© PPVMEDIEN 2008
WORKSHOP
Sound
Yamaha DX7 und FM-Synthese
Der Workshop
In dieser Praxis-Reihe dreht
sich alles um den Sound aus
Keyboard oder Synthesizer-
Workstation. Lesen Sie,
wie
Sie beim Programmieren
von Sounds vor gehen,
um
Schritt für Schritt das Poten-
tial Ihres Instruments auszu-
reizen.
In dieser Ausgabe
geht es
um den ersten Digitalsyn-
thesizer Yamaha DX7, des-
sen Klang die Musik der
80er Jahre maßgeblich be-
einflusst hat. Ein Special
zum 25. Geburtstag.
Matthias Sauer
befasste sich bereits
vor seinem Studium
der Musikwissenschaft
intensiv mit Synthe-
sizern und Keyboards.
Seine Klangpro-
gramme sind in meh-
reren Yamaha-Produkten wie S30/90,
AN/DX200 oder Motif ES zu hören.
Freiberuflich arbeitet er als Autor, Live-
Keyboarder, Musikschullehrer und pro-
duziert elektronische Musik, die unter
Pseudonym veröffentlicht wird.
Im Internet unter
www.
tastenwelt.de
finden Sie Klangbeispiele
zu diesem Beitrag.
2008 ist für den weltbekannten Hersteller
Yamaha ein Jahr der Jubiläen: 25 Jahre
Clavinova, fünf Jahre Download-Shop
und – für Bühnenmusiker besonders
bedeutend – 25 Jahre DX7. Mit über
160.000 verkauften Exemplaren einer
der kommerziell erfolgreichsten Synthe-
sizer weltweit.
Mit 16 Stimmen Poly-
phonie, Anschlagdynamik, MIDI, einer
Bedienoberfläche mit Folientasten und
vor allem der FM-Synthese mit ihren
brillanten dynamischen Sounds führte
der DX7 zum Finale der analogen Vetera-
nen wie Moog und Oberheim. Gründe
genug, einige klassische Sounds der FM-
Synthesizer vorzustellen, denn deren
glockige E-Pianos, Synths und metalli-
sche Klänge gehören noch lange nicht zum
alten Eisen.
Bescheidene Ausstattung
aus heutiger Sicht
Der erste DX7 war mit einem technisch
bescheidenen D/A-Wandler ausgestattet.
Dieser bot eine Auflösung von 12 Bit und
28 kHz, was den Frequenz- und Dynamik-
bereich deutlich schmälert. Heraus kam
ein recht kühler, rauer Basisklang, der
von Zischeln, Brutzeln und anderen typi-
schen Aliasing-Geräuschen begleitet wur-
de. Jahre später wurde genau dieser bra-
chiale Sound von Technomusikern sehr
geschätzt, nachdem der DX7 bei vielen
Live-Keyboardern lange Zeit schwere E-
Pianos und Orgeln ersetzte.
Yamahas DX7 löste eine Lawine digita-
ler Synthesizer aus: Etliche Modelle folg-
ten, die mit FM-Synthese aus vier oder
sechs Operatoren arbeiteten. Der direkte
Nachfolger DX7 II unterschied sich vom
Original merklich durch einen besseren
Wandler (16 Bit), der rauschärmere und
wärmere Sounds hervorbrachte. Weitere
klangliche Möglichkeiten ergaben sich
durch einen Dual- und Split-Modus so-
wie durch eine verblüffende Unisono-Funk-
tion, die bis dato nur bei manchen analo-
gen Synthesizern für wuchtige Bass- oder
Soloklänge bereit stand.
Die FM-Synthesizer entwickelten sich
immer weiter: Beim Yamaha SY77 und
dem großen Bruder SY99, der ab 1991
sehr erfolgreich war, konnte man Samples
in die FM-Synthese einbinden. Dabei
diente ein Sample als Modulator inner-
halb des Algorithmus. Das von Yamaha
als
RCM
(Realtime Convolution & Modu-
lation) bezeichnete Verfahren stellte sich
für die Klangprogrammierung aber nicht
als so ergiebig wie erhofft heraus. Die Ver-
knüpfung der Operatoren ließ sich beim
SY77/99 und dem Modul TG77 frei pro-
grammieren, ergänzend zur Sinuswelle
konnten weitere Wellenformen verwen-
det werden, und auch ein resonanzfähi-
ges Filter stand dem Programmierer zur
Hand. Wichtig zur Klangoptimierung wa-
ren auch die internen Effekte, denn die
meisten FM-Sounds wurden erst mit Hall
und Chorus musikalisch interessant.
Gert Drögemül-
ler
erlebte 1983
als Produktman-
ager bei Yamaha
Europa in Rel-
lingen die Ein-
führung
des
DX7: „Expres-
sive Lead-Voices oder die grandiose
Jazz-Guitar meines DX-Boards im
S90 schätze ich noch heute. Zu
meinen Favoriten gehören natürlich
die E-Pianos, Bässe und die klassi-
sche DX-Harp. Auch einen seiner-
zeit in Deutschland programmierten
Sound namens CP60 finde ich als
Klavier-Ersatz interessant.“
FM-Synthese –
ein Auslaufmodell?
Den vorerst letzten echten FM-Synthesi-
zer brachte Yamaha 1998 mit dem FS1R.
Bei diesem Rackmodul wurde die FM-
mit der Formant-Shaping-Synthese kom-
biniert, wodurch atmosphärische Flächen
entstanden. In der Folgezeit war FM-
Synthese bei Yamaha nur noch als optio-
nale Karte PLG150-DX erhältlich, die
sich z.B. in den Workstations Motif und
Motif ES einbauen ließ. Alle diese Neu-
erscheinungen ermöglichten den Import
von DX7-Voices, die sich inzwischen mas-
senweise im Internet finden.
Die Gegenwart und Zukunft der FM-
Synthese findet im Computer statt, denn
längst haben sich FM-Synthesizer als
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Sound-Highlights:
E-Pianos und Bässe
Für viele Live-Keyboarder stehen vor al-
lem die glockigen Rhodes-Interpretationen
weit vorne. Im Studio sind die knackigen
Bässe gefragt, bei denen die schnellen Opera-
toren-Hüllkurven positiv auffallen. Die
Preset-Voice 15
Bass 1
des Yamaha DX7
ist auf etlichen Produktionen zu hören.
Sehr apart lässt sich auch die DX7-Mund-
harmonika spielen. Ein schönes Beispiel
liefert das Solo in Tina Turners „What’s
Love Got To Do With It”.
Zur bläserähnlichen Artikulation wurde
mit dem DX7 eine neue Spielhilfe einge-
führt: Der Breath-Controller ist ein kleines
Mundstück, bei dem Sie in einen Sensor
pusten, um verschiedene Klangparameter
zu steuern, um Saxophon und andere Imi-
tate akustischer Blasinstrumente expres-
siver zu spielen.
Für rhythmische Sequencer-Passagen
wurden Harfe, Steeldrums, Marimba und
ähnliche Mallets gern verwendet. Imposant
und oft im Einsatz waren die
Tubular Bells.
Für Effekte (Train) und elektronische Drum-
sounds ist die FM-Synthese offen. Simple
Orgelsounds sind zwar weniger typisch für
den Yamaha DX7, lassen sich mit FM-
Synthese aber gut nachbilden. Hierzu dient
der Algorithmus 32, der nach dem Prinzip
der additiven Synthese sechs Sinus-Oszilla-
toren in verschiedenen Fußlagen schichtet.
Ein Algorithmus mit drei Teilklängen aus
Träger und Modulator. Beim FM8 lassen
sich Operatoren beliebig verknüpfen.
Software-Lösungen etabliert. Nach dem
erstmals 2001 präsentierten FM7 von
Native Instruments heißt der aktuelle
Bolide FM8. Er besticht durch sinnvolle
Erweiterungen wie Effekte, einen Arpeggia-
tor und vor allem durch ein recht impo-
santes Sound-Morphing und bis zu acht
Soundvarianten je Programm. Dass sich
der FM-Synthese noch immer ungewöhn-
liche Sounds entlocken lassen, demonstriert
das aktuelle Kore-Sound-Pack
Transient
Attacks,
das im Juni 2008 für den FM8
beziehungsweise für Kore 2 und den
Kore-Player vorgestellt wurde.
Der Orgel-Algorithmus: Alle Operatoren
dienen nach dem Prinzip der Additiven
Synthese als Sinus-Oszillatoren.
Sie müssen die Sounds aber nicht unbe-
dingt selbst erstellen, denn dies haben ei-
nige Soundprogrammierer bereits erledigt.
Wegen der Komplexität der FM-Synthesi-
zer begannen erste professionelle Synth-
Programmierer Mitte der 80er Jahre ihre
Produkte auf Datenblättern, Speicherkar-
ten oder Disketten zum Verkauf anzubie-
ten. Und in der Tat werden FM-Sounds
bis heute meist als Presets konsumiert.
Was den Sound des
Yamaha DX7 auszeichnet
Yamahas DX7 prägte den Sound der Pop-
musik Mitte der 80er Jahre wie kaum ein
anderer Synthesizer. Generell gilt der DX7-
Sound als dynamisch und brillant bis scharf,
auf jeden Fall als Kontrast zu den wei-
chen, satten Sounds analoger Synthesizer.
Wer keine Lust hat, die im Netz massen-
weise vorhandenen Klangdaten nach brauch-
barem Material zu prüfen, bekommt eine
kompetente Hilfe vom Anbieter Easy
Sounds (www.easysounds.de), der eng mit
Yamaha kooperiert: Die
Complete DX
Collection
(ca. 15 Euro) enthält eine von
Experten sorgfältig zusammengestellte Aus-
wahl (18 Bänke mit jeweils 32 Voices) der
besten DX7-Sounds, die als Standard
MIDI-File und für Native Instruments’
FM7/FM8 als Download oder auf CD-
ROM angeboten werden.
Lesen ist gut, hören viel besser: Für
unsere Hörbeispiele im Internet wurden
einige dieser DX7-Voices in den NI FM8
importiert und ohne zusätzliche Effekte
angespielt, um den Sound möglichst au-
thentisch wiederzugeben. Wenn Sie noch
mehr vom Instrument sehen wollen, ge-
ben Sie einmal den Suchbegriff
DX7
bei
Videoportalen à la Youtube ein. Einige
Musiker zeigen dort ihre FM-Synthesizer
in privaten Videos.
Grundsätzliche Funktionsweise
der klassischen FM-Synthese
Die klassische FM-Synthese basiert auf
der Verknüpfung (Algorithmus) von sechs
Sinus-Oszillatoren (Operatoren). Ganz
anders als bei analogen Synthesizern tref-
fen sie beim DX7 auf 32 Verknüpfungs-
muster (Algorithmen). Diese Muster legen
fest, ob ein Operator als Träger oder Modu-
lator dient und in welcher Kombination
die sechs Operatoren aufeinander wirken.
Ein Klangprogramm wird umso komple-
xer, je mehr Modulatoren auf einen Träger
wirken. Stehen Träger und Modulator in
einem ganzzahligen Frequenzverhältnis,
entstehen harmonische, andernfalls dishar-
monische Spektren, die sich für Glocken,
Gongs oder zur Imitation anderer ge-
räuschhafter Sounds eignen.
Ein besonderes Merkmal der FM-Syn-
these ist, dass selbst minimale Veränderun-
gen der Parameterwerte klanglich drasti-
sche Folgen haben können. Ändern Sie
beispielsweise das Frequenzverhältnis von
Träger und Modulator, entstehen sofort
sehr unterschiedliche Klangfarben. Noch
rabiater variiert der Sound, sobald Sie den
Algorithmus wechseln.
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Klangprogrammierung
mit Ecken und Kanten
Die Sound-Bearbeitung erweist sich beim
DX7 als schwierig. Ohne nähere Kenntnis
der FM-Synthese bleibt es bei Versuch und
Irrtum. Doch Sie können aufatmen: Heute
geht die Bearbeitung der klassischen DX-
Voices dank der Software-Synthesizer wie
FM7 oder FM8 viel angenehmer. Die Soft-
ware-Klangerzeuger warten nämlich mit
einer so genannten
Easy-Edit-Page
auf.
Geboten wird eine vereinfachte Parametri-
sierung, die sich am Vorbild analoger Syn-
thesizer orientiert. So müssen Sie nicht
Operatoren spalten, sondern können Filter-
Cut-off/Lautstärke-Hüllkurven bearbeiten.
Noch immer gilt: Ein FM-Synthesizer
bereichert Ihre Sound-Ausstattung enorm.
Er ist selbst mit den besten Samplern kaum
zu ersetzen, und die Voices des Yamaha
DX7 sind so zeitlos wie die Popmusik der
1980er Jahre. Mit Software-Synthesizern
lassen sich die klassischen FM-Sounds auf
einfache und amüsante Weise neu entdek-
ken. Für Puristen und Nostalgiker bleibt
allerdings der Soundcharakter eines ech-
ten Yamaha DX7 ohne Alternativen.
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