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BÜHNE
WORKSHOP
DAS RICHTIGE MIKROFON FÜR DEN KEYBOARDER
Mikroskopie
Der Workshop
Welche Lösung ist besser, um die Stimme
des singenden Keyboarders wiederzugeben –
ein Bühnenvokalmikrofon auf dem Stativ
oder ein Headset? Im einteiligen Workshop
„Mikroskopie“ diskutieren wir die Vor- und
Nachteile beider Varianten und geben Ihnen
Tipps an die Hand, in welchem Fall die eine
oder andere Variante sinnvoller ist.
Andreas
Ederhof
ist Toningenieur,
Musiker und Journalist.
Er beschäftigt sich
unter anderem mit der
Produktion von
Orchester- und
Chorwerken und
unterrichtet an
tontechnischen
Lehrinstituten. Darüber
hinaus ist er als
Keyboarder und Pianist
in unterschiedlichen
Bands tätig.
Das Shure
SM 58 ist
vielleicht das
bekannteste
Bühnenvokal-
mikrofon und
wird auch
gern als
Stativ-Mikro
für singende
Keyboarder
eingesetzt.
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TASTENWELT 3/2010
Fotos: Shutterstock/Velychko
Das Neumann
KMs 105 ist
ein hoch-
wertiges
Bühnenvo-
kalmikrofon
mit Konden-
satorkapsel
und Super-
nierencharak-
teristik, das
den Ansprü-
chen eines
Studiomikro-
fons in nichts
nachsteht.
eyboarder sind rumdum gefordert. Neben der
perfekten Bedienung des Instruments sind oft
auch noch (Backing-)Vocals gefragt. Da ist es
von entscheidender Bedeutung, dass sich der Spieler
auf sein Werkzeug zur Wiedergabe der Stimme hun-
dertprozentig verlassen kann und eine ergonomisch
optimale Lösung findet. Die Realität sieht leider oft
so aus: Man möchte im Refrain den Sänger unter-
stützen, doch das Mikrofon ist schlecht positioniert.
Und da man alle Hände voll zu tun hat, ist das Mikro
auch nicht mal eben in Mundhöhe gerückt. Mit Hilfe
artistischer Verrenkungen schafft man es, seinen
Background-Gesang wenigstens einigermaßen in
Richtung des Mikrofonkorbs zu richten, so dass das
Publikum immerhin eine Ahnung davon bekommt,
wie sich die Backing-Vocals anhören sollten.
Das auf ein Stativ geschraubte Bühnenvokalmik-
rofon stellt ergonomisch gesehen also keine Optimal-
lösung dar. Das Stativ muss neben oder vor dem
Keyboard aufgebaut und dann so ausgerichtet wer-
den, dass der Musiker die Tasten und das Bedienfeld
des Keyboards, aber auch das Mikro gleichzeitig
und bequem erreichen kann. Darüber hinaus ist ein
typisches Vokalmikrofon nicht gerade ein Leicht-
gewicht, und der Galgen des Mikrofonstativs muss
meist relativ weit ausgezogen werden. Dadurch zieht
das Gewicht des Mikrofons den Galgen nach unten,
und wenn die Stativschrauben nicht ordentlich fest-
gezogen werden, ist das oben beschriebene Szenario
vorprogrammiert.
Der Vorteil eines Bühnenvokalmikrofons ist, dass
dieser Mikrofontyp universell einsetzbar ist. Ein gutes
Vokalmikrofon, wie etwa das Shure SM 58 oder das
K
Sennheiser e 945 – um nur zwei typische Beispiele
zu nennen – eignet sich durchaus auch für die
Instrumentalabnahme und liefert ein brauchbares
Signal vom Gitarren-Amp, der Bassdrum oder bei
der Abnahme der Westerngitarre. Ein weiterer Vor-
teil klassischer Bühnenvokalmikrofone ist, dass sie
mit einem Kabel ans Mischpult angeschlossen
werden und man sich dadurch – ein Qualitätskabel
vorausgesetzt – keine Gedanken über die Signal- und
Übertragungsqualität machen muss.
Mit einem Headset werden
Akrobatik-Einlagen überflüssig
Eine Speziallösung – wie oben angesprochen – stellt
das Headset oder Nackenbügelmikrofon dar. Bei
dieser Konstruktionsvariante wird das Mikrofon durch
einen Bügel ausbalanciert, der im Nacken verläuft.
Wie bei einer Brille wird das Nackenbügelmikrofon
von zwei die Ohren umfassenden Bügeln gehalten.
Für den singenden Keyboarder oder Drummer bietet
die Headset-Lösung den entscheidenden Vorteil, dass
die Mikrofonkapsel immer perfekt zum Mund ausge-
richtet ist – unabhängig von der Spielhaltung des
Musikers. Dadurch verbessert sich auch die Rück-
kopplungssicherheit des Keyboarder-Mikrofons, und
der Monitor kann höher aufgezogen werden.
Nackenbügelmikrofone, wie z.B. das Sennheiser
ME 3-N, das AKG C 55 L oder das Opus 54 von
Beyerdynamic, bieten in Verbindung mit einem draht-
losen Übertragungssystem optimale Bewegungsfrei-
heit. Das Mikrofonsignal wird bei einem Draht-
lossystem per Funk über einen Taschensender zum
Empfänger und weiter zum Mischpult übertragen.
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Das Nackenbügelmikrofon Sennheiser ME 3-N ist für singende
Schlagzeuger und Keyboarder gut geeignet, da das Mikro-
immer perfekt zum Mund hin ausgerichtet ist.
Um Funkstörungen zu umgehen, können Headset-
Mikrofone auch mit Hilfe eines Speisadapters draht-
gebunden an ein Mischpult bzw. an die Stagebox
angeschlossen werden. Auf diese Weise können Sie
auf den Kauf einer Funkmikrofonanlage verzichten.
AKG bietet z.B. den Phantomspeiseadapter MPA V L
an, mit dem das erwähnte Headset C 55 L per Mi-
krofonkabel direkt an das Mischpult angeschlossen
werden kann. Die eine Seite des Adapters bietet den
passenden Miniklinken-Anschluss für das Mikrofon,
die andere Seite ist mit einem 3-poligen XLR-Ste-
cker ausgestattet.
Die meisten Nackenbügelmikrofone sind mit
einer Miniatur-Kondensatorkapsel ausgestattet, die
eine Nieren- oder Supernierencharakteristik aufweist.
Dementsprechend unterscheidet sich die Klangcha-
rakteristik eines Headsets deutlich von derjenigen
eines typischen Bühnenvokalmikrofons. Viele Vokal-
mikrofone haben eine dynamische Kapsel mit einer
großen Membran, die der Stimme einen tiefen,
sonoren und manchmal auch mittenlastigen Klang
gibt. Miniatur-Kondensatormikrofone dagegen bilden
die Stimme sehr natürlich ab und eignen sich des-
halb eher für klaren, definierten Gesang. Der ebene
Frequenzgang und die gute Impulsübertragung der
Kondensatorkapsel führen dazu, dass die Stimme
mit allen Facetten und Nuancen übertragen wird.
PRAXIS
Headset-Mikrofone
optimal positionieren
Um das Headset-Mikrofon optimal zu positionieren, richten Sie den
Schwanenhals des Headsets so aus, dass die Einsprechrichtung der Kapsel
zum Mund hin zeigt. Schwanenhals und Mikrofonkapsel sollten die Haut nicht
berühren, um Kratzgeräusche zu vermeiden. Positionieren Sie die Kapsel
nicht direkt vor dem Mund, sondern etwas seitlich, unterhalb oder oberhalb
der direkten Aussprechrichtung, um Popplaute zu vermeiden. Darüber hinaus
sollten Sie beim Einsatz eines Headsets mit Nierencharakteristik auch immer
einen Schaumstoff-Poppschutz verwenden – meist ist der Poppschutz
integraler Bestandteil der Headset-Kapsel. Den optimalen Mikrofonabstand
bekommen Sie, indem Sie das Mikro ungefähr zwei bis drei Fingerbreit vom
Mund entfernt positionieren. Durch kleine Abstandsänderungen lässt sich der
Sound manchmal noch weiter verbessern: Drücken Sie die Kapsel näher an
den Mund heran, wird der Klang voller und voluminöser – entfernen Sie die
Kapsel etwas weiter vom Mund, bekommen Sie einen dünneren Sound.
www.tastenwelt.de
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BÜHNE
WORKSHOP
TECHNIK-TIPP
Qualitätskriterien für Kabel
Wer sich für ein kabelgebundenes Mikrofon entscheidet, sollte die Qualität des Kabels in
seine Überlegungen mit einbeziehen, um optimale Klangergebnisse zu erzielen. Neben den
eingesetzten Steckern kommt es z.B. auf die Menge des eingesetzten Kupfers und auf die
elektrischen und mechanischen Eigenschaften der Kunststoffe an.
Stecker sollten eine gute Zugentlastung aufweisen und mindestens 1000 (besser mehr als
2000) Steckzyklen aushalten. Bei den Litzen gilt pauschal: je mehr Kupfer, desto besser.
Denn durch einen höheren Kupferanteil verringert man die Dämpfung und Signalverluste.
Die Kunststoffe müssen einerseits die Signal führenden Litzen sicher elektrisch isolieren
und diese andererseits vor mechanischer Beschädigung schützen. Achten Sie beim Kauf
darauf, dass das Kabel genügend Trittfestigkeit aufweist.
Tipps zum Verlegen: Das Kabel nicht um das Mikrofonstativ wickeln, denn der enge Radius
kann die Kupferlitzen beschädigen. Zum Befestigen sind entsprechende Klemmen die bes-
sere Wahl. Auf dem Weg zum Mischpult sollte das Kabel nirgends eingeklemmt sein und
Stromleitungen im 90-Grad-Winkel gequert, das Mikrofonkabel also nicht parallel dazu
verlegt werden.
Mit einem Phantomspeiseadapter wie dem MPA V L von AKG
kann das Headsetmikrofon mittels Mikrofonkabel direkt an
das Mischpult angeschlossen werden.
Vielen Headset-Mikrofonen fehlt dementsprechend
der etwas rauere Klang eines dynamischen Bühnen-
vokalmikros, der insbesondere für eine rotzige Rock-
Röhre erwünscht ist. Wer trotz Headsets nicht auf
den etwas raueren Klang verzichten will, der sollte
z.B. das Shure WH20 XLR ausprobieren. Dieses
Nackenbügelmikrofon hat eine dynamische Miniatur-
kapsel an Bord und wird vom Hersteller für hochwer-
tige Sprachübertragung angepriesen. Ob das Mikro
auch für die Gesangsübertragung etwas taugt, ist
von der Stimme und den Vorstellungen abhängig, wie
die Vocals in der PA bzw. im Monitor klingen sollen.
Bevorzugt wird aktuell meist
ein Bühnenvokalmikrofon mit Stativ
Ohne Zweifel ist das Stativ-Mikro immer noch die
bevorzugte Variante vieler Keyboarder. Einerseits sind
es die gewohnten Klangvorstellungen, die man mit
einem Bühnenvokalmikrofon verbindet und die so
von den meisten Headset-Mikrofonen nicht erreicht
werden. Auch die Möglichkeit, durch kleine Abstands-
veränderungen den Sound zu verändern, fällt beim
Headset weg. Durch den Nahbesprechungseffekt
überträgt ein Bühnenvokalmikro die Stimme voller
und dunkler, wenn der Sänger näher an das Mikro
herangeht – bei größerem Abstand klingt die Stimme
dünner und leiser. Vielen Keyboardern ist es sicher-
lich auch nicht immer lieb, wenn das Schnaufen
und die Nebengeräusche, die ein Musiker beim Spie-
len eventuell unbewusst macht, dauernd übertragen
werden. Beim klassischen Bühnenmikrofon geht man
einfach ein paar Zentimeter weiter weg, und schon
hat man seine Ruhe. Das ist bei einem Headset-
mikro nicht möglich.
Wenn Sie auf den glasklaren Sound eines Kon-
densatormikros auch auf der Bühne nicht verzichten
wollen, müssen Sie jedoch nicht unbedingt zum
Headset greifen. Es gibt hochwertige Vokalmikros
mit Kondensatorkapseln, die den Übertragungseigen-
schaften von Studiomikrofonen in nichts nachstehen.
So ist unter anderem das Neumann KMS 105 mit
einer Kondensatorkapsel ausgestattet, die höchsten
Übertragungsansprüchen genügt. Letztendlich ist es
also Geschmacksache, ob man lieber das gute alte
Stativ-Mikro bevorzugt oder neue Wege geht und ein
Headset nimmt. Wer viel singt, sollte beide Varianten
einmal selbst ausprobieren und sich ein Bild ma-
chen, mit welcher Technik er oder sie am besten
tw
zurechtkommt.
TASTENWELT 3/2010