PROJEKTSTUDIO
STUDIO OPTIMIEREN
Akustik im Aufnahmeraum
Klanggarten
B E S S E R E R S O U N D D U R C H G E Z I E LT E S D E S I G N D E S A U F N A H M E R A U M S
Ganz klar: Der Künstler entscheidet über die Qualität einer Aufnahme.
Stimmt seine Performance nicht, helfen auch edelste Instrumente
und hochwertigste Studiotechnik nicht weiter. Stimmen diese drei
Faktoren und die Aufnahme klingt trotzdem nicht wie gewünscht, kann
die Ursache in der Akustik des Aufnahmeraumes liegen. Aus dieser
vermeintlichen Not lässt sich eine Tugend machen – Gestaltet Klang!
80
© PPVMEDIEN 2010
Wenn man sich mit der Akustik wirklich guter
Aufnahmeräume beschäftigt, wird eines schnell
klar: den perfekten Raum für jede Anwendung
gibt es nicht und kann es nie geben. Das liegt
im Wesentlichen daran, dass die schier uner-
schöpfliche Fülle von Instrumenten und Musik-
stilen ganz unterschiedliche (und oft konträre)
Anforderungen an die Raumakustik stellen,
www.recmag.de
die ein einziger Raum nie erfüllen wird. Das
perfekte Studio bietet also mehrere Räume
an, die sich hinsichtlich Größe und Akustik
deutlich unterscheiden. Sehr häufig findet man
zumindest eine Vocal Booth, also einen für
Sprach- und Gesangsaufnahmen optimierten
Raum sowie einen größeren Aufnahmeraum,
der dann für alle anderen Aufnahmen ver-
81
PROJEKTSTUDIO
© PPVMEDIEN 2010
Akustik im Aufnahmeraum
Diffusor-Elemente aus dem Baumarkt sind
auch eine Möglichkeit.
wendet wird. Die Ver­
wendung
mehrerer
Räume hat neben der
Möglichkeit,
unter­
schiedliche Raumakus­
tiken zu verwenden,
noch einen weiteren
Vorteil: bei entspre­
chender
Schalldäm­
mung zwischen den
Räumen können Ins­
trumente ohne Über­
sprechen gleichzeitig
aufgenommen
wer­
den. Dies bedeutet
häufig einen guten
Kompromiss zwischen dem Wunsch, live ein­
zuspielen und dem Bedürfnis nach guter Si­
gnaltrennung.
Wie sollte nun ein
akustisch guter Auf­
nahmeraum gebaut
werden?
Beginnen wir
mit der Vocal Booth, denn Sprach­ und Ge­
sangsaufnahmen werden ja in so ziemlich
jedem Studio benötigt. In der Regel werden
Stimmen „trocken“, also möglichst ohne Raum­
einfluss aufgenommen. Dies bietet die Mög­
lichkeit, nachträglich elektronische Hallräume
zu verwenden und diese Entscheidungen so­
mit weiter nach hinten in den Produktions­
prozess zu verschieben.
Wie realisiert man also einen trocke­
nen (oder schalltoten) Raum?
Nachhall ent­
steht durch Reflexionen an Raumoberflächen,
also müssen diese verhindert werden. Mate­
rialien oder Bauteile, die auftreffenden Schall
nicht reflektieren, sondern diesen absorbie­
ren – also in sehr kleine Mengen Wärmeener­
gie umwandeln – heißen Schallabsorber oder
kurz Absorber. Deren Qualität wird mit Hilfe
des Absorptionsfaktors a beschrieben, der
Werte zwischen 0 und 1 annehmen kann.
α=
0 bedeutet, dass 0% der auftreffenden
Schallenergie absorbiert und 100% reflek­
tiert werden, dies wäre also ein perfekter Re­
flektor. Ein Absorptionsfaktor von
α=1
be­
schreibt einen nahezu perfekten Absorber,
100% der auftreffenden Schallenergie wer­
den absorbiert.
In der Praxis ist die Absorption fre­
quenzabhängig, dies bedeutet in der Re­
gel, dass Absorber hohe Frequenzen bes­
ser absorbieren als tiefe Frequenzen.
Das
gleiche Bauteil kann also für 2 kHz einen na­
hezu perfekten Absorber darstellen und bei
100 Hz natürlich total versagen. Die meisten
natürliche Absorber wie Teppichböden oder
Vorhänge gehören zur Gruppe der porösen
Absorber; die untere Grenzfrequenz ist hier
direkt mit der Materialstärke verknüpft und
kann leicht selbst abgeschätzt werden: die
benötigte Schichtdicke in cm erhält man,
wenn man 4000 durch die Frequenz in Hz
teilt, bei der gerade noch ein a von 0,8 er­
reicht werden soll. Für 1000 Hz erhält man so
eine Schichtdicke von beispielsweise 4 cm,
für 100 Hz wird bereits eine Dicke von 40 cm
benötigt. Eine Übersicht von optimalen Ab­
sorbern, die sich für Vocal Booths eignen, fin­
det ihr in unserem Kasten. In welchem Fre­
quenzbereich ein Absorbermodul wie
wirksam ist, kann man an einem Absorptions­
diagramm ablesen. Ein übersichtliches Bei­
spiel für so ein Diagramm findet ihr in diesem
Artikel.
Die Halligkeit eines Raumes wird mit
der Nachhallzeit oder Reverberation
Time, kurz RT60, beschrieben.
Dieser Wert
recording magazin 2/10
Flexibilität und Ideen bringen
einen enormen Vorsprung.
Flexible Raumakustik
Für größere Aufnahmeräume gelten spezielle
Ansprüche. Hier entsteht der gewünschte Sound
im Zusammenwirken von Musiker, Instrument und
Raum. Im kreativen Schaffensprozess gibt es dann
auch kein Richtig oder Falsch mehr, erlaubt ist was
gefällt. Große Aufnahmeräume sind daher häufig
mit einer variablen Akustik ausgestattet:
1) Schallabsorbierende Stellwände (Gobos)
stellen die wohl flexibelste Lösung überhaupt
dar,
denn Sie können auch einzelne Instrumente
voneinander abschirmen. Ein Nachteil dabei ist
allerdings, dass sie mitunter viel Platz benötigen
und bei Nichtgebrauch in einem separaten Raum
gelagert werden müssen. Mann kann sie mit etwas
handwerklichem Geschick leicht selbst fertigen, in-
dem poröser Absorberschaum mit Stoff bespannt
und auf einem fahrbaren Gestell befestigt wird.
2) Sehr gerne werden schallabsorbierende
Vorhänge eingesetzt,
um einen Aufnahmeraum
kontrolliert zu bedämpfen. Vorteil dieser Lösung
ist, dass recht wenig Platz benötigt wird und bei
entsprechender Schienenführung auch einzelne
Raumteile abgetrennt werden können. Allerdings
sollte darauf geachtet werden, dass Stoffe mit
guten Schallabsorptionseigenschaften verwendet
werden, um ausreichende Absorption auch im
Mittenbereich zu gewährleisten. Heimwerker ver-
wenden gerne Bühnenmolton (ca. 300g/m²), der
akustisch einigermaßen funktioniert, allerdings
beim Waschen um bis zu 30%(!) einläuft; profes-
sioneller Akustik Samt ist deutlich teurer, allerdings
waschbar und auch akustisch überlegen.
3) Eine sehr elegante Methode zur variablen
Gestaltung der Aufnahmeakustik sind klapp-
bare Absorber,
die fest an der Wand installiert
werden. In einer Stellung breitbandig absorbierend
und umgeklappt reflektiv stellen diese Module bei
minimalem Platzbedarf oft die akustisch beste
Lösung dar. Auch diese Module sind bei entspre-
chendem handwerklichen Geschick selbst anzufer-
tigen, für wirklich breitbandige Absorber werden
jedoch zumeist kommerzielle Produkte verwendet.
82
© PPVMEDIEN 2010
29,90 EUR
Wände mit selbstgemachter
Stoffbespannung: dahinter
befindet sich Mineralwolle.
Effekte & Dynamics
auf. Da die Absorption aller Raumoberflächen
frequenzabhängig ist, ist natürlich auch die
Nachhallzeit frequenzabhängig. Wegen der
besseren Wirkung poröser Absorber bei ho-
hen Frequenzen weisen die meisten Räume
im unteren Frequenzbereich deutlich längere
Nachhallzeiten auf. Das wirkt sich auf den
Klang eines Raumes aus. Ist die Nachhallzeit
bei höheren Frequenzen deutlich kürzer als
bei tiefen Frequenzen, klingt ein Raum un-
ausgewogen, in den Höhen dumpf und im
Bass unter Umständen sogar dröhnend. Viele
Räume, die komplett mit billigem Noppen-
schaum ausgestattet wurden, leiden genau
unter dieser Schieflage, da diese Schäume
unter 200 Hz oft kaum noch arbeiten.
Absorber, die über einen möglichst
breiten Frequenzbereich gut absorbie-
ren, werden häufig als Breitbandabsor-
ber bezeichnet.
Ihre untere Grenzfrequenz
liegt hier in der Regel zwischen 100 und 300
83
beschreibt das Ausklingen eines Raumes nach
plötzlichem Abschalten einer Schallquelle und
liegt in Studioräumen typischerweise zwi-
schen 0,1 Sekunden (sehr trockene Akustik)
und 2 Sekunden (sehr deutlicher Nachhall),
Kirchen weisen bis zu 8 und mehr Sekunden
Ein Absorptionsfaktor von
α=1
beschreibt einen perfekten
Absorber, 100% der auftreffenden
Schallenergie werden absorbiert.
Aussagekräftiger ist ein solcher
Wert für Materialien oder
Absorber, wenn er für einen
bestimmten Frequenzbereich gilt.
www.recmag.de
PROJEKTSTUDIO
© PPVMEDIEN 2010
Akustik im Aufnahmeraum
Jetzt haben wir mit den Kantenabsor­
bern den unteren Frequenzbereich im
Griff.
Also kommen auf den verbliebenen
Wand­ und Deckenflächen jetzt Absorber mit
geringerer Bautiefe zum Einsatz. Auch diese
können aus Mineralfasern oder möglichst ef­
fektiven Akustikschäumen aufgebaut werden.
Es ist sinnvoll, mehrere einzelne Absorber zu
bauen, anstatt den ganzen Raum vollflächig
zu belegen. Typisch für Vocalräume mit Tep­
pichboden ist eine Absorberfläche von ca.
60% der Wand­ und Deckenfläche, bei schall­
harten Holzböden werden in der Regel eher
80% der Wand­ und Deckenfläche absorbie­
rend gestaltet.
Um Kammfiltereffekte durch die Über­
lagerung von Direktschall mit Reflexionen
an der Mikrofonmembran zu vermeiden,
sollten die Absorberpositionen so gewählt
werden, dass keine direkte Reflexion zum Mi­
krofon möglich wird. Werden die mittleren
Wand­ und Deckenflächen absorbierend ge­
staltet, ist diese Forderung fast immer erfüllt.
Bei Fenster­ und Türflächen, die kaum oder
gar nicht mit Absorbern belegt werden kön­
nen, sollte die Raum­ und Fenstergeometrie
direkte Reflexionen durch Schrägstellung ver­
hindern. Ist dies nicht möglich, helfen gute
schallabsorbierende Vorhänge, die bei Bedarf
die Fensterflächen bis auf einen Sichtspalt re­
duzieren. Ein weiteres Feld der Möglichkeiten
ist die flexible Klanggestaltung durch Gobos,
Ein großer Aufnahmeraum bei
cv music in Heidenheim. Zu sehen sind
jede Menge akustischer Elemente.
Absorber für die
Vocal Booth
Die meisten in Vocal Booths verwende-
ten Absorber gehören zur Gruppe der
porösen Absorber, wie die folgenden:
1) Textile Absorber
hierzu gehören vor allem Teppichböden und
Vorhänge; beide funktionieren nur hochfre-
quent und sollten daher in Kombination mit
Absorbern verwendet werden, die auch im
Bass- und Mittenbereich gut wirken.
2) Absorber aus Mineralfaser
sind akustisch sehr gut geeignet, sollten aller-
dings wegen der zu befürchtenden Gesund-
heitsgefährdung (an die Umgebung abgege-
benen Faserpartikel) nicht offen verwendet
werden.
3) Akustik-Schaum
Hier gibt es mittlerweile eine sehr große Aus-
wahl an Produkten, günstige Materialien sind
meist aus PU (Polyurethan), bessere Produkte
aus Melaminharz oder Polyesterfaser.
Hz. Der Trick liegt hier in der Kombination aus
porösen Absorbern mit Resonanzabsorbern,
zu denen auch Membranschwinger, Folien­
absorber, Loch­ und Schlitzplattenschwinger
gehören.
Bei der Auswahl von Materialien und
Absorbern spielt natürlich auch das zur
Verfügung stehende Budget eine wichtige
Rolle.
Sicherlich sind Breitbandabsorber seri­
öser Anbieter für die al­
lermeisten Räume die
erste Wahl. Bei geringe­
rem Budget können aber
auch mit selbst gebauten
Konstruktionen durchaus gute Erfolge erreicht
werden. Zunächst gilt es, in den Raumkanten
zwischen Wänden oder Wand/Decke ausrei­
chend Platz für tieffrequent wirksame Absor­
ber – Kantenabsorber eben – zu reservieren.
Wenn wir für Gesangskabinen von einer un­
teren Grenzfrequenz von 100 Hz ausgehen,
benötigen wir hier also Schichtdicken von ca.
40 cm. Meist sind gleich mehrere dieser Kan­
ten durch Türen, Fenster, Heizkörper usw.
verbaut, es kann nicht schaden, alle zur Verfü­
gung stehenden Kanten mit Kantenabsorbern
auszustatten. Als Material bieten sich Mineral­
fasern an, die dann dicht mit einem Riesel­
schutz ausgestattet werden sollten, um vor
den potenziell gesundheitsgefährdenden Mi­
krofasern zu schützen.
Eine gute Mischung von
Absorbern führt zum Erfolg.
Vorhänge oder klappbare Absorbe, darüber
erfahrt ihr mehr im entsprechenden Infokas­
ten in diesem Artikel.
Ein Schlüssel zur optimalen Klangqua­
lität eines Aufnahmeraumes ist häufig die
Zusammensetzung des Nachhallfeldes.
Gewünscht ist meist ein sehr diffuses Nach­
hallfeld ohne frühe Reflektionen, das den Ton
eines Instrumentes „trägt“ und räumlich er­
fahrbar macht. Von einem diffusen Schallfeld
spricht man, wenn der Schalldruck an allen
Stellen im Raum identisch ist und Schallstrah­
len aus allen Richtungen auch identisch ein­
fallen. Diese Modellvorstellung ist in der Pra­
xis natürlich nie perfekt erreichbar, aber die
Reflexion einer Schallwelle an vielen kleinen
recording magazin 2/10
84
© PPVMEDIEN 2010
Der Aufnahmeraum B der Fattoria Musica Recording Studios in Osnabrück mit
diffus gestalteter Wandoberfläche. Diese nach einem bestimmten mathematischen
Prinzip gemauerte Diffusor-Variante nennt sich Schröder-Diffusor.
Oberflächen sorgt für eine deutliche Erhö­
hung der Diffusität und somit oft für eine deut­
liche Verbesserung des Klanges eines Raumes,
was sicher ein Schritt in Richtung „perfekt“ ist.
Module, die die Diffusität eines Raumes
entscheidend erhöhen, heißen Diffusoren
und werden in vielen Bauweisen kom­
merziell angeboten.
Sehr effektiv sind die
so genannten Schröder­Diffusoren, die auf dem
mathematischen Prinzip der quadratischen
Residuen beruhen. Prinzipiell wirken alle
komplexen, streuenden Oberflächen als Dif­
fusor, daher werden in Aufnahmeräumen
sehr häufig dreieckige oder auch sägezahn­
förmige Wandver­
läufe realisiert. Aus­
gesprochen sinnvoll
sind Raumformen,
die parallele Wän­
de kategorisch vermeiden und somit auch
keine Flatterechos (hin­ und herlaufende Re­
flexionen) aufweisen und auch ohne Diffu­
soren ein deutliches diffuseres Schallfeld
aufweisen als quaderförmige Räume. Ein
Standardvorgehen für größere Aufnahmeräu­
me sieht häufig folgendermaßen aus:
www.recmag.de
1) Raumgeometrie optimieren, so dass keine
parallelen Wände bestehen
2) In den Raumkanten tieffrequent wirksame
Absorber permanent installieren
3) Raumoberflächen permanent diffus ge­
stalten
4) Mit variablen Absorbern jeweils gewünsch­
te Charakteristik einstellen
Ohne viel Erfahrung und entsprechen­
de Messtechnik sind große Aufnahme­
räume zwar nur schwer professionell zu
konzipieren,
aber mit Zeit und etwas hand­
werklichem Geschick kann natürlich viel aus­
geglichen werden. Grundsätzlich zählt nur
Ein vollkommen diffuses Schallfeld
ist nur schwer zu erreichen.
das gute Ergebnis, und viele bedeutende Auf­
nahmen sind deshalb entstanden, weil die
etablierten Methoden eben nicht angewandt
wurden. Wer in seinem Aufnahmeraum ex­
perimentell vorgeht und diesen Raum kreativ
in die Produktion mit einbezieht, kann letzt­
lich nur gewinnen.
Das Absorptionsdiagramm gibt
einen schnellen Überblick über
die Absorption des Bauteils in
Terzen oder Oktaven.
Der Autor
Markus
Bertram
Der Dipl.­Ing. studierte Elektrotechnik
und technische Akustik, plant und
realisiert seit Jahren Tonstudios und ist
Geschäftsführer der mbakustik GmbH.
85