Die Stereophonics zählen zur alteingesessenen
Gitarrenpop. Im SOUNDCHECK-Interview
sprechen Hauptsongwriter Kelly Jones und
Neuzugang Adam Zindani über das nunmehr
siebte Studioalbum der Band, strapaziöse Mixing-
Sessions und den Zustand der Musikindustrie.
Foto: Søren Solkær Starbird
Oberschicht des zeitgenössischen britischen
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eit 1999 konnten die Stereophonics fünf
alben auf rang eins der britischen Charts
platzieren. Für ihren siebten Studio-
Streich „keep Calm and Carry on“ verpflichte-
ten die brit-rocker Produzent Jim abbiss (arctic
Monkeys, Placebo, kasabian …) – und überra-
schen mit einem ungewohnt luftigen Werk. Wir
trafen bandleader kelly Jones (Gesang/Gitarre)
und adam Zindani (Gitarre) in berlin, um über
das neue album und mehr zu sprechen.
SOUNDCHECK: Kelly, ältere Stereophonics-
Platten klangen über weite Strecken ziem-
lich nostalgisch. Mit eurem aktuellen Album
scheint ihr euch von derartigen Sounds end-
gültig verabschiedet zu haben.
Kelly Jones:
ich wollte in der Vergangenheit
– vermutlich eher unbewusst – vor allem un-
seren live-Sound reproduzieren. Wenn du auf
der bühne stehst, vor deinem amp, dann
schallt dir normalerweise ein sehr volles
klangbild entgegen. Meines erachtens repro-
duzieren unsere älteren alben diesen Sound.
eine Zeit lang hatte ich außerdem richtig Spaß
daran, diesen nostalgischen rock- bzw. Soul-
Vibe zu zelebrieren. Man hört auf „You Gotta
Go there …“ meine liebe zu Platten wie „tal-
king book“ von Stevie Wonder, aber auch die
eine oder andere Marvin-Gaye-reminiszenz.
eigentlich haben wir aber schon mit dem
nachfolger „language. Sex. Violence. other?“
versucht, diesen ansatz über bord zu werfen
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IntervIeW: StereophonICS
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–allerdings ohne unseren relativ breitbandigen
Sound zu verlassen. die neue Platte klingt da-
gegen viel reduzierter, vielleicht kann man sa-
gen: kompakter.
Adam Zindani:
kurz gesagt: „keep Calm and
Carry on“ wurde nicht auf Gitarrenwände hin
konzipiert. Und daher gab es auch keine über-
mäßigen layerings oder Ähnliches. es ist noch
Platz im klangspektrum. Und so war auch raum
für den einen oder anderen Synthie-Sound wie
zum beispiel auf „beerbottle“. die Songs klingen
durchsichtiger.
KJ:
Wobei man das mit dem „konzipieren“
nicht falsch verstehen darf. ich denke, egal,
was dir die leute über bestimmte Platten er-
zählen – und seien es klassiker wie „Pet
Sounds“ oder „Hotel California“: Man hat als
Musiker keine verdammte ahnung, wie das
Ganze am ende klingen wird. es gibt normaler-
weise kein konzept, zumindest nicht, wenn
man das Wort in seinem eigentlichen Sinn
ernst nimmt. Später mag man sich einreden,
alles wäre irgendwie nach einem bestimmten
SC: Inwiefern hat euer Produzent Jim Abbiss
das neue Album geprägt? Ich finde, ihr klingt
diesmal ein gutes Stück unbeschwerter.
KJ:
bislang haben wir ja fast ausschließlich mit
Jim lowe als Produzent gearbeitet, der noch
immer unser engineer ist. Man hat natürlich
schon im Hinterkopf gehabt, mit abbiss einen
etwas anderen Sound anzustreben. das darf
man aber nicht mit einem neuen konzept ver-
wechseln. es hat eher mit einem vagen Willen
zum experiment zu tun, wenn du weißt, was ich
meine. abbiss’ referenzen sind selbstverständlich
beeindruckend. Zweifelsohne erwartet man, dass
so jemand bestimmte ideen mitbringt, auf die
man nicht selbst kommen würde. trotzdem
denke ich, dass der kern bei den Stereophonics
immer das Songwriting und die Musiker sind.
daraus ergibt sich die atmosphäre des ganzen
albums. Wir sind keine „Producer’s band“.
"
,
lich finde, ist, dass viele leute elektronische
Sounds noch immer als irgendwie futuristisch
empfinden – obwohl man in Popsongs seit vierzig
Jahren Synthesizer hören kann.
KJ:
ich bin mit dem, was Jim abbiss für uns ge-
leistet hat, zufrieden. auf persönlicher ebene
hätte es aber besser laufen können. Zwischen
ihm und mir gab es zwar keinen Ärger. Wenn
aber die band dazukam, lief die Sache irgendwie
Biografie
– 1996 nimmt der Multi-Milliardär
und Virgin-Gründer Richard Branson die
Stereophonics als erste Band für sein neu ge-
gründetes Label V2 unter Vertrag. Obwohl zu-
nächst nur als jüngster Britpop-Hype gehan-
delt, weiß die Band sich auch nach ihrem Debüt
zu behaupten: Seit ihrem 1999er-Album
„Performance And Cocktails“ schafft es die
Band um Sänger und Hauptsongwriter Kelly
Jones in steter Regelmäßigkeit auf Platz eins
der UK-Charts.
aus dem ruder. ich glaube, abbiss hat nicht
wirklich begriffen, dass es in dieser band kein
konkurrenzdenken gibt. dafür sind wir einfach
schon zulange eine Formation. Wir sind Freunde,
zwischen denen egos keine rolle mehr spielen.
da landen zum beispiel auch schon mal drum-
oder bass-Spuren, die nicht von Javier oder
richard stammen, auf einem Song – ohne dass
sich jemand gekränkt fühlt. die Fronten sind
längst geklärt. das hätte man vorab vielleicht
deutlicher machen müssen.
Das Album
– „Keep Calm And Carry On“, das
siebte Studioalbum der Stereophonics, kommt
ungewohnt minimalistisch daher. „Natürlich
schwebt der Name Stereophonics über uns,
aber dies sollte eine Platte werden, die ganz
für sich steht“, sagt Bandleader Kelly Jones.
„Ein paar Songs, die man mit einer kleinen
Band in irgendeiner x-beliebigen Bar spielen
kann, und plötzlich denken die Leute gar nicht
mehr an ihr Bier, drehen sich um und hören
etwas genauer hin.“
Plan vor sich gegangen. Faktisch passiert das
aber nie. recording-Sessions laufen doch so
ab: du hast eine bestimmte idee, die dann aus-
probiert wird. Wenn du Glück hast, klingt es
gut und du sagst dir: „Cool, so was haben wir
noch nie gemacht, lass uns das ausarbeiten.“
aus diesem Funken entsteht der Song und
schließlich das album. ein beispiel: irgend-
wann haben wir im Zuge der Sessions zu „da-
kota“ – unsere erfolgreichste Single überhaupt
– diesen Synthie-artigen-effekt im intro aus-
probiert. erst danach wurde uns klar, dass der
Song genau so klingen muss. das war es, was
den titel nach vorne brachte – diese kombina-
tion aus pulsierendem Synthie-Sound und ei-
ner fast unbearbeiteten Gitarre, die das Ganze
nochmal spiegelte.
SC: Lag es an Abbiss, dass „Keep Calm …“
vergleichsweise trendy klingt? Der Mann hat
mit seiner Produktion des Arctic-Monkeys-
Debüt den Sound der letzten Jahre schließlich
wesentlich mitgeprägt.
AZ:
trendy? das glaube ich nicht. na ja, wir hat-
ten eine Menge keyboards, drum-Machines und
so weiter im Studio. das Zeug aber auch einzu-
setzen, hat sich beispielsweise aber eher zufällig
ergeben, als dass ein Plan von Jim dahinter ge-
steckt hätte. Zumindest war das mein eindruck.
Software-instrumente oder Ähnliches kamen
übrigens gar nicht zum einsatz – auch wenn es
vielleicht stellenweise danach klingt. Sogar die
elektronischen drum-Parts sind auf einer Zoom-
box per Hand eingetappt und nicht via Sequenzer
eingeflogen worden. Was ich übrigens erstaun-
SC: Jim Lowe hat diesmal den Mix des Albums
übernommen. Wie war die Zusammenarbeit?
KJ:
Überraschend angenehm. das heißt vor
allem: entspannt.
SC: Das klingt, als empfändet ihr Mixing-
Sessions sonst anders?
KJ:
Ja, wie Zähne ziehen. es ist einfach frustrie-
rend, wenn du tagelang an einer bestimmten
Gitarrenspur gearbeitet hast, die dann vom en-
gineer in den Hintergrund gemischt oder sogar
komplett aus dem Song gekickt wird. bislang
gab es immer ein unheimliches Gezerre zwischen
uns und dem jeweiligen Mischer. katastrophal!
ich finde generell, dass Mix-engineers sich mehr
auf die Wünsche ihrer klienten einlassen sollten,
anstatt auf teufel komm raus ihren eigenen
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Ziehen auch weiterhin ihr eigenes Ding durch:
die Stereophonics haben eine genaue Vorstellung davon, wie ihre band klingen soll.
Sound durchzudrücken. Wir haben ja in der Ver-
gangenheit schon mit sehr renommierten leuten
zusammengearbeitet, etwa mit Jack Joseph Puig
oder andy Wallace (Puig arbeitete u.a. für die
rolling Stones, Weezer und John Mayer; Wallace
mischte u.a. alben von nirvana, Jeff buckley
und Slipknot; anm. d. a.). ich meine, andy Wal-
lace ist zum beispiel echt entspannt, der macht
auch mal Pause, um kurz mit der eigenen band
zu jammen. oder er widmet sich seiner auto-
sammlung, die man vor seinem alten Farmhaus
in new Jersey begutachten kann und die er
wahrscheinlich nirvanas „nevermind“ verdankt.
aber das Zusammenarbeiten lief eigentlich nie
so locker ab wie jetzt mit Jim lowe.
SC: Ihr habt eben „Pet Sounds“ von den Be-
ach Boys erwähnt. Glaubt ihr, dass es derzeit
Bands gibt, von denen man in Zukunft sagen
wird, sie hätten einen vergleichbar großen
Einfluss wie diese Formation gehabt?
AZ:
ehrliche antwort? nein! Schau, die größte
britische band war zum letzten Mal vor über
vierzig Jahren auf tour. ich spreche von den
beatles. es ist bezeichnend, dass keine Gruppe je
wieder den Status dieser Formation erreicht hat.
aber es gibt heute auch niemanden, den man
zum beispiel mit led Zeppelin oder ähnlichen
Gruppen vergleichen könnte. Mein Gott, led
Zeppelin haben nicht mal Singles veröffentlicht!
das es solche prägenden bands heute nicht mehr
gibt, hat mehrere Ursachen. Zum einen geben
Plattenfirmen ihren künstlern keine Zeit mehr,
um sich zu entwickeln. nehmen wir mal U2: den
richtig großen durchbruch hatten die Jungs erst
mit ihrem fünften album. auch unsere erste
Platte war kein Platin-album. Welcher Major hat
heute noch die nerven, mit einem bloß halbwegs
erfolgreichen act weiterzumachen?
KJ:
andererseits sind die meisten Plattenfirmen
mittlerweile natürlich von großen konzernen
aufgekauft worden und können gar nicht mehr
nach eigenem ermessen handeln. es zählt die
rendite. ich glaube aber auch nicht, dass Plat-
tenbosse heute zum beispiel noch am Wochen-
ende zu Hause sitzen, sich einen rough-Mix
anhören und sagen: „Hey, das ist ja eine Wahn-
AZ:
Meines erachtens wird die bedeutung von
Plattenfirmen sowieso überschätzt. es sind
schließlich die Fans, durch die ein album zum
klassiker wird. das Publikum entscheidet letzten
endes, nicht die Promotion.
SC: Zunächst muss aber schon Substanz vor-
handen sein, oder? Ich finde zum Beispiel, dass
Nirvanas „Nevermind“ ein echter Klassiker
ist, der sich durchaus mit entsprechenden
Werken der 60er und 70er messen kann.
..
..
"
sinnsband!“ diese art von leidenschaft für Mu-
sik, die es früher durchaus auch auf Seiten der
industrie gab, ist verschwunden. Wenn Fragen
vom label kommen, dann bloß so etwas wie:
„Wo ist der Hit?“ Wir kriegen das gerade zu spü-
ren. Unser label V2 ist an Universal verscherbelt
worden. den einzigen Vorteil, den ich darin sehe,
ist der, dass sich meine Plattenfirma jetzt bloß
einige blocks neben meiner Wohnung befindet.
aber bei der atmosphäre, die so ein „Mutter-
schiff“ vermittelt, spart man sich den Spazier-
gang lieber. der abteilung, die für uns zuständig
ist, gehts ja momentan ohnehin nicht besonders.
dafür herrscht eine etage tiefer, im r-&-b- und
Plastikpop-Stockwerk, Party-Stimmung. das
kann nächstes Jahr schon wieder anders ausseh-
en. dann wird da unten womöglich trauer getra-
gen, und die rocker dürfen feiern.
Zindani:
absolut. Und es gibt auch gute Gründe,
warum „nevermind“ so durchschlagen konnte.
beispielsweise haben die Songs im Vergleich
zum Vorgänger „bleach“ echte Pop-Qualitäten.
auch der Mix von andy Wallace ist viel eingän-
giger. Und natürlich kam dave Grohl damals zur
band, meines erachtens einer der besten Hook-
drummer überhaupt. Wirklich beschreiben kann
man das Wesentliche an solchen Produktionen
dann aber doch nicht. das ähnelt, glaube ich, der
diskussion, die wir vorhin bezüglich vermeint-
licher albumkonzepte hatten. eines kommt zum
anderen: the edge zum beispiel setzt sich zu
einem bestimmten Zeitpunkt hin, spielt mit sei-
ner Gitarre und einigen effektgeräten herum –
und auf seltsame Weise entsteht daraus ein
klassiker wie „achtung baby“.
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Florian Zapf
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