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it yourself
Wenn es am Kopf klemmt
Stimmstabilität ist immer noch ein aktuelles Problem, wenn man das Vibrato seiner Gitarre
aktivieren möchte und auch mal etwas härter rangeht als nur sanftes Modulieren à la
Hank Marvin. Zwar bietet der Markt unterschiedlichste Lösungen an, um stressfrei mit
dem Vibrato die Tonhöhe zu modulieren, jedoch kommt für den konservativen Flügel der
Gitarristengilde moderne „Locking-Vibrato“-Technik nicht in Frage. Somit ist das Ziel,
Doc Schneider
altbewährte Technik zu optimieren.
Ein gutes Beispiel für Stimmstabilität beim
Vibrato ist der Brief eines „freudlosen“ Lesers:
„Ich habe auf meiner Fender American
Standard Strat Schaller-Klemm-Mechaniken von
einem Gitarrenbauer einbauen lassen, um die
Stimmstabilität zu verbessern. Bis auf die G-Saite
bin ich mit dem Ergebnis auch zufrieden. Die G-
Saite (.010er Satz Vinci-Saiten) ist jedoch öfter
ca. einen Viertelton zu hoch. Wenn ich dann an
der G-Saite nochmals etwas fester ziehe, so wie
man’s nach dem Aufziehen von neuen Saiten
macht, dann stimmt sie wieder halbwegs. Dies
ist unabhängig davon, ob ich die Stringtrees
benutze oder nicht. Es ist sogar mit Stringtrees
stabiler. Bei der B-Saite verhält es sich ähnlich,
nur nicht ganz so extrem. Auch die Saite selbst
wurde nochmals ausgetauscht. Der Gitarrenbauer
hat den Sattel nochmals etwas nachbearbeitet,
in Richtung Mechaniken leicht geweitet und ihn
mit Guitar Grease geschmiert. Die Saite läuft
einwandfrei im Sattel. Das Vibrato liegt auch auf
dem Korpus auf. Nach über zwei Stunden Arbeit
nur an der G-Saite hat der Gitarrenbauer entnervt
aufgegeben, was ich auch verstehen kann.“
Obwohl der Leser sich mit dem American
Standard System seiner Fender Stratocaster schon
an den Rand der „Vintage-Akzeptanz“ gewagt
hat, dominiert hier offenbar Frust statt Lust. Trotz
aller Offenheit für moderne Vibratosysteme, die
ich als interessant und für verschiedene Musiksti-
le unverzichtbar sehe, bin auch ich der Meinung,
dass es ohne Klemmsystem gehen wird und für
verschiedene Soundcharakteristiken auch gehen
muss. Nur verstimmungsfrei funktionieren soll es
und wird es (im tolerablen Bereich) auch.
Also: Was ist zu tun, wenn die Gitarre nach
dem Gebrauch des Vibratosystems orientalisch
klingt, jedoch bei der Bluesliga sofort die rote
Karte gezogen wird? Fehlersuche ist angesagt,
und dies geht am besten, wenn man die möglichen
Fehlerquellen nach und nach durchgeht – im
Ausschlussverfahren.
Wir kreisen ein
Am häufigsten tritt das Problem auf, dass nach
dem Modulieren eine einzelne Saite keine Lust
mehr hat, sich der wohltemperierten Stimmung
unterzuordnen. Schlecht fürs Ohr, gut für die
Fehlersuche. Liegt nur eine Saite neben der
Spur, ist es höchst unwahrscheinlich, dass
das Vibratosystem der Übeltäter ist. Beim
Vibratosystem kann es durch Reibung (ver-
schlissene Aufhängung, fehlerhafte Montage)
zu einem Hakeln kommen, bei dem das System
nicht mehr in seine ursprüngliche Ruheposition
zurückkehrt. Resultat: Verstimmung, aber bei
allen Saiten.
Somit kann in den meisten Fällen, bei denen
nur eine oder zwei Saiten Probleme machen, das
Vibratosystem als Fehlerquelle ausgeschlossen
werden. Es gilt, die Kopfplatte einzukreisen, zu
analysieren – und auszuschließen.
Abb. 1:
Oftmals kleines Ding mit großer Reibung:
der Sattel
Detailprüfungen
Auf der Kopfplatte gibt es drei potenzielle
Querulanten, die – falls schlecht gelaunt
– dem Gitarristen (und wie man hört auch
Gitarrenbauern) das Leben schwer machen
können. Das sind im Einzelnen: 1) der Sattel,
2) Saitenniederhalter/Winkel zum Sattel und 3)
die Mechaniken. Das Vergrößerungsglas wandert
zunächst zum Sattel
(Abb. 1).
Im Sattel werden die
Saiten geführt; sie sollten nicht gehalten oder gar
geklemmt werden. Grundvoraussetzung ist daher
ein geeignetes hartes Material für den Sattel.
Bei weichen Kunststoffen (gerne verwendet im
untersten Preissegment) schneiden sich die Saiten
sehr schnell in den weichen Kunststoff und sitzen
ruckzuck fest. Hier nützt auch ein Bearbeiten des
Sattels nichts, da das Material einfach zu weich
ist und immer wieder nachgibt. Bei den meisten
Gitarren ist der Sattel schon aus einem geeigneten
Material gefertigt, jedoch sind die Nuten, die die
Saiten führen, nicht gut ausgearbeitet oder für
die ausgewählte Saitenstärke zu eng. Die Saite
verklemmt sich in der Nut, was beim Benutzen
des Vibratosystems, aber auch bei Bendings zu
Verstimmungsproblemen führen kann, da die
Saiten nach dem Modulieren nicht mehr in ihre
Ausgangsposition zurückkehren können.
Ich überprüfe die Nuten, indem die Saiten
nacheinander nach oben aus dem Sattel gehoben
werden
(Abb. 2).
Die Saiten sollten ohne Ruckeln
oder Klemmen aus der Nut zu heben sein.
Anschließend überprüfe ich (meistens bei den
Saiten D/G/b/e) die Nuten, indem ich die Saiten
hinter dem Sattel herunterdrücke und beobachte,
ob sie wieder in die Ruhelage zurückgleiten. Auf
Abb. 2:
Wenn beim Herausheben nichts klemmt,
ist die Nut okay
Abb. 3:
Auch beim Drucktest sollte es nicht hakeln
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Abb. 4:
Typischer Saitenniederhalter, auch Stringtree
genannt
Abb. 5:
Zu viel Winkel ergibt zu viel Reibung
Abb. 8:
... er bestimmt auch die Gängigkeit
Abb. 6:
Gelegentliche Problemzone bei der Schaller-
Klemmmechanik: die Öffnung zu Saitenaufnahme
Abb. 3
habe ich die G-Saite mit einem schwarzen
Edding markiert. Es ist gut zu erkennen, wie
die Saite im Sattel hin- und hergleitet. Gut so.
Würden sie hakeln, müssten die Nuten gefeilt
werden. Ein Vorgang, der im TIY 02/08 sehr gut
beschrieben wird – falls nötig, bitte nachlesen.
Ein bisschen Fett kann nie schaden.
Nachdem die Nuten gefettet sind und somit
den Saiten freien Lauf bieten, kann man sich guten
Gewissens die nächsten Aspiranten vornehmen:
die Saitenniederhalter, auf englisch „Stringtrees“
(Abb. 4).
Die Saitenniederhalter sorgen für den
fast schon im Sturzflug vom Sattel herunter zur
Kopfplatte und anschließend wieder mit einem
Knick hinauf zum Schaft der Mechanik.
Hier sind Reibung, Hängenbleiben, Ver-
klemmen und somit ein Verstimmen nicht zu
vermeiden, und dies auch schon, wenn man
das Vibratosystem nur mit dem Blick berührt,
geschweige denn, wenn man es betätigt.
Abb. 7:
Der Flügel dient nicht nur zum Drehen der
Achse ...
nötigen Winkel (zur Griffbrettebene), mit dem die
Saiten vom Sattel weggeführt werden. Meistens
sind es gar nicht die Saitenniederhalter an sich,
die Probleme, sprich Reibung, machen, sondern
es ist der Winkel, den sie den Saiten geben.
Abb.
5
zeigt solch eine Situation, bei der Probleme
quasi vorprogrammiert sind. Die direkt auf der
Kopfplatte fixierten Stringtrees zwingen die Saite
Problemzone Stringtree
Dabei müssen die Niederhalter gar nicht so
tief sitzen. Es reicht, wenn sie die Saiten (e/b
und eventuell D/G) nur leicht umlenken, damit
die Saiten mit gerade so viel Kraft nach unten
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Abb. 9:
Ist die Achse zu lose, entsteht mechanisches Spiel ...
Abb. 10:
Das Innere einer Mechanik
Quälgeist Mechanik
Abb. 10
zeigt das Innere der Mechanik. Wird
die Achse durch Anziehen der Schlitzschraube
stramm eingestellt, hat das Zahnrad weniger
Spiel – die Stimmstabilität ist erhöht. Aufgefallen
ist mir diese Problematik beim Einstellen einiger
Fender-Strats aus den achtziger und frühen
neunziger Jahren. Diese schon in die Tage
gekommenen, gebrauchten Gitarren machten
beim Probespielen häufig Probleme in Sachen
Verstimmung. Durch Festsetzen der Mechaniken
(festes Andrehen der Schlitzschraube) habe ich
die Verstimmungsprobleme weitestgehend in den
Griff bekommen. Leider waren die Mechaniken so
zwar nicht mehr zu drehen – aber: Fehlerquelle
erkannt, und das defekte Material wurde aus-
getauscht.
Ähnlich könnte die Problematik beim Leser-
brief liegen. Einfach mal die Schlitzschraube am
Flügel etwas festdrehen und die Mechanik so
strammer einstellen. Handfest nachziehen und
dabei die Gängigkeit der Mechanik kontrollieren,
damit dem Quälgeist Mechanik auch der letzte
Wind aus den Segeln genommen wird.
Abb. 9b:
... auch im Detail zu erkennen
gedrückt werden, dass sie, als Leersaite gespielt,
nicht zu lose in der Sattelnut liegen und somit
dort nicht sauber abgestoppt werden. Hier
kann man selbst justieren. Durch geeignete
Unterlegscheiben oder kleine Röhrchen kann der
Stringtree so hoch gesetzt werden, dass er die
Saite zwar kräftig genug herunterdrückt (keine
Sitar als Leersaite), jedoch ohne den Saitenverlauf
zu extrem werden zu lassen. Weiterführend hilft
etwas Fett an der Unterseite des Niederhalters,
Reibung zu minimieren, oder man verwendet
gleich einen Niederhalter aus Graphit, um nach
dem Sattel auch am Stringtree der Saite keine
Möglichkeit zum Festsetzen zu geben.
(verarbeitungsbedingt), hatte ich schon Probleme
damit, dass die Saite nach einem Beinahe-
Divebomb nicht wieder in die Ausgangsstellung
zurückrutschen konnte, da die Phase sie daran
gehindert hat. Nach langem Hin und Her habe
ich erkannt, dass der Winkel, mit dem die
Saite zur Mechanik geführt wurde, ungünstig
war. Durch feines Schleifen und Polieren der
Phase sowie Experimentieren mit der Höhe des
Saitenniederhalters habe ich das Problem jedoch
in den Griff bekommen. Es gibt solch ungünstige
Konstellationen, die zum beschriebenen „ent-
nervten Aufgeben“ führen können.
Der Kreis schließt sich
Bleiben nur noch die Mechaniken, die nun völlig
eingekesselt als Ursache für Verstimmungsprob-
lem übrigbleiben. Allerdings sechs an der Zahl
mit jeder Menge Bauteile – da muss die Lupe noch
mal geputzt und in Ruhe angesetzt werden. Bei
der weiteren Fehlersuche hilft etwas „Unlogik“.
Man könnte dem Leserbrief folgend vermuten:
Neu + teuer = gut. Leider gilt dies nicht immer.
So dürfen auch neu erworbene Mechaniken in
Frage gestellt werden. Um zu sehen, wo man
weiter ansetzen kann, bietet sich folgende
Vorgehensweise an: Mechaniken wechseln. Ist
die G-Saite schlecht, die e-Saite aber top, warum
nicht die Mechaniken einfach mal vertauschen?
Ist nach dem Tausch die Situation dieselbe,
stimmt irgend etwas mit der Saitenführung noch
nicht. Ist nach dem Tausch die e-Saite flop, die
G-Saite jedoch top, ist der Übeltäter überführt.
Zunächst Fall A: Nach dem Tausch weiterhin
Probleme mit der G-Saite. Habe ich auch schon
gehabt, und ich finde die Krümmung am Schaft
dieser speziellen Mechaniken in manchen
Situationen kritisch
(Abb.6).
Ist die Phase
um das Loch zur Saitenaufnahme etwas rau
Mögliche Lösungen
Wesentlich häufiger wird aber die Situation B
eintreten: Nach dem Tausch bleibt das Prob-
lem mit der auffälligen Mechanik bestehen. Hier
reicht es oftmals, die Mechanik etwas „strammer“
einzustellen. Dies geht bei einstellbaren
Mechaniken, deren Welle mit dem angeschraubten
Mechanikknopf in ihrer Gängigkeit beeinflusst
werden können. Um diesen Vorgang zu
verdeutlichen, habe ich mal eine Mechanik
aufgefeilt, um die Innereien freizulegen und
deren Funktion besser zu verstehen.
Abb. 7
zeigt,
wie der Flügel auf der Achse montiert ist. Mit der
Schlitzschraube wird er auf die Achse gedrückt
und zieht sich dadurch gegen das Gehäuse. Der
Kunststoffring wird gequetscht und stellt so die
Gängigkeit der Mechanik ein. Wie wichtig diese
Gängigkeit ist, zeigt
Abb. 9.
Hier wurde der Ring
entfernt. Durch manuelles Drehen der Achse
(Saitenzug) kann der Knopf nach oben und unten
bewegt werden.
Daraus folgt: Wenn die Mechanik zu locker
eingestellt ist, hat sie mechanisches Spiel, wo-
durch die Achse nach einer lebhaften Vibrato-
Attacke unter Umständen nicht mehr in die
ursprüngliche Position zurückkehrt.
Alles hat seine Grenzen
Zu guter Letzt: Auch wenn alles optimal läuft,
hat solch ein Vintage-style-Vibratosystem (eben-
so wie ähnliche Systeme) seine Grenzen. Wer
wild bis zum Anschlag runtermoduliert und
dann anschließend das System hemmungslos
nach oben schnacken lässt, um fließend in das
Ganzton-Bending reinzugleiten, wird hier und
da ein paar Cent Toleranz hinnehmen müssen.
Wer Gitarristen beobachtet, die mit dem System
umgehen, wird feststellen, dass es funktioniert,
weil die Jungs mit dem Vibrato arbeiten. Ist nach
dem Runtermodulieren die Stimmung einen Tick
zu hoch, einfach mal am Hebel nach oben ziehen,
und das (freischwebende) System rutscht wieder
in die Originalstimmung rein. Bleibt nach dem
ultimativen Bending die G-Saite etwas zu tief,
ruhig mal am Hebel nach unten drücken, und die
G-Saite wird sich beruhigen.
Die Mischung aus gut funktionierendem
System plus dem versierten Handling machen
auch Vintage- oder American-Standard-Systeme
durchaus tauglich für anspruchsvolle Vibrato-
techniken und setzen so die Option Floyd Rose
ganz hinten auf die Reservebank.
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