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So wird aus virtuell ganz einfach real
Willkommen in der virtuellen Soundwelt. Keine Angst, ihr braucht keine
Gamepads, Videobrillen oder sonstiges Zubehör, um trotz der virtuellen
Sounds ordentlich rocken zu können – ihr braucht lediglich ein paar
andere Methoden, mit denen aus virtuell ganz schnell und einfach
real wird. Wir zeigen euch, wie das geht und welche Probleme es zu
Vermeiden gilt.
I
ch gebe zu, die ersten Begegnungen mit virtu-
eller Sounderzeugung können gespenstisch
sein. Sobald die PA und die Monitore ausge-
schaltet werden, herrscht schlagartige Ruhe. Kein
Bassgewummer, keine kreischenden Gitarren und
kein treibendes Schlagzeug mehr. Nur euer Sänger
oder die Sängerin sind noch in gewohnter Laut-
stärke zu hören. Klingt komisch – ist aber tatsäch-
lich so, wenn die komplette Band auf elektro-
nisches Equipment oder virtuelle Klangerzeuger
umgestiegen ist. Mit den explosionsartig gestiege-
nen Möglichkeiten bei Hard- und Software und
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den gleichzeitig stetig fallenden Preisen in diesem
Marktsegment wird dieses Szenario beinahe schon
täglich erschwinglicher – und auch absolut kon-
kurrenzfähig.
Regel 1
Alles symmetrisch,
alles getrennt
Anders als bei Naturinstrumenten und Mikro-
fonen ist es bei virtuellen Instrumenten uner-
lässlich, die elektrischen Potentiale zu trennen.
Nur so und nur mit einer symmetrischen Übertra-
gung zwischen Bühne und Mischpult habt ihr
Chancen, das Brummproblem wirkungsvoll auszu-
schalten. Mittel zum Ziel sind dafür sogenannte
Symmetriertrafos oder die bekannte D.I.-Box. Mit
Vorsicht zu genießen sind sogenannte Symmet-
rierverstärker, die zwar am Ausgang ebenfalls ein
symmetrisches Signal liefern, aber keine galva-
nische Trennung bieten, so wie es die Transforma-
toren tun. Hier droht also weiterhin Ungemach
durch Brummen oder Sirren. Haltet dabei die un-
symmetrischen Kabelwege möglichst kurz, denn
erfahrungsgemäß ist die Gefahr von Einstreu-
ungen gerade auf kleinen, engen Bühnen oft deut-
lich größer als auf geräumigen Bühnen, wo man
mit überlegtem Aufbau und räumlicher Trennung
viel Schaden bereits im Vorfeld abwenden kann.
inhalt
Es werde laut!
Special
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So kommt der virtuelle
Sound auf die PA
Die 7 goldenen Regeln
der Übertragung auf die PA
Auf zum Kauf
Uli Hoppert
Vertrauen ist gut,
Kontrolle ist besser
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Regel 2
Überlegt bei der
Netzversorgung
Wer auf virtuelle Klangerzeuger umstellt, der
wird sehr schnell feststellen: Die Zahl der be-
nötigten Steckdosen steigt!
Daher solltet ihr
mit eurer Entscheidung gegen das Stack und für
den Laptop auch direkt darüber nachdenken, wie
ihr euer neues Setup optimal mit Strom versorgt.
Nichts ist ärgerlicher – und zudem auch noch
anfällig für Fehler – als eine absurde Ansamm-
lung von Mehrfachsteckern, externen Netzteilen
und Verlängerungskabeln. Erstellt also eine Liste
aller Verbraucher, überprüft die Notwendigkeit
von externen Netzteilen und tragt so zusammen,
wie viele Zapfstellen ihr braucht. An Stelle von
vielen Verteilern aus dem Baumarkt oder vom
Wühltisch beim Discounter erledigt ihr die Ver-
teilung besser über professionelle Steckdosen-
leisten im 19"-Format oder Powerconditioner.
Regel 3
Packt Pakete
Ein virtuelles Setup hat einen sicheren Platz
verdient – und der sollte in einem stabilen
Case sein.
Das erhält – wie jedes Case – den
Wert, beugt Beschädigungen sicher vor und er-
leichtert die Arbeit ungemein. Einmal sauber
verkabelt ist das System immer sofort oder mit
wenigen Handgriffen spielfertig. Besonderes
Augenmerk solltet ihr dabei Laptops oder ande-
ren Computerteilen gönnen, solche Gerätschaf-
ten sind unter Umständen immer noch sehr
anfällig für Erschütterungen oder Stöße. Die In-
vestition in ein stoßgedämpftes Rack ist also
durchaus eine Überlegung wert. Darüber hinaus
gibt es für solche Geräte auch sehr viel sinn-
volles Zubehör zur Rackmontage. Angefangen
von der ausziehbaren Ablage für die Maus über
Dockingstations bis hin zum ausklappbaren Mo-
nitor für die volle Kontrolle.
Damit alles übersichtlich bleibt und schnell aufgebaut
ist, solltet ihr euer Equipment ins Rack packen.
Special: Virtuelle inStrumente – teil 2
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Ebenso sinnvoll wie die gute Verpackung ist
auch die gute Verkabelung.
Integrierte Netzver-
teilungen haben wir schon genannt, eine über-
legte Signalleitung ist natürlich genauso wichtig.
Kleine Subcores, zum Beispiel mit acht Wegen,
sind schneller vom Drumrack zur Stagebox verlegt
als acht einzelne Strippen, ein weiteres Minicore
zwischen Rack und dem Drumset selbst kann
ebenfalls eine Arbeitserleichterung sein und den
Aufbau damit schneller und sicherer machen. Die
Trigger können so an den Drums bleiben, der Ex-
pander dazu im Rack.
Regel 4
Denkt von Anfang
an ans Monitoring
Wer sich nur schlecht hören kann, der spielt
im Blindflug, wer sich jedoch gar nicht hört,
hat direkt verloren.
Beim Einsatz von virtuellen
Instrumenten kommt dem Monitoring daher eine
ganz besondere Bedeutung zu. Wo man früher
noch mit Kompromissen leben konnte, geht das
im virtuellen Zeitalter gar nicht mehr. Daher soll-
tet ihr von Anfang an eine Monitorlösung mit
einplanen. Ob ihr bei konventionellem Monito-
ring bleibt oder eine In-Ear-Lösung vorzieht, ist
dabei euren persönlichen Vorlieben überlassen –
wobei ich nicht verschweigen will, dass ein IEM-
System deutliche Vorteile hat. Preislich sind sol-
che Systeme mittlerweile adäquat zum Wedge, in
Sachen Performance sind sie gerade für virtuelle
Klangerzeuger bestens geeignet – und man redu-
ziert den Lautstärkepegel auf der Bühne noch
mal immens. Eine beliebte Variante fürs IEM ist
es, sich einen eigenen Splitmix zu mischen. Dazu
braucht ihr lediglich ein IEM-Setup, das zweika-
nalig funktioniert oder einen Mischer mit zwei
getrennt regelbaren Auxwegen in eurem Setup.
Lasst euch vom Frontpult eine Monosumme ge-
ben, die ihr bei euch auf der Bühne oder direkt im
IEM mit eurem eigenen Sound zusammenmischt
– somit könnt ihr selbst dosieren, wie viel Band-
anteil und wie viel Eigenanteil euer Monitor-
sound hat. Diese Methode funktioniert völlig
problemlos, solange ihr neben dem Bandmix nur
noch eine einzige Quelle dazumischen müsst,
zum Beispiel eure Gitarre oder den Bass. Für sin-
gende Gitarristen zum Beispiel wäre schon ein
eigener Kleinmischer notwendig, um Stimme, Gi-
tarre und Bandsound vom FoH zu einer Monitor-
mischung zu formen.
Regel 5
Modeling-Software wie Peaveys ReValver MkIII bietet
nahezu unendliche Möglichkeiten; dennoch gilt es, ge-
rade Live auf effektarme Sounds zu setzen.
Bleibt flexibel
Wer sich zu sehr auf etwas festlegt, dem bleibt
später die Möglichkeit versagt, um- oder anzu-
bauen.
Gleichzeitig soll das aber auch kein Frei-
fahrtschein für eine opulente Materialschlacht
sein. Der gelungene Mittelweg ist der richtige –
schont die Börse und erhält Platz und Möglich-
keiten für Neues. Bei einem FoH-Pult kommt si-
cher niemand auf die Idee, die exakt jetzt benöti-
gte Anzahl von Kanälen zu kaufen, sondern plant
natürlich Reserven ein. Warum also solltet ihr bei
eurem virtuellen Gear nicht auch ein wenig groß-
zügiger und vor allem vorausschauend planen. Ein
neues Keyboard braucht zwei weitere Inputs, ein
neuer Klangerzeuger am Drumset will ebenfalls
übertragen werden und nichts ist dann ärgerlicher,
als ein neues Pult oder ein neues Multicore kaufen
zu müssen, nur weil ein Weg zu wenig da ist. Noch
bitterer ist die Sache, wenn es schon weit vorher
scheitert – beim Case zum Beispiel. Ein neuer Ex-
pander muss her, aber das Case gibt keine einzige
HE mehr her?
– dann anders als bei der klassischen, analogen
Klangerzeugung, wo leichtes Verzerren unter Um-
ständen noch gut klingt und erst mit weiter stei-
gendem Pegel der Wohlklang ausbleibt, sieht die
Sache bei digitalen Erzeugern ganz anders aus. Bis
zum Punkt X klingt alles prima – und danach sofort
grottenschlecht. Digitale Klangerzeugung kennt
nämlich jenseits der 0 dB Grenze keine weich ein-
setzenden Verzerrungen, sondern nur sofortiges
hartes Clipping. Klingt augenblicklich so, wie eine
übersteuerte Digitalkonsole oder eine überfahrene
CD-Aufnahme. Dagegen hilft nur eiserne Disziplin
und eiserne Reserve, denn die alte Regel sagt, dass
zum Ende hin alle noch mal lauter werden – auch
die virtuellen Klangerzeuger.
Eine weitere, große Gefahr besteht in der Viel-
falt der Quellen.
Wart ihr bislang noch auf ein
physikalisch vorhandenes Drumset oder eine be-
grenzte Anzahl von Boden- oder anderen Effekten
für eure Gitarre festgelegt, so gibt es virtuell eine
fast unüberschaubare Anzahl an Möglichkeiten –
und alles auf Knopfdruck. Einige Softwarelösungen
erlauben sogar, Röhrentypen und Verkabelungsva-
rianten eures Modelling-Amps per Mausklick um-
zuschalten. Schöne, neue Welt, schöne, neue Viel-
falt – doch hier droht Gefahr, sich zu verzetteln.
Statt eines klaren und sauberen Sounds wird hier
noch einer draufgelegt, dort etwas oszilliert und
hier noch etwas aufgedoppelt, der Drummer be-
kommt eine Quadro-Kickdrum, der Basser spielt
vierhändig und des Keyboarders Burg ist mittler-
weile zum unübersehbaren Soundschloss gewor-
den. Aufs FoH-Pult stürmen all diese Sounds ein,
die räumlich betrachtet mehr zur Stadionbühne
Regel 6
Auch virtuell kommt es
immer auf die Quelle an
Auch wenn die Qualität der verfügbaren
Sounds und Klangerzeuger immer besser wird,
so gibt es doch auch hier ein paar Punkte, die
ihr unbedingt beachten solltet.
Die Pegel stehen
dabei an allererster Stelle. Der beste Sound aus
einem Modul klingt einfach unerträglich, wenn er
schon an der Quelle hemmungslos übersteuert
wird. Wobei echte Hemmungslosigkeit bei virtu-
ellen Instrumenten eigentlich gar nicht möglich ist
Wenn ihr keinen Amp auf der Bühne habt, müsst ihr
unbedingt ans Monitoring denken.
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denn zum verqualmten Rockschuppen passen
würden und das Gesamtergebnis ist ein einziger
Klangbrei. Wo da noch der Gesang Platz haben
soll? Keine Ahnung. Also lieber Mut zum prakti-
kablen und damit auch zum realen – obwohl
doch alles rein virtuell ist.
Antesten bereits wie eine ganze Wall of Sound
und zaubert euch ein unendliches Grinsen ins
Gesicht. Spätestens auf der Bühne ist aber
Schluss mit Grinsen – auf jeden Fall aber beim
Sänger. Der hat nämlich ab jetzt null Chancen,
da noch drüber zu kommen.
Bevor ihr also mit eurem neuen Setup auf
die Bühne geht, müsst ihr euch an Sounds
und Möglichkeiten gewöhnen, die Live
funktionieren – und die vor allem im Band-
zusammenhang funktionieren.
Den Megab-
reitwandsound hebt euch dann für euer Solo
auf, dort ist er besser aufgehoben. Für euren
Tonmann bedeutet das unter Umständen, dass
er eure neu erworbenen Sounds erst mal ken-
nen muss, sich daran gewöhnen muss und da-
nach das Ganze zum gelungenen Mix formen
kann. Bisweilen mag man erstaunt sein, wie
viel Klangregelung womöglich notwendig ist,
Regel 7
Nehmt euch Zeit
für den PA-Sound
Virtuell ist alles anders.
Denn genau wie bei
unserer sechsten Regel droht auch hier noch
einmal Ungemach – nämlich dann, wenn ihr mit
euren neuen, virtuellen Errungenschaften auf
Teufel komm raus versucht, einfach nur zu ko-
pieren, was früher ganz anders möglich oder
nötig war. Mit den neuen Optionen der virtu-
ellen Instrumente muss sich auch euer Mann am
»
So großartig die Möglichkeiten auch sein mögen,
manchmal ist auch virtuell weniger mehr.«
um bestimmte Sounds bühnentauglich zu ma-
chen. Kleiner Tipp: Zu viel Bass ist fast immer
drin – schließlich soll das Ganze ja solo richtig
fett klingen. Aber Vorsicht: So großartig die
Möglichkeiten auch sein mögen, manchmal ist
auch virtuell weniger mehr als real zu viel. Im
verqualmten Keller oder im puffigen Club
klingt eine rotziger Bluessound aus dem virtu-
ellen Combo immer noch passender als ein
virtueller bombastischer Hi-Gain-Sound aus
einer bühnenrückwandfüllenden Wand aus
unzähligen Fullstacks.
Mixer deutlich umstellen, genau wie ihr eure
Spielweise am Instrument umstellen müsst.
Viele Sounds aus virtuellen Klangerzeugern sind
nämlich zunächst so programmiert, dass sie für
sich alleine erst mal satt und voll klingen. Key-
boardsounds sind da ein perfektes Beispiel – hört
euch einfach mal Flächensounds an. Superbreit
und megastereo, mit einem gigantischen Lo-
wend und einer unglaublichen Fülle. Klingt solo
beeindruckend, kleistert aber im Mix später alles
zu. Extrafette Killergitarrensounds spielen in der
gleichen Liga, der Modellingamp klingt beim
Achtet beim FoH- und Monitoringsound auf die Bässe, da die bei virtuellen Instrumenten fast immer zu viel sind.
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