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gear
special marshall-tuning
Tie your Marshall down
Der Marshall JCM 800 gilt als eine der schönsten Erfindungen, seit es die Begriffe
Rock’n’Roll und laut gibt. Gerade bei hohen Lautstärken sorgt er für das Rockbrett,
das ihn die kompletten achtziger Jahre hindurch als Platzhirsch auf allen bedeutenden
Rockbühnen etablierte. Was aber, wenn der Star der Stadien in Marios Rock-Kneipe oder
in den dritten Stock eines Mehrfamilienhauses gesperrt wird?
Laut und fett ist ja cool, aber schließlich
sollen die werten Mitbewohner nicht ständig
das Gefühl haben, dass ein Kleinlaster durch
den Flur donnert, wenn der Langhaarige mit
den furchtbaren T-Shirts wieder in die Saiten
haut. Wäre es nicht toll, wenn man seinen alten
Marshall leiser machen könnte, einfach nur
leiser, und zwar ein gutes Stück? Der Klang soll
dabei natürlich nicht auf der Strecke bleiben. Gar
nicht so einfach, wenn man weiß, dass der gute
Sound vor allem aus einer kräftig in den Arsch
getretenen Endstufe kommt.
Noch stecken zwei EL34 im Topteil ...
zu verringern. Das sind die Tonebone-Adapter
von Tube Amp Doctor. Die EL34-Röhren des
Marshalls werden hier unter Zwischenschaltung
Traumpaar: Tokai Love Rock und Marshall JCM 800
Gefängnis für Boxen: die Isolationbox
Mittlerweile gibt es viele Methoden, die den
Sound weitestgehend erhalten und die Leistung
des Verstärkers auf (v)erträgliche Lautstärken
reduzieren. Loadboxen, Leistungsreduzierer,
Lastwiderstände, oder wie immer sie heißen,
sind ein Weg – hier wird die überschüssige
Endstufenleistung einfach verheizt. Eine weitere
Methode sind sogenannte Isolationsboxen.
Hier arbeiten Endstufe und Lautsprecher ganz
normal zusammen; da aber das Cabinet in einer
schallisolierten Box steht, hört man davon nur so
viel, wie es dem Frieden zuträglich ist.
Celestion G12T-75-Lautsprecher in der typischen
4x12“-Marshall-Box. In klassischen Hard-Rock-
Sounds ist meist eine humbuckerbestückte Gitarre
mit viel Holz und ordentlich Sustain am Start;
Für den Video-Clip auf
www.guitar.de,
in dem
Der klassische Hard-Rock-Sound
Ein anderer Ansatz wäre es, direkt in die Endstufe
einzugreifen und so seinen Amp erstens leiser
zu machen und gleichzeitig etwas am Sound zu
feilen. Gerade bei einem alten Verstärker wie dem
JCM 800 kann das sehr reizvoll sein, da er mit
seiner klassisch-spartanischen Klangregelung
und nur einem Kanal auf den ersten Blick wenig
flexibel erscheint. Die wichtigsten Komponenten
des typischen Marshall-Hard-Rock-Sounds sind
die Röhrenbestückung, die angeschlossenen
Speaker und die Bauart der verwendeten Box.
Standardmäßig wären das ECC83-Röhren in der
Vorstufe, EL34 in der Endstufe sowie die vier
Tonebone-Adapter mit aufgesteckten EL84
einige Sound-Beispiele demonstriert werden,
haben wir eine Tokai Love Rock LS 75 aus den
frühen Achtzigern verwendet.
Ausgepowert
Es gibt nun eine Möglichkeit, direkt in die Endstufe
einzugreifen, andere, leistungsschwächere Röhren
zu verwenden und damit die Gesamtleistung und
somit auch den Pegel der Endstufe drastisch
Class A, Class B – wat is’n dat?
Das Signal unserer Gitarre kommt in einer
Wellenform ähnlich einer Sinuswelle an der
Endstufe an. Wer in Mathe aufgepasst hat, weiß:
Hier gibt es einen Anteil im Plus-Bereich und einen
Anteil im Minus-Bereich. Um beide Anteile zu
verarbeiten, werden mindestens zwei Verstärker-
Röhren benötigt, die mit entgegengesetzten
Spannungspolaritäten arbeiten und jeweils eine
Hälfte des Signals verstärken – der Class-B-
Betrieb. Bei sehr geringen Amplituden, also dann,
wenn die Schwingungskurve in der Nähe des
Nulldurchgangs verläuft (das kommt verdammt
oft vor – 110 Mal in der Sekunde bei der leeren
A-Saite!), fühlt sich leider keine der beiden Röhren
zuständig.
Diese Aussetzer verunreinigen das Signal
ziemlich wüst; sie werden Übernahmeverzerrungen
genannt. Aus diesem Grund legt man eine
Grundspannung an die Röhren an, die das Signal
so aufbereitet, dass es ständig von beiden Röhren
verstärkt wird. Dieses Verstärkerprinzip nennt
sich dann Class A, das heißt: genau genommen
Class A in Push-Pull-Schaltung, da zwei Röhren
beteiligt sind.
Verwendet man eine geringere Grundspannung,
wechselt der Verstärker bei höheren Amplituden
einfach in den Class-B-Betrieb. Immerhin gehen im
Class-A-Betrieb bis zu 85 Prozent der Energie in
Wärme verloren, was sich bei einem 50- oder gar
100-Watt-Topteil zu einer ganz schön heißen Sache
entwickeln kann. Immerhin können die kleinen
EL84 schon bis zu 120 Grad heiß werden, was für
Spiegeleier locker reicht, aber der Lebensdauer
nicht gerade zuträglich ist.
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guitar 9/08
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hat sich also genau halbiert. (Kaum zu glauben,
dass ich mir so was je gewünscht hätte ...)
Altbekanntes von der Isle of Amps
Allgemein klingt der Amp durch die EL84-
Bestückung glasiger und transparenter, gleich-
zeitig verengt sich auch die Dynamikbandbreite,
an die man sich als 50-Watt-Spieler erst einen
Moment gewöhnen muss. Man merkt aber
auch schnell, dass der G12T-75-Speaker mit
seiner Belastbarkeit von 75 Watt nicht so recht
in Fahrt kommt. Die Bässe stehen sehr do-
minant im Vordergrund, der Sound hat wenig
Brillanz, und das Ganze klingt wie ein falsch
eingestellter Kompressor. Der Lautsprecher ist
also unterfordert, da die Leistung teilweise
dieser Adapter durch EL84-Typen ersetzt. Halt
mal, kennen wir diesen Typ nicht ganz woanders
her? Richtig: Diese Dinger werden in Vox-
Verstärkern und anderen leistungsschwachen
Geräten eingesetzt, typischerweise im Class-A-
Betrieb. Um die Leistung unseres 50 Watt starken
Marshalls zu reduzieren, verwenden wir die
beachtet beim Röhrenwechsel unbedingt die
Sicherheitshinweise!
Leistungsgrenzen und Mitmusiker
Um zu testen, wie das Ganze klingt, schließe ich
den modifizierten Amp an eine 1x12“-Box an,
die mit einem G12T-75-Speaker bestückt ist,
den wir standardmäßig in der typischen 4x12“-
Marshall-Box finden. Da die neuen Röhren nun
viel schneller an ihre Leistungsgrenze getrieben
werden, erhält man deutlich früher die gewünschte
Endstufensättigung, für die man seinen Amp
sonst immer zum Leidwesen seiner Mitmusiker
aufdrehen musste. Und das bei satten 10 dB
Lautstärkeunterschied zum normalen Amp-Setup
mit 50 Watt und einer 4x12“-Box. Die Lautstärke
Urgestein unter den 12-Zoll-Speakern: Der legendäre
Blue Bulldog aus dem Vox AC30
Klassiker der Rockgeschichte: Die 4x12er Marshall-
Box in gerader Ausführung
Tonebone-Adapter in der Trioden-Version (hier
wird die EL84 als Triode verwendet) mit einer
Leistung von 4 bis 5 Watt pro Röhre. Es gibt
auch eine sogenannte Pentoden-Version, die eine
höhere Leistung und wieder einen anderen Sound
bietet. Die Tonebone-Adapter fahren die Leistung
der Endstufe auf den Bereich runter, in dem der
Marshall im Class-A-Betrieb läuft und nun nur
noch eine Leistung von 8 bis höchstens 10 Watt
liefert, wodurch die Endstufe bei wesentlich
niedrigeren Pegeln in die Sättigung gerät.
Wie bereits klar wird, erledigen die Tonebones
die Spannungsanpassung selbst, man braucht
somit keine Bias-Einstellung mehr durchzuführen.
Also einfach die alten Röhren rausnehmen,
Tonebones rein und EL84 draufstecken. Aber
Vorsicht beim Röhrenwechsel:
Nur bei ausgeschaltetem Verstärker und
gezogenem Netzstecker arbeiten! Sollte der Amp
vorher in Gebrauch gewesen sein, ist nach dem
Ausschalten auf jeden Fall ein paar Minuten zu
warten, bis die Kondensatoren komplett entladen
sind und sich alle Bauteile abgekühlt haben. Im
Zweifelsfall sollte der Röhrenwechsel immer vom
Fachmann vorgenommen werden.
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Den Videoclip findet ihr auf: www.guitar.de
RöhRen
Modell
Preis
Tube Amp Doctor Tone Bones
(Adapter inklusive EL84-Röhren)
2er-Pack Pentode
(je Adapter ca. 7-9 Watt) 98,-
2er-Pack Triode
(je Adapter ca. vier bis fünf Watt) 98,-
www.tubeampdoctor.com
Infos
lAUtSpReCheR
Modell
Preis
Modell
Preis
Modell
Preis
Infos
Celestion BLUE-8 12“ Blue Bulldog Alnico 15W
ca. 360,-
Celestion G12T-75 12“ 75 W
ca. 115,-
Celestion G12M Heritage Greenback 12“ 20W
ca. 185,-
www.celestion.com
Boxen
Modell
Preis
Infos
Modell
Preis
Infos
Harley Benton G112
139,-
www.thomann.de
Marshall 1960B
830,-
www.marshallamps.de
unter seinem Arbeitspunkt liegt. Es muss also
ein anderer Speaker mit niedrigerer Watt-Zahl
her. Da die Röhrenbestückung bereits stark in
Richtung eines anderen Klassikers der Isle of
Amps weißt, verwenden wir nicht irgendeinen
leistungsschwächeren Lautsprecher, sondern den
legendären Blue Bulldog Speaker, der britischen
Invasoren wie den Shadows oder den Beatles zu
ihrem Knattersound verhalf und als Ersatzteil
regulär erhältlich ist. Dämmert es? Der Marshall
wird zum Vox! Klingt komisch? Klingt gut!
Der hohe Wirkungsgrad und der ausgewogene
Klang des Lautsprechers bescheren dem Verstärker
nun ein ganz neues Klangkleid. Der Sound wird
mittiger und direkter. Geradeaus, aber ohne
zu sägen. Und sogar wieder 3 dB lauter. Gut
gebrüllt, Bulldog. Keine Angst, zu laut wird’s
nicht; wir liegen immer noch 7 dB unter dem
klassischen Halfstack. Und wenn man die 1x12“-
Box hinten offen lässt, wackelt nicht mal der
Boden. Insgesamt ergibt das einen sehr präsenten
Sound mit einer Lautstärke, die für einen Clubgig
reicht und im trauten Heim immer noch für
diplomatische Pegel sorgt. Zum Vergleich nehme
ich unter gleich bleibenden EQ-Einstellungen am
Verstärker und einer neutralen Klangregelung
am Mischpult einige Klangvarianten auf. Im
Direktvergleich fällt auf, dass man mit den EL84
und dem Blue Bulldog mit 15 Watt Belastbarkeit
mittlerweile meilenweit vom ursprünglichen
Halfstack-Sound entfernt ist. Aber gerade dieser
Sound, der genau zwischen Marshall JCM 800
und Vox AC30 liegt, gefiel mir für offene Akkorde
persönlich am besten. Für einen cremig-sahnigen
Solo-Sound hingegen lag mir das Halfstack
mit klassischer Röhrenbestückung mehr. Zum
Vergleich findet ihr auf www.guitar.de einen
Videoclip, auf dem die verschiedenen Sounds
von der 8-Watt-Version mit dem Blue Bulldog
bis zum 50-Watt-Halfstack mit den Standard-
Speakern demonstriert werden.
Zu krass das Ganze?
Wem der Soundunterschied der 8-Watt-Version
zu krass ist, ist die Trioden-Version des Tone-
bone zu empfehlen. Sie bietet einen eher saftig-
knalligen Sound mit mehr Headroom, der sich
sehr nahe an den Marshall-Sound hält, aber mit
18 Watt auch wieder einen Tick mehr Power hat.
Wie immer gilt: Probieren geht über Studieren;
schließlich gibt es auch noch einige andere
Lautsprecher, die sich mit leistungsschwächeren
Amps vertragen. Ein Geheimtipp ist auch der seit
einiger Zeit wieder aufgelegte G12M Greenback
Heritage, der mit seinen 20 statt der heute
üblichen 25 Watt so manchen Class-A-Amp
endveredeln kann.
Philipp Opitz
VeRStäRKeR
Modell
Alternative
Preis
Alternative
Preis
Infos
Der hier verwendete Marshall JCM 800 2204
50 Watt wird leider nicht mehr hergestellt
Marshall JCM 800 2203 100 Watt
(Testbericht in guitar 12/06)
1.960,-
Marshall JCM 800 2203KK Kerry King
(Testbericht in guitar 10/07)
1.720,-
www.marshallamps.de
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guitar 9/08