LIVE-REPORTAGE: JULIETTE LEWIS
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chön, wenn jemand nicht einfach seinen
Namen benutzt, um schnell im Musikbiz
etwas Kohle zu machen, sondern es ernst
meint. So ist Juliette Lewis' Schauspielkarriere in
den Hintergrund getreten, denn statt in Hollywood
verbringt Mademoiselle Lewis ihre Zeit lieber im
Tourbus. Nach drei punkrockigen Alben mit The
Licks gebärdet sich die Sängerin auf „Terra Incogni-
ta“ deutlich eklektizistischer und kombiniert
Punk und Hardrock mit Blues, spacigen
Schwurbel-Gitarren und Ausflügen in die
avantgardistischen Gefilde des Rock. Pro-
duziert wurde das Album von The-Mars-
Volta-Kopf Omar Rodriguez, der auf der Tour
aber nicht dabei war. Wir sprachen mit Gi-
tarrist Chris Watson und Techniker Steve Tay-
lor vor dem Konzert im Wiesbadener Schlacht-
hof über die Liveumsetzung der Platte.
Juliette Lewis ist mit einer vierköpfigen Band
unterwegs.
Chris Watson zeigt sich für Rhyth-
musgitarre und schrägeren Solis verantwortlich,
während Yves Lelevier viele Effekt-Parts der Plat-
te und die klassischen Rocksolos zum Besten gibt.
Das Equipment der beiden Gitarristen ist sehr un-
terschiedlich ausgefallen. Chris Watson spielt ei-
ne alte Gretsch Corvette von 1964: „Der Tontech-
niker will nicht, dass ich sie spiele, weil sie dünn
klingt, aber ich mag sie!“ erzählt er lachend. Als
Ersatz und für cleane Sounds ohne Effekte steht
noch eine Fender Telecaster bereit. Als Amp
kommt ein Fender Twin zum Einsatz. Normaler-
weise spiele ich einen Super Reverb, aber für die
Tour mieten wir den Twin.“ Das Effektboard des
Gitarristen, der auch die Songs der Platte mit-
komponiert hat, fällt sparsam aus. Ein Fulltone
OCD Distortion, ein MXR Micro Amp Booster, ein
MXR Carbon Copy Analog Delay und ein Digitech
Whammy reichen aus, um abwechslungsreiche
Sounds zu erzeugen. „Ich will die Sache möglichst
Abgefahrener Space-Rock und eingängige Hooklines – das
klingt erstmal unvereinbar. Doch Juliette Lewis meistert die-
sen Spagat auf ihrem neuesten Longplayer „Terra Incognita“
souverän. Lewis beschloss 2008, dass ein neuer Sound auch
einer neuen Band bedarf und stellte kurzerhand neue Musiker
zusammen, die ihren neuen Groove live optimal umsetzen
sollten. Beim kreativen Entstehungsprozess im Studio stand
ihr dafür ihr Produzent zur Seite - kein Geringerer als Omar
Rodriguez-Lopez, Frontmann von The Mars Volta. Und das
Ergebnis überrascht und überzeugt.
einfach halten. Ich mag nicht zu viele Pedale. Ich
will die Persönlichkeit im Sound hören” beschreibt
der Gitarrist seine Soundphilosophie. Abgenom-
men wird der Amp mit einem Shure SM57. Direkte
Signale oder akustische Gitarren kommen nicht
zum Einsatz. Auch Switching-Systeme sucht man
vergebens, Chris Watson schaltet selbst.
Sein Kollege Yves Levelier spielt eine Gibson
Les Paul über einen Blackstar-Combo.
Effektboard ist deutlich umfangreicher ausge-
fallen. Neben einem Wah- und Volume Pedal
kommen mehrere MXR-Effekte (EVH Flanger,
EVH Phaser und Carbon Copy Delay) zum Ein-
satz. Zusätzlich werden ein Electro Harmonix
Micro Synth, ein POG 2 und ein Blackstar HT 2-
Verzerrer eingesetzt. Umgeschaltet wird mithilfe
eines A/B-Schalters. Für die Stromversorgung ist
ein Voodoo Lab Pedal-Power zuständig.
Bassistin Shirley To hat einen Custom Bass von
F-Bass.
Der Viersaiter läuft über ein Ashdown-
Top mit zugehöriger Box. Der Bassistin zu Füßen
liegen ein Volume-Pedal, ein Wah, ein Boss TU-2
Tuner, ein Boss Bass Chorus und ein SansAmp
Bass Driver mit DI-Box. „Ich vertraue größtenteils
auf das DI-Signal aus dem SansAmp, habe aber noch
ein Mikro an der Bassbox, um einen natürlicheren
Sound mit mehr tiefen Mitten zu bekommen“ be-
schreibt Mischer Steve das Abnahmekonzept.
Drummer Troy Zeigler hat ein Tama-Endorse-
ment und spielt dazu Zildjian-Becken.
nimmt alle Teile des Drumkits im Close-Miking-
Verfahren ab. „Ich habe zwei Mikes in der Bass-
drum. Eins hat mehr Attack, das andere mehr Body.
Auch an der Snare sind zwei Mikros, das Obere
für den tieferen Klang, das Untere für Durchset-
zungsfähigkeit. Ich verändere oft das Verhältnis
zwischen den zwei Mikros. Das Ride-Becken wird
von unten abgenommen während zwei Overheads
für die Crash-Becken und etwas Raumsound zu-
ständig sind.“ Triggersounds sind nicht zu hören,
nur der akustische Sound des Drumkits.
Für den Gesamtsound braucht Steve Taylor nur
18 Kanäle.
„So gut wie nichts, aber es funktio-
niert“ erzählt der Techniker gut gelaunt. Vor seiner
Tätigkeit für Juliette Lewis war er mit The Mars
Volta und Jimmy Eat World unterwegs: „ Ich habe
in der Vergangenheit auch im Studio gearbeitet,
aber das war nicht mein Ding. Ich mag das Live-
Ding, die ganze Aufregung. Ich bin ein geschei-
terter Musiker, habe es mal an den Drums versucht
und spiele etwas Gitarre, aber ich habe meine Ni-
sche gefunden. Ich lasse talentierte Leute besser
klingen als ich es selbst je könnte.“
Ihre erste Karriere startete Juliette Lewis als
Schauspielerin. Einem größeren Publikum
bekannt wurde sie in den 90ern mit Filmen
wie „Natural Born Killers“ und „From Dusk
Till Dawn“. Erst 2003 gründete sie ihre
erste Band namens „Juliette and The
Licks“ und spielte drei Alben ein, die
weltweit gut ankamen. Jetzt wollte
die US-Amerikanerin musikalisch
neue Wege gehen und suchte sich
gleich eine komplett neue Band.
Ergebnis dieser Bemühungen ist
das Album „Terra Incognita“,
ein ungeschliffener Dia-
mant in der oft so glatt
polierten Popwelt.
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Für die Tour nimmt Steve fast kein eigenes
Equipment mit: „Für diese Tour vertraue ich
auf das Haus-Equipment.“
Auf die Frage, ob es
nicht schwierig ist, mit geliehenem Pult und Ef-
fektprozessoren guten Sound zu machen, sagt er:
„Ich mag die Herausforderung. Es hat auch viel
mit Erfahrung zu tun. Wenn man das eine Weile
macht, kennt man die verschieden Geräte und
kann den Sound immer ähnlich einstellen.“ Juliette
Lewis singt über Shures Beta 58: „Sie nehmen
nicht viele Nebengeräusche auf und sind schwer
kaputtzukriegen.“ Und wer Frau Lewis mal auf der
Bühne herumwirbeln sehen hat, der weiß, dass
diese Eigenschaft nur von Vorteil sein kann.
Das wichtigste Element für einen gelungenen
Sound ist laut Steve „den Raum zu EQen.
ich das ordentlich hinkriege, sind meine Einstel-
lungen eigentlich jeden Abend ziemlich gleich. Ich
ändere die Drum-Sounds leicht, für langsamere
Sounds mache ich die Bassdrum etwas runder, für
schnellere Stücke gebe ich ihr mehr Attack. Das
gleiche gilt für die Snare. Dann gebe ich noch et-
was Hall auf das Schlagzeug, panne die Gitarren
für manche Songs unterschiedlich und füge Ge-
sangseffekte hinzu. Das wars!“ Eine feste Setlist
gibt es nur auf dem Papier. Madame Lewis ändert
gerne spontan den Ablauf und nutzt den Sound-
check zum Proben neuer Songs und zum Auspro-
bieren von Ideen. „Sie nimmt auch Sachen beim
Soundcheck auf und probiert später im Hotelzim-
mer Melodien und Texte dazu aus“ erzählt Steve.
Statt extravaganter Aftershow-Party wird also
an neuer Musik gearbeitet. Überhaupt präsentiert
sich Juliette Lewis backstage und beim Sound-
check recht bodenständig und kommt ohne Büh-
nenklamotten relativ unscheinbar rüber.
Drei Stunden später sieht die Sache ganz anders
aus. In Ledermontur und mit Federn geschmückt,
zeigt die Frau eine Bühnenpräsenz, von der
sich viele eine Scheibe abschneiden könnten.
Vom ersten Ton an ist die Band da und lässt die
komplette Show nicht nach. Juliette Lewis erweist
sich als echte amerikanische Entertainerin und
legt in ihren extrem hochhackigen Schuhen ei-
niges an Kilometern auf der Bühne zurück. Im
Gegensatz zur Vorgängerband The Licks klingt die
neue Besetzung kantiger, schroffer, weniger ro-
ckig und bringt neben schnellen Songs auch spa-
cigere Soundmomente gut zur Geltung. Ein Höhe-
punkt des Abends ist die bluesige Ballade „Suicide
Dive Bombers“, bei der sich Chris Watson und Ju-
liette gekonnt die Bälle zuwerfen. Der Sound ist
trotz schwieriger Bedingungen (hohe Decke und
viel Beton) ausgezeichnet und nach 100 Minuten
verlässt das Publikum gut gelaunt und überzeugt
den Schlachthof.
Solider Druck:
Bassistin
Shirley To legt das
akustische Fundament.
Wir trafen Juliette Lewis’ Gitarristen Chris
Watson vor dem Konzert in Wiesbaden und
konnten ihm interessante Infos zur Arbeit mit
der exzentrischen Sängerin entlocken.
SOUNDCHECK: Seit wann arbeitest du mit
Juliette Lewis?
Chris Watson:
Seit ungefähr einem Jahr, seit
November 2008.
SC: Wie habt ihr euch kennen gelernt?
CW:
Ich kenne sie schon seit zehn Jahren. Ich
habe sie bei einer Kunstausstellung getroffen,
danach haben wir uns öfter gesehen. Sie hatte
gerade ihre erste Band gegründet, The Licks und
wir haben ein paar Gigs zusammen gespielt.
SC: Hast du aktuell ein eigenes Projekt?
CW:
Ja, es heißt Love Lies Sleeping. Ich schreibe
alle Songs und mache auch sonst alles. Es hat
einen Classic Rock-Sound, aber sehr modern. Ich
versuche alles ganz einfach zu halten, es geht
hauptsächlich um den Gesang, ich singe dort.
SC: Gibt es einen speziellen Musiker, der dich
zum Gitarre spielen gebracht hat?
CW:
Als Teenager stand ich total auf Jimi Hendrix.
Ich kann keine Noten lesen oder so was. Ich hatte
einen Plattenspieler, hab die Nadel auf die Platte
gesetzt, einen Ton gehört und versucht ihn auf der
Gitarre zu finden, dann zwei Töne, drei Töne…
SC: Der klassische Weg also ...
CW:
Ja, der klassische Weg. Ich habe das immer
wieder mit den Jimi-Hendrix-Songs gemacht,
Er bringt den Groove:
Drummer Troy Zeigler
sorgt für den Drive.
Sorgt für abgefahrene
Soundeffekte:
Gitarrist
Yves Levelier.
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einfach um zu lernen wie er spielt. Später bin
sehr auf Joey Santiago abgefahren, den Typ von
den Pixies. Ich mochte, wie einfach er spielte
und wie er alles laut rübergebracht hat.
SC: Wie schreibst du Songs mit Juliette Lewis?
Sitzt ihr zusammen in einem Raum und jammt
oder bereitest du Riffs und Akkordfolgen vor
und sie probiert Texte und Melodien dazu aus?
CW:
Anfangs waren wir wirklich zusammen in
einem Raum. Ich rief sie an und sagte, wir sollten
zusammen Songs schreiben. Ich hatte einiges
SC: Wie groß ist deine Rolle bei dieser Verän-
derung? Hat Juliette gesagt: Ich will eine
breitere Palette an Einflüssen? Die ersten zwei
Platten waren eher straighter Rock und Punk?
CW:
Naja, ich spiele keinen straighten Rock oder
Punk. Ich versuche immer etwas anders daran her-
anzugehen. Ich würde sagen, mein Einfluss auf die
Platte war mein Songwriting, wie ich klingen
möchte und sie musste es mögen. Es ist eine Mi-
schung aus ihr und mir. Sie wollte sich ändern,
aber ich musste mich nicht ändern, weil ich ein-
fach so schreibe.
Vintage-Equipment fürs richtige Feeling:
Chris Watson setzt auf Old-School-Equipment.
ben wir gar nichts
geschrieben. Mit Ju-
liette gibt es das
nicht, es fließt ganz
natürlich, es funktio-
niert einfach.
SC: Juliette Lewis’
Show sprüht vor Ener-
gie. Magst du diesen Teil
der Live-Performance?
CW:
Irgendwie ja UND nein.
Wenn ich Frontman bin, springe
ich rum und versuche mich
reinzufühlen. Das hat hier et-
was gedauert. Einige der
Songs sind nicht von mir,
daher war es seltsam zu
ihnen abzurocken. Sie
haben einen anderen Rhyth-
mus als mein Körper.
Martin Schmidt
Ich versuche einen Song zu bringen,
"
der dieses Gefühl liefert."
vorbereitet und wir schrieben direkt am ersten
Tag fünf oder sechs Songs. Ich hatte ein paar
Riffs, und entweder fielen ihr Texte dazu ein oder
nicht. Wenn ihr was dazu einfiel, ging ich nach
Hause und hab den Song fertig gemacht. So wars
am Anfang. Jetzt sagt sie mir: „Ich will ein be-
stimmtes Feeling“, und ich versuche einen Song
zu bringen, der dieses Gefühl liefert.
SC: Die neue Platte klingt ganz anders als die
zwei davor. War das eine bewusste Entschei-
dung oder ist das beim Songwriting passiert?
CW:
Ich weiß nicht, ob das bewusst war. Ich habe
einen ganz bestimmten Geschmack, wie ich klingen
möchte und habe einfach gehofft, ihr gefällt
das. Ich kenne mich nicht so gut mit Musik aus,
ich habe keine Ahnung von Takten. Ich habe mit
anderen Bands gespielt und ihnen Sachen ge-
zeigt und sie sagten, nein, so kannst du das nicht
machen, du musst es so machen und ich dachte,
nein, so will ich das nicht machen. Ich will es so
machen und hier den Takt wechseln und dann
wieder zurückgehen... Niemand wollte also diese
Songs mit mir spielen, und dann habe ich sie Ju-
liette vorgespielt und sie hatte zwar keine Ah-
nung von Theorie, sagte aber: Oh, das klingt gut
und ich dachte: Ich weiß, dass das gut klingt.
SC: Spielt ihr heute Abend auch Material von
den zwei Platten mit den Licks? Und drückst
du den alten Songs deinen Stempel auf?
CW:
Ja, ungefähr die Hälfte ist altes Material.
Ich spiele die Parts nach. Ich gehe etwas künst-
lerischer an die Gitarre ran, ich spiele eher ein
oder zwei Noten als einen kompletten Barre-Ak-
kord. Ich versuche schon meinen eigenen Stil
einzubringen.
SC: Was sind die
wichtigsten Fähig-
keiten als Side-
man?
CW:
Du musst dei-
ne Meinung ein-
bringen ohne der
anderen Person das
Gefühl zu geben, es
wäre die einzige
Möglichkeit.
Ich
habe mit anderen
Songwritern oft nur
darüber diskutiert,
in welche Richtung
ein Song gehen soll.
Und am Schluss ha-
Nur das Wichtigste:
Chris Watsons Pedalboard ist sehr übersichtlich.
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