praxis
Synth zone
© PPVMEDIEN 2009
Synth
Zone
>>
Master-Scales
effizient verwenden
>>
Beats in verschiedenen
Taktarten entwickeln
M
omentan wird das Te-
nori-On als Instrument
des 21. Jahrhunderts
gefeiert. In dieser neu-
en KEYS-Zone informieren wir
Sie, dass Sie mit dem silberfar-
benen Exoten jedoch auch weit
in die Musikgeschichte zurückbli-
cken können. Vor allem die Mas-
ter-Scale-Funktion im Play-Menü
greift Konzepte auf, die schon
vor einigen Jahrhunderten be-
kannt waren.
Für Sequencer-Anwender, die bis-
lang mit gewöhnlichen Dur- oder
Moll-Dreiklängen im 4/4-Takt mu-
siziert haben, öffnen sich beim
Tenori-On (kurz: TO) ungeahnte
Wege. Passende Vorlagen liegen
für Sie im Datenteil der KEYS-CD
bereit. Es handelt sich um „Cur-
rent Block“-Files, die Sie auf eine
SD-Karte kopieren und schließlich
laden können, ohne das handliche
Gerät stoppen zu müssen. Selbst
wenn Sie das Tenori-On nicht in
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KEYS 07/2008
den eigenen Händen halten, wird
Sie dieser Beitrag auf neue Ideen
zum Komponieren bringen.
Im Play-Menü des TO, das
Sie über das Rad anwählen,
finden Sie die Master-Scale-
Funktion.
Die insgesamt neun
Skalen sind nicht zu verwechseln
mit den alternativen Stimmungen,
die manche digitale Synthesizer
und Workstations optional zur
temperierten Stimmung anbie-
ten. Dort geht es um mikrotonale
Veränderungen, während sich Ya-
maha beim TO auf einen Ansatz
der Tonleiter aus unterschied-
lichen Ganz- und Halbtonschrit-
ten bezieht, der für kommerzielle
elektronische Musikinstrumente
ungewöhnlich ist. Gemeint sind
vor allem die modalen Skalen, die
auch als Kirchentonarten seit dem
frühen Mittelalter Anwendung fin-
den. Überrascht wird man sich
fragen, wo sich diese alten Ska-
len verwenden lassen. Die Ant-
wort: Mit der jeweils passenden
Master Scale treffen Sie den
gewünschten
Soundcharakter
besser – je nachdem ob der mit
dem TO produzierte Song düster,
exotisch oder heiter klingen soll.
Doch bevor Sie die richtige Ent-
scheidung treffen können, möch-
ten wir Ihnen alle neun Skalen des
TO kurz vorstellen.
Richtig Stimmung erzeugen
Den Anfang macht die ionische
Skala (Ionian). Sie entspricht der
heutigen Dur-Tonleiter mit dem
Merkmal einer großen Terz und
dürfte jedem Keyboard-Player
bekannt sein. Im Jazz und Pop
sehr bedeutend ist die nächste
TO-Skala (Dorian). Gute Beispiele
liefern „So What“ von Miles Davis,
die Bee Gees mit dem Refrain von
„Stayin’ Alive“, „Billy Jean“ von Mi-
chael Jackson, „Another Brick in
the Wall“ von Pink Floyd oder auch
das E-Piano-Begleitpattern von
Supertramps „School“. Anzutref-
fen ist die dorische Skala zudem
bei Traditionals wie Scarborough
Fair aus dem 16. Jahrhundert, das
vor allem Simon and Garfunkel im
Jahr 1966 populär machten.
Zwischen erster und zweiter
Stufe liegt ein Halbtonschritt,
der einen technoiden oder bis-
weilen orientalischen Klang-
charakter zur Folge hat.
Er
kennzeichnet die phrygische Lei-
ter des TO (Phrygian). Im Techno
ist diese Skala verbreitet, bereits
im 1981 erschienen Stück „Heim-
computer“ von Kraftwerk war die
phrygische Leiter in der elektro-
nischen Musik zu hören.
Die lydische Skala (Lydian) ist
zwar verwandt mit der Dur-Ton-
leiter, wegen ihrer übermäßigen
Quarte wirkt sie aber leicht ele-
gisch. Ein aktuelleres Beispiel ist
„Gegen den Strich“ von Tocot-
ronic. Als „modernes Dur“ wird
die mixolydische Skala (Mixo-
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praxis
von
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auer
| CZ
lydian) bezeichnet. Ähnlich der
Blues-Tonleiter weist sie eine klei-
ne Septime auf. Im Unterschied
zur Dur-Tonleiter fehlt bei ihr also
der chromatische Leitton auf der
siebenten Stufe. Einige Songbei-
spiele finden sich bei den Beatles
in „Get back“ oder „Norwegian
wood“. „New Life“ von Depeche
Mode und Abbas „The Visitor“
haben mixolydischen Charakter,
Klezmer und Blues-Improvisati-
onen sind ebenfalls zu nennen.
Über die äolische Tonleiter (Aeoli-
an) müssen wir nicht mehr sagen,
als dass sie auch beim TO die
heute übliche natürliche Moll-Ton-
leiter verkörpert. Keine Bedeutung
für die Praxis hat der lokrische
Modus (Locrian), auch wenn er
sporadisch im Jazz und Klezmer
verwendet wird. Wenn Sie aber
einmal schräge und brüchige
Klänge produzieren möchten, lie-
gen Sie mit dieser Skala genau
richtig. Die chromatische Tonlei-
ter (Chromatic) basiert auf einer
Folge aus 12 Halbtonschritten.
Sie hängt eng mit der Entwick-
lung moderner Tasteninstrumente
(Stichwort: temperierte Stimmung)
zusammen. Um verstärkt mit alte-
rierten Akkorden, etwa verminder-
ten oder übermäßigen Dreiklängen
zu arbeiten, kommen Sie an dieser
Skala nicht vorbei.
Exotisch wirkt die Master Sca-
le „Okinawa“, die nach einer
südjapanischen Insel benannt
ist.
Okinawa unterscheidet sich
aber erheblich von den Skalen,
die in der Musikkultur Japans
üblich sind. Bei näherer Betrach-
tung stellt sich „Okinawa“ als
pentatonische Skala heraus, weil
sie nicht sieben, sondern nur fünf
verschiedene Töne hat. Pentato-
nische Skalen wirken sehr plaka-
tiv und sind für kurze, prägnante
Phrasen geeignet. Sie lassen sich
auf dem Keyboard einfach nach-
empfinden, indem ausschließlich
schwarze Tasten gespielt werden.
Ein Beispiel aus der Werbung ist
die Haribo-Melodie.
Um die Skalen einmal näher aku-
stisch kennnen zu lernen, laden
Sie einfach das TO-File „KEYS-
MASTERSCALE“. Während hier
ein Popsong-Pattern abgespielt
wird, können Sie alle neun Skalen
des Tenori-On aufrufen und probe-
hören. Schnell werden Sie bemer-
ken, weshalb etwa die phrygische
Skala zum TripHop und anderen
psychedelischen Tracks kompa-
tibler ist als andere Skalen.
Auf dem Keyboard lassen sich
die modalen Skalen einfach
nachvollziehen,
weil
aus-
schließlich weiße Tasten ge-
spielt werden.
Spielen Sie stu-
fenweise aufwärts auf der Tastatur
ab C (ionisch), ab D (dorisch), ab
E (phrygisch) und so weiter. Übri-
gens wird die Master-Scale beim
Speichern von Patterns berück-
sichtigt, während die Effekt-Ein-
stellungen zwar beim Ausschalten
erhalten bleiben, aber nicht mit
einem Pattern abgelegt werden.
Beats in anderen Taktarten
Das TO ist nach dem Einschalten
auf den üblichen 4/4-Takt einge-
stellt. Im Score-Modus (Layer 1
bis 7) repräsentieren die LED-
Tasten horizontal von links nach
rechts eine Kette von 16 Sech-
zehntelnoten, worüber sich der
Sequencer-User freuen wird.
Um aber das Potenzial des
Geräts auszuloten, sollten Sie
nicht nur ausgefallene Klang-
verläufe, sondern auch sel-
tene Taktarten probieren.
Denn
nichts ist leichter, als mit dem
TO rhythmische Muster zu ent-
wickeln, die sich angenehm von
den üblichen Beats im Vierertakt
abheben. So zum Beispiel der
5/4-Takt, der je nach Betonung als
2 + 3 oder 3 + 2 interpretiert wer-
den kann. Letzteres Schema liegt
Dave Brubecks Klassiker „Take
Five“ zugrunde.
Wichtig: Die Einstellungen wer-
den nicht über Loop Point (Tas-
te L4), sondern global im Play-
Menü (Rad) getroffen, sodass
alle Layer die gleiche Schrittan-
zahl im Score-Modus haben. Für
den genannten Fünfertakt wäh-
len Sie für Loop Point einfach
„Top = 1, End = 10“. Mit dem
Drumkit im Score-Modus heben
Sie die Schritte 1, 4, 6, 9 klang-
lich hervor, was der 3+2 Eintei-
lung entspricht. Ein balladesker
Groove im 6/8-Takt entsteht mit
dem TO auch ohne Probleme.
Der Loop Point wird mit „Top = 1,
End = 12“ gesetzt. Akzentuiert
werden hier die Schritte und
Tasten 1, 4, 7, 10 von links nach
rechts im Score-Modus. Bei bei-
den Beispielen (5/4 und 6/8-Takt)
entspricht ein Durchlauf des TO
zwei vollen Takten. Praktischer
geht’s, wenn Sie einfach die Da-
teien (KEYS-54, KEYS-68) ins
TO laden und als Vorlage für Ihre
eigenen Songs nutzen.
Noch ein kleiner Denkanstoß:
Die metrische Struktur wird
erst klar verständlich, wenn
bestimmte Zählzeiten betont
werden.
Normalerweise werden
Akzente gesetzt, indem entspre-
chende Noten lauter oder auch
länger gespielt werden. Weil aber
das TO diesbezüglich Grenzen
(keine Velocity-Programmierung,
einheitliche Notendauer) setzt,
müssen Sie sich durch eine
klangfarbliche Gestaltung behel-
fen. Dies bedeutet, dass Sie für
Betonungen hellere, markantere
Sounds verwenden sollten. Wenn
Sie unter keinen Umständen vom
geliebten Vierertakt abweichen
wollen, können Sie auch dank
des Random- und des Bounce-
Modus des Tenori-Ons auf spie-
lerische Weise rhythmische Fi-
nessen erstellen.
In der nächsten Ausgabe werden
wir das Tenori-On mit neuen, ei-
genen Samples füttern, wobei
uns die mitgelieferte Software,
der User Voice-Manager hilft. Bis
dahin viel Spaß beim Entdecken
alternativer Ton- und Taktarten!
K
Die äolische Skala des TO entspricht der natürlichen Moll-Tonlei-
ter. Eine diagonale Linie auf der Matrix wird in 16 Noten umgesetzt
Für elektronische und psychedelische Musik unbedingt probie-
ren – die Master-Scale „Phrygian“ des TO
Die Master-Scale „Okinawa“ besteht nicht aus sieben, sondern
aus fünf Tönen. Kraftvoll und plakativ
Sehr beliebt im Pop und Jazz: die dorische Skala. Hier die
Umsetzung des TO im Sequencer aufgezeichnet
www.keys.de
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