Essentials Stereosichtgeraete
setup
recording
ESSENTIALS
Stereosichtgeräte
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Wolken-Bildung
DAS KANN EUCH EIN GONIOMETER ÜBER EURE MISCHUNG SAGEN
METERING
Mit Korrelationsgradmesser und Stereosichtgerät sieht ein Studio
schon gleich mal richtig professionell aus. Die zappelnde Wolke
macht was her – aber das ist nicht der Grund, warum das Gerät
da steht. Vielmehr liefert es harte und wichtige Fakten über den
Zustand des Signals, die man jedoch erst einmal lesen können muss.
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Foto: Wilschewski
recording magazin 3/09
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Ich gehe die kurze schmale Treppe hinauf
in den Ü-Wagen und bin plötzlich von dem
verregneten und matschigen Februarabend
mitten in eine kleine High-Tech-Welt gera-
ten. Da ist ein kleines Mischpult, ein paar
Kontrollmonitore und die Sprechstelle
einer Kommandoanlage. Und ein klei-
ner Bildschirm, auf dem im Rhythmus der
Sprache und Musik wilde Linien umher-
wandern und zucken. So ein Gerät hatte ich
noch nie gesehen und nachdem ich wohl
lange genug drauf gestarrt hatte, erklärte
mir der Tonmeister vor Ort, es handle sich
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um ein Goniometer. Ich nickte höflich und
nahm mir fest vor, zu Hause etwas mehr
über dieses seltsame Gerät in Erfahrung
zu bringen. Diese Geschichte ist nun schon
fast 20 Jahre her. Ich hatte damals tatsäch-
lich nicht mehr von dem Goniometer mit-
bekommen, als dass es toll war, die Musik
auf ihm zu beobachten. Allerdings habe ich
auch meinen Vorsatz wahr gemacht und
mich ein bisschen weiter über dieses Gerät
informiert, da es ja wohl kaum nur als op-
tischer Hingucker in dem Ü-Wagen einge-
baut worden sein konnte.
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Stereosichtgeräte
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Zunächst zum Begriff: Das Goniometer ist
eigentlich allgemein ein Winkelmessgerät.
In der Tontechnik können damit Phasenwinkel
zwischen zwei Signalen dargestellt wer-
den. Allerdings ist mittlerweile gerade in der
Tontechnik eher der Begriff Stereosichtgerät
üblich. Im englischsprachigen Raum ist es der
Begriff Vectorscope. Die Signale, die norma-
lerweise auf dem Stereosichtgerät dargestellt
werden, sind die Kanäle Links und Rechts
Das klassische Goniometer war
eine Kathodenstrahlröhre.
– also die Stereosumme.
Sinn und Zweck der Darstel-
lung ist das Erkennen der
Monokompatibilität, das An-
zeigen der Stereobasisbreite
und die Möglichkeit zu sehen, ob das Signal
eventuell in eine Richtung hängt.
Ein Stereosichtgerät ist eigentlich ei-
ne ganz einfache Konstruktion:
In einer
Kathodenstrahlröhre (noch bekannt aus den
guten alten Röhrenfernsehern oder -monitoren)
werden Elektronen in einem Vakuum beschleu-
nigt, welche dann mit hoher Geschwindigkeit auf
die Bildfläche auftreffen und die dort angebrachte
Phosphorschicht zum Leuchten bringen. Das
ergibt zunächst nur einen kleinen Leuchtpunkt
genau in der Mitte des Bildschirms. Durch zwei
Ablenkvorrichtungen (das können Platten oder
Spulen sein) kann der Elektronenstrahl in X- und
in Y-Richtung abgelenkt werden, so dass der
Punkt weiter links oder rechts beziehungsweise
oben oder unten auftrifft. Somit lässt sich der
Punkt über den gesamten Bildschirm an einer
beliebigen Stelle positionieren. Diese Betriebsart
einer Kathodenstrahlröhre ist auch unter X/Y-
Betrieb bei einem Oszilloskop bekannt.
Zum wirklichen Stereosichtgerät fehlen
jetzt noch ein paar Kleinigkeiten:
Da die
Kanäle Links und Rechts betrachtet werden
sollen, ist eine Ablenkung in X- und Y-Richtung
nicht benutzerfreundlich. Besser wäre eine
Ablenkung nach Links und nach Rechts, um
direkt die gehörten Richtungen auch sehen
zu können. Aus diesem Grund wird einfach
der Bildschirm um 45° nach rechts gedreht.
Dadurch bekommt man statt der (horizontalen
X-Achse) eine schräg nach oben ansteigende
Achse – den rechten Kanal. Aus der (senkrech-
ten) Y-Achse wird eine entsprechend spiegel-
bildliche Achse, die von links oben nach recht
unten geht. Die zweite notwendige Funktion ist
eine Automatic Gain Control – kurz AGC. Dies
ist ein Regelkreis, der das Eingangssignal in der
Hier wurde am Steckfeld ein Patchkabel nicht
ganz reingesteckt, dadurch ergibt sich am
Goniometer ein entsprechendes Bild.
Verstärkung automatisch anpasst, so dass sich
immer ein möglichst optimale Darstellung er-
gibt. Leise Signale, die eigentlich zu klein wä-
ren, um sie gut erkennen zu können, werden
also lauter gemacht und laute Signale, welche
über den Bildschirm hinausgehen würden,
werden abgedämpft. Dadurch wird jedoch
die Beurteilung des Signalpegels auf dem
Stereosichtgerät unmöglich. Daher kann die
AGC-Funktion normalerweise auch abgeschal-
tet werden. Die letzte, wichtige Zusatzfunktion
ist eine automatische Helligkeitseinstellung
des Elektronenstrahls. Diese Funktion sorgt da-
für, dass der Strahl dunkler geregelt wird, wenn
kein oder kaum Signal anliegt. Auf diese Weise
wird das Einbrennen der Phosphorschicht ver-
hindert. Moderne Stereosichtgeräte, die LC-
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Oben sieht man ein monokompatibles
Stereosignal, unten wurde der Inputgain im
rechten Kanal nicht weit genug aufgedreht,
so hängt das Stereosignal nach links.
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Fotos: Wilschewski; Grafiken: Friesecke
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Die Wolke auf dem Display
So funktioniert die Vektordarstellung auf
einem Stereosichtgerät:
Das Beispiel zeigt den rechten Kanal
Zunächst produziert die Bild-
röhre eines Stereosichtgerätes
nur einen Leuchtpunkt in der
Mitte des Bildschirms.
Durch
Ablenkplatten oder Ablenkspulen
wird dieser Punkt mit der Wellenform
des Signals auf der Rechts-Achse
oder Links-Achse hin und her be-
wegt. Legt man beispielsweise an
den rechten Kanal eine Sinus-
schwingung an (und links kein
Signal), so wird der Punkt zunächst
nach rechts oben ausgelenkt (1).
Dies ist auch in der Abbildung zu
sehen. Im Maximum der Sinus-
schwingung ist der Punkt ganz oben
rechts angekommen und kehrt seine
Richtung um – er geht wieder nach
Anhand dieser schematischen Darstellung lässt sich ver-
stehen, wie die Goniometer-Anzeige zustande kommt.
nach unten). So entsteht ein senkrechter Strich, der
einem Mono-Signal entspricht.
Was passiert nun, wenn das linke Signal inver-
tiert (phasengedreht) zum rechten ist.
Dann hat
das linke Signal eine negative Halbwelle während das
rechte eine positive Halbwelle hat. Der Punkt wird also
während der positiven rechten Halbwelle nach rechts
oben bewegt und von der (phasengedrehten und
daher negativen) linken Halbwelle nach rechts unten
bewegt. Die Auslenkung nach oben und unten hebt
sich in diesem Fall gegeneinander auf und der Punkt
wird nur nach rechts bewegt (in der anderen
Halbwelle entsprechend nach links). Man erhält einen
horizontalen Strich. Gibt man übrigens auf den rech-
ten Kanal eine Sinusschwingung und auf den linken
eine Kosinusschwingung, so erhält man einen schö-
nen Kreis. Das ist auch relativ einfach mit einem
Basssignal und einem Phaser / Flanger zu bewerkstel-
ligen. Zu weiteren Figuren könnt ihr im Netz unter
dem Begriff „Lissajousfiguren“ suchen.
links unten in Richtung Zentrum des Bildschirms (2).
Während der negativen Halbwelle der Sinus-
schwingung geht der Punkt zunächst nach links unten
(3), dreht ganz links unten um und kehrt anschlie-
ßend wieder zum Bildschirmzentrum zurück (4).
Die für uns relevanten Sinusschwingungen im
Hörbereich liegen nun alle über 20 Hz Frequenz.
Deshalb erfolgt die Auslenkung des Punktes so
schnell, dass sich für das Auge ein Strich von unten
links nach oben rechts ergibt. Würde das Signal nun
nur auf den linken Kanal gegeben werden, so er-
gäbe dies einen Strich von unten rechts nach oben
links. Interessant wird es nun, wenn sowohl links als
auch rechts das gleiche Signal anliegt. Betrachten
wir für diesen Fall die positive Halbwelle einer Sinus-
schwingung: Der Punkt wird nun gleichzeitig nach
links und rechts und oben ausgelenkt. Die gegen-
sätzliche Auslenkung nach links und rechts hebt
sich auf und es verbleibt nur die Auslenkung nach
oben (in der negativen Halbwelle entsprechend
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Displays verwenden, haben das Problem mit
dem Einbrennen nicht mehr so stark und neh-
men auch keine Helligkeitsregelung vor.
Wir haben ein Goniometer mit un-
terschiedlichen Signalen gefüttert.
Unten seht ihr die Anzeigen für …
Ein Stereosichtgerät zeigt je nach an-
gelegtem Signal Striche, Knäuel oder
Wolken an.
Doch was kann aus diesen
Darstellungen gedeutet werden? Die erste
und wohl auch wichtigste Anzeige, ist Frage
nach der Monokompatibilität der Signale.
Monokompatibilität ist immer dann rele-
vant, wenn eine Mischung auch bei der
Monowiedergabe ohne nennenswerte Verluste
funktionieren soll. Technisch gesehen erfährt
ein monokompatibles Stereosignal nicht mehr
… ein monokompatibles Stereosignal, …
als 3 dB Pegelverlust, wenn es statt in Stereo
in Mono gehört wird. Über die Form und Lage
der Wolke kann auf die Monokompatibilität des
Signals geschlossen werden. Hierbei gilt: Ist
nur ein (eher vertikaler) Strich zwischen ±45°
Neigung zu sehen, ist das Signal mono und
daher auch monokompatibel. Ist eine Wolke
in Form einer stehenden Ellipse zu sehen, so
ist das Signal stereo aber immer noch mono-
… ein Mono Signal, …
kompatibel. Wenn die Wolke die Form eines
Kreises annimmt, hat man „perfektes Stereo“
erreicht und befindet sich am Übergang zwi-
schen monokompatibel und nicht mehr mono-
kompatibel. Befindet sich auf dem Goniometer
ein Strich in der
Horizontalen,
so
betrachtet man ei-
ne Stereosumme
mit zwei phasen-
… ein Signal, das nur von links kommt, …
Sollte eine Seite eines Stereosignals
mit falscher Phasenlage ankommen,
kann der Invert-Schalter im Kanal
Abhilfe schaffen.
einem Kreis an. Der Kreis zeigt schließlich das
perfekte Stereo – der Kreis hat aber eben
auch den größten Umfang. Ist das Signal nicht
mehr monokompatibel, so schrumpft zwar der
Umfang der Wolke wieder, aber das Signal wird
Die wichtigste Aussage ist:
monokompatibel oder nicht?
tatsächlich als noch „breiter“ empfunden. Das
„breiteste“ Signal erhält man, wenn der linke
und der rechte Kanal zwar identische, jedoch
zueinander invertierte (phasengedrehte) Signale
beinhalten. Als Toningenieur stellt sich hier die
Frage, ob diese übergroße Stereobasisbreite mit
ihrer unzulänglichen Monokompatibilität für die
Produktion akzeptabel ist.
Das Goniometer liefert zudem Infor-
mationen, wie mittig die Mischung ist.
Aufgrund unzulänglicher Abhörbedingungen
oder Ermüdungserscheinungen ist man sich als
Toningenieur nicht immer gewahr, ob das Signal
oder einzelne Spuren im Stereobild etwas nach
links oder rechts hängen. So passiert es schnell
einmal, dass ein Nachhall oder ein Effekt zu stark
in eine Richtung geschickt wurde (Panorama
nicht korrekt, Eingangspegel verstellt, Patchcord
nur halb gesteckt, etc.). Ist das gesamte Signal
nicht mittig im Stereobild, so lässt sich das
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gedrehten, identischen Signalen. Wird nun am
Panorama des Pultes gedreht, so ändert sich
die Lage des Strichs zwischen ±45°, er bleibt
aber eher in der horizontalen Ebene. Das Signal
ist nicht monokompatibel! Ebenso verhält es
sich bei Stereosignalen, deren Wolke eher die
Form einer liegenden Ellipse abbilden – sie
sind nicht monokompatibel!
Die Stereobasisbreite ist beim Stereo-
sichtgerät durch den Umfang der Wolke zu
sehen.
Dies gilt, solange das Signal gleichzeitig
auch monokompatibel ist (siehe oben). Sieht
man auf dem Stereosichtgerät nur einen Strich,
dann ist das Signal grundsätzlich nur mono.
Allerdings kann es noch nach links oder rechts
im Panorama verschoben worden sein (dadurch
bleibt es aber eigentlich mono). Je größer die
Stereobasis wird, oder je unterschiedlicher die
Kanäle Links und Rechts voneinander sind, des-
to mehr nähert sich die Wolke über eine Ellipse
… ein nicht monokompatibles Stereosignal …
… und ein Signal, bei dem linker und rechter
Kanal genau gegenphasig sind.
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Fotos: Wilschewski
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leicht dadurch erkennen, dass die Wolke des
Stereosichtgerätes in eben diese Richtung kippt.
Ist der Hänger jedoch nur auf einem Effekt
oder auf dem Nachhall, so ist auch dies leicht
zu erkennen. Zunächst scheint das Signal mittig
zu sein, kommt aber der entsprechende Effekt
oder Nachhall, so kippt während dieser Zeit
auch die Wolke auf dem Display in die entspre-
chende Richtung.
Auch
Clipping
von
Das Stereosichtgerät ist ein vielsei-
tiges, optisches Kontrollgerät, das ein we-
nig Übung benötigt.
Erst wenn man sich der
verschiedenen Formen der Wolke und ihrer
Bedeutung bewusst ist, wird es wirklich hilfreich.
Ob Software oder Hardware spielt keine Rolle,
man muss sich auf den optischen Eindruck verlas-
sen. Erscheint die Darstellung flüssig, in Echtzeit
Signalen ist gut auf dem
Stereosichtgerät zu er-
kennen.
Beim Clipping (dt.: abschneiden), wird
das Signal ab einem bestimmten Wert einfach
nicht mehr größer sondern die Wellenform wird
horizontal abgeschnitten. Beim Stereosichtgerät
Eine kreisförmige Wolke
zeigt das perfekte Stereo.
und gut abzulesen, ist auch eine Software-Lösung
gut geeignet. Hardware hat jedoch immer den
Vorteil, dass sie keine CPU-Resourcen frisst.
Der Autor
Andreas
Friesecke
Audio Engineer und Fachbuchautor.
Als Dozent unterrichtet er an der
SAE München u. a. Pegelrechnen,
Filmton und Lautsprechertechnik.
bedeutet das, dass der Leuchtpunkt plötzlich in
eine Richtung nicht mehr weich weitergelenkt
wird, sondern stehen bleibt. Es ergibt sich eine
gut sichtbare Ecke oder Linie im ansonsten run-
den und gebogenen Kurvenverlauf.