© PPVMEDIEN 2009
WORKSHOP
BÜHNE
SPECIAL: SINGEN MIT DEM HARMONIZER
Stimmiger Chor
Der Workshop
In diesem Workshop-Special geht
es um den Einsatz von Vocal-Harmonizern
im Bühnen-Setup von Keyboard-Solisten
und kleinen Besetzungen. Sie erfahren,
welche Anwendungsvarianten es gibt, wie
man häufig gemachte Fehler im Umgang
mit Harmonizern vermeidet und wo die
Grenzen dieser Technik liegen.
Hans-Joachim
Schäfer
ist promovierter
Diplom-Biologe und
arbeitet als Software-
Entwickler. Seine
Aktivitäten als Musiker
sind vielfältig: im Stu-
dio spielt er Synthesizer
und Keyboards, auf der
Bühne unplugged in
einem Gitarren-Duo.
Zudem befasst er sich
seit Jahren mit dem
Thema Recording im
eigenen Home-Studio.
or allem für Keyboard-Solisten ist der Vocal-
Harmonizer ein unentbehrliches Werkzeug zur
Gestaltung des Gesangs. Aber auch Bands set-
zen ihn zur Bereicherung sowohl der Vocals als auch
von Soloinstrumenten ein. In den meisten Fällen wird
der Harmonizer zum Erzeugen einer zweiten Stimme
oder eines mehrstimmigen Chors herangezogen. Man
kann mit seiner Hilfe aber auch die Stimme kräftiger
erscheinen lassen, indem man sie doppelt.
Manche Modelle erlauben außerdem eine Tonhö-
henkorrektur in Echtzeit. Bei richtigem Einsatz hört
V
man kaum, dass die Harmoniestimmen aus der Dose
kommen. Dieser Workshop will zum einen Appetit
auf den Einsatz eines solchen Gerätes machen, soll
aber auch die Grenzen aufzeigen und Tipps zum prak-
tischen Einsatz geben.
Harmonizer gibt es Stand-Alone
oder ins Keyboard eingebaut
In fast allen aktuellen Top-Keyboards ist ein Vocal-
Harmonizer eingebaut. Die für den Effekt verantwort-
lichen Chips sind dieselben wie die in den externen
Geräten, der Funktionsumfang kann jedoch abhängig
vom Keyboard-Modell etwas eingeschränkt sein. Prak-
tisch ist der eingebaute Dosenchor allemal, erübrigt
sich damit doch ein Rack- oder Bodentreterteil inklu-
sive zugehöriger Verkabelung. Im Extremfall spart
man sich als Alleinunterhalter sogar einen Mixer, da
auch der Gesang über das Keyboard läuft.
Integrierte Harmonizer bieten vor allem bei der
Bedienung deutliche Vorteile. Sämtliche Harmoni-
zer-Parameter werden zusammen mit den Arranger-
oder Songdaten gespeichert, so dass bei einem Pro-
grammwechsel sofort auch die dazu passenden
Harmonizer-Einstellungen bereit stehen. Eingriffe
während eines Songs sind ebenfalls kein Problem,
da die Parameter direkt von der Bedienoberfläche des
Keyboards aus editiert werden können.
Der Dosenchor wird vom Sequencer oder von der
Begleitautomatik des Keyboards gesteuert. Daraus
ergibt sich ein weiterer Vorteil. Externe Geräte wer-
den über das MIDI-Kabel gesteuert, bei On-board-
Harmonizern ist alles schon fertig intern „verkabelt“.
Eine automatische Talk-Schaltung findet man nur
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Anschlussmöglichkeiten eines Vocal-Harmonizers
Mikrofon
Mischpult/
PA
Gitarre (optional)
MP3-Player
(optional)
Audio
L/R
Audio L/R
(optional)
MIDI
Keyboard
Solisten können sich mit einem anschlussfreudigen Vocal-
Harmonizer das Extra-Mischpult fast schon sparen.
www.tastenwelt.de
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Viele Entertainer-Keyboards
bieten einen integrierten
Vocal-Harmonizer, doch
meist verschwinden dessen
Einstellungen in Display-
Menüs. Nicht so beim
Roland E-80. Für die
wichtigsten Parameter gibt
es Knöpfe und Regler direkt
auf der Bedienoberfläche.
bei der integrierten Variante. Dabei wird der Chor nur
dann aktiviert, wenn der Sequencer oder Arranger
läuft. Im Stop-Modus ist nur die Originalstimme zu
hören, was für Ansagen zwischen den Songs unab-
dingbar ist. Bei externen Geräten tritt man hierzu
auf den entsprechenden Taster. Bei der Oberklasse
der externen Harmonizer kann man jede Chorstimme
einzeln zum Mixer führen, um sie dort zu bearbeiten,
was vor allem im Studio interessant ist. Eingebaute
Harmonizer mischen die Stimmen intern.
Externe Harmonizer haben außerdem den Vorteil,
dass sie auch ohne oder mit einem anderen Keyboard
einsetzbar sind. Sie sind als 19-Zoll-Rackgeräte (TC-
Helicon: VoiceWorks, VoiceWorks Plus, VoicePro;
Digitech: Vocalist Live Pro) oder als Bodentreter (TC-
Helicon: VoiceLive 1 & 2, Voicetone Double, Voice-
tone Correct; Digitech: Vocalist 2 & 4 Live) zu haben.
Welche Bauart man bevorzugt, ist Geschmacksache.
Der Keyboarder, der sowieso schon mit Rack anreist,
wird den Harmonizer vielleicht gerne dort unterbrin-
gen. Der Gitarrist, der von Fußeffektgeräten umgeben
ist, wird einen Bodentreter bevorzugen.
Effektstimmen führen. Im Normalfall sollte man über
eine Terz nicht hinausgehen.
Eine weitere Methode ist es, die Lead-Vocals mit
einer oder zwei nur um wenige Cent verstimmten
Zusatzstimmen zu versehen. Welche Methode man
wählt, bleibt Geschmacksache. Auch eine Kombina-
tion aus den genannten Vorschlägen kann zu interes-
santen Ergebnissen führen. Leider produzieren auch
aktuelle Geräte eine kleine, aber oft hörbare Verzö-
gerung zwischen Original- und Effektstimmen. Dies
stört, wenn zur „unhörbaren“ Eindickung der Vocals
alle Stimmen gleichzeitig erklingen sollen. In diesem
Fall baut man besser einen musikalisch proportio-
nierten Delayeffekt ein.
Für das Voice-Doubling muss lediglich das Mikro
mit dem Harmonizer und dieser mit dem Mixer ver-
bunden werden. Da fixe Transponierungsintervalle
eingestellt werden, benötigt man keine Noten- oder
Akkordinformationen und damit auch keine MIDI-
Verbindung und kein Steuerinstrument.
Akkord-Steuerung per Keyboard
oder MIDI-File-Player
Am häufigsten wird der Harmonizer sicherlich als
Chorersatz eingesetzt. Er erzeugt zu einer Gesangs-
stimme in Echtzeit eine oder mehrere Chorstimmen.
Bei einfachen Geräten wie etwa dem Digitech Voca-
list 2 Live sind es nur zwei, beim TC Helicon Voice-
Live 2 immerhin bis zu acht. Hierzu jedoch ein Tipp:
Verwenden Sie nicht zu viele Effektstimmen. Der
Chor wirkt sonst oft zu wuchtig und undifferenziert.
Bei den meisten Pop-Songs sind ein oder zwei zu-
sätzliche Stimmen absolut ausreichend.
Für jede Effektstimme liegt das Transponierungs-
intervall ober- oder unterhalb der Leadstimme fest.
Um harmonisch korrekt arbeiten zu können, muss
der Harmonizer jedoch zusätzlich wissen, zu wel-
chem Akkord er die Harmoniestimmen erzeugen soll.
Schließlich ist es „chortechnisch“ gesehen ein Unter-
schied, ob man die Note F zu einem C-Dur-, einem
F-Dur- oder einem G
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-Akkord singt.
Die Akkord-Informationen werden dem Harmonizer
üblicherweise per MIDI mitgeteilt. Das Steuergerät
ist in diesem Fall ein Keyboard oder ein MIDI-File-
Player. In Keyboards eingebaute Harmonizer sind
bereits intern verkabelt, bei externen Geräten muss
man dies selber tun: Der MIDI-out des Steuergeräts
(Keyboard/MIDI-File-Player) wird mit dem MIDI-in
des Harmonizers verbunden. Vergessen Sie nicht,
bei beiden Geräten denselben MIDI-Kanal einzustel-
len. Beim VoiceLive 2 geht dies übrigens völlig pro-
blemlos: Ins MIDI-Menü gehen, eine Note auf dem
Keyboard spielen (natürlich in der richtigen Zone)
– und schon hat das Gerät den MIDI-Kanal erkannt.
Zur Akkorderkennung per Keyboard definiert man
praktischerweise die linke Tastaturzone, mit der man
auch die Begleitautomatik steuert. Um die größten
Freiheiten bei der Akkordgestaltung zu genießen,
sollte man vollständige Akkorde anschlagen. Wenn
man einen dreistimmigen Akkord spielt, heißt das
übrigens nicht, dass auch ein dreistimmiger Chor
TASTENWELT 5/2009
Voller, fetter, kräftiger:
die Leadstimme doppeln
Die Aufgabe eines Harmonizers ist es, zu einer gesun-
genen Leadstimme weitere Stimmen zu erzeugen.
Diese kann man auf verschiedene Weisen einsetzen.
Eine der einfachsten Möglichkeiten ist es, die Lead-
stimme zu doppeln, um sie voller, fetter und kräftiger
zu machen. Hierfür gibt es mehrere Möglichkeiten.
Platziert man ein oder mehrere Effektstimmen ohne
Transponierung, aber mit unterschiedlichen, kleinen
Verzögerungszeiten auf verschiedene Positionen des
Stereopanoramas, ergibt sich je nach Delay eine
kräftigere Stimme oder ein Unisonogesang, der von
mehreren Sängern zu stammen scheint. Man kann
aber auch eine Effektstimme um eine Oktave nach
oben und eine zweite um eine Oktave nach unten
transponieren, um auf diese Weise mehr Fülle in die
Stimme zu bekommen. Diese Methode ist jedoch nur
bedingt zu empfehlen, da Transponierungen von ein-
er Oktave zu ausgesprochen unnatürlich klingenden
Vocal-Harmonizer gibt es in allen Ausführungen: als Rack-Gerät oder als Bodentreter,
als Effekt-Multitalent oder als Minimalist, beschränkt auf zentrale Funktionen.
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erklingt. Wie viele Effektstimmen erzeugt werden
und in welchen Abständen sie intonieren, legt man
mit den Parametern des Harmonizers fest.
Viele SMF-Songs (Standard-MIDI-Files) verfügen
von Haus aus über eine Harmonizer-Spur, die nichts
anderes als die Akkordfolge des Songs beinhaltet.
Bei GM-kompatiblen Songs ist dies Track 5. In die-
sem Fall werden nicht nur die Begleitmusik, sondern
auch die Chorstimmen automatisch erzeugt.
Hochinteressant für singende Gitarristen und Play-
back-Künstler: Die aktuellen Stand-alone-Harmoni-
zer wie der TC Helicon VoiceLive 2 oder die Vocalist
2 und 4 Live von Digitech sind in der Lage, die für
die Transponierung nötigen Akkorde auch aus Gitar-
renakkorden oder MP3-Songs abzuleiten. Dies funk-
tioniert erstaunlich gut. Es scheinen wohl die Reak-
tionszeiten bei Akkordwechseln etwas größer zu sein
als bei der Steuerung über MIDI, man kann jedoch
sehr gut damit leben. Bei der Ansteuerung über
Gitarre zeigt sich der VoiceLive 2 sehr flexibel. Ob
Strumming, Picking oder Flatpicking, die Akkorde
werden zielsicher erkannt. Dezent eingesetzte Harmo-
niestimmen werten gerade bei dieser Instrumentie-
rung die Darbietung deutlich auf.
Etwas Spezielles ist die Betriebsart MIDI-Note,
interessant vor allem für das Playback-Singen zu
SMF-Songs. Man kann hier nämlich den freien Ver-
lauf von Effektstimmen auf der Harmonizer-Spur in
Form von MIDI-Noten vorgeben. Dadurch ist man
völlig frei in der Gestaltung des Dosenchors. Natür-
lich kann man die zweite(n) Stimme(n) auch live auf
dem Keyboard spielen.
schlecht“ der Stimme ändern. Aus Männlein wird
Weiblein und umgekehrt. Diesem Effekt sollte man
jedoch auch bei aktuellen Modellen nicht zu viel
Bedeutung beimessen. Aus Whitney Huston wird nie-
mals Ivan Rebroff.
Neuere Harmonizer-Modelle erlauben eine Intona-
tionskorrektur für die Gesangsstimme. Knapp dane-
ben liegende Noten werden auf den richtigen Wert
korrigiert. Prinzipiell ist es natürlich der Traum eines
jeden Sängers, nie wieder falsch zu singen. Und
auch die Erzeugung von Effektstimmen geht davon
aus, dass die gesungene Note richtig ist. Der Knack-
punkt an der Tonhöhenkorrektur ist jedoch, dass man
maximal 49 Cent neben der richtigen Note liegen
darf. Ist man weiter davon entfernt, korrigiert das
Gerät auf den nächsten Halbton – und das klingt
dann erst recht falsch. Außerdem werden Glissandi
und Vibrati in Halbtöne heruntergebrochen.
Viele aktuelle Harmonizer haben eine ganze Reihe
von Vocal-Effekten an Bord. Diese reichen von Hall
über Modulationseffekte bis hin zu Dynamikeffekten.
Man hat es also mit einem kompletten Mikrofon-Ka-
nalzug zu tun. Der VoieLive 2 hat zusätzlich Gitar-
reneffekte an Bord, so dass man Gitarre und Gesang
im Gerät mischen und bei Bedarf mit nur einem
Kabel komplett bearbeitet zum Mischer schicken
tw
kann.
Steckt der Vocal-Harmonizer
in einem Bodeneffektgerät,
lassen sich die Programme
und Einstellungen bequem
mit dem Fuß umschalten.
Den braucht man beim
Spielen meist sowieso nicht.
Vermeidbare Fehler
beim Chor-Arrangement
Beim Arrangement des Chors sollte man darauf
achten, nicht zu große Intervalle zu verwenden. Je
größer sie sind, umso unnatürlicher klingen die Effekt-
stimmen. Wo eine Terz noch natürlich erscheint,
klingt eine Oktave nach oben schon nach Micky Maus
und nach unten wie ein schlaftrunkener Roboter.
Dies fällt umso mehr auf, je lauter die Effektstimmen
sind. Achten Sie also immer darauf, größere Inter-
valle in der Lautstärke etwas zurückzunehmen. Grund-
sätzlich ist es ratsam, den gesamten Dosenchor eher
etwas leiser als zu laut zu stellen. Außerdem sollte
man nicht zu viele Chorstimmen einsetzen. Dies
klingt oft zu voll und matschig. In vielen Fällen rei-
chen eine oder zwei Stimmen für eine geschmack-
volle gesangliche Begleitung aus.
Was gar nicht geht: den Harmonizer bei einem
Titel von Anfang bis Ende Chorstimmen erzeugen
zu lassen, wenn bei dem betreffenden Stück eigent-
lich nur der Refrain mehrstimmig sein soll. Zumindest
die Musikkenner im Publikum dürften sich bei die-
sem Tun mit Grauen abwenden.
Gender Change, Intonationskorrektur
und verschiedene Vocal-Effekte
Moderne Vocal-Harmonizer haben noch weitere Effek-
te an Bord. Mit „Gender Change“ kann man das „Ge-
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