Der US-Amerikaner sprach mit SOUNDCHECK über das Geheimnis seiner
Gesangsperformance, die Pro-Tools-Revolution und Flitzefinger Steve Vai.
Darüber hinaus erklärt er, warum Backing Vocals für ihn mit künstlerischer
Arbeit weniger zu tun haben als Zwiebeln zu schneiden.
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Meat Loaf will es noch einmal wissen und legt ein neues Studioalbum vor.
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K
einer machts theatralischer: Meat Loaf
liebt die dramatische Geste. Zusammen
mit dem Musical-geschulten Songwriter
Jim Steinman schuf er einst „Bat Out Of Hell“,
die wohl konsequenteste wie gleichzeitig er-
folgreichste Kreuzung zwischen Rock ’n’ Roll
und Operette. Auch auf dem jetzt erschienenen
„Hang Cool Teddy Bear“ bleibt Meat Loaf sei-
nem Hang zum episch angelegten Rock-Opus
treu. Unterstützung erhält er dabei unter ande-
rem von Saitenhexer Steve Vai und Green-Day-
Producer Rob Cavallo.
Bands der Siebziger – sahen die umwerfend aus?
Schalten wir nun den Fernseher ein, was sehen
wir? Tanzende Models, die wenig bis gar nichts
anhaben. Ich denke, dass nur ein Bruchteil dieser
Frauen in den 60ern oder 70ern Platten aufge-
nommen hätte. Weil es einfach nicht möglich
gewesen wäre, sie vernünftig klingen zu lassen.
SC: Apropos Klang: Du hast gesagt, an einem
Song würden dich im Prinzip nur die Lyrics
interessieren. Wie ernst ist das zu nehmen?
ML:
Ungefähr zur Hälfte. Einerseits interessie-
„Wenn ich Gitarre spielen könnte,
wäre ich unglaub lich gut.“
SOUNDCHECK: „Hang Cool Teddy Bear“ ist dein
elftes Studioalbum. Seit Beginn deiner Karriere
hat sich in Sachen Aufnahmetechnik viel getan.
Welche Entwicklung war die tiefgreifendste?
Meat Loaf:
Der Erfolg von Pro Tools. Was für
Musiker gab es in den Sechzigern? Nehmen wir
Cream: Ginger Baker und Jack Bruce waren nicht
gerade das, was man gut aussehende Kerle nennt,
oder? Slade, eine der erfolgreichsten englischen
ren mich Lyrics ungemein. Das andere sind Gi-
tarrensoli. Glaub mir, wenn ich Gitarre spielen
könnte, wäre ich unglaublich gut. Weil ich Gi-
tarrenläufe denken kann, und zwar richtig ab-
gefahrenes Zeug. Außerdem habe ich die Fähig-
keit, meine Vorstellungen Gitarristen genau zu
übermitteln, um sie dann gewissermaßen gleich
wieder in Gedanken einzuholen. Aber es gibt
einen, bei dem ich das nicht schaffe, einen, der
Meat Loafs musikalische Laufbahn beginnt
1967 in LA, wo er als Sänger kleinerer Bands
Support-Gigs für Acts wie The Who oder Janis
Joplin ergattert. Wenig später wechselt er das
Fach und wirkt in den Musicals „Hair“ und
„The Rocky Horror Picture Show“ mit. Nach
einem kurzen Zwischenspiel als Sänger für Ted
Nugent entsteht 1977 der Rock-Meilenstein
„Bat Out Of Hell“ – ein Album, das allein in
den USA 14-fach Platin abräumt und von dem
noch immer rund 200.000 Einheiten jährlich
verkauft werden.
In den 80er-Jahren hört man immer weni-
ger von Meat Loaf. 1993 aber gelingt ihm
mit „Bat Out Of Hell II“ eines der bemer-
kenswertesten Comebacks der Musikge-
schichte: „I’d Do Anything For Love
(But I Won’t Do That)“, die erste Single
des Albums, schafft es in 28 Ländern
auf Platz eins der Charts.
Neben seinem musikalischen
Wirken spielt Meat Loaf auch in
mehr als 50 Kino- und TV-Produk-
tionen mit, zum Beispiel in David
Finchers „Fight Club“ oder der Mike-
Myers-Komödie „Wayne’s World“.
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InTeRVIeW: MeAT LoAF
Das Album
Mit „Hang Cool Teddy Bear“ will es Meat Loaf
noch einmal wissen. Neben den Gitarrenhelden
Steve Vai und Brian May hört man hier Gastbei-
träge unter anderem von Jack Black (Schauspieler
& Tenacious D) und Justin Hawkins (The Darkness).
Als Produzenten verpflichtete Meat Loaf den
mehrfachen Grammy-Preisträger Rob Cavallo
(Green Day, My Chemical Romance, Avril Lavigne
u. a.). Heraus gekommen ist ein sehr eingängiges
wie auch abwechslungsreiches Album.
Durchgeknallten – aber das ist es nicht. Ich bin
kein Method-Actor, der seine Rolle auf einem
Filmset die ganze Zeit mit sich herumschleppt.
Das würde mich in der Tat wahnsinnig machen.
Als Schauspieler hast du es ja vergleichbar leicht,
weil du dich nur um eine einzige Rolle kümmern
musst. Bei mir sind es aber ein Dutzend.
SC: Aber wie schaffst du es dann letztlich,
das Dutzend live parat zu haben?
ML:
Ich höre mir jede Show am nächsten Tag an.
Das hilft enorm. Das mache ich aber auch, um
die Arrangements gegebenenfalls zu verändern.
Es gibt schließlich nichts Schlimmeres, als jeden
Abend das exakt gleiche Set abzuliefern. Das
sind manchmal nur kleine Modifikationen, hier
acht Takte weniger, dort vier mehr und so weiter.
Was vermutlich vom Publikum gar nicht unbe-
dingt wahrgenommen wird, aber die Band wach
und so die Performance lebendig hält.
SC: Stimmt es eigentlich, dass du Studio-Ses-
sions eigentlich nicht ausstehen kannst?
ML:
„Hang Cool Teddy Bear“ ist die erste Platte,
bei der mir die Aufnahmen Spaß gemacht haben.
SC: Woran lag das?
ML:
An Rob Cavallo. Früher
wollte ich bloß meine Parts
einsingen und gleich wieder
abhauen – wenn es nicht gerade
um Gitarrensoli ging. Jetzt
vermisse ich das Studio. Bei
der Arbeit mit Rob kommt keinerlei Druck auf.
Und du musst dir nie Quatsch anhören wie: „Das
kannst du aber besser.“ Was für eine Aussage soll
das sein? So etwas erinnert mich immer an
mir immer einen Schritt voraus sein wird und
den ich deshalb einfach machen lasse: Steve Vai.
Als wir an „Song Of Madness“ arbeiteten, habe
ich meinen Komponisten gebeten, einen Takt als
Breakdown frei zu lassen. Das hat zuerst keiner
kapiert. Aber ich wusste genau, dass Steve an
dieser Stelle seinen Zauber wirken lassen würde.
Als die Aufnahme zurückkam, war der Break mit
einem unglaublichen Gitarren-Urschrei gefüllt.
Eigentlich ist der ganze Song für Steve entstan-
den – ohne dass er davon wusste.
SC: Eine Leidenschaft von dir ist
die Schauspielerei. Wirkt sich
das auch darauf aus, wie du an
Aufnahmen herangehst?
ML:
Meine Art, Songs zu interpre-
tieren, ist sicher außergewöhnlich.
Einem Toningenieur habe ich mal erklärt: „Schau,
dir ist die Bedeutung der Lyrics bewusst. Aber ich
werde den Text jetzt so singen, dass sich die Be-
deutung dreht. Und ich will, dass meine Vocals
genau mit dieser Atmosphäre auf dem Album
landen. Mein Gesang zählt, nicht, was auf dem
Papier steht.“ Meine Performance ist unabhän-
gig vom Songwriting. Deshalb versuche ich auch,
keinen großen Einfluss auf meine Komponisten
auszuüben. Ich möchte, dass der Song die Cha-
raktere kreiert, nicht der Charakter den Song.
Wenn ich zu eng mit dem Autor zusammenar-
beiten würde, könnte das die Worte beeinflus-
sen. Und so etwas macht die Charaktere schwä-
cher. Ich nehme Einfluss auf die ungefähre Rich-
tung des Songs, auf das Arrangement und so
weiter. Aber wenn es um das Texten an sich geht,
verabschiede ich mich.
SC: Behältst du eine ähnliche Herangehens-
weise auch bei der Live-Umsetzung bei?
ML:
Ich nehme die Charaktere einfach mit auf
die Bühne. Obwohl: So simpel ist das natürlich
nicht. Deshalb bin ich auch vor jedem Gig extrem
aufgewühlt, geradezu irre. Mir gehts nicht darum,
bloß die Melodien zu singen, das Publikum zum
Mitklatschen zu animieren … das ist nicht mein
Ding. Ich gehe an einen ganz anderen Ort. Des-
halb fürchte ich mich auch jeden Abend davor,
dass die Charaktere mich im Stich lassen.
Manchmal sind sie komplett da, dann nur teil-
weise. Und mitunter – und das liegt nicht an mir!
– verschwinden sie total. Das ist ungefähr so, als
würdest du an einem offenen Fenster stehen
und plötzlich greift ein Arm nach dir und reißt
dich in die Tiefe. Wenn dir das auf der Bühne
„Es gibt nichts Schlimmeres,
als jeden Abend das exakt
gleiche Set abzuliefern.“
passiert, fühlst du dich einfach grauenvoll. Des-
halb arbeite ich hart, um die Charaktere schon
möglichst vor der Show zum Leben zu erwecken.
Ich weiß, das klingt wie das Gebrabbel eines
Für Meat Loaf die einschneidenste Entwicklung in Sachen Recording:
Recording-Programme wie Pro Tools.
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wechseln konnte. Der Kerl hat mich inspiriert. Die
junge Generation kann das unheimlich gut. Das
muss genetische Ursachen haben (lacht).
SC: Die neuen Möglichkeiten des digitalen
Recordings hast du für deine Gesangsspuren
nicht in Anspruch genommen?
ML:
Ein paar Mal habe ich die Jungs dabei er-
wischt, wie sie meine Spuren nachgestimmt ha-
ben. Ich höre so etwas aber sofort und dulde es
nicht. Undo-Taste, mein Freund! Es gibt vielleicht
drei Wörter auf dem Album, bei denen ich es in
Ordnung fand, die Tonhöhe zu korrigieren. Einfach
weil die Performance so gut war. Es lagen mir
zwar alle ständig damit in den Ohren, dass heute
jeder Autotune verwendet – aber was hat das
mit mir zu tun? Ich will wie Meat Loaf klingen.
Verkörpert auf der Bühne diverse Charaktere:
Meat Loaf möchte jeden Abend eine einzigartige Performance bieten.
schlechte Filmregisseure. Ein guter Regisseur, Da-
vid Fincher etwa, wird dir konkrete Tipps geben
wie: „Versuch doch mal, das Gesicht in diese Rich-
tung zu drehen!“ Oder: „Nimm die Emotionen
raus, so als würdest du das Telefonbuch lesen!“
Und das hat Rob eben auch drauf. Als wir die Vo-
cals zu „Did You Ever Love Somebody“ aufgenom-
men haben, sagte er mir, ich solle die Strophen
vollkommen ohne Vibrato singen. Ich meinte, dass
ich gar nicht wüsste, wie das gehen soll. Darauf
antwortete Rob: „Hat dir noch keiner erklärt, wie
man das hinbekommt? Du musst nur während du
singst dein Kinn nach vorne schieben.“ Und tat-
sächlich: Der Trick funktioniert.
SC: Jetzt bist du also ein richtiger Studio-Fan?
ML:
Na ja, Backing-Vocal-Sessions kann ich noch
immer nicht ertragen. Weil es dabei nicht um
dass ich gewisse Noten, die ich in meinem Kopf
hörte, nicht mehr singen konnte. Das gefiel mir
nicht. Heute bin ich in der Lage zu sagen: Alles,
was ich auf dem neuen Album umsetzen wollte,
konnte ich auch einsingen. Am Ende von „Love Is
Not Real“ gibt es diese
Stelle, die ich so hoch ge-
sungen habe, dass sie
kaum jemand als Vocal-
Part wahrnimmt. Das ist
die höchste Note, die je
von mir auf Platte gelan-
det ist – und das, obwohl
ich mittlerweile 62 bin.
Nicht schlecht, oder?
Mein Timbre hat sich
zwar im Laufe der Zeit
verändert, weil ich mich
SC: Meat Loaf, vielen Dank für das Gespräch.
ML:
Warte, ich habe noch eine Mitteilung für
eure Leser: Freunde, „Hang Cool Teddy Bear“ ist
wahrscheinlich eines der besten Alben des Jah-
res. Wenn ihr glaubt, ich sei bloß ein geltungsbe-
dürftiger Mistkerl – hört es euch an! Und falls ihr
zu einem anderen Urteil kommt: Schreibt mir!
Florian Zapf
„Früher wollte ich bloss
meine Parts einsingen und
gleich wieder abhauen“
Emotionen geht, sondern um perfekten Pitch, das
Überbetonen bestimmter Wörter, exaktes Timing
– um sehr Technisches eben. Ich kapiere diese Art
zu Singen nicht. Wenn du mich fragst, hat das
mehr mit Zwiebelschneiden als mit Gesang zu tun.
Ehrlich gesagt: Zwiebeln zu schneiden ist wahr-
scheinlich künstlerischer. Meine Background-Sän-
ger werden mich umbringen, wenn sie das hören.
SC: Du arbeitest seit einigen Jahren mit ei-
nem Vocal-Coach. Wie kam es dazu?
ML:
Vor ungefähr vier Jahren habe ich bemerkt,
zweimal einer Nebenhöh-
lenoperation unterziehen
musste. Trotzdem glaube
ich, dass man auf diesem
Album die besten Meat-
Loaf-Vocals seit „Bad At-
titude“ hört. Letztes Jahr
gab es bei American Idol
diesen Sänger, der von
seiner normalen Ge-
sangsstimme unglaublich
gut ins Falsett und zurück
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