Workshop Live Mixing Teil 10
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Workshop: Live-Mixing
W
er sich auf die Suche nach dem opti-
malen Vocalsound begibt, sollte damit
nicht am Mischpult anfangen. Der Er-
folg steht und fällt nämlich mit der Quelle. Wenn
schon an dieser Stelle Kompromisse gemacht wer-
den müssen, dann kann kein Equipment dieser Welt
das wieder geradebiegen. Gänzlich ohne Erfolgs-
aussichten sind freilich Versuche, schiefen Gesang,
verqualmte oder überanstrengte Stimmbänder oder
bisweilen auch das fehlende Talent am Pult zu kor-
rigieren – aber das soll ja auch an dieser Stelle nicht
unser Thema sein. Machen wir uns vielmehr da auf
die Suche, wo es tatsächlich passiert. Nämlich auf
der Bühne, dort treffen Quelle, Mikrofon und eine
ganze Reihe unangenehmer Randerscheinungen
zusammen. Welche man vermeiden kann und wel-
chen man sich davon am Pult stellen muss, erfahrt
ihr auf den nächsten Seiten.
Mensch – Mikrofon –
Monitor: Ein System
Betrachten wir mal eine typische Band – in un-
serem Fall mit der Besetzung Gitarre, Key-
boards, Bass, Schlagzeug und Gesang.
Schon
alleine die Pegelunterschiede der Beteiligten sind
gravierend. Ganz vorne das Schlagzeug, dicht ge-
folgt von Gitarre und Bass. Ein angesagtes Gitar-
renstack knackt die 100-dB-Marke mit links, ein
beherzter Schlag auf die Snare knackt bisweilen
auch deutlich höhere Pegelgrenzen. Sobald das
Keyboard einen eigenen Amp auf der Bühne hat,
hält auch dieses Instrument ohne mit der Wimper
zu zucken mit. Das Üble daran: Alle schreien nach
mehr Monitor, weil sich niemand wirklich hören
kann. Der Sänger steht meist in der Ecke und wartet
– denn schließlich ist selbst ein ausgebildeter Sän-
ger nicht einmal annähernd so laut wie seine elek-
trisch verstärkten Bandkollegen. Wie bitteschön
soll man sich da ohne Mikrofon und einem Heer von
Technik Gehör verschaffen?
Live-Mixing-Workshop – Teil 10
Sing Halleluja
Seit der letzten Ausgabe dürfte zumindest euer Instrumentalsound
perfekt sein. Fehlt also nur noch der Schlüssel zum perfekten Gesangs-
sound und ihr könnt losrocken. Was auf den ersten Blick recht unspek-
takulär klingt ist tatsächlich die hohe Kunst des Mischens. Schließlich ist
der Mensch und sein Gehör seit Urzeiten auf die menschliche Stimme
programmiert, entsprechend sensibel reagiert unser Gehör auf alles
Ungewöhnliche rund um die Stimme.
Zwei Wege führen aus diesem Teufelskreis: Lei-
ser zu spielen wäre wohl der einfachste, mit na-
hezu 100-%iger Wahrscheinlichkeit aber auch
der Unbeliebteste.
Hilft also nur der andere Weg,
dafür braucht ihr das richtige Werkzeug am rich-
tigen Ort. Das vermeintlich perfekte Gesangsmikro-
fon findet ihr in jedem Katalog und Online-Shop.
Aber Vorsicht, bereits die Herangehensweise ist
falsch, denn keine Stimme ist wie die Andere.
Ausprobieren lautet die Devise.
Dazu solltet ihr
eine möglichst breite Palette von Mikrofonen unter
möglichst realen Bedingungen checken und so her-
ausfinden, welches Mikro eure persönliche Stimm-
Foto: Hoppert
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lage am besten unterstützt und welches Mikrofon
für euch gut in der Hand liegt. Fühlt sich der Schaft
gut an? Liegt das Mikrofon gut in der Hand? Solche
Kriterien sind wichtig, denn mitunter haltet ihr das
Mikrofon zwei Stunden oder mehr in der Hand.
Doch zurück zum Sound – denn kein Gesangsmikro-
fon überträgt linear; vielmehr ist bei den meisten
Typen eine Anhebung in den Mitten und Höhen
festzustellen, was der Stimme Deutlichkeit und
Glanz verleihen soll.
Noch zwei weitere, wichtige Details solltet ihr
bei der Auswahl des richtigen Mikrofons be-
achten, nämlich die Richtcharakteristik und
den Nahbesprechungseffekt.
Ersteres ist später
auf der Bühne, bei der Aufstellung der Monitore
extrem wichtig. Ein stärker ausgeprägter Nahbe-
sprechungseffekt hingegen ist nicht nur ein Stil-
mittel, um die tiefen Lagen beim Gesang anzudi-
cken, sondern auch um in lauter Umgebung auf
der Bühne etwas mehr Druck zu haben.
Der erste Schritt ist getan und die Bestandteile
Mensch und Mikrofon des Gesamtsystems sind
abgearbeitet.
Fehlt der Monitor – und damit der
dritte, essenzielle Bestandteil. Chuck Berry wird
nachgesagt, dass alle Musiker seiner Band wegen
dem besonderen Feeling ohne Monitor spielen
mussten, für einen Rockgig ist so was jedoch nicht
wirklich praktikabel. Der Sänger ist sogar auf diese
Möglichkeit der Selbstkontrolle angewiesen und
vernünftiges Monitoring ist weit mehr als eine Kiste
vor das Mikrofon zu werfen. Achtet insbesondere
auf die Ausrichtung der Wedges, diese muss zur
Richtcharakteristik des Mikrofons passen, sonst
drohen Rückkopplungen! Bei Niere immer frontal,
bei Hyperniere immer von der Seite und bei Kugel
am besten gar nicht. Der unerwünschte Effekt, aus
einer Niere eine Kugel zu zaubern, tritt immer dann
auf, wenn der Sänger die Rückseite der Mikrokapsel
mit den Händen verschließt. Manche Musiker ha-
ben das zum Stilmittel erklärt und bringen damit
den Mann am FOH zur Verzweiflung.
Wissen
Halbwahrheiten
Kondensatormikrofone sind nichts für
die Bühne. Stimmt nicht! Dieses Vorur-
teil stammt aus einer Zeit, wo Condenser
tatsächlich noch empfindlicher waren als
Tauchspulenmikrofone. Die heutige Gene-
ration von Kondensatormikrofonen steht in
Sachen Bühneneignung den dynamischen
Vertretern in nichts mehr nach.
Und noch mal Kondensatormikros – an-
geblich koppeln diese schneller als dyna-
mische Mikrofone.
Schlicht falsch, auch
dieses Vorurteil kommt aus der Zeit, in denen
Kondensatormikrofone den dynamischen
Vertretern im Hochtonbereich deutlicher
überlegen waren als heute. Verständlich – in
Frequenzbereichen, in denen dynamische
Mikrofone nicht mehr übertragen, kann es
auch keine Kopplungen geben. Heutzutage
ist dieses Verhältnis nahezu ausgeglichen.
Wer sich nicht hört, singt automatisch
falsch. Stimmt nicht immer.
Denn gerade
bei mehrstimmigen Gesang kann man oft
folgendes Phänomen feststellen: Wenn alle
richtig singen, tritt die eigene Stimme im
Chor einen Schritt zurück, scheint also im
Gesamtklang zu verschwinden. Ein brillantes
Zeichen, denn jetzt passt alles. Absolut
falsch wäre an dieser Stelle, lauter zu werden
oder die Lage zu ändern.
Wer sich nicht hört, braucht mehr Moni-
tor – auch das ist eine Mär, die sich nicht
ausrotten lässt.
Weit häufiger als zu geringe
Lautstärke ist eine falsche Position oder ein
schlecht gemischter Monitorsound die Ursa-
che. Nah ran an den Monitor und tunlichst
die für die Stimme wichtigen Frequenzen
zwischen 150 Hz und 2,5 kHz nicht per
Equalizer beschneiden, nur weil der Monitor
dann poppig klingt. Lieber auf Bässe und
Höhen im Monitormix verzichten – erstere
kommen meist ohnehin über die PA-Bässe in
ausreichender Menge.
Bei der Hyperniere müssen die Wedges schräg vor und bei der Niere direkt vor dem Mikro platziert werden.
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Bis hier hin habt ihr erst mal eine Grundlage ge-
schaffen, jetzt kann gemischt werden.
Die Stim-
me sollte klar, verständlich und nach Vorne gemischt
werden. Was unter dem Begriff nach Vorne zu verste-
hen ist, wird bisweilen sehr unterschiedlich definiert,
einen guten Eindruck für sehr gelungene Vocals ge-
ben Aufnahmen von Sting oder Al Jarreau. Der Trick
besteht darin, die Stimme natürlich klingen zu lassen
und ihre charakteristischen Stärken zu stützen, dabei
aber gleichzeitig eine hohe Präsenz und Durchset-
zungskraft zu erreichen.
Stimmen und Frequenzen
– was passiert wo?
Die menschliche Stimme lässt sich in einige,
wichtige Frequenzbereiche unterteilen.
Der ein-
fachste liegt ganz am untersten Ende, etwa unter
100 Hz. Dort tut sich stimmtechnisch rein gar nichts,
es wird nur Luft bewegt. Darüber, im Bereich bis et-
wa 150 Hz liegt der Grundtonbereich der männlichen
Stimme, etwa eine Oktave darüber, zwischen 200
und 300 Hz der, der weiblichen Stimme. Für euch am
Mischpult ist das der Bereich, wo ihr der Stimme
Druck und Fundament geben könnt. Lowcut zuschal-
ten, um Popp- und Handgeräusche auszumerzen
und mit dem Bassregler vorsichtig rund um die 0-
dB-Marke probieren.
Darüber – dem Formantbereich – liegt der für
die Stimm- und Silbenverständlichkeit wichtige
Frequenzanteil, etwa im Bereich zwischen 150
Hz und 3 kHz.
Zunächst ist die menschliche Stimme
in diesem Frequenzbereich bis zu 10 oder 15 dB
lauter als im Grundtonbereich, darüber hinaus ist das
menschliche Gehör in diesem Bereich auch am emp-
findlichsten. Genau deshalb beschränkt man sich
Mikrofon und Monitor:
Das perfekte Beispiel für ein Gesangsmikro mit Hyperniere – zwei Monitore schräg davor, dort
wo die Hyperniere am unempfindlichsten ist. So ist minimale Feedbackentwicklung garantiert.
zum Beispiel bei der Telefonübertragung recht genau
auf dieses Frequenzband und schneidet darüber und
darunter radikal ab. Hinzu kommt, dass sehr viele
Lautsprechersysteme gerade in diesem Frequenzbe-
reich gerne etwas aufgeblasen klingen, um dem Käu-
fer Lautheit vorzugaukeln. Wer hier unsauber arbei-
tet, dem droht ein nerviges, aggressives Ergebnis und
kein Wohlklang. Ein breiteres, parametrisches Filter,
mit dem ihr den Bereich abfahrt und auf Verände-
rungen hört, ist dafür das perfekte Werkzeug.
Am oberen Ende der Formanten gibt es eine
kleine Besonderheit – zwischen 2,5 und 3 kHz
entsteht die typische Klangfarbe, die jedem
seine charakteristische Stimme gibt.
Wenn ihr
also ein weiteres, parametrisches Mittenband zur
Bearbeitung habt, könnt ihr dort gezielt an der
Stimme arbeiten. Insbesondere bei mehrstimmigem
Gesang lassen sich hier die einzelnen Personen oh-
ne zusätzliche Lautstärke „nach Vorne“ holen.
Im Frequenzbereich darüber, also oberhalb von
etwa 3,5 bis 4 kHz, fällt das Spektrum der
menschlichen Stimme übrigens sehr steil ab, bis
zu 20 oder mehr dB pro Oktave.
Diesen Umstand
könnt ihr euch für einen durchsichtigen Mix zu Nutze
machen. Verständlicherweise bringt es wenig Wohl-
klang in diesem Frequenzbereich Vocals zu mischen.
Wo nichts ist, könnt ihr nichts hinzufügen. Also re-
serviert diesen Bereich für andere Instrumente.
Trotzdem noch kein Ende der Frequenzen in
Sicht – den ohne den Bereich zwischen 8 und
12 kHz wäre ein weiterer, wichtiger Baustein
der Stimme nicht vorhanden.
Hier liegt nämlich
der Bereich, in dem Konsonanten ihre Verständlich-
keit erhalten. Stimmlose Laute liegen am unteren
Ende dieses Bereiches, die stimmhaften eher am
oberen Ende. Leider liegt auch hier Wohl und Weh
sehr nah beieinander, denn gerade die stimmhaften
Konsonanten haben es in sich – T, D, P und B zählen
zu den gefürchteten Explosivlauten, S- und F-Lau-
te erzeugen einen scharfen, aufdringlichen Klang.
Praxistipp
Tipps, Tricks, Stolpersteine
Splitmix: Dazu legt ihr das Gesangssignal
zwei Mal auf dem Pult auf und optimiert eine
Mischung für den Frontsound und eine für
den Monitorweg. Damit könnt ihr zum Beispiel
Kompressoren aus dem Monitorweg weg las-
sen, um die Rückkopplungsneigung zu senken.
Für analoge Pulte braucht ihr zum Splitten
einen Y-Adapter oder Yankee; digitale Konsolen
indes erlauben meist das bequeme Patchen
oder Doppeln per Software.
Dreht bei Duetten die Polarität eines Mikros.
Wenn sich zwei auf der Bühne Auge in Auge
ansingen, dann ist häufig plötzlich der Druck
weg, alles klingt wie aus dem Nebel.
Grad
wenns richtig romantisch schmachten soll,
klingen die Stimmen wie aus der Telefonzelle.
Eigentlich logisch, denn ein Teil der Stimme
erreicht auch das Mikrofon des Gegenüber
– und umgekehrt. Leider mit entgegengesetzter
Polarität, was zwangsläufig zu Auslöschungen führt.
Also dreht die Polarität eines Mikrofons, damit sollte
sich dieses Problem lösen lassen.
„Zuhälter“ haben auf der Bühne nichts verloren.
Wer mit der Hand die Rückseite der Mikro-
fonkapsel verschließt,
verändert die Richtcha-
rakteristik des Mikrofons zur Kugel. Das Ergebnis
klingt mies und Rückkopplungen sind vorprogram-
miert. Insbesondere Growler aus der Black- und
Deathmetal-Ecke tun so was gerne und erhoffen
sich dadurch mehr Pegel und mehr Bass. Genaues
Hinhören zeigt, dass der Gegenteil der Fall ist.
Stellt euch überlegt auf.
Wer ständig vor den
Drums steht, hat unweigerlich Beckensound mit auf
dem Gesangskanal, meist übersprechen auch noch
die Snare sowie die Hi-Hat und braten den Gesangs-
kanal gnadenlos zu. Schon ein Schritt zur Seite kann
ausreichen und der Gesangssound wird sofort klarer.
Dabei drauf achten, dass dann nicht die Blechbläser-
oder Gitarrenfraktion im Nacken steht.
Uli Hoppert
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SOUNDCHECK 01 | 09
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