Special Keyboards in der Band Soundcheck Special
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Special: Keyboards in der Band
Back To The Roots
Das ideale Keyboard für eure Band
Nach dem Heimorgel-Boom der
siebziger Jahre, dem Synthiepop-
Hype der achtziger Jahre und dem
Techno-Kult der Neunziger finden
wir in der ersten Dekade des neuen
Jahrtausends überwiegend sehr
sparsame Keyboard-Arrangements.
Gefallen tun hier vor allem Flügel,
Rhodes und Hammond-Orgel-
sounds. Am Besten natürlich von
Originalinstrumenten.
W
er braucht welches Keyboard, und wie ar-
rangiert man es, damit das Bandgefüge
nicht zugekleistert wird? Was braucht
man, um jeden Bedarf abzudecken, und welches
Modell ist das Richtige für wen? Diese Frage klärt
sich, wenn man sich vergegenwärtigt, welche In-
strumente und musikalischen Konzepte sich hinter
dem Begriff Keyboard verbergen. Moderne Key-
boards können zwar im Prinzip alles, aber gerade
das erschwert den Überblick und den Zugang.
Pianos, E-Pianos,
Orgeln und Synthis
Unter den Tasteninstrumenten haben sich in der
Rock- und Popmusik nur die praktikablen durch-
gesetzt.
Denn ein Flügel lässt sich kaum transpor-
tieren und er will aufwendig gestimmt werden. Auch
die Hammond-Orgel ist beim Transport besonders
grässlich. Das Hohner D6 hingegen lässt sich kaum
stimmen. Das Rhodes lässt sich ohne gutes Zureden
mit Preamps und EQs, sowie Einstellarbeiten kaum
in den Bandsound integrieren. Selbst Synthesizer
vom alten Schlag wollen lange befingert werden, bis
mal ein anständiger Ton herauskommt. DX7-Pro-
grammieren mit unbeleuchtetem 2-x-16-Zeichen-
Display ist nämlich wie Häkeln durchs Schlüsselloch.
Vor allem aber sind die einzelnen Töne dieser Instru-
mente sehr unspektakulär und bescheiden. Wenn ihr
nur mal eine Taste drückt und euch anhört, wie der
einzelne Ton klingt, gibts ein effektfreies Pling oder
Tuut, das sich kein Preset eines modernen Keyboards
erlauben würde. Und genau da haben wir den Grund,
weswegen Originale so begehrt sind. Wenn man
nämlich spielen kann, kann man mit diesen Sounds
eine Musik machen, die nicht überladen und zuge-
kleistert klingt.
Instrumente verstehen
FOTOS: IMAGO
Der Schlüssel zum guten Spiel und zur richtigen
Kaufentscheidung ist, dass man das Instrument
kennt.
Für einen Bassisten oder Schlagzeuger ist
diese Einsicht zu trivial, um darüber nachzudenken.
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wobei die Manuale so dicht übereinander liegen,
dass man vom oberen Manual abrutschen und auf
das untere Manual fliegend wechseln kann. Für die-
sen schnellen Manualwechsel gibt es „Waterfall-Ta-
staturen“, in denen man sich nicht klemmt, wenn
man von unten nach oben wechselt. Bei der elektro-
nischen Orgel sorgt ein Volumenpedal ständig für
Dynamik, von dem viele gute Spieler den Fuß nie las-
sen. Ein Sustain-Pedal gibt es bei der Orgel nicht.
Das ist völlig anders beim Piano, das nie regi-
striert wird, kein Volumen-, sondern ein Sustain-
pedal hat und dessen Dynamik durch die An-
schlagsgeschwindigkeit bestimmt wird. Seine Tas-
tatur ist schwergängiger und schwerer, und ihre
Masse neigt zum Schwingen. Beim Fortissimo
„hackt“ der Pianist die Tastatur, beim Pianissimo
schlägt er ganz sanft an. All das kommt bei der Or-
gel nicht vor.
E-Pianos sind nur widerwillig bereit, Obertöne
herzugeben.
Damit setzen sie dem Spieler einen
Widerstand entgegen, der das Spiel herausfordert.
Auch die Wabbeligkeit der Rhodes-Tastatur ist ein
Affront für jeden Pianisten. Man kann mit dem Rho-
des kein Piano-Solo-Konzert spielen. Aber man kann
eine zarte Stimme begleiten, ohne sie zu bedrängen.
Ein spezieller Fall ist das Hohner Clavinet D6. Das
Kultinstrument des Funk mit seinem obertonreichen,
dünnen und drahtigen Klang ist ein elektrisches Cla-
vichord mit einer denkbar primitiven Hebelmecha-
nik. Es ist anschlagsdynamisch wie ein Piano, aber
darüberhinaus kann man die Tasten seitwärts hin-
und herkneten und so ein Vibrato erzeugen. Der Ton
Inhalt
Special
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Back To The Roots
Das ideale Keyboard für eure
Band
Die 7 goldenen Regeln
des Keyboardspiels in der Band
Auf zum Kauf
Das richtige Keyboard
Jan-Friedrich Conrad
lenform bringen demnach Leben ins Synthesizer-
spiel. Presets funktionieren beim Synthesizer gar
nicht. Die berühmtesten Synthesizer waren mono-
phon, was bedeutet, dass nur ein Ton und keine
Voicings oder Akkorde gespielt werden konnten. Das
mutet heute absurd an, ist aber doch bei Gesang
und bei allen Blasinstrumenten genauso – und bei
Streichern in der Praxis ebenfalls.
Wer bin ich eigentlich?
„Ich komme von der Orgel“. „Und ich komm ja
mehr vom Klavier“.
„Eigentlich komme ich ja vom
Akkordeon“. Solche Gespräche wurden unter Mu-
ckern vielfach geführt. Moderne Keyboards erwar-
ten vom Spieler vielmehr, dass er als Multi-
Instrumentalist anfängt. Denn natürlich erwarten
Mit dem Bass spielt man eben den Bass. Mit dem
Schlagzeug trommelt man. Keyboards sind flexibler,
und man muss erst einmal wissen, ob man orgelt
oder Piano spielt – oder ob man Streicherlinien oder
auch Effektklänge spielt. Man spielt das anders, so-
gar die Handhaltung unterscheidet sich beim Orgel-
und Klavierspiel.
Orgeln sind nicht anschlagsdynamisch.
Der
Ton einer Orgel bleibt mit konstantem Pegel stehen,
solange man die Taste gedrückt hält. Beide Eigen-
schaften zusammengenommen bedeuten, dass der
Ausdruck des Spiels von der Dauer der Note ab-
hängt, und nicht von der Anschlagsgeschwindigkeit.
Beim Orgelspiel wird zudem viel herumregistriert.
Die Orgel ist eigentlich mindestens zweimanualig,
»
Bei der elektronischen Orgel sorgt ein Volumen-
pedal ständig für Dynamik.«
viele Keyboarder zu Recht, dass ein Instrument alle
Aufgaben abdeckt, und das ist ja auch möglich. Aber
es gibt Akzente und Prioritäten.
All diese Instrumente können viel.
Die meisten
können sogar alles anbieten: Orgeln, Pianos, Syn-
thesizerklänge aller Art. Aber sie setzen Prioritäten
in Sound, Bedienung und Anwendung, und darauf
kommt es bei der Wahl des richtigen Instruments
an. Das Digitalpiano versteht sich als praktischer
verklingt sehr schnell ohne viel Sustain und man
muss auf dem Instrument herumklopfen wie auf ei-
nem Percussion-Instrument. Die Tastatureigen-
schaften werden von gar keinem elektronischen
Keyboard nachgebildet.
Synthesizer verlangen ständig, dass man mit ih-
ren Parametern spielt.
Wie weit gehen die Filter
auf und zu, liebevolles Spiel mit Pitch Bender und
Modulationsrad. Ständiges variieren der Grundwel-
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Preis-Leistungs-Verhältnisse. Bei der Kaufentschei-
dung ist die Vorliebe für die Klangeigenschaften
maßgeblich. Manche Hersteller mögens brillanter,
andere wärmer, wieder andere holziger und gnarzi-
ger. Da müsst ihr einfach spielen und hinhören.
Der Gegenspieler zum Piano ist die Orgel. Verblüf-
fenderweise hat sich unter den elektronischen Orgeln
ganz genau ein einziges Modell durchgesetzt, das im
Original schon seit Anfang der Siebziger nicht mehr
erhältlich ist – die Hammond B3. Sehen wir einmal
vom speziellen Markt für Sakralorgeln ab, gibt es
heute nur noch digitale Nachbauten dieses elektro-
mechanisch funktionierenden Tone Wheel Organ.
Die Orgeln schrumpften ab Mitte der achtziger
zu den einmanualigen Portable Keyboards.
Orgeln ohne Begleitautomatik, die konzeptionell mit
der Hammond vergleichbar wären, gab es einst von
Farfisa, von Vox und anderen Marken, die diese
Konzepte uminterpretierten. Die Orgeln, deren
Klangerzeugungen auf obertonreiche Wellenfor-
men setzten, sind verschwunden, durchgesetzt hat
sich die Hammond, die in der Art eines additiven
Synthesizers den Klang mit Zugriegeln (Drawbars)
aus Sinustönen zusammenmischt. Die B3 hat aus-
gesprochen skurrile Eigenheiten und Einschrän-
kungen, die eine Musikalität mit sich bringen, die
Volle Konzentration:
Das Spielen mehrerer Keyboards auf der Bühne fordert eure volle Aufmerksamkeit.
Ersatz für einen Konzertflügel. Seine Tastatur hat 88
gewichtete Tasten mit Hammermechanik und ist oft
sehr aufwändig gestaltet, um das Spielgefühl eines
Flügels in allen Details möglichst gut nachzubilden
– inklusive schwererem Anschlag im Bass.
Die E-Pianos bestehen aus Samples von Fender
Rhodes und Wurlitzer, die Samples diverser FM-
Pianos hingegen reichen nie an das Original
„Yamaha DX7“ heran.
Digitalpianos setzen alle
Priorität auf den Flügel – mit möglichst großem
Sampling-Speicher, hoher Auflösung und der Si-
mulation von Saitenresonanzen und Loslassgeräu-
schen, sowie Resonanzeffekten bei gehaltenem
Sustainpedal. Digitalpianos bieten meist auch kein
Aftertouch, kein Pitch Bend, kein Modulationsrad,
kaum Masterkeyboard-Funktionen, nur mickrige
Orgeln (geschweige denn Synthesizer-Funktio-
»
nen), dafür aber schon mal gute Vibraphone, Cele-
sta und Clavinets. Auf einem guten Digitalpiano
könnt ihr, ebenso wie auf einem Flügel einen
Abend lang spielen, ohne einmal etwas am Sound
zu ändern.
Digitalpianos setzen alle Priorität auf den Flügel
mit großem Sampling-Speicher.«
Laurens Hammond wohl so wenig imaginieren
konnte wie sich Les Paul in den Fünfzigern die zeit-
los-moderne Rockgitarre vorstellen konnte, die er
geschaffen hat. Zur Orgel gehört auch das Leslie,
das Tonkabinett mit den rotierenden Lautspre-
chern, für das es ebenfalls überzeugende Simula-
tionen gibt.
Digitalpianos gibt es in Varianten für die Bühne
und für daheim.
Die Heimpianos haben dabei die
Heimorgel ganz vom Markt verdrängt. Die Hei-
mausführungen mit Holzkonsolen sind für Band-
musiker eher uninteressant und nur nervig, da sie
sich nicht so leicht transportieren lassen. Die Büh-
nenvarianten gibt es zumeist ohne, teils aber auch
mit kleinen eingebauten Lautsprechern. Die einge-
bauten Lautsprecher gibt es eigentlich nur bei Di-
gitalpianos und Portable Keyboards. Dabei sie sind
auch für Profis gar nicht so peinlich und unprak-
tisch, selbst wenn sie furchtbar unterdimensioniert
und schwach sind. Es ist nämlich ungeheuer wert-
voll, den Stecker einzustecken und loslegen zu
können, zum Üben, zum Einsingen, zum Ton-Ange-
ben für den Chor, aber auch als Direktmonitor-Un-
terstützung. Die meisten Stagepianos haben keine
integrierte Verstärkeranlage.
Die preiswerteren Modelle unterscheiden sich
von den Spitzenmodellen oft durch eine weniger
aufwändige Klangerzeugung und insbesondere
durch den Verzicht auf Masterkeyboard-Funktio-
nen.
Wenn Tastatur und Klangerzeugung gegenüber
den Spitzenmodellen keine Kompromisse eingehen,
bieten Mittelklasse-Digitalpianos oft die besten
Workstations = Alleskönner
Die Keyboard-Workstation ist womöglich das in-
teressanteste Instrument für Band-Keyboarder.
Die Instrumente arbeiten mit Synthesizer-Klangerzeu-
gungen auf Sampling-Basis und können fast alles.
Mit den integrierten Sequenzern, Drum-Klangerzeu-
gungen und Effektprozessoren kann man autonom
Musik produzieren. Insbesondere sind aber alle
Sounds parat – zumeist sehr gute Digitalpianos, sel-
tener brauchbare Zugriegelorgeln, außer bei den Ein-
steigermodellen aber immer auch leistungsfähige
Synthesizer. Es gibt Varianten mit großen Hammer-
mechanik-Tastaturen und leichter gewichteten Kunst-
stoff-Tasten. Workstation-Keyboards treten mit dem
Anspruch an, jeden Sound abzuliefern, den man in
Arrangements gebrauchen kann: Also alle Orchester-
instrumente, Blubbersounds, Gitarren-Samples Key-
board- und Mallet-Instrumente, Drums – einfach al-
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les. Spezifische Spielweisen und Merkmale von
Orgeln und Pianos, aber auch die für einen Synthe-
sizer notwendigen direkten Zugriffsmöglichkeiten
auf Klangparameter leiden darunter zum Teil.
Workstations verlangen dem Anwender eine
intensive Auseinandersetzung mit den Mög-
lichkeiten des Instruments ab.
Viele Keyboarder
arbeiten sich aber nicht richtig ein und viele pro-
grammieren gar keine eigenen Sounds. Das ist
problematisch, denn die meisten Sounds klingen
zwar grandios, sind aber genau deshalb für ein
Bandarrangement völlig ungeeignet. Der Musiker
»
ohne Sequenzer auffassen und entsprechend viel-
fältig einsetzen. Gute Synthesizer bieten immer
das Potenzial, neue Klänge zu kreieren. Synthesizer
spielen heißt, während des Spiels in Echtzeit den
Sound zu verändern und ihn so zum Leben zu er-
wecken. Dazu bedarf es vieler Spielhilfen und Be-
dienungselemente. Portable Keyboards und die
gediegeneren Arranger Keyboards sind in vielen
Bands verpönt. Ihr Funktionsumfang reicht oft an
den von Keyboard-Workstations heran und ergänzt
diesen um die Begleitfunktionen mit Harmonieer-
kennung. Portable- und Arranger-Keyboards ver-
mögen Laien und Musiker zu beeindrucken wie
Die Keyboard-Workstation ist womöglich das in-
teressanteste Instrument für Band-Keyboarder.«
kaum ein anderes elektronisches Musikinstrument.
Die Möglichkeiten sind oft verblüffend und die
Qualität der Styles heute erstaunlich. Damit eignen
sich Arranger Keyboards ideal als Inspirationsquel-
le und zum Entwickeln von Song-Ideen. In der Li-
ve-Band braucht man die Begleitfunktionen nicht,
und viele Musiker bekommen von Begleitautoma-
ten ganz einfach Ekzeme.
muss schon selbst Hand anlegen, um „bescheide-
ne“ Sounds zu programmieren, die in einer Band
funktionieren.
Analoge Synthesizer sind in der Live-Band
kaum gefragt;
ganz anders als in der Studiopro-
duktion von elektronischer Musik. Digitale Syn-
thesizer kann man freilich auch als Workstation
Gefühlvoll:
Don Airey
(Deep Purple) setzt seinem
Keyboardspiel durch sein
emotionsgeladenes Spiel einen
eigenen Stempel auf.
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