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DAS FACHBLATT FÜR MUSIKER
Special:
Dynamikbearbeitung
DAS FACHBLATT FÜR MUSIKER
Mehr als nur Druck
Die 11 Gebote
SPECIAL
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Gaten, Limiten, Komprimieren –
aber richtig!
der Dynamikbearbeitung
1-2-3 … dabei!
KLangveredler fürs Siderack
Die 11 Gebote der
Dynamikbearbeitung
So erreicht ihr einen druckvollen Sound
Gelungene Dynamikbearbeitung ist eine der Grundvoraussetzungen für einen
druckvollen und professionellen Sound. Und wenn man einige Grundregeln
beachtet, ist das Ganze auch absolut keine Hexerei. Und wenn ihr die folgenden
11 Punkte beachtet, dann klappts auch mit dem Brett-Sound.
D
as oberste und damit sozusagen nullte
Gebot sollte zunächst heißen: Du sollst
deine Grenzen kennen. Dynamikbearbei-
tung ist eine faszinierende Sache, die aber auch
gewisse Risiken birgt. Deshalb empfiehlt es sich,
besonders beim Recording, zunächst einmal die
Finger von den Geräten zu lassen. Nachher könnt
ihr immer noch Nebengeräusche herausfiltern
oder die Dynamik begrenzen. Was aber erst einmal
auf Band ist, lässt sich nachträglich nur schwer bis
gar nicht rückgängig machen. Das gilt natürlich
auch live, denn was beim Konzert schief geht, ist
eben gelaufen und kann nicht wieder gut ge-
macht werden. Da gibt es halt kein Netz und dop-
pelten Boden. Alles muss auf den Punkt genau
sitzen. Unsere 11 Gebote helfen euch, die diversen
Dynamik-Effektgeräte mit Bedacht einzusetzen und
richtig anzuwenden.
1. Gebot
Du sollst die Signale nicht
grundlos bearbeiten.
Kompressoren und allgemein gesprochen Dy-
namikbearbeitungswerkzeuge sind eine tolle
Sache.
Ihr müsst sie aber nicht immer und überall
verwenden, sondern nur wenn ihr
wisst wozu ihr sie eigentlich
braucht. Denn es handelt sich da-
bei ja auch immer um zusätzliche
Glieder in der Signalkette, die den
Klang beeinflussen, was oft auch
mit – wenn auch leichten – Klang-
Per Y-Kabel werden Dynamik-
Effektprozessoren über die Insert-
Buchse in den Kanalweg eingespeist.
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verschlechterungen einhergehen kann. Zumindest
beim Recording gibt es ja durchaus auch die
Möglichkeit, Signale erst nachher zu bearbeiten.
Außerdem nimmt ein Kompressor oder Limiter
dem Klang auch immer die Natürlichkeit. Denn die
Dynamik also das Verhältnis zwischen laut und
leise gehört zur Musik wie das Verhältnis zwischen
hoch und tief, langsam und schnell.
2. Gebot
Du sollst den Mix nicht
totkomprimieren.
Eine Aufnahme wird nicht besser oder pro-
fessioneller, wenn sie bis zum Anschlag kompri-
miert wird.
Natürlich hört ihr jeden Tag Auf-
nahmen im Radio, die bis zum Anschlag kompri-
miert sind. Das heißt aber nicht, dass ihr das auch
tun müsst. Denn die Kompression im Radio hat
keine musikalische Gründe, sondern hängt damit
zusammen, dass die Sender über Lautheit um die
Gunst der Hörer kämpfen und damit auch ihre
Reichweite verbessern wollen. Live jedoch klingt
ein plattgewalzter Mix schnell langweilig. Vor
allem kann es auch sehr schnell passieren, dass
ihr bei zu starker Kompression den ganzen
Störschall – der von den Mikros aufgenommen
wird – mit hochkomprimiert. Zudem kann es
leichter zu Feedback kommen, wenn am
Mikrofon kein Nutzsignal anliegt. Ich kenne
persönlich nur sehr wenige Bands oder Fans,
die auf Pfeif-Orgien stehen.
3. Gebot
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Phil Collins legendärer Drumfill, bei „In The Air Tonight“
wird mit einem Gater-Effekt realisiert.
4. Gebot
Du sollst mit dem Noise
Gate kreativ umgehen
Mit einem Noise Gate kann man viel mehr als
nur leise Störgeräusche ausblenden.
Ihr könnt es
für Gatereffekte und viele andere kreative Zwecke
einsetzen. Dazu nutzt ihr den Sidechain-Eingang
und speist ihn mit Signalen von anderen Instru-
menten wie Bassdrum, Hi-Hat oder vielem mehr.
Ihr könnt die Gates auch so einstellen, dass sie
passend zum Rhythmus schließen oder sie für den
so genannten Phil-Collins-Effekt benutzen. Dieser
Effekt wurde vor allem durch den Titel „In The Air
Tonight“ von Phil Collins' erster Soloplatte bekannt.
Die Drums setzen mit einem markanten Fill ein, ab
dem dieser Gate-Effekt sehr gut zu hören ist.
5. Gebot
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Du sollst für die Summe
einen Multibandkompressor
benutzen
Du sollst den Kompressor
als Inserteffekt benutzen
Wenn ihr mit einem herkömmlichen Kompressor
an komplette Live- oder Studiomischungen
geht, handelt ihr euch schnell pumpen und
Probleme im Bassbereich ein.
Dafür solltet ihr
dann lieber einen Multibandkompressor benut-
zen. Dieser stellt getrennte Bänder für die ein-
zelnen Frequenzbereiche zur Verfügung, die sich
damit viel genauer einstellen lassen. Zumindest
sollte aber der Bassbereich entkoppelt werden
können, wenn man die Summe mit Kompressor
oder Limiter bearbeiten will. Dafür gibt es ent-
sprechende Schaltungen in Geräten wie zum
Beispiel dem Drawmer 1968. Dort werden die
tieffrequenten Signale nicht bearbeitet, was zur
Folge hat, dass der Rest der Mischung weitrei-
chender bearbeitet werden kann.
Dynamik-Geräte sollten nach Möglichkeit
immer in den Signalweg eingeschleift werden.
Das vorverstärkte Mikrofon- oder Instrumenten-
signal wird somit nämlich direkt in das Dynamik-
Effektgerät geleitet, dort bearbeitet und an-
schließend wieder zum Mischpult zurückgeführt.
Das Signal wird also ganzheitlich bearbeitet. Dies
erklärt auch sehr gut, warum solch eine Effektart
nicht als Send-Effekt geignet ist. Bei den Sends
wird das Effektsignal nämlich dem Originalsignal
zugemischt. Für die Summenbearbeitung findet
sich am Mischpult oft ein Master-Insert. Hier
könnt ihr dann gegebenenfalls einen Equalizer
und eben auch einen Limiter oder sonstige
Dynamics einschleifen.
Multiband-Kompression könnt ihr z. B. mit dem Quantum II von dbx realisieren.
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Dynamikbearbeitung
6. Gebot
Du sollst Einzelsignale
komprimieren
Grundsätzlich falsch ist es, darauf zu hoffen,
dass die Summenkompression aus einem lau-
sigen Mix mit unkomprimierten Einzelspuren
einen referenzreifen Track zaubert.
Ihr solltet
zuerst jedes Instrument und den Gesang mit Gate
und Kompressor so zurechtschnitzen, dass ihr ein
gut funktionierendes Puzzleteil für das große Gan-
ze bekommt. Dann habt ihr nämlich Spuren, die
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Rupert Neve Designs' Portico 5043 bietet hochwertige Zweikanal-Kompression.
cording muss man dagegen mit lispelnden
Sänger oder Sängerin leben. Bei Aufnahmen
Live ist etwa SPLs De-Esser eine sehr gute Wahl, da man hier nur das Geschlecht und die Rate der Reduktion wählen muss.
sich dynamisch leichter zusammenfügen lassen. Als
Ergebnis bekommt ihr einen Mix, der an sich schon
wesentlich griffiger und stimmiger ist als vorher,
und auch die Einzelspuren sind viel besser be-
herrschbar. Wenn ihr damit dann gemischt habt,
werdet ihr unter Umständen gar kein großes Bedürf-
nis mehr nach Summenkompression haben. Im an-
deren Fall macht ihr aus einem unkomprimierten
Klangbrei nur einen komprimierten Klangbrei.
7. Gebot
empfiehlt es sich also, im Zweifelsfall das
Audiosignal erst im Nachhinein zu bearbeiten.
8.Gebot
Du sollst deine Boxen mit
dem Limiter schützen
Du sollst den De-Esser nicht
auf die Summe anwenden
Der De-Esser greift recht radikal ins Klang-
geschehen ein.
Das merkt man nicht so sehr wenn
das Gerät eine Einzelspur bearbeitet. Wenn es
aber auf eine komplette Mischung angewendet
wird, werden viele andere wichtige Frequenzen
mit ausradiert. Der De-Esser ist ein äußerst heikel
einzustellendes Tool. Wenn die S-Laute beim
Live-Gig zu stark abgesenkt werden, wird das
kaum jemanden ernsthaft stören. Beim Re-
Plötzlich auftretende Impulsspitzen haben
fatale Auswirkungen auf Lautsprecher-
membranen.
Das beste Beispiel sind zerschossen-
en Hochtöner nach alkoholgeschwängerten
Parties oder längere Feedbackorgien (absichtlich
oder unabsichtlich). Ein Limiter in der Endstufe
nützt euch bei plötzlichen Peaks nicht unbe-
dingt, denn dieser schützt nur die Endstufe vor
dem Abrauchen, also vor Überlastung. Eine
Endstufe mit 250 Watt kann also möglicherweise
die Hochtönerkalotte zu Konfetti verwandeln,
bevor die Clip-Schaltung eingreift. In solchen
Fällen ist es also durchaus angeraten die Speaker
mittels eines Limiters vor dem Schlimmsten zu
bewahren. Das gleiche gilt auch für die Dauer-
belastung von Boxen. Besonders wenn diese im
Verhältnis zur Endstufe unterdi-
mensioniert sind. Deswegen ist es
auch sinnvoll, wenn die Boxen
über eine ausreichend hohe Belast-
barkeit verfügen.
9.Gebot
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10. Gebot
schwankt hört man auch das typische Flattern.
Eine interessante Alternative zum Noise Gate ist
der Expander, der genau umgekehrt arbeitet wie
der Kompressor – also unterhalb des Threshold
das Signal verringert. Wenn ihr mit einem
Downward Expander die leisen Stellen zusätz-
lich absenkt, könnt ihr Nebengeräusche aus-
blenden, ohne sie komplett zu eliminieren. Bei
diesem Verfahren muss man aber aufpassen,
dass die Attackphase nicht zu langsam einge-
stellt wird. Sonst klingt es so, als ob das Signal
zu langsam eingefadet wird.
Du sollst dich nicht von der
Röhre blenden lassen
Viele Hersteller bieten Röhrengeräte an, die
angeblich den Klang wärmer machen, oder für
einen Vintage-Charakter sorgen sollen.
Nicht
selten dient diese Röhre allerdings nur zur De-
koration und kommt mit dem übertragenen
Signal gar nicht in Berührung. Andererseits ist
selbst ein gut klingendes Röhrengerät nicht im-
mer erwünscht, da es deutlich Einfluss auf den
Klang nehmen kann. Wenn die Stimme mit einer
Röhre aufgeraut wird, kann das ein schöner
Effekt sein, wenn aber alle Spuren derart bear-
beitet wurden, nutzt sich dieses Plus schnell ab.
Sehr sinnvoll sind auch Geräte wie der Mindprint
En-Voice MkII, welche das Röhrensignal stufen-
los zumischen lassen.
11. Gebot
Du sollst für perkussives
Material keine billigen
Kompressoren benutzen
Du sollst das Noise
Gate
sorgsam
einstellen
Boxenschutz:
In Fohhns Aktivboxen und Amps etwa sind DSPs
mit Limitern eingebaut, die den Speaker vor Überlast schützen.
Wenn die Einsatzschwelle zu
hoch eingestellt ist, dann kön-
nen leise Passagen verschluckt
oder angeschnitten werden.
Wenn das Live- oder Aufnahme-
signal um den Threshold herum
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Billige Kompressoren sind oft nicht schnell
genug um Pegelspitzen effektiv abzufangen.
Was für Gesang und Blasinstrumente eventu-
ell noch ganz gut funktionieren kann, wird
vermutlich spätestens bei den Drum- und
Percussionsounds versagen. Besonders zur
Editierung der Drums ist grundsätzlich auch
ein Transient Designer als Werkzeug her vor-
ragend geeignet und kann auch eine sehr gu-
te Ergänzung sein, wenn das Signat bereits
vorher schon durch Kompressoren beeinf lusst
wurde.
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