© PPVMEDIEN 2009
TASTEN
WORKSHOP
SOUND: QUERFLÖTE IMITIEREN
Im Internet unter
www.tastenwelt.de-
finden Sie Klangbeispiele
zu diesem Beitrag.
Silberpfeil
Der Workshop
In dieser Praxis-Reihe dreht sich alles um
den Sound aus Key-board oder Sy-nthesizer-
Work-station. Lesen Sie, wie Sie beim Pro-
grammieren von Sounds vorgehen, um Schritt
für Schritt das Potential Ihres Instruments
auszureizen.
In dieser Ausgabe
lernen Sie die Querflöte und ihre ty-pischen
Spielmerk-male k-ennen. In Hörbeispielen
(unter www.tastenwelt.de) einer echten
Querflöte erfahren Sie, wie Sie die Flöten-
Parts am Key-board oder mit einem Software-
Klangerzeuger anlegen k-önnen.
Matthias
Sauer
befasste sich bereits
vor seinem Studium
der Musikwissen-
schaft intensiv mit
Synthesizern und
Keyboards. Er arbeitet
freiberuflich als Autor,
Live-Keyboarder,
Musikschullehrer und
produziert elektro-
nische Musik.
ie Querflöte erfreut sich im Jazz wie in der klas-
sischen Musik großer Beliebtheit. Dank Ian
Andersson, Frontmann der Band Jethro Tull,
hat sie sich zudem im Rock und neueren Spielarten
wie Lounge oder NuJazz etabliert. Wie die in der
letzten Ausgabe besprochene Familie der Saxofone
gehört die Querflöte zur Gruppe der modernen Holz-
blasinstrumente. Die silberne große Flöte besitzt
viele Klappen, Ringklappen, Hebel und Rollen, die
je nach Anblastechnik virtuos bedient werden kön-
nen. Ihr Klang ist deutlich vielseitiger als mancher
D
vermutet, der sich an den grausigen Blockflöten-
Unterricht in der Grundschule erinnert. Nicht zuletzt
wegen dieser enormen Vielseitigkeit des Klangs be-
fasst sich diese Workshop-Folge mit dem Instrument,
vor allem mit einigen der klanglich-spieltechnischen
Merkmale. Die dynamischen Sounds hat Torsten
Kamps auf einer echten Querflöte für die tasten-
welt-Homepage eingespielt. Wer bisher nur den flö-
tentypischen Überblaseffekt kannte, der sich z.B.
durch starke Velocity-Werte bei Yamahas Sweet-Voices
am Keyboard abfeuern lässt, wird über die wahre
Soundvielfalt einer Querflöte staunen.
Grundsätzliches über
Lagen und Techniken
Auch wenn große Master-Keyboards natürlich viel
mehr Tasten anbieten, sollten Sie sich an den Tonum-
fang einer echten Querflöte halten. Er reicht vom
eingestrichenen bis zum viergestrichenen C. Das
Spannende daran: Die Querflöte bietet in diesen drei
Oktaven klangfarblich unterschiedliche Wirkungen.
Konkret: Im tiefen Register der ersten Oktave wirkt
sie luftig, geheimnisvoll, erotisch, filmisch. Dort ist
sie zwar als Ensemblestimme oft zu leise, lässt sich
aber zum Beispiel gut mit einem pianissimo gespiel-
ten Flügelhorn, Posaunen oder anderen Holzblasin-
strumenten (außer der Oboe) doppeln.
Solistisch und als weiche Ensemblestimme sollte
die Querflöte beziehungsweise das Soundimitat Ihres
Keyboards vor allem in den mittleren Lagen verwen-
det werden. Im Solo ist der Klang recht beweglich
zwischen lyrisch-eleganter und wilder lebhafter Stim-
me. In der dritten Oktave klingt die Flöte allein recht
fiepsig. Dieser fast schon scharfe Klang ist aber gut
TASTENWELT 5/2009
Virtuoser Sound aus dem Rechner: Mit Retro Flute von Bela-D-Media lässt
sich die Querflöte einschließlich des Sung-Style klanglich facettenreich imitieren.
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WORKSHOP
TASTEN
zum Doppeln von hohen Ensemble-Stimmen geeig-
net; Trompeten, Holzblasinstrumete und auch Strei-
cher werden damit aufgefrischt. Noch schriller wird
es bei der der Piccoloflöte. Sie kommt in einem sehr
hohen Frequenzbereich zum Tragen. Deshalb besitzt
sie die enorme Kraft, ein großes Sinfonie-Orchester
akustisch in den Schatten zu stellen.
Wie bei der menschlichen Singstimme ist ein fei-
nes permanentes Vibrato sehr beliebt, um den Grund-
sound lebendiger zu gestalten. Flötisten spielen daher
ungefragt mit Vibrato; Non-Vibrato-Passagen werden
von den Komponisten extra im Notenbild gekenn-
zeichnet. Daher sind sie eher selten zu hören. Beim
Anblasen bieten sich verschiedene Möglichkeiten
an: Die Flöte kann von legato bis hart akzentuiert
gespielt werden – bis zum Tonkippen. Um etwas
Bewegung ins Arrangement zu bringen, werden gern
die quirligen Glissandi der Querflöte verwendet.
Klarer Sound mit einem
natürlichen Spektrum an Effekten
Der Querflöte lassen sich erstaunliche viele musika-
lische Effekte entlocken, ohne dass sie als störend
oder künstlich empfunden werden. Die Möglichkeiten
beginnen bereits damit, dass sich eine Phrase anstel-
le eines vollen sonoren Klangs mit einem gehauch-
ten Ton darstellen lässt. Noch bekannter ist das er-
wähnte Überblasen bei gehaltenen Tönen oder, noch
effektvoller, bei Trillern. Dabei kippt der Flötensound
vom Grundton in verschiedene Obertöne. Raffiniert
sind die „Rhythm Dead Notes“. Diese verschluckten
Töne werden als rhythmische Akzente eingesetzt.
Einzigartig auf der Flöte ist der so genannte „Sung
Style“. Damit ist das von Ian Andersson (Jethro Tull)
bekannte Singen beim Spielen gemeint. Während
des Spielens wird über den geflöteten Ton gesungen,
so dass gleichzeitig zwei Klangquellen aufkommen.
Wie bei FM-Synthesizern entstehen dabei abstruse
Obertöne, die einen rauen Klangcharakter hervorru-
fen. Ähnliche Effekte („Growl“) kennt man auch vom
Saxofon. Zusammen mit dem perkussiven Staccato-
Toneinsatz lassen sich damit sehr gut rhythmische
Akzente und Soli auf dem Keyboard spielen.
Um perkussive Toneffekte zu erzielen, spricht der
Flötist ein kräftiges, aber stimmloses „hattt“ in das
Flötenmundstück. Ein massives ruckartiges Betäti-
gen der Klappen lässt die Rohr-Resonanzen klingen.
Dadurch werden ungewöhnliche rhythmische Sounds
erzeugt, die eher an einen Physical-Modeling-Syn-
thesizer als an eine Flöte erinnern. Zu den beliebten
Ornamenten gehören diatonische oder chromatische
Vorschlagstöne, so genannte „Grace Notes“. Gern
verwendet werden auch „Falls“, die durch Abwärts-
glissandi bei gleichzeitigem Decrescendo entstehen.
Fast so gut wie das Original:
virtuelle Flöten am Computer
Über den Live-Einsatz muss man nicht lange disku-
tieren, denn jedes Keyboard bietet heute brauch-
bare Flötensounds. Wer ein Notebook einsetzt oder
höhere Anspüche hat, kann ebenso aufatmen: Zum
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Glück gibt es für den Rechner inzwischen ein Soft-
ware-Instrument, das den kraftvollen dynamischen
Querflötenklang im Stil von Ian Andersson sehr gut
nachbildet. Das Produkt heißt Retro Flute und
stammt vom Anbieter Bela D Media.
Retro Flute arbeitet mit NI Kontakt 2 (ab Version
2.2.4) und Kontakt 3 zusammen, liefert aber den
Player nicht mit. Das Procedere: Den Ordner mit
den Audio-Daten von DVD auf die Festplatte kopie-
ren, den bereits vorhandenen Kontakt-2-Player star-
ten und die Programme (NKI) importieren. Im User-
Interface navigiert man übersichtlich durch sechs
Fenster, wo sich etwa Einstellungen für Legato/Filter/
FX oder Breath/Noise treffen sowie schnelle Hilfen
aus dem integrierten User Guide finden lassen.
Die größte Attraktion von Retro Flute ist der bereits
erwähnte „Sung Style“, eine Mixtur aus Singen und
Instrumentenspiel. Mit Hilfe von Keyswitches lassen
sich bei Retro Flute noch viele andere Spieltechniken
imitieren: Staccato, Vibrato, Triller (Halb- und Ganz-
ton), Mordent (kurzer Wechsel zum nächsten unte-
ren Ton der Skala) und natürlich die Flatterzunge.
Die Tempi von Vibrato und Verzierungen können via
MIDI-Controller spontan verändert werden. Per Multi-
Speed-Legato werden je nach Notenwert und Tempo
passende Legato-Samples aufgerufen, die Übergänge
zwischen einzelnen Noten abrunden.
Männliche oder weibliche Atem- und dezente Klap-
pengeräusche können automatisiert oder manuell
getriggert werden, um dem künstlichen Spiel ein
wenig Klangschmutz zu geben. Mit Round-Robin
wird der synthetisch wirkende Maschinengewehr-
Effekt vermieden, der bei schnellen Tonwiederholun-
gen entsteht. Bei den Staccati arbeiten vier, bei den
Sustain-Artikulationen zwei Round-Robins, die ein
natürliches Klangverhalten garantieren.
Die von Carlos Soto eingespielten Flötensounds
liegen in 24 Bit/44,1 kHz weitgehend trocken vor,
um vom Anwender selbst mit Effekten angereichert
zu werden. Für den Faltungshall des NI Kontakt wird
hierzu ein Impulse-Response-Sample einer im 19.
Jahrhundert erbauten Kathedrale angeboten. Das
Software-Instrument wurde für eine Nutzung mit
Wind-Controllern (speziell Yamaha WX5) optimiert,
auch wenn es sicher vorwiegend von Tastenspielern
verwendet wird. Mit etwas Übung können Sie dem
Klangerzeuger klanglich sehr wandlungsfähige Flöten-
phrasen entlocken. Bereits nach wenigen Versuchen
wird klar, dass Workstations und andere Sample-
Player trotz neuer Techniken wie Yamahas XA-Mode
im Tyros oder Motif XS in puncto artikulatorischer
Flexibilität nicht mithalten können.
Eduardo Tarilonte, der Produzent von Retro Flute,
hat ein wirklich spannendes Software-Instrument ent-
wickelt. Ob lyrische Passagen oder temperamentvolle
Staccati – Retro Flute beweist sehr schön, dass sich
auch die Querflöte in den unterschiedlichen Spiel-
weisen realistisch imitieren lässt. Nicht nur Anhän-
ger von Ian Anderson werden mit der Software viel
Freude haben, zumal sie recht preiswert ist und öko-
tw
nomisch mit den Rechnerressourcen umgeht.
Die Querflöte bietet
einen Tonumfang von
drei Oktaven. In jedem
dieser Oktavbereiche
weist der Sound be-
stimmte klangliche
Besonderheiten auf:
tonumfang_register.mp3
Jeder Flötist spielt viel
mit Vibrato – hier
Vibrato und Non
Vibrato im Vergleich:
vibr_nonvibrato.mp3
Töne der Querflöte müs-
sen nicht immer sonor
klingen, sie können
auch gehaucht werden:
ton-luft.mp3
Sehr unterschiedlich
lassen sich die Attacks
des Flötensounds ge-
stalten:
diverse_attacks.mp3
Das bekannte Überbla-
sen wie auch das gleich-
zeitige Singen und
Spielen (Sung Style)
sind beliebte Effekte
bei der Querflöte:
ueberblasen+sung_
style.mp3
Glissandi, Falls und
Grace Notes zählen
auch zum Repertoire
der klanglichen Aus-
drucksmöglichkeiten:
glissandi-falls-grace_
notes.mp3
Mit den Klappen der
Querflöte lassen sich
perkussive Effekt-
sounds erzeugen:
klappen_effekte.mp3
Wie erstaunlich gut
sich die klassische
Querflöte mit einem
Software-Instrument
imitieren lässt, zeigt
abschließend das
Produkt RetroFlute:
RetroFluteDemo.mp3
Alle Demos unter:
www.tastenwelt.de
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Audio-Demo