INSTRUMENTS
Singer/Songwriter
Das Wesentliche
AUTHENTISCHE AUFNAHME
einfangen
SO NEHMT IHR EINE SINGER/SONGWRITER-PERFORMANCE AUF
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Foto: Wilschewski
recording magazin 5/09
© PPVMEDIEN 2009
Es tummeln sich wieder zahlreiche Singer/
Songwriter und Storyteller am Markt. In
den USA war dieses Genre immer stark und
Modern-Country-Künstler wie Keith Urban
oder Trisha Yearwood feiern derzeit un-
glaubliche Erfolge. Auch in Deutschland
gibt es eine Akustikszene von zuweilen be-
achtlicher Qualität. Das RecMag verrät euch
Produktionsmethoden für diese Musikrichtung
und gewährt euch Praxiseinblicke am Beispiel
einer Produktion mit Mark Patrick (Ex-Paddy-
Goes-To-Holyhead).
Gehen wir zunächst einmal vom Fall
aus, dass der Künstler einen Song kom-
poniert und arrangiert hat, den er auf
einer herkömmlichen Westerngitarre
spielen und dazu gleichzeitig singen
möchte. Das Arrangement sieht weder
weitere aufzunehmende Instrumente
noch Overdubs vor. Im Grunde genom-
men haben wir es hier mit einer Live-
Aufnahme zu tun. So etwas sollte sich
doch sicherlich im Studio einfach und
schnell bewerkstelligen lassen. Doch
Vorsicht, der Teufel steckt im Detail! Wie
bei jeder Produktion sollte man eine
genaue Vorstellung vom Endprodukt
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im Kopf haben. Um diese bei der ge-
gebenen Aufgabe zu realisieren, füh-
ren mehrere Wege zum Ziel. Wer noch
keine exakte Vorstellung vom Gesamt-
Sound hat, dem sei empfohlen, mit den
nachfolgend beschriebenen Methoden
ausgiebig zu experimentieren. Ein guter
Einstieg ist es, der Darbietung des
Künstlers eine Weile Gehör zu schenken.
Verschafft euch also vom Original einen
direkten und unverfälschten Eindruck im
Aufnahmeraum (Primärraum) bevor Ihr
mit irgendwelchen Abnahmeverfahren
den Sound auf Eure Monitore im
Regieraum (Sekundärraum) bringt. Hört
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INSTRUMENTS
Singer/Songwriter
Das Pickup-Signal alleine
genügt uns nicht.
euch gut in die Musik ein, redet mit dem
Künstler über sein Werk und versucht zu ka­
pieren, was er mit Musik und Text ausdrü­
cken will. Ich habe zu Beginn meiner Lauf­
bahn schon Mischungen
wiederholen müssen, weil
ich den Hintergrund des
Gesamtwerkes nicht hin­
reichend verstanden hatte.
Eine wichtige Rolle in der Produktion
akustischer Musik spielen die Aufnahme­
räume.
So kann es sein, dass der geplante
Aufnahmeraum nur bedingt oder gar nicht ge­
eignet ist. Gegebenenfalls lassen sich geringe,
akustische Unzulänglichkeiten in Form von stö­
renden Reflexionen unter Einsatz von Gobos
oder Baffles (absorptive Stellwände) in den Griff
bekommen. Unter professionellen Bedingungen
ist ein anderer Raum zu wählen. Hat man diese
Möglichkeiten nicht, bleibt die Variante, mög­
lichst reflexionsfrei und trocken aufzunehmen.
Gerade in modernen Produktionen ist diese
Methode absolut kein Kompromiss, sondern
vielmehr das Besondere und Charmante, da so
ein äußerst direkter Sound entsteht, der an den
Membranen der Speaker zu kleben scheint.
Bei diesem Verfahren hat man zudem in der
Mischung die Möglichkeit, mit künstlichem
Nachhall die Aufnahme nachzubearbeiten.
Da der Künstler immer wieder
einmal zwischendurch in den
Regieraum kommt, um das bereits
aufgenommene über die Abhöre zu
beurteilen, passiert es häufig, dass
beim nächsten Take nicht mehr die
ursprüngliche Sitz- oder Standposition
eingenommen wird. Diese scheinbar
unbedeutende kleine Änderung der
Mikrofonabstände hat ggf. immense
Auswirkungen auf Klang und Pegel.
Das macht das Einsteigen an einer
beliebigen Stelle des Songs nahezu
unmöglich! Darum ist es ratsam,
entscheidende Positionen auf dem
Boden des Aufnahmeraumes mit
Klebeband zu markieren (z.B.
Ort der Schuhspizen und/oder
Schuhabsätze). Markiert euch auch
Position von Stuhl oder Barhocker,
falls vorhanden. Mit diesen kleinen
Maßnahmen ist gewährleistet, dass
die Haltungspositionen des Künstlers
in Bezug auf die verwendeten
Mikrofone reproduzierbar bleiben!
Akustikgitarre und Technik
Kommen wir zur Abnahme der Gitarre. Ein
schnelles und oftmals brauchbares Ergebnis
lässt sich erzielen, wenn das Instrument mit
einem Tonabnehmersystem (Pickup) ausge­
stattet ist. Solche Systeme gibt es von zahl­
reichen Herstellern mit den unterschiedlichsten
Funktionsweisen und Klangeigenschaften.
Kommt ein System zum Einsatz, das auf einem
Piezo­Pickup basiert, ist darauf zu achten, dass
der Anschluss an einen Mic­PreAmp nur über
eine geeignete DI­Box vollzogen wird. Geeignet
heißt in diesem Fall, dass die Eingangsimpedanz
der DI­Box möglichst hoch sein muss. Diese
Bedingung erfüllen in der Regel aktive DI­Boxen
mit einer FET­Eingangsstufe (Feld Effekt Transis­
tor). Typische Eingangsimpedanzen solcher Ver­
treter liegen bei mehr als 20 Megaohm.
Niedrigere Eingangsimpedanzen würden den
ohnehin schon relativ hochohmigen Ausgang
des Pickups so belasten, dass ein deutlicher
Bassabfall zu hören ist! Dieser kann im ungüns­
tigsten Fall bereits bei ca. 1,5 kHz mit ­6 dB
Abfall zu Buche schlagen. Ergo, unsere Gitarre
klingt dünn, hell und ohne nötige Wärme.
© PPVMEDIEN 2009
Die 12-12-Methode: Das rech-
te Mikro ist in 12" Entfernung
(ca. 30 cm) auf den 12. Bund
gerichtet. Zusätzlich unter-
stützt das linke, auf den Steg
gerichtete Mikro die Höhen.
Das Tracksheet der Mark-Patrick-Produktion: Die zwei Akustikgitarren wurden
nach der 12-12-Methode und mit Piezo-Tonabnehmer aufgezeichnet.
Kondensatormikrofons. Als Richtcharakteristik
wählt ihr die Hyperniere. Diese hat die Eigen­
schaft gegenüber anderen Charakteristiken bei
der Ausrichtung auf das Instrument den ge­
ringsten Anteil an Diffusschall aufzunehmen.
Die Namensgebung 12­12­Methode basiert
auf der Positionierung des Mikrofons, wel­
ches im Abstand von 12“ (entspricht ungefähr
30 cm) in 90
Grad auf den
12ten Bund der
Gitarre ausge­
richtet wird. Das
Ergebnis ist ein relativ ausgewogener Gesamt­
Sound. Seht diese Methode aber bitte nicht
als Patentrezept an. Messt auch bitte nicht mit
Lineal und Winkelmesser alles perfekt aus,
sondern versteht diese Methode als einen
ersten Ansatz.
Experimentiert mit Abstand und Winkel
der Mikrofonierung.
Ist der Bassbereich et­
was unterrepräsentiert, richtet das Mikrofon ein
wenig in die Nähe des Schallochs, gerade so,
dass es eben nicht „boomy“ klingt. Sollten euch
die Höhen zu schwach erscheinen, benutzt
ein zweites Mikrofon, das von unten rückseitig
auf den Steg gerichtet wird. Als Abstand wählt
ihr circa 10 bis 15 cm. Beide Mikrofone sowie
das Pickup­Signal können Mono zusammen­
gemischt oder einzelnen Spuren zugewiesen
werden. Die Pegelverhältnisse der drei Quellen
werden nach Gehör eingestellt. Wir dürfen an
dieser Stelle unser Ziel nicht aus den Augen ver­
lieren, denn das Gesamtwerk beinhaltet noch
die Stimme unseres Künstlers. Diese wird im
Panorama der Mischung in der Mitte liegen.
Wohin also legen wir unsere Mono­Gitarre? Es
gibt verschiedene Möglichkeiten:
Da wir es mit einem akustischen Instru­
ment zu tun haben, sollte man sich mit
der reinen Abnahme per Pickup aller­
dings nicht zufrieden geben.
Hochwertige
Instrumente haben wunderbare Klangeigen­
schaften, die es einzufangen gilt. Gerade die
Kapiert, was der Künstler mit
seinem Werk ausdrücken will.
Kombination eines Mikrofonverfahrens mit
dem integrierten Pickup­System bringt das
gewünschte Klangergebnis. Als erstes möchte
ich euch die so genannte 12­12­Methode
vorstellen. Diese basiert im einfachsten Fall
auf der Verwendung eines Kleinmembran­
INSTRUMENTS
Singer/Songwriter
Web-
Tipp
Unter folgendem Link könnt ihr euch
einen Eindruck von der Produktion
mit Singer/Songwriter Mark Patrick
verschaffen: http://www.youtube.com/
watch?v=RkGCwh6PhrI
1. Ja, Mut zur Monomischung. Beide Tracks,
Gitarre und Vocals in die Mitte!
2. Wie unter 1., allerdings bearbeiten wir die
Gitarre mittels eines kurzen Halls (zum Beispiel
Chamber-, Room- oder Plate-Programm mit
einer Nachhallzeit von ca. 0,7 bis 1 Sekunde)
3. Wie unter 1., allerdings bearbeiten wir die
Gitarre mit einem ADT-Effekt (Automated
Double Tracking; siehe Infokasten).
Stereoverfahren in 12-12-Position: Bei
gleichzeitiger Aufnahme der Vocals ist
bei der Ausrichtung der XY-Anordnung
Sorgfalt angebracht, damit trotz unver-
meidlichem Übersprechen die Stimme im
Mix auch aus der Mitte zu vernehmen ist.
Stereo macht doppelt froh
Eine weitere Möglichkeit den Sound der
Gitarre einzufangen, ist die Verwendung eines
Stereomikrofonieverfahrens. Hier wird im
Wesentlichen zwischen Laufzeit- und Inten-
sitätsstereofonie unterschieden. Bei der letz-
teren Methode bestimmen Pegelunterschiede
die Abbildung unserer Gitarre im Stereobild. Die
wichtigsten Vertreter der Intensitätsstereofonie
sind das XY- und das MS-Mikrofonverfahren.
Habt ihr euch beispielsweise für die XY-Technik
mit Nierenmikrofonen entschieden, probiert
einmal hinsichtlich der Positionierung im ers-
ten Ansatz auch hier die
12-12-Methode aus. Aber
Vorsicht! Obwohl wir gera-
de an der Abnahme der
Gitarre arbeiten, dürfen
Die im Artikel beschriebene Albumproduktion
„Walking On Wood“ des amerikanischen Singers
& Songwriters Mark Patrick bot Studenten der
SAE Frankfurt im Rahmen eines Projekts
Gelegenheit, mitzuwirken.
Man darf ruhig mal den Mut
zur Monomischung haben.
wir nicht die Rechnung ohne die Vocals ma-
chen, denn es tritt ein so genanntes Leakage
oder Spill-Over auf. Das bedeutet, dass un-
sere Stimme auf die Stereoanordnung über-
spricht, also zu einem gewissen Anteil auf der
Stereogitarrenspur zu hören ist. Das lässt sich
leider nicht gänzlich vermeiden. Die eigent-
liche Gefahr liegt aber in einem ungünstigen
Panaromabild (Balancing). Liegt die Stimme
nicht auf der 0-Grad Achse der XY-Anordnung,
so verschiebt sie sich beim Abhören der
Stereospur aus der Mitte heraus. Selbst der
höhere Pegelanteil eines verwendeten Vocal-
Mikros hinterlässt immer noch den Höreindruck
einer aus der Mitte verschobenen Stimme. Hier
ist nun ein geschickter Aufbau mit entspre-
chender Ausrichtung der XY-Anordnung gefragt,
um beim Solo-Abhören der Stereo-Gitarrenspur
die Stimme aus der Mitte orten zu können.
Automatic Double Tracking (ADT)
Mittels dieser Methode lässt sich aus einem
Monosignal ein Stereosignal erzeugen. Dazu
kommt ein Delay zum Einsatz, das etwa aus dem
Gitarrenkanalzug über einen Post-Aux-Send an-
gesteuert wird.
Das Delay-Zeit kann zwischen 20
und 50 Millisekunden eingestellt werden. Es ist darauf
zu achten, dass das Feedback auf Null gesetzt und le-
diglich das Effektsignal ohne Originalanteil ausgegeben
wird. Dieses Effektsignal wird nun auf einen weiteren
Eingangskanal des Mischpultes gelegt.
Der Trick besteht jetzt darin,
das Pan-Poti des
Kanalzuges mit dem Originalsignal auf Linksanschlag
und das Pan-Poti des Kanalzugs mit dem verzögerten
Signal auf Rechtsanschlag zu stellen. Beide zugehö-
rigen Fader sollten sich auf gleicher Position befinden
und miteinander verkoppelt werden, wobei gleiche
PFL-Pegel Voraussetzung sind. Damit das Stereosignal
ausbalanciert wahrgenommen werden kann ist es jetzt
wichtig, die Pegelverhältnisse im Stereobild mit dem
Aux-Send abzugleichen. Dazu werden beide Kanäle in
den Solo-In-Place Mode (SIP) geschaltet und der Aux-
Send-Pegel so verändert, bis auf der Stereosummen-
anzeige beide Pegel für Links und Rechts gleich er-
scheinen. Diese Einstellung ist dann unbedingt im
Gesamtklangbild nochmals per Gehör zu überprüfen!
Das Ganze klingt nun in Abhängigkeit von der gewähl-
ten Delayzeit recht breit, bleibt aber infolge der kons-
tanten Delayzeit insgesamt statisch. Wem hier die
Lebendigkeit noch etwas fehlt, bedient sich eines
Delays mit der Möglichkeit, die Delayzeit extern via
LFO (Low Frequency Oscillator) zu modulieren. Als
Modulationssignal können verschiedene Funktionen
verwendet werden. Es bieten sich vornehmlich Sinus-
oder Dreieckfunktionen an, die dann auf eine sehr
niedrige Frequenz (0,2 bis 10 Hz) eingestellt werden.
Zusätzlich muss am Delay noch der untere und obere
Verzögerungswert eingeben werden (z.B. 20 u. 50
ms). Somit schwankt die Verzögerungszeit in den fest-
gelegten Grenzen mit der Frequenz des LFO´s. Hier
solltet ihr einmal mit den Parametern spielen und et-
was experimentieren.
Ohne Vocals geht nichts
Kommen wir nun zur Stimme. Um diese druck-
voll und präsent erklingen zu lassen ist es rat-
sam, ein weiteres Mikrofon, diesmal in „Close
Miking Technique“ aufzubauen. Hier gestaltet
sich das Problem genau umgekehrt. Die Frage
ist, wie groß ist das Spill-Over von der Gitarre
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auf das Gesangsmikrofon? Um dieses so ge­
ring wie möglich zu halten, empfehle ich mit
einem Großmembranmikrofon zu arbeiten,
das die Möglichkeit der Super­ oder Hypernie
rencharakteristik bietet. Das setzt allerdings ei­
ne disziplinierte Mikrofonarbeit des Künstlers
voraus, indem er mit möglichst geringen
Kopfbewegungen singt. Wichtig ist zudem, dass
infolge des Spill­Overs beim Mischen die Phase
überprüft wird. Hier kann es durchaus vonnöten
sein, diese im Kanalzug des Vocal­Mikrofons
um 180 Grad zu drehen. Das lässt sich sehr gut
durch aufmerksames und
kritisches Hören herausfin­
den. In der Regel klingt im
Falle eines Phasenfehlers
die Stimme dünn und na­
sal. Eindeutiger tritt ein solcher Fehler zutage,
indem ihr den Pegel der Gesangsspur auf das
Niveau des Gesangspegels der Gitarrenspur an­
gleicht. Sollte die Gitarrenspur eine Stereospur
sein, so mischt sie vorher Mono. Danach schal­
tet die Phase einige Male hin und her, um bei­
de Klangbilder zu beurteilen. Arbeitet ihr mit
der Software einer DAW, so bieten die Kanäle
oder zahlreiche PlugIns die Möglichkeit der
Phasenumkehr.
Mark Patrick – Walking On Wood
Anfang des Jahres hatten Studenten des SAE
Institutes in Frankfurt im Rahmen eines Projekts
die Gelegenheit, mit professionellen Musikern
aus der Akustikszene zusammenzuarbeiten. Zu
Gast war der amerikanische Singer & Songwriter
Mark Patrick. Für die Produktion seines Albums
Prüft die Phasenlage des Gesangs
gegenüber dem Gitarrensignal.
„Walking On Wood“ hatte Mark die Musiker
Gerd Neumann (g, mand), Günter Frölich
(acc), Volker Kamp (b) und Frank Ritter (dr) zur
Unterstützung eingeladen. Die Aufgabe bestand
darin, alle akustischen Instrumente möglichst
authentisch erklingen zu lassen und trotzdem
INSTRUMENTS
Singer/Songwriter
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Arbeitsweise setzt unbedingt voraus, genaues­
te Spurbezeichnungen und Session­Namen zu
verwenden, da ansonsten schnell Chaos ent­
stehen würde. Selbstverständlich wurde darü­
ber hinaus täglich ein Backup erstellt. Da mit
unterschiedlichen Pro­Tools­Systemen gearbei­
tet wurde, musste zu Beginn der Sessions stets
ein Output­Routing innerhalb der Software vor­
genommen werden, um am Analogpult ent­
sprechend arbeiten zu können.
Bevor es allerdings an die Aufnahmen
ging, hatte ich mit unseren Studenten
einen Mic­Line­Plan sowie für jeden
Song einen Tracksheet erstellt.
Im Mic­
Line­Plan sind alle Mikrofone einschließlich
deren Signalfluss bis hin zum Off­Tape­Channel
notiert worden. Also zum Beispiel, welches
Mikrofon, an welcher Position, verbunden über
welche Line­Number auf Wallbox XYZ, weiter­
hin geführt über eine TT­Phone Patchbay bis
zum Zieleingangskanal des Mischpultes. Da in
drei Aufnahmeräumen gleichzeitig gearbeitet
wurde, sind auch alle Talkback­Mikrofone im
Mic­Line­Plan aufgeführt worden. Damit die
Musiker im Cue­Betrieb einen optimalen Sound
im Kopfhörer haben, bedarf es einer präzisen
Mischung der insgesamt zwei unabhängigen
Cans (Kophörerwege). Der Arbeitsprozess an
Es kommt unweigerlich zum Übersprechen
zwischen Vocals und Gitarre. Das ließe
sich etwa durch ein Gesangsmikro mit
Charakteristik Hyperniere eingrenzen.
Das XY-Stereomikrofonverfahren
ist ein Intensitätsstereoverfahren.
Die Schallwellen treffen infolge der
Anordnung der beiden verwendeten
Mikrofone an deren Kapseln zeitgleich
ein. Von der Seite einfallender Schall
trifft bei der ihm zugewandten Kapsel
mit höherer Intensität ein als bei
der Kapsel, die dem Schallereignis
abgewandt ist. Abhängig von der ver-
wendeten Richtcharakteristik (Niere,
Superniere oder Hyperniere), dem
Einfallswinkel des Schalls sowie dem
Versatzwinkel der Kapseln ergeben
sich unterschiedliche Intensitäten
auf den linken und rechten Kanal.
Die Mikrofonkapseln werden über-
einander angeordnet und erzeugen
so keine Laufzeitunterschiede der
Schallereignisse. Beim klassischen XY-
Verfahren beträgt der Versatzwinkel
90 Grad unter Verwendung von
Kapseln mit Nierencharakteristik. Der
Vorteil dieses Verfahrens ist, dass die
Monokompatibilität erhalten bleibt.
einen insgesamt druckvollen und modernen
Gesamt­Sound zu erzeugen. Damit weicht
dieses Beispiel von der bisher beschriebenen
reinen Produktion einer reinen Konstellation von
Gitarre und Gesang ein wenig ab, zeigt aber den­
noch mögliche Herangehensweisen im Umgang
mit akustischen Instrumenten. Es standen ein
Pro­Tools­HD3­
System mit 24 I/
Os, ein analoges
Mischpult Neve
VR60 sowie zahl­
reiche Effektgeräte und Mikrofone zur Verfügung.
Die Basic­Tracks (Drums und Bass) wurden zu­
sammen mit den Guide­Tracks (Gitarren und
Vocals) in drei Aufnahmeräumen gleichzeitig
aufgezeichnet. Um so eine Produktion zielge­
recht und vor allen Dingen in einem vorgege­
benen Zeitrahmen abwickeln zu können, bedarf
es akribischer Planung vorab.
Mark Patrick hatte bereits lange vor
dem Studiotermin in seinem Homestudio
alle elf Titel weitgehend eingespielt.
Dabei hatte er neben Gitarre und Gesang
zahlreiche MIDI­Tracks, bestehend aus Drums,
Percussions, Akkordeon und Click in ProTools
via Mbox­Hardware eingespielt. Es wurde ent­
schieden, mit einer externen FireWire­Festplatte
zu arbeiten, weil Mark sich vorbehalten hatte,
nach jeder Aufnahmesession alle Tracks in Ruhe
zu Hause nochmals durchzuhören und gege­
benenfalls Edit­Versionen zu erstellen. Diese
Das Mark-Patrick-Album sollte
authentisch und dabei modern sein.
dieser Stelle ist von ungemeiner Wichtigkeit!
Stimmen die Mischungsverhältnisse nicht, ist von
den Künstlern keine Höchstleistung zu erwarten.
Zum Wohlfühlen kann es daher auch notwen­
dig sein, gewisse Effekte mit vorzubereiten, um
sie dann im Fall des Falles ad hoc mit einset­
zen zu können. Diese werden dann allerdings
nicht mit aufgezeichnet. Über die Notwendigkeit
eines Tracksheets im Zeitalter von HD­Systemen
mag man geteilter Meinung sein. Ich empfehle
trotzdem, sich weiterhin diese kleine Büroarbeit
zu machen. Dabei repräsentiert das Tracksheet
welche Tracks in Pro Tools auf welche Ausgänge
der 24 D/A­Wandler gelegt werden. Da die
Wandler feste Zuordnungen am Analogpult auf­
weisen, hat man bei Auflage einer Mischung so­
fort einen guten Überblick. Hinzu kommt, dass
die Anzahl der verwendeten Tracks der Songs
des Albums „Walking On Wood“ im Pro Tools
zum Teil wesentlich größer war als die Anzahl
der möglichen Outputs. Infolge dessen muss­
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Bändchenmikrofone werden
vielfach für naturgetreuen
Klang geschätzt, der gerade
zur Aufzeichnung einer
akustischen Gitarre von
Vorteil sein kann. Auf die-
sem Foto des neuen RNR-1
von sE Electronics lässt sich
schön das Bändchenelement
innerhalb der Kapsel
erkennen.
ten für den späteren Mixdown Vormischungen
innerhalb von Pro Tools auf diverse Outputs
angefertigt werden. Erstes Beispiel: zwei
Mikrofone zur Abnahme der Bassdrum wur-
den in Mono zusammengemischt auf Output
1. Zweites Beispiel: das Mikrofonsignal vom
Splashbecken wurde in halbrechter Position
mit in die Stereogruppe 9-10 der Overheads
integriert. In einer kompletten In-The-Box-
Production ist di-
ese Arbeitweise
mit einem klas-
sischen Track-
Sheet sicherlich
nicht unbedingt notwendig. Allerdings erzeugen
fehlende Dokumentationen und Kommentare,
insbesondere wenn man fremde Produktionen
aus anderen Studios weiterbearbeiten muss,
zuweilen den Charakter von Rätseln und
Denksportaufgaben. So etwas kostet unterm
Strich zu viel Zeit und Geld!
Kommen wir zur Planung der Gitar­
renspuren sowie der dazu notwendigen
Mikrofontechniken.
Innerhalb des Albums
www.recmag.de
gibt es Songs, die exakt das
repräsentieren, was auch live
möglich ist. Das bedeutet, dass
bei zwei Gitarristen auf der
Bühne auch nur zwei Gitarren
aufgenommen wurden. In un-
serem Fall existierten in Pro
Tools pro Gitarre drei Spuren,
gebildet aus jeweils einem
Pickup-DI-Signal, einem Steg-
Mikrofon und einem Mikrofon
gemäß der 12-12-Methode.
Alle Spuren lagen dann zur
analogen
Nachbearbeitung
am Neve-Pult an. Auf der
anderen Seite gab es aber
auch Songmaterial, das mit-
tels Overdubs aus zahlreichen
Gitarrenspuren entstand. In
diesem Fall blieb das be-
schriebene Mikrofonverfahren
erhalten, allerdings wurden
die drei Einzelmikrofonspuren
bereits analog im Mischpult
zu einer Monogruppe zu-
sammengefasst. Der Vorteil
ist, dass bei den Overdubs
die drei To-Tape-Signale leicht
zu handhaben sind und die
Spurenanzahl in der DAW
übersichtlich bleibt. Allerdings sollte man sich
bei diesem Verfahren darüber im Klaren sein,
dass die Mikrofonverhältnisse im Nachhinein
nicht mehr änderbar sind. Die Entscheidung,
welches Verfahren gewählt wird, hängt extrem
von der Songstruktur und dem Arrangement
ab. Möglichst ausgiebige und hoffentlich klä-
rende Vorgespräche mit dem Künstler/Produ-
zenten sind notwendig und vermeiden spätere
Eine XY-Stereoaufnahme erhält
die Monokompatibilität.
Probleme. Wer sich einen kleinen Eindruck von
der Produktion verschaffen möchte, kann hier
ein kleines Video dazu bei youtube anschau-
en, beachtet unseren Web-Tipp.
Der Autor
Ulli
Schiller
Schulleiter und Dozent am SAE-Institut
Frankfurt, aber auch Ton-Ing., Produzent,
Gitarrist, Sänger und Sprecher, sowie
Hard- und Software-Entwickler.
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