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gear
Tune it yourself
Zum Dessert:
Hausmannskost
Wie schon des Öfteren angekündigt ist dies, nach
mehr als sieben Jahren, die letzte Ausgabe des TIY mit
„Doc“ M. Schneider als praktizierendem Chirurgen.
Da stellt sich natürlich die Frage, was man zu solch
einem speziellen Anlass durchleuchtet ...
Doc Schneider
Im Laufe der Jahre lagen ja schon diverse sehr
spezielle Themen auf dem Röntgentisch, und die
Resonanz zeigt: Je ausgefallener die Thematik,
desto kleiner der Kreis der Interessenten. Das
soll in der letzten Ausgabe nicht der Fall sein.
Breiteninformation, hilfreich für einen möglichst
großen Leserkreis, ist das Ziel. Ein Thema, das mir
schon immer in den Sinn gekommen ist, aber nie
realisiert wurde, ist ein simples, aber wichtiges
Bauteil vieler Gitarren: der verstellbare Steg,
auch Tune-o-matic-Bridge genannt (Abb. 1). Er
dient dazu, die Saitenlage und die Oktavreinheit
einzustellen.
Voraussetzung für eine gute Funktion des Stegs
ist jedoch seine Funktionstüchtigkeit, und in diesem
Punkt weisen viele Gitarren, die ich zum Service in
die Werkstatt bekomme, erhebliche Probleme auf.
Abb. 2 zeigt einen völlig verbrauchten Steg, der
von einer Gibson SG stammt. Der Gitarrist einer
Punkband klagte über Intonationsprobleme und
unsauber klingende Leersaiten. [Das ist wahrer
Punk! – Red.] Das Detailfoto (Abb. 3) zeigt das
Übel, da die Saite gar nicht mehr so richtig weiß,
wo sie abgestoppt wird. Ganz nebenbei: Was treibt
jemanden dazu, seine Gitarre so verkommen zu
lassen? Waren sieben Jahre TIY völlig umsonst?
Haben sich die Saiten so tief in die Einzelreiter
gefressen, kann es neben der undefinierten Saiten-
Ein Punk-Gitarrist klagt
über Intonationsprobleme
auflage aber auch noch zu anderen Problemen
kommen, wie Abb. 4 demonstriert. Frisst sich die
Saite immer tiefer in den Einzelreiter, kommt es zu
einer Situation, in der die Saite auf die Vorderkante
des Steges (Abb. 4, Pfeil) schlägt. Bei einem harten
Anschlag wird so ein sauberer Ton unmöglich. Ist
ein Steg bereits so zersetzt wie der Steg aus Abb.
2/3, läuft parallel meist ein weiteres Übel: Der Steg
ist durchgebogen. Dieser Umstand wird häufig
übersehen, da dieses Bauteil aus Metall im ersten
Moment als unverwüstlich angesehen wird.
Abb. 5 zeigt die Sollsituation: Ein neuer Steg, bei
dem der Korpus gerade verläuft, was das aufgelegte
Lineal beweist. Abb. 6 zeigt die Ist-Situation nach
mehreren Jahren ungezähmter Rock’n’Roll-Orgien.
In der Mitte ist gut zu erkennen, wie stark sich der
Steg nach unten durchgebogen hat.
Durchhänger mit Folgen
Die Konsequenz des „Durchhängers“ wird in
Abb. 7 deutlich: Gitarrenstege sind so konstruiert,
dass ihre Einzelreiter einer Kurve folgen, die in
etwa dem Griffbrettradius folgen sollte. Ist der Steg
nach unten durchgebogen (Abb. 6), folgt er nicht
mehr dem Griffbrettradius, und ein komfortables
Einstellen der Gitarre ist unmöglich. Stellt man
e/E gut ein, sind D/G zu tief. Bringt man D/G
auf ein gutes Maß, ist e/E zu hoch. Das wird so
nichts, zumal die durchgefressenen Saitenreiter das
Abb. 5:
Soll-Situation: Steg neu und gerade
Abb. 1:
Der Tune-o-matic-Steg
Abb. 3:
Abnutzung, so weit das Auge reicht
Abb. 6:
Ist-Situation: durch den Saitendruck
durchgebogener Steg
Abb. 2:
Used and abused:
völlig verbrauchter Gitarrensteg
Abb. 4:
Schepperfalle:
der zu tief gefressene Einzelreiter
Abb. 7:
Alles eine Kurve:
der Verlauf der Einzelreiter
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guitar 12/09
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Abb. 8:
Weit verbreitet: der Schaller-GTM-Steg
Resultat weiter verfälschen. Auch die Intonation ist
nicht so richtig exakt in den Griff zu bekommen.
Man könnte nun annehmen, dass ungeheure
Kräfte wirken müssen, um einen Metallsteg der-
art zu deformieren. Dem ist aber nicht so. Die
meisten Stege sind in einer Art Wabenkonstruktion
gegossen. Als Material weisen mehrere Quellen auf
eine Zink-Legierung hin. Das Problem: Genaue
Herstellerangaben gibt es nicht. Es handelt sich
aber um einen Guss, der offensichtlich nicht
in der Lage ist, höherem Druck über lange Zeit
standzuhalten.
Der Praxisversuch für Interessierte: Legt
man einen handelsüblichen Gitarrensteg (am
besten natürlich einen, der ausgedient hat) mit
seinen äußeren Kanten auf zwei Holzunterlagen
und verteilt mit einem mittelschweren Hammer
beherzte Schläge auf die Mitte des Stegs, wird man
Abb. 9:
Alternative 1: Gewindestangen als Lager
erstaunt sein, wie leicht der Hammer treffen muss,
um den Steg zu verformen.
Abb. 10:
Alternative 2: Lagerung auf Gewindebolzen
begutachten sowie Maß nehmen. Das Resultat:
unendliche Möglichkeiten, die von Hersteller
zu Hersteller variieren. Dem Unschlüssigen rate
ich, beim Hersteller nachzufragen oder dessen
Homepage einzusehen und, falls möglich, auf
Originalersatzteile zurückzugreifen. Ist dies nicht
möglich, helfen nur Messen und Vergleichen.
Mit etwas Glück bietet der Ersatzteilmarkt
das passende Bauteil. Sehr weit verbreitet ist der
Schaller-GTM-Steg auf Abb. 8. Er sitzt auf zwei
Gewindebolzen (Abstand ca. 75 mm/Durchmesser
ca. 7 mm Bolzen/ca. 4 mm oberes Ende) und hat
sechs nicht vorgekerbte Einzelreiter (dazu später).
Der Schallersteg ist eine Art Klassiker und kommt
unter anderem auf sehr vielen Gibson-Gitarren
zum Einsatz.
Eine häufig verwendete Alternative zum
GTM-Steg ist der Steg auf Abb. 9 (hier von
Millimeterarbeit gefragt
Nun gibt es zwar nur sehr wenige Gitarristen,
die den mittelschweren Werkstatthammer in ihre
Spieltechnik einbinden, aber das brauchen sie
auch gar nicht, denn die Deformation übernimmt
der Saitendruck. Abhängig vom Winkel Steg/
Saitenhalter und anderer Parameter wie zum
Beispiel Saitenstärke oder -stimmung drücken die
Saiten im Laufe der Jahre den Steg nach unten
durch. Der Steg wird zu einem Verschleißteil, das
ausgetauscht werden sollte.
Dieser Austausch ist durchaus ein TIY-Projekt,
erfordert aber ein gewisses Maß an Millimeterar-
beit. Der erste Schritt: Saiten entfernen, Bolzen
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Abb. 11:
Rückwärts oder vorwärts
– das ist hier die Frage
Duesenberg, gibt’s aber auch von Gotoh und
anderen Herstellern). Hier steht der Steg auf zwei
4-mm-Gewindestangen bei einem Bolzenabstand
von ca. 74 mm. Hinweis: Wer nun meint, die 1-
mm-Differenz im Bolzenabstand zum Schallersteg
durch Kraft (Biegen) ausgleichen zu können,
wird durch sehr schwergängige Rändelmuttern
zur Höheneinstellung bestraft; daher: genau
messen – nicht pfuschen.
Im Unterschied zum GTM-Steg haben diese
Stegtypen häufig Einzelreiter, die mittig vorgekerbt
sind. Eine Variante dieses Stegs (Abb. 10) lagert
nicht auf zwei Gewindestangen, sondern sitzt in
zwei Gewindehülsen (ca. 8mm Gewinde), und der
Bolzen verjüngt sich auf ca. 6,5mm zum Steg hin.
Abb. 12:
Schaller-Rollensteg
auch ein Hinten? Abb. 11 zeigt das Dilemma im
Detail. Soll nun die gerade Kante des Einzelreiters
in Richtung schwingende Saite zeigen, zeigt besser
die abgeschrägte Kante in diese Richtung – oder ist
es einfach egal?
Als Gitarrenbauer mit klassischer Ausbildung
habe ich gelernt, dass die Saite in Richtung Griff-
brett möglichst frei schwingen und möglichst
punktuell abgestoppt werden sollte. Aus dieser
Überlegung heraus bevorzuge ich nach wie vor die
gerade Kante in Richtung der schwingenden Saite.
Abb. 13:
Die beweglichen Rollen
lagern auf Gewindestangen
Callaham verspricht: Hier verbiegt sich nichts.
Glaube ich ihm.
Weniger objektiv, eher persönlich, sind
Callahams Ausführungen zum Soundverhalten.
Die Quintessenz: Ohne einen Callaham-Stahlsteg
gibt es eigentlich gar keinen guten Sound. Da lehnt
sich Herr Callaham ganz gewaltig aus dem Fenster
– aber er macht gute Hardware.
Im krassen Gegensatz dazu stehen
Werkstattkunden, die auf der Suche nach „ihrem“
Sound nach Alubauteilen (Saitenhalter/Steg)
fragen. Zwei Welten – zwei Meinungen mit der
tiefen Schlucht des „Mojo“ in der Mitte. Die einzig
wahre Möglichkeit, einen Absturz zu verhindern:
Test it Yourself ...
Die große Frage: Stahl oder
Alu – Sound oder Mojo?
Dass es auch andersherum funktioniert, zeigt zum
einen die Abb.11, zum anderen beweisen dies aber
auch unzählige funktionierende Gitarren. Nicht
unerwähnt lassen möchte ich die Möglichkeit,
durch Drehen der Einzelreiter (bei vielen Steg-
modellen möglich) den Einstellweg für die Into-
nation zu vergrößern. Sitzt der Steg mal nicht so
ganz an der richtigen Stelle, kann auf dieser Weise
der Einstellbereich um einige Millimeter (abhängig
von der Breite des Reiters) verlängert werden
(siehe Abb. 11, Mitte).
Welche Kante nach vorn?
Sollte der Markt partout nicht das passende
Ersatzteil liefern, können im Extremfall ent-
sprechende Adapter (erhältlich zum Beispiel bei
Göldo oder Stewmac) helfen, Stege an die jeweilige
Einbausituation anzupassen.
Ist die passende Kombination aus Bolzentyp
und Bolzenabstand gefunden, kann der Steg
problemlos montiert werden. Häufig stellt sich
dann aber die Frage: Gibt es ein Vorne und somit
Kein Sitar-Sound
Nach der Qual der Wahl ist die eigentliche End-
montage des Stegs gar nicht mehr so schwierig. Hat
der Steg vorgekerbte Reiter, ist die Saitenführung
vorgegeben. Ich empfehle jedoch, die Kerben dem
Durchmesser der Saiten anzupassen. Mit einer
kleinen Rundfeile genügen ein paar Züge, um
auch die dickeren Saiten tief genug in der Nut zu
versenken. Sie liegen dann sicher in der Nut, und
die Auflage gerät nicht zu punktuell (scharf).
Ähnlich, aber etwas aufwendiger ist die
Montage des GTM-Stegs. Seine Reiter sind nicht
vorgekerbt. Hier kann durch Vermitteln der e/E-
Saiten der Saitenverlauf optimal an das Instrument
angepasst werden (Abb. 14). Verlaufen die äußeren
Saiten wunschgemäß, werden die übrigen Saiten
gleichmäßig vermittelt (Abb. 15, X).
Hierzu reiße ich die Einzelreiter mit einer
Dreiecksfeile leicht an, bevor ich sie im Anschluss
mit der schon erwähnten Rundfeile auf die
entsprechende Saitenstärke auffeile. Dies geschieht
mit etwas Ruhe und Geduld, da man natürlich
nicht grob fahrlässig schon beim neuen Steg die
Situation von Abb. 4 herbeiführen sollte.
Die Feile wird leicht schräg nach hinten
geführt (weg vom Griffbrett), damit eine saubere
Abdruckstelle entsteht und kein Kanal, in dem die
Saite undefiniert herumschwingt (Sitar-Sound).
Im Abschluss werden Metallgrate entfernt (Feile
oder feines Schleifpapier), die Saitenlage und die
Intonation eingestellt, so dass das Instrument
nun fit für die nächste Rock’n’Roll-Dekade ist.
Und wieder verlässt ein Patient noch leicht
schwankend, aber genesen den Operationssaal.
Diesmal begleite ich ihn jedoch, knipse das Licht
aus und sage, recht zufrieden mit der Arbeit und
dem Team: Tschüss – euer Doc.
Michael „Doc“ Schneider
Rollenspiele
Eine weitere populäre Spezies ist der Schaller-
Rollensattel (Abb. 12). Bei ihm übernehmen kleine
Rollen die Funktion der Saitenführung (Abb. 13).
Das Praktische daran: Der Saitenabstand kann
ganz bequem durch die Rollen eingestellt werden,
die sich durch Drehen in ihrer Lage verstellen
lassen. Zu beachten ist jedoch, dass sie sich nicht
nachkerben lassen, so dass der Rollensteg in
seinem Radius (Abb. 7) schon sehr gut mit dem
Griffbrettradius korrespondieren sollte, sonst
klappt es möglicherweise nicht so richtig gut mit
der Saitenlage (Daten dazu findet ihr auf der infor-
mativen Schaller-Homepage).
Allerdings mögen viele Puristen den
Gedanken an eine schwingende Saite auf einem
beweglichen Reiter nicht. Für diese Klientel
kommt eher ein anderer, relativ neuer Steg in
Frage. Die amerikanische Firma Callaham bietet
nun einen Steg an, der komplett aus einem
Stück kaltgewalzten Stahls herausgefräst wird.
Die Homepage (www.callahamguitars.com) zeigt
verschiedene Produktionsstufen dieses Bauteils.
Abb. 14:
Zu beachten:
Saitenverlauf am Instrument
Abb. 15:
Saitenspacing am Gitarrensteg
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guitar 12/09