WORKSHOP | SOUND
© PPVMEDIEN 2010
die selbst bei aufwendigster
Mikrofonierung und wildestem
Cross-Routing in einer echten
Studioumgebung nie realisier-
bar wären. Nachfolgend dazu
einige interessante mögliche
Einsatzbeispiele.
Klassisch tontechnische
Anwendungen
Ein Problem, dass beim Recor-
ding von Naturdrums im Studio
immer wieder auftritt und mit
der Architektur des Instruments
selbst zusammenhängt, ist das
mehr oder weniger kontrollierte
Mitschwingen verschiedenster
Einzelinstrumente des Drum-
sets während des Spiels. Durch
das Anschlagen einer Trom-
mel können andere Teile des
Schlagzeugs zum Schwingen
angeregt werden, die Gesetze
der Frequenz-Resonanz spielen
hier eine große Rolle, aber auch
ganz einfach die impulshafte
Resonanz, da die Einzelinstru-
mente sehr beieinanderstehen
oder durch Hardware/Stative
verbunden sind. Ein stark ra-
schelnder Snareteppich bei
Anschlag beliebiger anderer Ins-
Viele klassische und sounddesignlastige Presets wurden von unterschiedlichsten
Produzenten und Musikern unter Einbeziehung der Möglichkeiten des Bleed erstellt.
TOONTRACK ZONE
>
Spezialitäten des Superior Drummer 2.0
I
n der letzten Folge der Toon-
track Zone haben wir uns
bereits an die Beschreibung
einiger der sehr umfangreichen
Features des Superior Drum-
mer 2.0 von Toontrack Music
herangewagt. In dieser Folge
werfen wir einen genaueren
Blick auf die Möglichkeiten der
Soundgestaltung durch unter-
schiedliche Mikrofonierung.
Die Schlagzeugabnahme
Maßgeblich verantwortlich für
einen realistischen Eindruck
des Klangverhaltens eines
„richtigen“ Schlagzeugs ist das
Übersprechen der Einzelinstru-
ment-Signale in nicht nur das
jeweilige zugehörige Mikrofon
(Close-Miking), sondern ebenso
in alle anderen offenen Mikro-
fone. Ein Schlag auf die Snare
wird nicht nur von dem oder den
Snare-Mikrofon(en) aufgezeich-
net, ebenso trifft ein im Pegel
geringerer Signalanteil dieses
Snare-Schlages auf die Mikro-
fone der Toms, die Overheads
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KEYS 09/2010
oder Raummikrofone und wird
von diesen entsprechend leiser
abgebildet. Toontrack hat bei
allen verfügbaren Libraries des
Superior Drummer während
des Samplings jeder einzelnen
Klangquelle (Einzelinstrumente
wie Snare, Tom oder Bassdrum)
sowohl das isolierte Direktsig-
nal aufgezeichnet, als auch das
Übersprechen in jedes einzelne
weitere offene Mikrofon im Auf-
nahmeraum – was eine tech-
nisch und logistisch durchaus
aufwendige Art des Recordings
darstellte. Doch dieses Über-
sprechen der Signale (englisch
Bleed genannt) wurde nicht ein-
fach nur mit aufgenommen, im
Mixer des SD2.0 lässt sich für je-
den Kanalzug de nieren, welche
anderen Signale wie laut in das
eigene Mikrofon übersprechen
sollen. Beispielsweise kann so
für das Mikrofon und den Kanal-
zug der Hi-hat genau eingestellt
werden, wie stark die Snare, die
Bassdrums, Toms oder andere
in diesem Hi-hat-Mikrofon mit-
klingen sollen. Eingestellt wird
das Verhältnis im Mixer indi-
viduell pro Einzelinstrument in
der sogenannten Bleed Control
in der Mitte des Kanalzugs. Ein
Klick auf Edit öffnet die vorhan-
denen Einstellmöglichkeiten.
Bei Bedarf mehr als
die Physik erlaubt
Dass sich das jeweilige Über-
sprechen der übrigen zum
Schlagzeug gehörenden Ins-
trumente in jedem Kanalzug in-
dividuell in Intensität und Laut-
stärke regeln lässt, ist in der
realen Recording-Welt in dieser
Form schlichtweg nicht möglich
und kann nur durch die virtuelle
Abbildung innerhalb der Sam-
ple-Engine des SD2.0 erreicht
werden.
Die hierdurch ermöglichten An-
wendungen während der Pro-
duktion sind unerschöp ich
und reichen von klassischer und
sehr praktischer Bearbeitung
bis hin zu sehr abgedrehten und
verrückten Soundgestaltungen,
Der Bleed-Dialog für den SD-Kanal-
zug bietet individuelle Level für alle
übrigen Mikrofonsignale und jeweils
einen Polaritätsumkehrschalter.
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trumente wie Bassdrum oder
Toms ist wohl das klassischste
und bekannteste Beispiel einer
Resonanz-Übertragung und
kann über die Bleed-Funktion
im SD2.0 Mixer ganz einfach
eliminiert oder entsprechend
unter Kontrolle gebracht wer-
den. Ebenso lassen sich na-
türlich auch ungewollt reso-
nierende Toms bändigen. Die
Bleed-Funktion jedes einzelnen
Kanalzugs ermöglicht zudem,
den Realismus des Überspre-
chens der Mikrofone für die
eigenen Ansprüche während
der Produktion im Detail festzu-
legen, was zu sehr realistischen
Ergebnissen führt.
Während der Produktion und
des Mixings von live mikrofo-
nierten und aufgenommenen
Drums im Studio steht man
oftmals vor einer Entweder-
Oder-Entscheidung, wenn es
um die Kompression der unter-
schiedlichen Instrumentengrup-
pen geht. Beispielweise möch-
te man Bassdrum, Snare und
deren Raumklang sehr stark
und kompakt komprimieren,
um einen druckvollen und sehr
durchsetzungsstarken Sound
zu erreichen. Bei klassischen,
realen Recording sind aber
während der Aufnahme auch
große Anteile der Cymbals mit
auf diesen Mikrofonsignalen
gelandet, die durch eine starke
Kompression ebenfalls bearbei-
tet würden. Dies ist nicht im-
mer erwünscht, in vielen Fällen
möchte man die Becken aus
dieser starken dynamischen
Bearbeitung sprichwörtlich „he-
raushalten“ um ihren natürlichen
Charakter nicht zu zerstören. Im
klassischen Recording ist man
für viele Produktionen deshalb
sogar dazu übergegangen, die
Becken nicht gleichzeitig mit den
übrigen Trommeln einzuspielen,
was allerdings den Drummer
nicht unerheblich fordert. Über
die individuellen Einstellungs-
möglichkeiten der Bleed-Funk-
tion im SD 2.0 Mixer kann die-
se Klangbearbeitung dagegen
ohne viel Aufwand realisiert wer-
den, indem das Übersprechen
der Trommeln in die Cymbal-,
Overhead- und Raummikrofone
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Über diesen Dialog des Send-
Routings kann man das Senden
des Direktsignals vom Bleed
entkoppeln und unterschiedliche
Lautstärke-Levels wählen.
weitestgehend oder auch ganz
unterbunden wird. Die Bleed-
Control ermöglicht somit, wenn
gewünscht, eine stufenlose und
individuell wählbare saubere
Trennung der Einzelkomponen-
ten des Schlagzeugs. Ebenso
unterstützt sie natürlich auch
ein heilloses Übersprechen al-
ler Einzelsignale untereinander,
die Möglichkeiten sind uner-
schöpflich.
eigentliche Direktsignal. Ob dies
nun klanglich erstrebenswert
ist oder nicht, es zeigt die po-
tenziellen Möglichkeiten, die in
einer derartigen Entkoppelung
der Verhältnisse des Überspre-
chens und der Verfügbarkeit
jeder einzelnen Klangquelle als
individuellem Bleed stecken.
Über die in jedem Kanalzug
verfügbaren fünf frei routbaren
Sendwege wird ein weiteres
sehr interessantes Feature be-
reitgestellt. Wird in einem Ka-
nalzug der Send aktiviert, so
bietet der SD2.0 Mixer nicht
nur – wie bei einer üblichen
Mischpultarchitektur – die Mög-
lichkeit, einen Anteil dieses Si-
gnals an einen frei wählbaren
Bus-Weg zu senden. Ebenso
kann ein Teil der Kanalüber-
sprechungen „mitversendet“
werden, oder wahlweise auch
nur das Übersprechen/Bleed
dieses Kanal-Signals. Hierdurch
wird es beispielsweise möglich,
von ausgewählten Kanalzügen/
Einzelinstrumenten lediglich
die Übersprechungen an einen
Stereo-Bus zu senden, um nur
diese dort über entsprechende
Inserts (EQ, Filter, Kompressor,
Gate oder Transientendesigner)
nach Belieben zu bearbeiten.
Als eines von unzähligen An-
wendungsbeispielen sei hierzu
angemerkt, dass beispielsweise
lediglich die Übersprechungen
zwischen den Trommeln auf
einen Bus gesendet stark ge-
filtert und komprimiert werden
könnten – Resultat ist ein sehr
interessantes, ungewöhnliches
und letztlich irreales Klanger-
gebnis, das allein durch die
Bleed-Möglichkeiten des SD2.0
realisiert werden kann.
Die Bleed-Control ermöglicht es
also auf der einen Seite einen
sehr realistischen Sound eines
klassisch aufgenommenen
Drumsets nach den eigenen Vor-
stellungen und Anforderungen
zu formen und gegebenen-
falls zu kontrollieren, wobei die
Möglichkeiten des Eingriffs, der
Bearbeitung und der Kontrolle
jener einer realen Recording-/
Mixing-Situation in vielerlei Hin-
sicht deutlich überlegen sind.
Zusätzlich können über die
Bleed-Funktionalität ausgespro-
chen ungewöhnliche klangliche
Ergebnisse erzielt werden, die
eben erst durch die Entkoppe-
lung der nun völlig frei verfüg-
baren Signalanteile des Über-
sprechens der Einzelmikrofone
möglich sind.
Die von namhaften Produzenten
speziell erstellten und mitgelie-
ferten „Combined Presets“ de-
cken nicht nur für alle Aspekte
des SD2.0 Mixers (Drumkit, Arti-
culation, Envelope, Pitch, Mixer-
Settings) ab, sondern liefern
bereits viele sinnvolle und cha-
rakteristische Beispiel-Presets
für das Verhalten der Bleeds.
Und über die Einstellungen
der EZ-Mixer-Funktionen sind
selbstverständlich auch eigene
Kreationen möglich, die jeder-
zeit speicher- und wieder abruf-
bar sind.
Norman Garschke
Sounddesign mit Bleed
Besonders bei ungewöhnlichen
und extremen Einstellungen
ergeben sich sehr charakteris-
tische Effekte, die in der realen
Welt teilweise gar nicht möglich
wären. Da die Pegel der Über-
sprechungen in jedem Einzel-
kanal individuell in ihrer Laut-
stärke geregelt werden können
und dies auch unabhängig von
den Fadereinstellungen des
Kanalzugs des Direktmikrofons
geschieht, kann beispielsweise
das Übersprechen einer Snare
in das Overhead-Mikrofon viel
lauter geregelt werden als das
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