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Workshop: songWriting
Songwriting – Teil 5
Plastik oder nicht Plastik – 80er-Pop
In dieser Folge werden wir uns zunächst einmal mit dem Jahrzehnt beschäftigen, in
dem Pop so groß und bedeutsam war wie wohl nie wieder davor oder danach. Die
Rede ist von den 80er-Jahren und den neuen Produktionstechniken in Tonstudios.
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ie 80er-Jahre waren schon eine ko-
mische Zeit. Voll von modischen und
musikalischen geschmacksverwirrungen
und ästhetischen aussetzern. Quitschbunte
Leggins waren genauso angesagt wie Jackets
mit Schulterpolstern und Föhnfrisuren. alles er-
schien bunt, schrill und überdreht. gleichzeitig
gebar dieses Jahrzehnt aber, nicht zuletzt durch
mithilfe von mtV, die größten megastars aller
Zeiten: madonna und michael Jackson stiegen
auf zur Queen beziehungsweise King of Pop und
erreichten Plattenverkäufe in schwindelerre-
gender Höhe. allein das album „thriller“ von mi-
chael Jackson ging über 100 millionen mal über
die Ladentheke und ist damit bis heute das meist
verkaufte album aller Zeiten.
Technische Neuerungen
der 80er
Als erstes müssen wir uns aber einen Überblick
über die technischen Errungenschaften jener
Zeit verschaffen, um zu verstehen, warum die
80er so klangen wie wir sie kennen.
auf der
analogen Seite markieren die 80er-Jahre den Hö-
hepunkt der Entwicklung in der tontechnik: Bis zu
48 aufnahme-Spuren waren nun problemlos
möglich, gemischt wurde über riesige mischpulte
von SSL oder Neve. Viel wichtiger aber war die
Entwicklung auf der digitalen Ebene. So wurde es
nun möglich die mischpulte mit einer automation
zu versehen um etwa jede Spur –insofern einmal
eingestellt – automatisch in der Lautstärke ver-
ändern zu können.
Ebenso wichtig war die Erfindung digitaler
Hallgeräte, etwa von der Firma Lexicon.
mit deren Hilfe waren die großen Hallräume die
man von 80er-Jahre-Produktionen kennt mög-
lich. außerdem erschienen in diesem Jahrzehnt
die ersten erschwinglichen Sampler und digi-
talen Synthesizer. Im Jahre 1984 etwa brachte
Yamaha den DX7 auf den markt der mit seiner
neuartigen Fm-Synthese den Sound vieler Hits
dieser Dekade prägen sollte.
Die wichtigste Neuerung jedoch war zwei-
felsohne die Einführung des MIDI-Standards
im Jahre 1983.
mIDI bezeichnet einen Standard
mit dessen Hilfe man Noten digital aufzeichnen
und wiedergeben kann. Damit war es plötzlich
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möglich Drumcomputer, Synthesizer und Sam-
pler synchron von einem Sequenzer aus anzu-
steuern. grooves, Basslines und melodien konn-
ten nun in einem Sequenzer mit nie zuvor da
gewesener Präzision und genauigkeit erstellt
werden. Erst dadurch war der „maschinenhafte“
Sound vieler 80er-Jahre-Produktionen über-
haupt erst möglich. Kommen wir nun aber zu
unseren Beispielsongs. Beide Songs könnten un-
terschiedlicher nicht sein. Während der eine fast
alle 80er-Jahre-Klischees in sich vereinigt, ist
der andere das genaue gegenteil davon und
trotzdem ein typisches Kind seiner Zeit.
a-ha „Take On Me“
Unser erster Beispielsong soll wie gesagt
exemplarisch für den Synthie-Pop der 80er-
Jahre stehen.
Die Rede ist dabei von „take on
me“ von a-ha. Der Song stammt aus dem al-
bum „Hunting High and Low“ aus dem Jahr
1985 und war bis auf den heutigen tag der
größte Hit der norwegischen Band um Sänger
morten Harket. Wenn wir uns „take on me“ an-
hören, finden wir hier programmierte Rhyth-
men, nach Plastik klingende Synthesizer-Linien
und eine auf Hochglanz polierte Produktion auf
der außer dem gesang alle weiteren Elemente
dem Computer entstammen.
diesem gehts dann noch einmal in eine Strophe
(die dritte) bevor der Song zum finalen Refrain
ansetzt, der natürlich einige mal wiederholt wird
und dabei langsam in einem Fade-out verschwin-
det. Über dem letzten Refrain verändert sich dann
auch der gesang leicht. Zum Background-Chor
und der eigentlichen Hauptstimme gesellen sich
noch einige Einwürfe, so genannte ad-Libs hinzu.
Natürlich gibt es auch für diesen Song die Har-
monie-abfolge und die Bestimmung der tonart:
Strophe:
| Hm | E | A | D |
| Hm | E | A | D |
| Hm | E | A | D |
| Hm | E | F#m | D |
Refrain:
| A | C#m/G# | F#m | D |
| A | F#m/G# | F#m | D |
| A | C#m/G# | F#m | D |
| A | C#m/G# | D | E |
Die Schrägstriche, etwa im zweiten Takt des
Refrains, deuten an, dass der Ton nach dem
Schrägstrich als Basston zum Akkord hinzuge-
fügt wird.
In besagtem Beispiel wird also der
Dreiklang C#m (C#, g#, D#) so gespielt, dass ein
g# im Bass liegt. Dadurch ergibt sich ein leicht
anderer Klang als bei der grundform des akkords.
Künstliche Hallräume wurden schon in den 70ern
erfunden:
Lexicon 224X
»
das voll ausnutzen und verschrieben sich mit Haut
und Haaren diesen neuen methoden und tech-
niken. Das führte dann sogar soweit, dass man
auch „echt“ gespielte Spuren versuchte möglichst
perfekt und maschinenhaft einzuspielen.
Meist klingen die Rhythmusparts von U2 relativ
simpel und bestehen aus wenigen Tönen.«
außerdem hat man auf diese Weise eine schöne
absteigende Basslinie von a über g#, F# bis hin
zum D. Eine beliebte technik von arrangeuren der
wir im Laufe dieser artikelreihe noch häufiger be-
gegnen werden. Betrachtet man alle vorkom-
menden akkorde, so stellt man fest, dass „take on
me“ in der tonart a-Dur steht. a-Dur ist also die
tonika und D und E bilden Subdominante und Do-
minante während F#m, Hm und C#m die jewei-
ligen parallelen Dreiklänge in moll dazu bilden.
Das ganze Arrangement ist extrem typisch für
die 80er. Wie bereits angedeutet, sind alle
Spuren mit MIDI programmiert und verströmen
dadurch einen cleanen fast schon sterilen Cha-
rakter.
gleichzeitig wird der Hautgesang, das ein-
zig „echte“ an dem Song von einem Chorgesang
unterstützt der in einem großen Hall beinahe er-
trinkt. Die möglichkeiten von mIDI und Sequen-
zern ließ plötzlich musik entstehen, die so kein
echter musiker je hätte spielen könnte. Und of-
fensichtlich wollten die Produzenten dieser Zeit
Typischer 80er-Jahre-Pop mit viel Plastik im Sound:
a-ha „Hunting High and Low“
U2 – Where The Streets
Have No Name
Ein Gegenentwurf zum Synthie-Pop á la a-ha
oder Depeche Mode bildete damals die irische
Band U2.
Sie stieg ebenfalls in den 80er-Jahren
in den Pop-olymp auf. Wichtiger Schritt dazu
war vor allem ihr 87er-album „the Joshua tree“
mit Hits wie „Still Haven´t Found What I´m Loo-
king For“ oder „With or Without You“. Wir wol-
len uns mit dem Song „Where the Streets Have
No Name“ beschäftigen und dabei ergründen,
was den speziellen Sound von U2 ausmacht.
Diesen Sound, der auch heute noch problemlos
große Stadien füllt, kann man eigentlich an drei
charakteristischen Punkten festmachen:
grundlage der Songs bilden immer die Rhyth-
musgruppe um adam Clayton (Bass) und Larry
mullen jr. (Drums). meist klingen diese Rhyth-
musparts relative simpel und bestehen aus
wenigen tönen (Bass) beziehungsweise einem
einfachen groove (Drums). gerade durch diese
Einfachheit erzeugen sie aber ein absolut sta-
biles, rhythmisches Fundament über dem der
zweite Baustein des U2-Sounds erst funktio-
nieren kann.
U2-gitarrist „the Edge“ ist einer der wenigen
Vertreter seiner Zunft, dem man ohne zu Zö-
gern eine eigene Handschrift attestieren kann.
meist spielt auch er nur kleine, unscheinbare
Ablauf
Der Song beginnt mit einem unverkennbar
programmierten Beat, der gar nicht erst ver-
sucht „echt“ zu klingen.
Nach vier takten setzt
dann das bekannte Synthesizer-Riff ein, welches
ebenso wie der gesang als ohrwurm dienen kann.
Danach haben wir es mit dem für einen Pop-Song
typischen Wechsel-Schema von Strophe und Re-
frain zu tun, welches zwei mal wiederholt wird.
Nach dem zweiten Refrain kommt ein kurzes Zwi-
schenspiel aus mehreren übereinanderliegenden
Synthesizer-Sounds bevor wieder das Riff aus
dem Intro ertönt. Nach
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Ablauf
Der Song beginnt wie bereits erwähnt
mit einem Orgel-Intro
über das sich
nach und nach ein gitarren-arpeggio im
typischen U2-Sound einblendet. Interes-
sant dabei ist, dass diese gitarrenfigur zu-
nächst in einem 6/8-takt steht und erst
kurz vor dem Einsatz der Band zu einem
4/4-takt wechselt. mit dem Einsatz der
Band beginnt das eigentliche Intro mit fol-
gendem ablauf:
|D|D|D|D|
|G|G|D|D|
|G|G|D|D|
| Hm | Hm | A | A |
| C9 | C 9 | C9 | C9 |
Wie schon erwähnt spielen Schlagzeug und
Bass einen simplen aber umso wirkungs-
volleren Groove.
Ergänzt wird dieser groove
noch durch eine Percussionspur die mit viel De-
lay versehen ist. Die gitarrenfigur vom Beginn
taucht hier auch wieder auf. Durch die Delays
wirkt dieses Riff unglaublich treibend und ver-
leiht dem Song etwas gehetztes. Danach folgen
abwechselnd Strophe und Refrain, die sich har-
monisch wie folgt zusammen setzen:
Strophe:
|D|D|D|D|D|D|
| G | G | Hm | Hm | A | A |
| C9 | C 9 | C9 | C9 |
Refrain:
|D|D|D|D|
|G|G|G|G|
| Hm | Hm | A | A |
|D|D|D|D|
Der Basis-Groove von Schlagzeug und Bass
wird die ganze Zeit durchgespielt.
Strophe und
Refrain unterscheiden sich vom arrangement her
lediglich durch unterschiedliche gitarrenriffs. So
wechselt die gitarre in der Strophe etwa auf ei-
nen einzelnen akkord der mit so genannten „Dead
Notes“ gespielt wird. Das bedeutet, der akkord
wird nicht fest auf die Saiten gedrückt sondern
lediglich leicht gegriffen, sodass die Saiten nicht
Wissen
Wichtige Klassiker
auch diesmal gibts einige Vorschläge die ihr
euch anhören könnt um euch weiter mit der
materie zu beschäftigen:
Der König ist tot es lebe der König! auch
wenn ihr möglicherweise genug vom
michael-Jackson-trubel der letzten Zeit
habt: Der mann war einfach stilprägend.
Stellvertretend sei hier noch mal „thriller“
von 1982 erwähnt.
gleiches gilt für seine Kollegin madonna.
Depeche mode haben den Begriff „Synthie-
Pop“ wie keine andere Band geprägt.
Eine Hit den man unweigerlich mit den
80ern verbindet ist auch „Big in Japan“ von
alphaville.
Nicht zu vergessen natürlich genesis bzw.
die Solo-alben von Phil Collins.
Ebenfalls empfehlenswert in diesem
Zusammenhang ist die DVD-Reihe „Classic
albums“. In jeder Folge wird die Entstehung
eines berühmten albums nachgezeichnet.
(Natürlich nicht nur alben aus den 80er
Jahren)
Platz 26 auf der Liste der 500 besten Alben des Rol-
ling-Stone-Magazins:
U2 „the Joshua tree“
Licks und Linien, manchmal auch nur einen
einzigen akkord. Diese werden aber mit Hilfe
von geschickt programmierten Delays und zu-
sätzlich viel Hall und modulationseffekten zu
großen Klanggebilden aufgeschichtet. Diese
sphärischen Klänge machen einen großteil der
Faszination U2s aus.
Letzter Baustein ist natürlich die Stimme von
Sänger Bono. man mag ihn ob seiner Selbst-
inszenierung als gutmensch und Weltretter nun
hassen oder lieben, die Stimme ist schon beein-
druckend und sorgt für das gänsehautfeeling.
auch „Where the Streets Have No Name“ bein-
haltet all diese merkmale. Der Song besteht aus
drei teilen: Dem Intro, der Strophe und dem Re-
frain. Zusätzlich gibt es vor dem eigentliche
Intro und nach dem letzten Refrain noch je-
weils einen Part indem die gitarre, untermalt
von einer orgel, alleine arpeggios spielt.
mehr frei schwingen können. Den Rest erledigen
wiederum einige Delays, die das ganze dann zu
einem treibenden Rhythmus aufbauen. Im Refrain
spielen dann beide gitarren (melodisch und rhyth-
misch) zusammen. Der letzte Refrain wird dann
doppelt so lange gespielt und danach endet der
Song wie er begonnen hat. Die schon bekannten
gitarren-arpeggios unterlegt von einer orgel ver-
klingen nach und nach in einem Fade-out.
Die Tonart des Songs ist D-Dur.
als Besonderheit
erscheint lediglich der C9-akkord (bestehend aus
den tönen: C, E, g, und D) der in dieser tonart ei-
gentlich nichts zu suchen hat. allerdings ist die „9“
in dem akkord ja wiederum ein D. Dadurch akzep-
tiert man ihn dennoch als zum Song gehörend. Ein
schönes Beispiel also wie man auch einen fremden
akkord in einen Song einbauen kann und damit
einen schönen Effekt erzielen kann.
Das Interessante an diesem Song beziehungs-
weise am Sound von U2 ist nun, dass er im
Gegensatz zu den anderen Topacts jener Zeit
komplett auf programmierte Parts verzichtet.
Zwar klingt der groove von Drummer Larry mul-
len jr. manchmal auch recht maschinenhaft und
die gitarrensounds von the Edge erinnern häufig
an Synthesizer-Schraubereien aber noch ist hier
alles handgemacht und echt gespielt.
Auch mit dieser Folge haben wir das Kapitel
Pop noch nicht ganz abgeschlossen.
aber statt
Föhnfrisuren und eng anliegender Jeans werden
wir es in der nächsten Folge mit rüpelhaften Eng-
ländern zu tun haben die sich ganz unbescheiden
als größte Band der Welt bezeichnen. Die Rede ist
von oasis, der Brit-Pop-Band schlechthin.
Wegweisend durch FM-Synthese:
Yamaha DX7
moritz maier
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