VOCALS
Aufnahme im Regieraum
Einfach
STRATEGIEN ZUR GESANGSAUFNAHME
V O C A L S E S S I O N I N D E R R E G I E : G U T E AT M O S P H Ä R E S O R G T F Ü R G U T E V O C A L S
näher dran
recording magazin 2/10
Die Sängerin im Aufnahmeraum, der Engineer auf der anderen Seite der
Glasscheibe hinter einem großen Mischpult: Das ist die klassische Situation
bei Vocal-Aufnahmen. Es geht aber auch anders: Probiert doch einfach einmal
aus, den Sänger im Regieraum einsingen zu lassen. Vielfach eröffnet der
direkte Draht zwischen Engineer und Künstler tolle Möglichkeiten.
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Musik machen hat sehr viel mit Gefühl zu tun – insbe-
sondere Sänger sind von der Stimmungslage während
der Aufnahmesession extrem abhängig. Eine kühle,
nüchterne und technische Atmosphäre bewirkt bei
vielen Gesangs-Novizen, aber auch bei gestandenen
Vokalisten, dass sie gehemmt sind und nicht richtig
loslassen können. Doch gerade dieser Flow ist unge-
heuer wichtig beim kreativen Prozess: Der Künstler
braucht eine Atmosphäre, die ihn dazu animiert, sich
zu öffnen und seine Emotionen frei herauszulassen.
Dabei spielt die Kommunikation während der Session
eine entscheidende Rolle. Und damit die Atmosphäre
entspannt ist und bleibt, ist das reibungslose Funktio-
nieren der Kommunikation zwischen Sänger und Engi-
neer absolut notwendig. Gerade Neulinge im Geschäft
sind davon abhängig, dass man sie durch die Session
begleitet und ihnen das nötige Feedback gibt, das sie
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Aufnahme im Regieraum
reagieren, was er gerade eingesungen hat
und wird dadurch sicherer im Umgang mit
Änderungsvorschlägen.
Nicht zu unterschätzen ist auch, dass
viele Sänger sich ausgeschlossen fühlen,
wenn sie beim Einsingen allein im Aufnah-
meraum stehen.
Engineer, Produzent und
Mitmusiker unterhalten sich angeregt im Re­
gieraum, während der Sänger diese Ge­
spräche nicht oder nur teilweise mitbekommt.
Die Folge ist, dass sich der Sänger unsicher
fühlt und nicht weiß, was die anderen von
seiner Performance halten. Diese Unsicher­
heit wirkt sich in den meisten Fällen negativ
auf den Gesang aus – die Folge ist, dass die
Session nicht optimal läuft und der Sänger
sein Potenzial nicht voll ausschöpft. Wenn
der Sänger im Regieraum steht und die Band­
mitglieder von der Performance des Sängers
Die wohl klassische Situation bei der
Gesangsaufnahme, die Sängerin mit Mikrofon
und Kopfhörer in der Gesangskabine. Vorteil:
Die Vocals werden garantiert mit minimalem
Störsignalanteil festgehalten.
für ihre Performance brau­
chen. Wenn sich Künstler
und Techniker Auge in Au­
ge gegenüberstehen, dann
kann wesentlich schneller
eine vertraute Stimmung aufgebaut werden
als über einen Talkback­Weg vom Regie­ in
den Aufnahmeraum. So hat der Sänger die
Möglichkeit, auch die nonverbalen Gefühls­
regungen des Engineers wahrzunehmen und
darauf angemessen zu reagieren. Der Sänger
sieht, merkt und fühlt, wie der Engineer und
die anderen Zuhörer im Regieraum auf das
Vocal-Coaching im Regieraum
trägt zur guten Performance bei.
begeistert sind, entsteht eine positive Rück­
kopplung auf die Motivation des Sängers, wo­
durch der ganze Song einen besonderen Kick
bekommt.
Vocal-Coaching
Das Vocal­Coaching ist eine sehr sensible
Sache, da der Grat zwischen aufbauender
und destruktiver Kritik sehr schmal ist. In den
meisten Fällen wird vom Engineer neben der
Bedienung der Aufnahmetechnik erwartet,
dass er dem Sänger Tipps gibt, in welche
Richtung der Gesang optimiert werden kann.
Dazu gehören das Visualisieren von Gefüh­
len, um am Ausdruck der Gesangsphrase zu
arbeiten, aber auch das Beurteilen der Into­
nation sowie des Timings. Das Vocal­Coa­
ching trägt entscheidend dazu bei, dass der
Sänger das Maximum aus sich herausholen
kann. Insbesondere Vokalisten mit geringem
Selbstvertrauen reagieren jedoch manchmal
sehr empfindlich auf vermeintliche Kritik an
ihren Fähigkeiten. In einem solchen Fall ist
es meist von Vorteil, wenn Sänger und Vo­
cal­Coach in einem Raum direkt miteinan­
der kommunizieren können. So lassen sich
Missverständnisse leichter ausschließen und
der Coach kann seine Message feinfühliger
an den Sänger vermitteln, als das über einen
Talkbackweg möglich ist.
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Welches Mikro – und wo es aufgestellt wird.
Für jeder Aufnahme, also auch in der Studioregie
solltet ihr auf jeden Fall durch die Auswahl und
Positionierung der Mikrofone das Klangbild opti-
mieren.
Mit der Positionierung und Ausrichtung des Mikro-
namic können dann eine Option sein, da auch dieser
Mikrofontyp den Aufnahmeraum stärker ausklam-
mert als ein Studio-Großmembraner.
Bei einer optimalen Aufnahme-Akustik wird das
Mikro ausgewählt, das den Gesang am besten wie-
dergibt. Die Aufnahme im Regieraum erfordert
unter Umständen, dass Kompromisse in der Mikro-
fonwahl eingegangen werden müssen. So kann es
sein, dass ein teures Großmembran-Kondensator-
mikro zuviel Raum mit aufnimmt. In diesem Fall ist
es eventuell sinnvoller, dem Sänger ein Bühnenmi-
kro, wie zum Beispiel ein Sennheiser e 945 oder das
Shure SM 58 in die Hand zu geben. Auch Bändchen-
mikrofone wie zum Beispiel das M 160 von Beyerdy-
fons könnt ihr etwas herumspielen, um so den
akustisch optimalen Punkt zu finden.
Manchmal
ergeben sich drastische Klangänderungen, wenn Sän-
ger und Mikro statt auf der rechten mal auf der linken
Seite des Mischpults positioniert werden. Die Haupt-
Einsprechrichtung des Mikros sollte in die Richtung
weisen, wo der Regieraum eine große Bedämpfung
aufweist, zum Beispiel zu einem Wand-Absorber hin.
In jedem Fall sollte der Sänger dicht an das Mikro
herangehen, damit viel Direkt- und wenig Diffusschall
aufgenommen wird.
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Viel Technik bedeutet oft viele Pro-
bleme.
Und für die einwandfreie Funktion
eines Talkbackwegs ist eine Menge Technik
notwendig, die leider auch im entscheiden­
den Moment mal streiken kann. Zu einem
funktionierenden Talkbackweg gehören das
Talkback­Mikro am Mischpult, der Übertra­
gungsweg in den Aufnahmeraum, die Wall­
box, ein XLR­Kabel, der Kopfhörer­Verstärker
und schließlich ein funktionstüchtiger, robus­
ter Kopfhörer. Und diese Technik lasst ihr
außen vor, wenn der Sänger im Regieraum
einsingt – Technik, die kaputt gehen kann
und euch von dem abhält, was ihr eigent­
lich wollt: Eine tolle Aufnahme machen.
Nicht zuletzt ist es auch für den Engineer
eine Zusatzbelastung, wenn er während
der gesamten Session entscheiden muss,
wann der Talkback­Button gedrückt werden
sollte und wann nicht.
Auch beim kreativen Songwriting-
Prozess ist es sinnvoll, wenn der Sän-
ger im Regieraum steht.
Ihr werdet die
Situation kennen: Man bastelt an einem
Song herum und sucht dann die optimale
Gesangslinie. Dabei wird der Sänger von
eurer Komposition inspiriert und er bietet
spontan eine Idee an. Die Mitmusiker wol­
len auf den Gesang reagieren und werfen
die eine oder andere Bemerkung in den
Raum, feuern den Sänger an oder
lassen sich ganz einfach von der
Musik treiben. Diese spontanen
Äußerungen der Mitmusiker las­
sen sich am besten transportieren,
wenn Sänger, Egineer und Band
zusammen in einem Raum sitzen.
Wenn nun dauernd ein Talkback­
Button gedrückt werden muss um
die Botschaft an den Sänger zu
übertragen, dann ist ein Großteil
der Message verpufft.
Der Reflexion
Filter von sE
Electronics
bedämpft
Reflexionen im
unmittelbaren
Umfeld.
Eine weiteres
Technik-Tool für
die Reduktion
unerwünschten
Schalls auf einer
Aufnahme in der
Regie ist das Mic
Thing von SM
Pro Audio.
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Aufnahme im Regieraum
wie der DT 770 von Beyerdynamic, der HD
280 von Sennheiser oder der AKG K 271 an.
Ein sehr großes Problem, das beim Ein-
singen im Regieraum auftaucht, ist die
Akustik.
Eine akustisch optimal gestaltete
Gesangskabine bietet natürlich die besten
Voraussetzungen, um eine technisch perfekte
Vokalaufnahme hinzubekommen. Eine gute
Gesangskabine ist akustisch trocken und so
optimiert, dass die Nachhallzeit über den ge­
samten Frequenzbereich einigermaßen kons­
tant bleibt. Auf diese Weise werden Färbun­
gen vermieden, die sich negativ auf den Klang
der Vocals auswirken. Bei der Aufnahme im
Regieraum sind alle diese Voraussetzungen
nicht optimal, da die Akustik eher auf die Ab­
hörsituation hin optimiert ist. So entstehen
durch ein großes Mischpult Reflexionen, die
sich mit dem Direktschall überlagern. Die Fol­
ge sind Kammfiltereffekte und Frequenzaus­
löschungen, die den Gesang eventuell metal­
lisch oder blechern klingen lassen.
Ein Lösung sind die so genannten Go-
bos – mobile Schalltrennwände mit ab-
sorbierender Oberfläche.
Damit könnt ihr
versuchen, die Akustik im unmittelbaren Um­
feld des Sängers etwas trockener zu gestalten.
Die lästigsten Reflexionen werden bedämpft,
so dass trotz unzureichender Akustik ein ver­
nünftiger Vokalklang erreicht werden kann.
Gobos könnt ihr selbst bauen, indem ihr eine
MdF­Platte (Mitteldichte Faserplatte) so auf
einen Fuß montiert, dass die Konstruktion
nicht umkippt – am besten ist ein rollbarer Un­
terbau geeignet.
Die eine Seite der
Trennwand könnt
ihr mit einer absor­
bierender Ober flä­
che gestalten, zum
Beispiel mit Akus­
tikschaum. Die andere Seite kann ruhig etwas
reflektiver sein, damit ihr bei Schlagzeugauf­
nahmen einen härteren Sound bekommt.
Vom Anbieter sE Electronics gibt es den Refle­
xion Filter, mit dem ihr negative akustische
Einflüsse des Regieraums noch weiter redu­
zieren könnt. Zu diesem Zweck wird beispiels­
weise auch von SM Pro Audio das Mic Thing
angeboten. Bei diesen Geräten handelt es sich
um Schallabsorber, deren absorbierende
Oberfläche das Mikrofon halbkreisförmig um­
schließt. Die Innenseite dieser Akustikmodule
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Nicht jeder kommt damit klar, in einer
Kabine zu singen, ausgeschlossen von
der Kommunikation mit Produzent und
Rest der Band. Und schlechte Laune
verdirbt die Performance.
Die Kopfhörer-Mischung
Die Voraussetzung für den reibungslosen Ab­
lauf einer Regieraum­Aufnahme ist, dass alle
Beteiligten einen guten Monitormix über Kopf­
hörer bekommen. Wenn das Gesangsmikro
im Regieraum steht, ist eine Monitorbeschal­
lung über die Studiolautsprecher nicht sinn­
voll. In diesem Fall würde das Monitorsignal
vom Vokalmikro mit aufgenommen werden,
Aufnahmeraum
Bei der Aufnahme im Regieraum
sind nicht alle Voraussetzungen
wirklich optimal, aber …
Gobos
Mischpult
Engineer
Regieraum
Mikro
Durch mobile Schalltrennwände – die so
genannten Gobos – lässt sich die Akustik
im Regieraum noch weiter verbessern.
Die Schall absorbierende Seite sollte zum
Sänger hin ausgerichtet sein.
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insbesondere wenn es sich um ein hoch­
empfindliches Kondensatormikrofon handelt.
Die Folge wären Frequenzauslöschungen in
der Mischung und ein verwaschenes, unaus­
geglichenes Klangbild. Deshalb solltet ihr so­
wohl dem Sänger, aber auch allen anderen
Beteiligten einen hochwertigen, geschlosse­
nen Kopfhörer geben. Ein offener Kopfhörer
produziert zuviel Übersprechen auf das Ge­
sangsmikro, wodurch sich ähnliche Probleme
ergeben wie bei der Lautsprecher­Beschal­
lung. Hier bieten sich z.B. Kopfhörer­Modelle,
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besteht aus porösem Material, Akustikwolle
oder einem Lochblechgitter, wodurch der
Schall um das Mikro herum absorbiert wird.
Auch Störgeräusche im Regieraum, wie etwar
Luftzug der Klimaanlage können auf diese
Weise gut bedämpft werden. Auch durch Mi­
krofonauswahl und Positionierung sollte das
Klangbild der Aufnahme optimiert werden –
nachzulesen in Infokasten auf Seite 54.
Mit der Equalizer-Einstellung könnt ihr
noch mehr gegen nervige Raumresonan-
zen tun:
Ihr sucht mit dem vollparametri­
schen EQ die Frequenzen, die vom Kamm­
filtereffekt am stärksten angehoben werden.
Dazu boostet ihr den EQ um sechs bis zehn
dB und stellt eine kleine Bandbreite ein. Dann
wird der gesamte Frequenzbereich durchge­
sweept – dort, wo eine lästige Resonanzfre­
quenz auftaucht, zieht ihr die Frequenz um
vier bis acht dB runter. Wenn euch diese
Arbeitsweise nicht geläufig ist, dann solltet ihr
das technische EQing beim Mixdown durch­
führen. Diejenigen, die diese Prozedur schon
mehrmals gemacht haben, können sich an
das technische EQing schon bei der Aufnahme
heranwagen. Dann werden die Störfrequen­
zen gar nicht erst mit aufgenommen und ihr
bekommt mehr Headroom für die Aussteue­
rung. Ihr seht: Trotz einiger technischer Hin­
dernisse bietet die Vokal­Aufnahme im Regie­
raum viele Vorteile, die ihr bei der nächsten
Session einmal für euch entdecken solltet.
Viel Spaß dabei!
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Wenn es der Künstler nur schafft,
richtig aus sich heraus zu gehen
und alles zu geben, dann ist das
Hauptziel der Aufnahme bereits
erreicht.
Aufnahmeraum
Sänger
Monitorweg
Wallbox
HP-Amp
Mischpult
Talkback-Mikro
Engineer
Regieraum
Der Signalfluss eines Talkbackweges
vom Regie- in den Aufnahmeraum
Der Autor
Andreas
Ederhof
arbeitete als Studiomanager und
Sendetechniker beim Rundfunk
und ist als freiberuflicher
Toningenieur und Dozent tätig.
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- Einfache Bedienung über
ein LCD Display
LED PAR 56 RGB