren
lassen. So erreicht der Sound besser eure Ohren,
kann vielleicht allein deshalb schon leiser
Sound ist keine Frage der Größe
Ein eigener Monitor pro Musiker ist selten ...
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guitar 9/10
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Da hat man wenig Spaß, wenn auch noch die
Gitarre über die Hamsterboxen trötet, die kaum
den Vokalisten erkennen lassen.
Hier hilft eine möglichst kompakte Zusatzbox,
die man mit an den Amp hängt und entsprechend
ausrichtet. Sicher, John Petrucci oder Carlos
Santana lassen sich für solche Zwecke mal
eben ein paar spezielle Guitar-Wedges von
Mesa/Boogie bauen. Aber es geht auch mit
herkömmlichem Equipment. Zur Not tut es sogar
ein kleiner Übungscombo, den man parallel zur
eigentlichen Anlage fährt: mittels Split-Box oder
einem simplen Effektpedal mit Stereo-Outputs
angesteuert. Das klingt zwar nicht so toll, aber
wenigstens hört man sich einigermaßen und
kann sich über den Gig retten.
Als Dauerlösung empfehlenswerter wäre na-
türlich ein Endstufen-Boxen-Setup, das klang-
lich weitgehend der Hauptanlage entspricht. Sehr
gut realisieren lässt sich so etwas zum Beispiel
bei einem Rack mit Stereo-Endstufe. Eine
Endstufenseite wird für die Mikrofonabnahme
justiert und bleibt so, die andere füttert die
Zusatzbox zur Eigenbeschallung. Diese kann
man nun nachjustieren, ohne den Mann am
Mischpult zu erzürnen.
Kein Witz – da müssen jetzt alle durch!
Mittlerweile hat sich in diesem Bereich deshalb
auf weiter Strecke das so genannte „In-ear
Monitoring“ durchgesetzt. So hat man also noch
nicht mal eine Monitorbox vor sich, sondern
nur noch ein paar kleine Stöpsel im Ohr, die den
kompletten Mix direkt aufs Trommelfell geben.
Der komplette Bandsound wird also durch diese
winzigen Minikopfhörer gepresst. Ähnlich sieht
es auch für Session-Gitarristen bei größeren
Live-Produktionen oder im TV-Studio aus, die
als angestellte Sidemen irgendwelche Pop-
oder Schlager-Stars begleiten oder für Dance-
Performer und dergleichen aufspielen, sofern der
Sound dafür nicht aus der Dose kommt.
In-ear-Monitoring ist grundsätzlich eine
feine Sache: transparente Signalaufteilung, kei-
ne Einstreuungen in die Mikros und keinerlei
Lautstärkeprobleme durch plärrende Bühnen-
boxen sowie einfache Reproduzierbarkeit, da
man von unterschiedlichen akustischen Gege-
benheiten durch wechselnde Auftrittsorte un-
abhängig ist. In der Praxis erweist sich das
Ganze für den Einzelnen dennoch als nicht
... aber es geht ja auch anders
gefahren werden und knallt nicht so nach vorn
in den Publikumsraum.
Noch ein simpler, aber effektiver Trick ist
das Schrägstellen der Lautsprecherbox. Im
Idealfall trifft der direkte Strahl damit nur
die Musiker auf der Bühne und strahlt dann
zur Decke. Publikum und PA-Mischpultplatz
kriegen in diesem Fall nur die Reflexionen ab,
was die Sachlage bereits deutlich entspannen
kann.
Nahfeld-Monitoring
Natürlich gibt es auch Fälle, in denen man sich
trotzdem anderweitig behelfen muss und ein
Umdenken in Bezug auf die „Abhörsituation“
unumgänglich wird. Auf besonders hallig-
knalligen oder resonanzfreudigen Wummer-
bühnen und erst recht bei insgesamt pro-
blematischen Konzerträumen hilft häufig nur
eine rigorose Absenkung der Bühnenlautstärke.
Um das sonst unvermeidliche Klangchaos
einigermaßen in den Griff zu bekommen, be-
treibt man also eine Art Nahfeld-Monitoring.
Die Platzierung nahe am Musiker ersetzt dabei
(hoffentlich) die fehlende Lautstärke. So viel zur
Theorie. Wie sieht das aber praktisch aus?
Steht eine professionelle Monitoranlage zur
Verfügung, lässt man sich den abgenommenen
Sound der Gitarrenanlage vom Mischpult-Chef
nach vorne auf die eigene Monitorbox legen
und vielleicht noch ein bisschen „nach-EQ-en“,
fertig. Allerdings ist diese komfortable Situation
eher die Ausnahme; bei den meisten Gigs wird
man eher mit dem, äh, traditionellen „Reicht-für-
den-Sänger“-Monitoring auskommen müssen.
Realisierbare Dauerlösung:
Endstufen-Boxen-Setup
Hat man bereits einen Combo oder ein Top,
lässt sich das auch mit einer Aktivbox wie
der kompakten Tech 21 Power Engine oder
einem zusätzlichen kleinen Kofferverstärker
bewerkstelligen. Im letzteren Fall belegt man
am besten die Return-Buchse des (hoffentlich
vorhandenen) Effektweges. Übrigens sind für
solche Anwendungen grundsätzlich geschlossene
Boxen vorteilhafter. Teilweise geöffnete Laut-
sprechergehäuse strahlen ja gleichermaßen nach
hinten ab, und damit verspielen wir die präzise
Ausrichtung des Sounds wieder.
In-ear-Lösungen
Pegelreduktion hin oder her – manchmal reicht
selbst strengste Selbstdisziplin nicht aus. Wer
zum Beispiel in einer Top-40-, Tanz- oder
Party-Combo seine harten Brötchen verdient,
bekommt häufig die Ansage, möglichst nur ein
Line-Signal direkt fürs Pult zu liefern und sonst
ja keinen „Lärm“ auf der Bühne zu verursachen.
Statt stereo: eine Hälfte für die Backline, eine fürs Monitoring
Der Bandsound lebt und verändert sich
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Ein eigener Mix ist leider aufwendig
ganz unkomplizierte und gewöhnungsbedürftige
Angelegenheit.
Zunächst mal hat der Musiker mit dem Knopf
im Ohr selbst keinen Einfluss mehr auf die
Lautstärke seines Instruments. Man ist also darauf
angewiesen, dass der Techniker am Mischpult
die passende Mixtur auf die Kopfhörer legt.
schon aus Zeitmangel selten drin. Durchaus
üblich ist es daher, einen einmaligen größeren
Soundcheck durchzuführen und mit dieser
Einstellung dann die ganze Tour oder Saison
mehr oder weniger durchzuspielen. Da muss
man schon viel Vertrauen in die Technik-Crew
aufbringen.
Angewiesen auf den
Techniker und seinen Mix
Das sollte mit einem entsprechend ausgiebigen
Soundcheck für alle Beteiligten schon machbar
sein – vorausgesetzt, am Pult stehen überhaupt
genügend Monitorwege für jeden einzelnen
Musiker zur Verfügung.
Doch da erwartet uns schon der nächste
Engpass: Im typischen Bühnenalltag einer „Sub-
Oberliga-Band“ sind allzu ausgiebige Sound-
checks eher nicht vorgesehen. Viel mehr als ein
kurzer Line-Check direkt vor dem Gig ist allein
Lebendes System
Dabei ist ein Band-Mix schon während eines
einzelnen Auftritts nicht statisch, sondern
verändert sich als lebendes System permanent
und individuell. Da langt der Bassist mal vor
lauter Freude allzu kräftig in die Drähte, der
Keyboarder wählt heute einen besonders fetten
Sound, der Schlagzeuger wird erst nach der
ersten Auftrittshälfte richtig warm, und die
Sängerin ist schon wieder heiser. Und mit
dem entsprechenden Adrenalin-Kick werden
normalerweise auch noch alle lauter.
Diesen nicht voraussehbaren Veränderungen
Rechnung zu tragen, ist selbst dem erfahrenen
Mischpultprofi kaum möglich. Schließlich
Digital for DI
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Die praktischen Modeling-Kisten
hat er Wichtigeres zu tun, nämlich dafür zu
sorgen, dass der Sound unten im Publikum gut
ankommt. Wer sich also für ein In-ear-System
entscheidet und nicht gerade in einer Band spielt,
die konsequent mit einem zusätzlichen Mix-
Techniker am Monitorpult arbeitet, sollte sich
über diese Punkte im Klaren sein.
Will man das umgehen, muss man gehörigen
Aufwand betreiben. Dann braucht man nämlich
ein eigenes Pult, muss sich die einzelnen Signale
abzweigen, um sich dann daraus auf der Bühne
selbst den ganz eigenen Mix zu erstellen. Für den
Profigitarristen, der jeden Abend auf der Bühne
steht, mag das angemessen und machbar sein;
für den „Normalmusiker“ nur bedingt.
Virtuelle Weltenwandler
Aber wir lassen uns nicht so leicht davon
abschrecken. Die Idee klingt schließlich doch
zu verlockend, an jedem beliebigen Auftrittsort
den bestmöglichen Band-Mix aufs Ohr zu
bekommen. Stellt sich noch die Frage, womit
wir das Mischpult, das uns selbigen mixen soll,
eigentlich füttern wollen.
Einfachste und flexibelste
Sound-Generatoren
Hier schlägt zunächst mal die Stunde der digita-
len Modeler, die sicherlich die einfachsten und
flexibelsten Sound-Generatoren für diesen Zweck
darstellen. Alle Anlagenkomponenten, wie Amp,
Box und Effekte, werden einfach digital errechnet
und dann gewissermaßen virtuell vorformatiert
direkt ans Mischpult geliefert. Eine saubere und
vor allem praktische Sache. Damit ist man so
flexibel wie ein Keyboarder, dem ja ebenfalls
auf Knopfdruck ganze Klangbibliotheken zur
Verfügung stehen.
Allerdings hat die digitale Pracht auch einen
Nachteil, was vor allem in Verbindung mit einer
reinen In-ear-Lösung schon wahrnehmbar wird.
Die Wandlungsprozesse sorgen, je nach Güte und
Anzahl der eingesetzten Chips, für eine gewisse
Analoge Spezialisten für Bühne und Recording
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Einigen feinnervigen Gitarristen ist selbst das
noch nicht „echt“ genug. Ihnen fehlt eine weitere
wichtige Komponente in der Signalkette: der
Speaker. Auch dafür gibt es glücklicherweise
Lösungen auf dem Markt. Spezialprodukte wie
das „Remote Cab“, die Reußenzehn „Guitar
Recording Box“ oder das „Isolation Cabinet“
von Randall basieren alle auf der gleichen Idee:
Man nehme einen guten Gitarrenlautsprecher,
packe ihn zusammen mit einem typischen
Abnahmemikrofon in eine geschlossene Kiste –
und fertig ist ein vollkommen naturbelassener
Vollkommen natur-
belassener Gitarrensound
Gitarrensound für die PA oder das Recording-
Equipment. Das ist natürlich ganz schön auf-
wendig, aber für Anhänger natürlicher Sounds
definitiv der Königsweg.
Gesundschrumpfen leicht gemacht
Da kann der Gitarrensound noch so gut, fett
und schlichtweg gewaltig sein – wenn das
Umfeld den Pegel nicht duldet, hilft nur
abspecken und „leise machen“. Dabei muss der
Wumms aber nicht auf der Strecke bleiben -
einige mehr als nur brauchbare Lösungen dafür
haben wir nun kennengelernt.
Beim nächsten Mal versuchen wir das Ganze
noch ein bisschen zu optimieren. Damit auch
im „Flüstermodus“ der Spaß am Rocken nicht
zu kurz kommt …
Arne Frank
Oder doch besser der Lieblings-Amp
Trägheit in der Reaktion auf die Spieldynamik.
Der Sound erscheint dadurch zumeist etwas
synthetisch und flach.
Es ist nicht so sehr das gehörte Klangbild,
das kann durchaus authentisch wirken, sondern
eher das Spielgefühl, das irritiert. Dadurch wird
man verleitet, den fehlenden „Punch“ durch hohe
Lautstärke ausgleichen zu wollen, was auf die
Dauer ganz schön aufs Gehör gehen kann.
Analoge Logik
Neben der digitalen Variante bieten sich auch
einige analoge Lösungen für das Problem
an. So liefern die diversen Sansamps aus
dem Hause Tech 21 vom Bodentreter bis zur
Rackschnitte erstklassige Analog-Sounds plus
eine stimmige Speaker-Simulation. Kunststück,
schließlich ist der New Yorker Hersteller ja
genau damit groß geworden. Warum wohl hat
er seine Geräte wohl ausgerechnet „sans amp“
(aus dem „Französenglischen“ übersetzt: „ohne
Verstärker“) genannt?
Einige weitere Hersteller rüsten ihre Voll-
verstärker, aber auch Preamps mit entsprechenden
frequenzkorrigierten Direct-Outputs aus. Mesas
Rectifier Recording Preamp etwa ist solch ein
Spezialprodukt, dessen Schaltung für die DI-
Anwendung optimiert wurde und das auch ohne
Endstufe und Lautsprecher gewaltig abrocken
kann. Na schön, aber was tun, wenn man sich
vom bereits vorhandenen Verstärker nicht tren-
nen möchte?
Eine weitere Möglichkeit besteht darin,
die Endstufe des Lieblings-Amps mit einem
speziellen Lastwiderstand samt analoger
Speaker-Simulation auf DI-verträgliches Line-
Level zu transferieren. Geräte wie der Guitar
Genius der Firma Fischer-Amps, SPLs Trans-
ducer und Cabulator oder TADs Silencer
sind dazu in der Lage und liefern dabei sehr
ansprechende Klangergebnisse.
Box oder nicht Box – das ist hier die Frage
Noch „echter“ geht’s wirklich nicht
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